Das europäische Finanzsystem stand im Dezember
letzten Jahres am Rande des Abgrunds. Und die EZB hat die Märkte mit einer
beispiellosen Intervention überrascht, schreibt Barry Eichengreen in einem lesenswerten Artikel
(„The ECB’s Lethal Inhibition“) in Project
Syndicate.
Die von der EZB bereitgestellte Liquidität hat
die Krise auf dem Kontinent aufgeschoben. Aber jetzt spitzen sich die Dinge
gerade vier Monate danach wieder zu, bemerkt der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.
Die grossen südeuropäischen Länder, Spanien und Italien, angeschlagen durch die Fiscal
Austerity (die rigorosen Sparrmassnahmen) geraten spiralförmig in die
Rezession, sodass Eichengreen die Frage stellt, ob die EZB wieder in die
Bresche springen wird?
Die Hürde für weitere geldpolitische Massnahmen
sind hoch, aber sie sind weitgehend selbst auferlegt, beschreibt Eichengreen.
Die EZB hat auf ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung die Zinsen unverändert
belassen, aber rechnet damit, dass die Inflation einen halben Prozentpunkt über
dem offiziellen Zielwert von 2% liegen dürfte.
Die Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses
der EZB scheinen aufgrund von Anzeichen eines Kostendrucks in Deutschland
besorgt, legt Eichengreen mit Hinweis auf die neuen Lohnverhandlungen dar. Die
IG Metall fordert eine Lohnerhöhung um 6,5%. Und die deutschen Arbeitnehmer im
öffentlichen Sektor haben bereits Ende März eine Einigung erzielt, um Löhne in
den kommenden zwei Jahren um 6,3% zu erhöhen.
Aber dieser Anstieg der deutschen Arbeitskosten
ist in der Tat genau das, was Europa zur Zeit braucht, um das Rebalancing wiederherzustellen, weil es
dazu beiträgt, die Wettbewerbspositionen
der nördlichen und südlichen europäischen Volkswirtschaften neu auszurichten,
hebt Eichengreen hervor.
Südeuropa muss seine Wettbewerbsfähigkeit
steigern und mehr exportieren. Worauf es aber ankommt, sind die
Produktionskosten Südeuropas im Vergleich zu Produktionskosten Deutschlands,
dem Exportmeister Europas.
Deshalb ist die Aussicht der steigenden Löhne in
Deutschland, nach einem Jahrzehnt des Stillstands, tatsächlich eine der wenigen
positiven wirtschaftlichen Entwicklungen auf der europäischen Bühne: kaum
etwas, dem die EZB widerstehen kann, betont Eichengreen mit Nachdruck.
Und die Tatsache, dass höhere Löhne in
Deutschland durch niedrigere Löhne in ganz Südeuropa abgeglichen werden, legt
nahe, dass der Inflationsdruck auf dem ganzen Kontinent gedämpft verbleiben
werde, fasst Eichengreen zusammen.
Während Regierungen zögern, ihren Beitrag zu
leisten, zögert auch die EZB, sie zu unterstützen. Wenn die EZB so denkt,
spielt sie ein gefährliches Spiel. Ohne Mehrausgaben und Wachstum kann es keine
Lösung für Europas Probleme gefunden werden. Während private Ausgaben fehlen,
kann Haushaltskonsolidierung nur die Steuereinnahmen drücken, was zustätzliche
Haushaltskürzungen ohne Ende fordert. Die richtige Lösung ist Konzentration auf
das Wachstum, nicht auf die Austerität.
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