Samstag, 29. August 2020

Was ist die niedrigste Arbeitslosenquote?

Jerome Powell, der Chef der amerikanischen Notenbank hat am Donnerstag die Neuausrichtung der US-Geldpolitik angekündigt.

Es handelt sich dabei um einen neuen Ansatz im Hinblick auf die Inflation. Genannt wird es „average inflation targeting“.

Die Fed will zulassen, dass die Inflation einige Jahre höher als 2% laufen kann, falls die Teuerungsrate davor deutlich niedriger lag. Ein Überschiessen über eine längere Zeitperiode ist daher gestattet. Der Zielwert von 2% soll im Durchschnitt angestrebt werden.

Begründung: das anhaltend schwache Wirtschaftswachstum, die träge Konsumnachfrage und die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit.

Die neue Form der Geldpolitik hat zugleich eine Signalwirkung in Richtung Politik: Vollbeschäftigung würde den Arbeitnehmern ein gutes Gefühl geben, die Ungleichheit bekämpfen und den Populismus abschrecken.

Janet Yellen und Jared Bernstein schreiben in diesem Sinne in einem Meinungsartikel bei NYTimes diese Woche, dass die Wirtschaft mehr fiskalische Ausgaben braucht, um Neueinstellungen zu unterstützen, wenn die Arbeitslosigkeit außergewöhnlich hoch und die Inflation historisch niedrig ist, wie beides jetzt der Fall ist.



Erstmalige und fortgesetzte Arbeitslosenansprüche am US-Arbeitsmarkt, Graph: BofA, Aug 2020

Sonntag, 23. August 2020

COVID-19 und „K“-Erholung

Die Mehrzahl der Ökonomen ging bis vor kurzem davon aus, dass die Erholung der Wirtschaft von der Coronavirus-Krise in „V“-Form erfolgen würde. 

Das heisst, dass einem steilen Absturz eine rasche Erholung folgen würde. 

Da die Ausbreitung der Pandemie inzwischen nicht unterbunden werden konnte und nach der Wiedereröffnung (reopening) der Geschäfte weltweit neue Virus-Infektionen verzeichnet werden, kehrt nun Ernüchterung ein.

Unterdessen ist von einer „K“-Erholung die Rede, gut für die Fachleute und schlecht für alle anderen (*). 

Zum Hintergrund: S&P 500 Index hat am Dienstag mit 3,397 Punkten einen neuen Spitzenwert erreicht. Und am folgenden Tag wurde Apple am Aktienmarkt als erstes US-Unternehmen mit mehr als 2‘000 Mrd. USD bewertet. 

Während manche Politiker mit dem Aktienmarkt als Beweis dafür werben, dass die Wirtschaft sich vom Corona-Virus erholt hat, ist es eine bittere Tatsache, dass 173‘000 Amerikaner an der Pandemie gestorben sind und die Anzahl der Arbeitslosen, die eine staatliche Unterstützung erhalten, sich auf 28 Mio. beläuft.

Das bedeutet, dass die Wirtschaft sich für Millionen von Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz nicht zurückbekamen, nicht so gut anfühlt. Zudem wurde das Arbeitslosengeld gekürzt. Die im März beschlossene Zusatzleistung von 600 USD per Woche ist ausgelaufen.

Apple markiert eine Marktkapitalisierung im Wert von mehr als 2‘000 Mrd. USD als erstes US-Unternehmen in der Börsengeschichte, Graph: FT, Aug 20, 2020 

Dienstag, 18. August 2020

Fed und das durchschnittliche Inflationsziel (average inflation targeting)

Wie wir beobachtet haben, hat der FOMC, d.h. der geldpolitische Ausschuss der US-Notenbank (Fed) den geldpolitischen Kurs auf der letzten Tagung im Juli unverändert beibehalten.

Die Währungshüter betonten die Abwärtsrisiken und zogen eine künftige Lockerung in Betracht. Doch der Ausschuss schien mit der gegenwärtigen Politik zufrieden zu sein. 

Credit Suisse Analysten betonen im „Investment Daily“ am Montag die Erwartung, dass der Ausschuss nun bereit sei, bis zur September-Tagung zu einem Rahmen für eine Zielvorgabe der durchschnittlichen Inflation (average-inflation targeting) überzugehen, wie es aus dem aktuellen Sitzungsprotokoll der Fed hervorgehe.

Zudem dürfte der Ausschuss als eine weitere Option für eine geldpolitische Lockerung aktiv über die Einzelheiten der Vorwärtsausrichtung (forward guidance) und der Kontrolle der Zinskurve (yield curve control) diskutieren.

Worum aber geht es beim „average inflation targeting“?

Es ist die Vorstellung, dass die Zentralbank nicht darauf abzielt, die Inflation bei 2% (wie bisher) zu halten, sondern sie könnte stattdessen anstreben, sie bei einem Durchschnitt von 2% zu halten. 

US Inflationserwartungen gemessen an 10y UST break-even Sätzen, Graph: Morgan Stanley, Aug 17, 2020

Donnerstag, 13. August 2020

Scheinheilige Ökonomie: Unterbeschäftigung und Inflation

Wie kann man sich angesichts der hohen Unterbeschäftigung über die Inflation Sorgen machen?

Paul Donovan, UBS unterstreicht in einem aktuellen Video-Beitrag, dass ein Anstieg der Nachfrage (nach der Aufhebung der „lockdown“-Massnahmen) nicht zu höheren Preisen führen werde.

Seiner Ansicht nach sprechen hauptsächlich zwei Aspekte gegen eine steigende Inflation: 1) Es gibt viele Bereiche der Wirtschaft mit freien Kapazitäten (z.B. Dienstleistungssektor) und 2) Unternehmen werden es sich zweimal überlegen, bevor sie mit höheren Preisen die Loyalität der Kunden riskieren.

Wir können vor diesem Hintergrund festhalten, dass die europäische Wirtschaft in Grunde genommen seit dem Ausbruch der GFC von 2008-2009 stagniert und von deflationären Kräften geprägt ist.

Was wir darüber hinaus gestützt auf unsere Erfahrungen aus der GFC-Ära erfassen können, ist, dass die Notenbanken nicht mehr viel unternehmen können, um den Schaden zu begrenzen.

Denn wenn die nominalen Zinsen nahe null Prozent liegen, ist es mit der Geldpolitik allein besonders schwer, eine Erholung einzuleiten. Notenbanken haben zwar elektronisch viel Geld gedrückt und verschiedene Arten von Vermögenswerten auf dem offenen Markt gekauft. Aber die Geldpolitik hat deutlich an Zugkraft verloren.


Eine EU-Anleihe mit Fälligkeit 2032 beispielsweise wird mit einer Rendite von minus 0.11% gehandelt, Graph: FT, Aug 12, 2020

Mittwoch, 5. August 2020

COVID-19, Nachfrage und Arbeitslosigkeit

Wenn Verbraucher Geld ausgeben, kommt es Unternehmen zu Gute. Steigt der Umsatz, erhöhen Unternehmen Investitionen. Und damit entstehen neue Arbeitsplätze. 

Wenn die Löhne nicht steigen und/oder sogar gekürzt werden, passiert das Gegenteil. Es entsteht Arbeitslosigkeit.

Die Republikaner im Senat haben gerade zugelassen, dass die pauschale Erhöhung der wöchentlichen UI-Leistungen (Arbeitslosenversicherung) um 600 USD abläuft, und schlagen vor, sie (im Wesentlichen) durch eine wöchentliche Zahlung von 200 USD zu ersetzen. 

Diese Kürzung der Leistungen um 400 US-Dollar ist nicht nur grausam, sondern auch eine schreckliche wirtschaftliche Situation. Diese Vorteile unterstützen eine enorme Menge an Ausgaben von Menschen, die sonst drastisch sparen müssten, unterstreicht Heidi Shierholz von Economic Policy Institute (EPI) in einem aktuellen Blog-Eintrag.

Die Ausgaben, die durch die 400 Dollar ermöglicht werden, die der Senat kürzen will, unterstützen 3,4 Millionen Arbeitsplätze. Wenn Sie die 400 Dollar kürzen, kürzen Sie diese Jobs, fügt Frau Shierholz von EPI hinzu.

Heiner Flassbeck schreibt dazu in seinem Blog Makroskop, dass die US-Unternehmen sogar die Löhne kürzen, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist. 

Das hat fatale Folgen, da die US-Wirtschaft auf Konsum angewiesen ist wie kein anderes Land auf der Welt. Die Lohnkürzungen sind der direkte Weg in die Deflation und in eine kaum noch zu beherrschende Krise, betont der ehemalige Chef-Volkswirt von UNCTAD mit Nachdruck.


Arbeitslosigkeit ohne Arbeitslosengeld führt zu starken Ausgaben-Rückgängen, Graph: JPMorgan, July 28, 2020

Samstag, 1. August 2020

The Economics of Belonging


Buchbesprechung:

Martin Sandbu: The Economics of Belonging – A Radical Plan to Win Back the Left Behind and Achieve Prosperity for All, Princeton University Press, June 2020. 


Martin Sandbu argumentiert, dass es nicht die Globalisierung ist, die für zu viele der Probleme zurückgebliebener Gruppen verantwortlich ist, sondern der technologische Wandel und die wirtschaftlichen Veränderungen. 

Handel und Migration bestenfalls erklären nur einen kleinen Teil des Verschwindens guter Arbeitsplätze und der zunehmenden Ungleichheit.

Die Veränderung der Marktwirtschaft in den vergangenen 40 Jahren ist seiner Ansicht nach auf wirtschaftliche Transformationen und politisches Versagen zurückzuführen.

Marktmechanismen, die gute Arbeitsplätze und Wohlstand für einige, aber schlechte Arbeitsplätze und Prekarität für zurückgebliebene Gruppen schaffen, führen ohne Zweifel dazu, dass der Sozialvertrag im Westen untergraben wird.

Wir müssen uns nun der Macht des Staates zuwenden, der diesen Mechanismen am offensichtlichsten hätte entgegenwirken können, z.B. mit einem revidierten Steuersystem, um beispielsweise Steuerumgehung via Steuerparadies zu unterbinden.