Richard Vague: The Case for a Debt Jubilee, Polity Books, Oct 2021.
Schulden sind i.d.R. erforderlich, um neue Fabriken zu bauen, neue Produkte zu entwickeln oder Wohnsiedlungen zu bauen. Das ist ein Hauptgrund, warum Schulden immer so schnell oder schneller wachsen als das BIP.
Es braucht Schulden, um das BIP überhaupt zu steigern. Das wirtschaftliche Leben, wie wir es kennen, wäre ohne riesige Summen an privaten Schulden einfach unmöglich. Es ist intrinsisch mit dem System.
Unternehmen des 21. Jahrhunderts wie Supermärkte und Einzelhändler nutzen regelmäßig Schulden, um ihren anhaltenden Bedarf an Lagerbeständen zu decken. Hersteller verschulden sich, Rohstoffe zu kaufen, um sie in Fertigwaren umzurüsten. Menschen nutzen Schulden, um Autos, Häuser und andere wichtige Vermögenswerte zu kaufen.
Ist aber private Verschuldung selbst ein Problem? Volkswirtschaften können schließlich nicht ohne Schulden auskommen, und der Großteil davon sind private Schulden.
Richard Vague geht davon aus, dass Schulden weder gut noch schlecht sind. Schulden sind wie Wasser: unverzichtbar, immer da und als selbstverständlich angesehen und unbemerkt, außer wenn es gefährlich zu viel oder zu wenig davon gibt. Das ist das «Paradoxon der Schulden».
Private Schulden sind notwendig und können das Wirtschaftswachstum ankurbeln, aber eine hohe Verschuldung, sei es für Einzelpersonen oder Unternehmen oder beides, belastet und behindert dieses Wachstum.
Das BIP-Wachstum in den Industrieländern korreliert auch stärker mit dem Schuldenwachstum des Privatsektors als mit dem Schuldenwachstum des öffentlichen Sektors.
Das Schuldenwachstum bringt Wirtschaftswachstum, aber zu viel davon behindert das Wirtschaftswachstum, so der Autor. Ein zu schnelles Wachstum der privaten Verschuldung kann sowohl einen «Boom» als auch eine «Bust» (Pleite) mit sich bringen.
Deshalb ist das «Schuldenjubiläum» («debt jubilee») für die Wiederherstellung des Wirtschaftswachstums von entscheidender Bedeutung, wie der Autor, Minister für Bankwesen und Wertpapiere des Commonwealth of Pennsylvania festhält.
Zum Hintergrund: Die Schuldenamnestie war in den frühesten Zivilisationen am einfachsten, als die Kreditgeber in erster Linie der Palast und der Tempel waren, da die Regierung einfach Schulden vergab, die sie auf ihre Bürger ausgedehnt hatte. Viele dieser alten Schulden waren nicht so sehr Darlehen, sondern viel mehr Zahlungsrückstände: d.h. eine Anhäufung von Steuern oder anderen Verpflichtungen, die die Bürger nicht bezahlen konnten.
Es galt nur für die Schulden der Eigentümer und Bewohner und war nicht für die Reichen oder für die kaufmännischen Schulden der Geschäftsleute, so dass in gewissem Sinne alte Schuldenamnestien "bedürftigketsorientiert" waren.
Das Ziel war also nicht die Gleichheit als solche, sondern die Sicherung von selbsttragendem Land und Produktion für die Bürger.
Der Schuldenerlass wurde im Verlauf der Geschichte von einem Ad-hoc- zu einem strukturellen Aspekt der Wirtschaft. Die Israeliten nannten es Jubiläum, nach dem Widderhorn oder Yobel (auf dem Deckblatt dieses Buches zu sehen), das für die freudige Proklamation dieser Freiheit von der Schuldenlast ertönt wurde.
Heute haben wir ein ähnliches Problem, so der Autor, mit der Anhäufung von Schulden im privaten Sektor, und die Idee einer strategischen Schulden-Amnestie oder eines Jubiläums sei wohl dringender denn je: «Vor der Covid-19-Krise sind wir in Schulden ertrunken, und jetzt sind wir von ihr überschwemmt».
"Gesamtverschuldung" («total debt»), wie sie in diesem Buch verwendet wird, erfasst die Summe der Schulden des öffentlichen und privaten Sektors, und die Verschuldung des privaten Sektors setzt sich aus Schulden von Unternehmen und privaten Haushalten zusammen, darunter Studentendarlehen, Hypotheken, Autokredite, Kredite für kleine Unternehmen, Kreditkartenschulden und mehr.
Für große Länder, deren Regierungen "monetäre Souveränität" haben - d.h. Länder, die ihr eigenes Geldsystem kontrollieren, ihr eigenes Geld schaffen und Kredite in ihrer eigenen Währung aufnehmen - ist es viel weniger wahrscheinlich, dass die Staatsverschuldung in Verzug («default») endet.
Richard Vague setzt sich für eine umsetzbare und sinnvolle Lösung ein, aber fordert keine rigorose Sparpolitik («austerity») auf, weit davon entfernt, er unterstreicht die Relevanz von Staatsausgaben mit Nachdruck.
Wenn hohe Verschuldung die Ausgaben beeinträchtigt, leidet das Wachstum darunter. Und ein eingeschränktes Wachstum unterdrückt die Löhne; niedrigere Löhne wiederum schränken die Ausgaben und das Wachstum weiter ein.
Vague verwendet den Begriff "Schulden-Jubiläum", um eine Reihe verwandter Ideen und Begriffe zu erfassen, die sich mit einer breiten Umschuldung befassen, einschließlich Erlass, Annullierung, Änderung oder Amnestie - Begriffe, die in diesem Buch einigermaßen austauschbar verwendet werden. Schuldenjubiläum nimmt deshalb viele Formen an,
Erstens übersteigen die Schulden fast immer das BIP und haben in den Industrieländern ein sehr hohes Niveau erreicht. Es ist ein intrinsisches, hartnäckiges Merkmal von Wirtschaftssystemen.
Zweitens ist eine hohe Verschuldung des BIP schädlich. Es betäubt das Wirtschaftswachstum, bringt den Familien finanzielle Not und vergrößert die Ungleichheit.
Drittens sinken die Schulden nicht von selbst.
Dazu kommt, dass drei Handlungen allgemein als "Geld schaffen" («money printing») bezeichnet werden, weil man annimmt, dass sie der Wirtschaft Einlagen («deposits») hinzufügen.
Banken schaffen Geld, wenn sie Kredite an Unternehmen, Einzelne und andere vergeben.
Der Staat emittiert Schulden in Form von US-Staatsanleihen und gibt den Erlös aus.
Die Fed kauft Staatsanleihen von Geschäftsbanken in "Offenmarktgeschäften" oder OMO, was in der populären Presse am häufigsten als "Geld drucken" bezeichnet wird.
Es gilt, dass die öffentliche Schuldenquote sinkt, wenn die private Schuldenquote steigt und vice versa. Es ist kein Geheimnis, dass die Art von «trade-off» oft passiert.
Die Bereiche der Privatverschuldung, die am dringendsten entlastet und erreichbar sind, sind Studentendarlehen, Hypothekenschulden, Gesundheitsschulden und Kredite für kleine Unternehmen. Diese Bereiche der Überschuldung wirken sich unverhältnismäßig stark auf die Wirtschaft aus, da sie zu den größten Komponenten der privaten Verschuldung gehören.
Die Streichung von Studentenschulden beispielsweise wäre ein Segen für die Schuldner und die Gesamtwirtschaft.
Ein Studentenschuldenjubiläum würde Einzelpersonen und Familien einen Schub für ihren finanziellen Fortschritt geben, was zugleich dazu beiträgt, dass auch die entscheidende Bedeutung von Bildung für die weitere Entwicklung der Wirtschaft anerkannt wird.
Der Autor fasst Haupteinwände in drei Kategorien zusammen: Fairness, Kosten und das moralische Risiko, das Schuldenerlass schaffen könnte.
Wir müssen die Möglichkeiten zur Umschuldung auf Haushalte ausweiten, ähnlich denen, die die amerikanischen Unternehmen schon lange Zeit genießen, und mehr und bessere Möglichkeiten bieten, Verträge für Einzelpersonen umzustrukturieren und neu zu verhandeln.
Debt Jubilee, Content, Nov 2024. |
Der Bedarf an einer Jubiläumsstrategie ist laut dem Autor auch für die Befürworter der «de-growth» Idee akut genau wie für diejenigen, die sich für Wachstum einsetzen.
Denn während der Kuchen der Wirtschaft im «de-growth» Ansatz (der vom Autor nicht befürwortet wird) schrumpfen würde, würde der Schulden-Kuchen nicht, was bedeutet, dass das Verhältnis von Schulden zu BIP schnell eskalieren würde.
Während der wirtschaftliche Kuchen schrumpfte, würde die Verschuldung aufgrund der kompensierenden Auswirkungen der Zinsen konstant sein oder wachsen. Ein erfolgreicher «de-growth» würde also eine Schuldenamnestiestrategie erfordern - ebenso wie ein erfolgreiches kontinuierliches Wachstum.
Fazit: Die in diesem Buch vorgeschlagenen Initiativen werden eine befreiende und anregende Wirkung auf die Wirtschaft haben und Ungleichheit verringern. Niedrigere Schulden werden das Leben von Millionen von Amerikanern messbar verbessern. Alle stehen zu gewinnen. Haushalte werden stärker sein. Staaten, Unternehmen und Finanzinstitute werden besser dran sein, weil die Haushalte stärker sein werden und besser in der Lage sein werden, Geld für Konsum, Investitionen und Schlüsselkäufe als für Schuldendienst und Rückzahlung bereitzustellen.
Es gibt moderne Präzedenzfälle für das Jubiläum. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben nach dem Zweiten Weltkrieg öffentliche und private Schulden in Deutschland umstrukturiert oder erlassen, und diese Aktion ebnete den Weg für Deutschlands Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.
Die Banken und andere Kreditgeber würden gewinnen, weil sie eine effektive Möglichkeit hätten, mit Problemen umzugehen, die sich bereits in ihren Büchern belaufen. Und Unternehmen würden auch davon profitieren, durch das verbesserte finanzielle Wohlergehen ihrer Kunden.
Es stimmt, dass der private Schuldenerlass einen Preis hat. Das kann nicht vermieden werden. Richard Vague erwartet, dass die Kosten für den Staat dieser vorgeschlagenen Jubiläumsprogramme zwischen 300 und 600 Milliarden Dollar liegen werden - hoch, aber überschaubar.
Dieses Buch gibt tiefgreifende Einblicke in die Bedeutung des Schulden-Wesens im vorherrschenden Wirtschaftssystem und bietet scharfe Analyse wirtschaftspolitischer Normen und Institutionen, basierend auf historische Beispiele und aktuelle Trends.
Wer den Stellenwert der Schulden in der Interaktion von Produktion, Verteilung und Konsum Ideologie-frei begreifen will, kommt an der fesselnden Lektüre dieses Werkes nicht vorbei.
Gibt es eine Grenze für die Schulden-Quote, "debt-to-GDP ratio"? |
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