Mittwoch, 31. August 2016

Dominiert die Fiskalpolitik die Geldpolitik?

Wir können heute mit Fug und Recht festhalten, dass die von Christopher A. Sims beim Treffen der Zentralbanker in Jackson Hole präsentierte Vorstellung über die Rolle der Fiskalpolitik (fiscal dominance) in der anhaltenden Stagnation der Wirtschaft in den industrialisierten Regionen der Welt ein starkes Echo in der Blogosphäre unter Ökonomen gefunden hat.

Der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor schreibt, dass fiskalpolitische Expansion die unwirksame Geldpolitik an der Nullzins-Grenze (zero lower bound) ersetzen kann.

Aber expansive Fiskalpolitik sei nicht dieselbe wie Defizitfinanzierung: Denn es erfordere ein Defizit mit einem bestimmten Ziel, nämlich, Inflation zu erzeugen. M.a.W. müssen Defizite laut Sims durch zukünftige Inflation finanziert werden, nicht durch zukünftige Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen.

Sims scheint also sagen zu wollen, dass expansive Fiskalpolitik (fiscal expansion) nur dann funktioniert, wenn sie zu einem Anstieg der erwarteten Inflation führt. Das heisst aber zugleich, dass die Aussage so interpretiert werden kann, wie wenn Sims Gültigkeit von Ricardian equivalence begrüssen würde.

Das ist aber eine Fehleinschätzung, wendet Paul Krugman in seinem Blog ein.

Aus zwei Gründen:



Negative Leitzinsen in Europa, Graph: FT

Dienstag, 30. August 2016

Wirksamkeit der Geldpolitik und fehlende Preisstabilität

Ein wesentlicher Grund, warum die Weltwirtschaft kaum vom Fleck kommt, ist sicherlich der Rückgang der Staatsausgaben in den grössten Volkswirtschaften.

Wie in der folgenden Abbildung deutlich zu sehen ist, halten sich die G7 Länder mit Investitionen seit Jahren zurück. Im ersten Quartal betrug der Anteil der Staatsausgaben am BIP 3,3%, was den niedrigsten Wert seit 2000 markiert, zurückgefallen von 4% zu Beginn des Jahres 2009, wie Oxford Economics berichtet.

Die Zurückhaltung in Sachen Investitionen in die Infrastruktur ist besonders frappant, wo die politischen Entscheidungsträger über das Konzept von Helicopter Money diskutieren, um einer langfristigen Stagnation der Wirtschaft entgegenzuwirken, während die Zentralbanken in Europa und Japan weiterhin haufenweise Wertpapiere am Markt aufkaufen.

In Deutschland beispielsweise stagniert die Wirtschaft seit rund 5 Jahren, bemerkt Heiner Flassbeck aufgrund der aktuellen Daten von ifo-Index.



Der Rückgang der Staatsausgaben in G7-Ländern, Graph: Bloomberg

Sonntag, 28. August 2016

Deutschlands Überschüsse und Europas Leiden

Der Eurozone geht es seit der Krise von 2008 besonders schlecht. Die Wirtschaft steckt in einem tiefen Abschwung; ja man kann sogar sagen, in einer Depression.

Deutschland gibt gern den Ländern mit Leistungsbilanzdefizit die Schuld und verweist auf Defizite und Lasterhaftigkeit der anderen Länder.

Und Berlin fordert, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Rest der Eurozone, sich so zu verhalten wie Deutschland. Das heisst: einen Überschuss im Haushalt zu erzielen und einen Überschuss in der Leistungsbilanz zu erstreben.

Dass das aus rein buchhalterischen Gründen gar nicht geht, muss wahrscheinlich nicht näher erläutert werden. Schliesslich sind die Einnahmen des einen die Ausgaben des anderen. Es sei denn, die Welt betreibt plötzlich Handel mit dem Mars. Fakt ist, dass die Welt als Ganzes keine Schulden hat.

Geflissentlich wird jedoch „vergessen“, dass Deutschland das Ausland weiter in die Verschuldung treibt.

Ganz in diesem Sinn bemerkt Brad Setser in seinem Blog, dass Deutschlands Haushaltsüberschuss (1,2% des BIP) Deutschlands massiven Leistungsbilanzüberschuss verstärkt.

Und der externe Überschuss Europas (350Mrd.EUR) den Nachfrageausfall effektiv an den Rest der Welt exportiert und damit den Abwärtsdruck der Zinsen weltweit erhöht.


Der neutral Zinssatz ist seit 2007 um 1 bis 2,5% gesunken, Graph: Greg Ip in: WSJ

Freitag, 26. August 2016

Inflationssteuerung landet im Nirwana


In Jackson Hole, Wyoming treffen sich die Zentralbanker am Wochenende zu einem wichtigen internationalen Meinungsaustausch. Eine wesentliche Frage, die auf der Tagesordnung steht, ist, warum die Inflation nicht vom Fleck kommt.

Ein informelles Thema, das wie das Damoklesschwert über dem Symposium schwenkt, ist sicherlich Helicopter Money (HM). Aber warum? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir brauchen ein Werkzeug für die Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, wie Brad DeLong in seinem Blog darlegt.

Schliesslich verfehlt die Fed die Zielinflationsrate seit mehr als vier Jahren, schreibt Narayana Kocherlakota in diesem Zusammenhang in seiner Kolumne bei Bloomberg View.

Und es sieht in anderen fortentwickelten Volkswirtschaften auch nicht besser aus. Siehe die unten präsentierte Abbildung an.



Das Ende der Inflation? Nirwana von Inflation Targeting, Graph: Mark Gilbert Bloomberg View

Donnerstag, 25. August 2016

Europas Depression und Besessenheit von Negativzinsen


Europa steckt mittlerweile seit acht Jahren in depression economics, wobei die einflussreichen Entscheidungsträger immer noch so handeln, als ob sie nichts daraus gelernt hätten.

Paul Krugman gibt in seinem Blog zu Recht zu verstehen, dass der IWF das eigene Diktum verletzt hat und überall immer noch Haushaltskonsolidierung vorschreibt. Dabei hätte es (zumindest) für die Länder mit einem Leistungsbilanz-Überschuss eine expansive Fiskalpolitik empfohlen werden müssen.

Wir leben in einer Welt, in der die Theorie der secular stagnation in der Tat eine reale Gefahr für die Weltwirtschaft signalisiert. Trotz der anhaltend lockeren Geldpolitik verläuft die Inflation unter dem von den Zentralbanken angestrebten Zielwert.

Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren legen nahe, dass die Weltwirtschaft fiskalpolitische Unterstützung braucht, um die Nachfrage anzukurbeln und das Angebot an sicheren Staatsanleihen zu erweitern. Es funktioniert einfach nicht mehr, sich allein auf die Geldpolitik zu verlassen.

Es ist wichtig, bei Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die Haushaltsdefizite und Schulden in der Eurozone durch die Krise verursacht wurden und nicht umgekehrt, wie Joseph Stiglitz in seiner Kolumne in Project Syndicate mit Nachdruck unterstreicht.

Zur Erinnerung: Italien und Irland hatten am Vorabend der Krise Überschüsse und im Verhältnis zum BIP geringe Verschuldung.


Der geschätzte „natürliche“ Realzins, Graph: Cecchetti and Schoenholtz


Montag, 22. August 2016

Wenn Regulierte Regulierer vereinnahmen

Simon Wren Lewis befasst sich in seinem Blog mit der kritischen Rolle, die der IWF während der Krise in der Eurozone gespielt hat. Bemerkenswert ist, dass der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor dabei als Fazit das Argument regulatory capture“ (*) anführt.

Zur Erinnerung: Die eigenen Mitarbeiter des IWF hatten im Jahr 2010 gesagt, dass Griechenlands Schulden nicht nachhaltig sind. Doch der IWF hat dem Druck der europäischen Politiker nachgegeben und auf eine Umstrukturierung der Schulden verzichtet.

Stattdessen hat die Troika den katastrophalen Weg der übermässigen Austerität beschlossen, wobei der IWF selbst die Auswirkungen, die der harsche Sparkurs entfalten würde, vollkommen unterschätzt hat.

Was wir in den letzten Jahren immer öfters hören ist aber, wie der IWF an europäische Entscheidungsträger eine Art Ultimatum stellt, doch noch einen Schuldenumbau zu akzeptieren.

Die wiederholten Fehlschläge deuten laut dem britischen Ökonomen auf ein strukturelles Problem innerhalb des IWF hin: Die Mitgliedstaaten werden nicht gleichbehandelt. Siehe Griechenland in der Eurozone.



Das pro-Kopf BIP in der Eurozone heute noch tiefer als im Jahr 2007, Graph: Narayana Kocherlakota in: Bloomberg View

Freitag, 19. August 2016

Der neutrale Realzins und andere Unannehmlichkeiten

John Williams, San Francisco Fed Präsident sagt, dass es Zeit ist, Überlegungen anzustellen, ob die Zielinflationsrate (Inflationssteuerung) von 2% an die gegenwärtigen Konditionen angepasst werden soll oder nicht.

Seiner Ansicht nach gibt es einfach keinen Spielraum für die Zentralbanken, die Zinsen in Reaktion auf einen wirtschaftlichen Abschwung weiter zu senken, wenn die Inflation nahe Null liegt und der sog. natürliche Zinssatz (natural rate) sehr niedrig ist.

Die zugrundeliegenden Determinanten für den Rückgang der beiden Werte sind eng verknüpft mit:

dem Angebot und der Nachfrage der Geldanlagen,
dem demographischen Wandel,
dem trägen Trend der Produktivität,
dem schwachen Wirtschaftswachstum,
der Suche der sog. Schwellenländer nach sicheren Anlagen für die eigenen grossen Devisenreserven und
einer allgemeinen Ersparnissschwemme (savings glut).

Tatsache ist, dass die Fed ihr Inflation Target von 2% seit mehr als vier Jahren unterbietet, gemessen am PCE.

Warum soll die Fed die Zielinflationsrate vorübergehend nicht auf 4% erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Vollbeschäftigung wiederherzustellen?

Ein Einwand ist, dass eine höhere Inflation grosse verzerrende Probleme schaffen würde. Das Stichwort ist Preisstreuung (price dispersion): Inflation würde Preise verzerren, wenn Unternehmen Preise verändern wollten, womit wirtschaftliche Effizienz leiden würde.



Der um die Inflation angepasste natürliche Zinssatz, Graph: John Williams, San Francisco Fed President in: "Monetary Policy in a low R-Star World", Aug 2016.

Donnerstag, 18. August 2016

Inflationssteuerung und Nachfrageschwäche

David Beckworth liefert in seinem Blog zum Thema Nachfrageschwäche zwei sehenswerte Abbildungen.

Was ins Auge sticht, ist, dass das Wachstum der nominalen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage pro Kopf, das in den vergangenen Jahren im Durchschnitt rund 5% betrug, seit der Finanzkrise von 2008 erheblich nachgelassen hat.

Natürlich kommt es auf das reale Wirtschaftswachstum, welches nicht von der nominalen, sondern von den realen Faktoren bestimmt wird.

Beckworths Standpunkt betrifft aber die Frage, warum es nicht mehr möglich ist, ein nominales pro-Kopf Nachfragewachstum von rund 5% wie in vor 2008 zu erzeugen.

Das hat mit der Inflationssteuerung-Politik (inflation targeting) der Zentralbanken zu tun, betont der wissenschaftliche Mitarbeiter im Mercatus Center der George Mason University mit Nachdruck.

Es ist Zentralbanken seit Anfang der 1990er Jahren so gut gelungen, die Inflation niedrig zu halten, dass jede Abweichung davon heute einfach als untragbar wahrgenommen wird, so Beckworth.



Das nominale pro-Kopf Nachfragewachstum, Graph: David Beckworth

Mittwoch, 17. August 2016

Fed’s vernünftige Umsicht mit Zinsen

Der Bloomberg UST Bond Index ist seit Jahresbeginn um 5,1% geklettert. Das ist die beste Performance seit 2011. Damals belief sich der entsprechende Wert auf 6%. Im gesamten Jahr betrug die Performance rund 10%.

Zur Erinnerung: Die Rendite der US-Treasury Bonds mit 10 Jahren Laufzeit beträgt heute 1,57%. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, kurz zu erwähnen, dass die Wertentwicklung der US TIPS (inflationsindexierte US-Staatsanleihen) mit einem Ertrag von 6,9% die der nom UST mit 5,5% seit Jahresbeginn schlägt.

Fed Funds Futures implizieren eine 50%-ige Chance für eine Zinserhöhung bis zum Jahresende, wie Bloomberg gestützt auf die eigenen Daten berichtet. Im Vergleich lag die Chance vor einer Woche bei 42%.

Aus Wetten der Futures Traders geht hervor, dass die Chance eines Zinsanstiegs im Dezember zum ersten Mal seit dem „EU-Leave“-Entscheid Grossbritanniens auf 50% gestiegen ist.

Ein wesentlicher Faktor war dabei sicherlich die Aussage von William Dudley, dem Fed-Präsidenten von New York, dass die Anleihemärkte „ein wenig ausgespannt“ aussehen. Dudley hat zudem hinzugefügt, dass ein Zinsanstieg schon im nächsten Monat kommen könnte.



Die Chance einer Zinserhöhung durch die Fed im Dezember liegt zum ersten Mal über 50 Prozent, Graph: Bloomberg TV

Dienstag, 16. August 2016

Was bedeutet der Verlauf der Abenomics bisher?

Die japanische Regierung hat vergangene Woche ein Konjunkturpaket (ca. 277 Mrd. USD) im Wert von 28,1 Billionen JPY (d.h. 10 hoch 12) vorgestellt, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln.  Die Staatsausgaben belaufen sich aber auf nur 6,2 Billionen Yen, wovon gerade 4,6 Billionen JPY im laufenden Fiskaljahr fällig werden.

Die am Montag veröffentlichten BIP-Daten sind enttäuschend ausgefallen. Die japanische Wirtschaft ist im zweiten Quartal jährlich um 0,2% gewachsen, nach 2,0% im ersten Quartal.

Auch die Industrieproduktion im Juni gibt keinen Anlass für eine optimistische Erwartungshaltung: -1,5% per annum.

Heisst das nun, dass Abenomics gescheitert ist? Müssen Strukturreformen her? Schliesslich besteht Abenomics aus drei Pfeilern: 1) Geldpolitik, 2) Fiskalpolitik und 3) Strukturreform.

Nein, sagt Paul Krugman in seinem Blog. Die wahre Lektion von Abenomics ist, dass die Geldpolitik an ihre Grenzen gestossen ist. Das heisst, dass die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze (zero lower bound) an Zugkraft verliert, wie die Theorie der Liquiditätsfalle es vorausgesagt hat.


Der konjunkturbereinigte (*) primäre Haushaltssaldo (cyclically adjusted primary balance), Graph: Paul Krugman in NYTimes

Montag, 15. August 2016

Das Versagen der Globalisierung in der Praxis

Eine der tiefen Spuren, die die Finanzkrise von 2008 hinterlassen hat, macht sich am Verlauf des Welthandels bemerkbar: Der Welthandel pendelt auf einem niedrigeren Niveau ein.

Das durchschnittliche jährliche Wachstum des globalen Handelsvolumens lag von 2009 bis 2016 bei 3%, nur noch halb so hoch wie von 1980 bis 2008, wie Steven Roach in seiner Kolumne bei Project Syndicate beschreibt.

Die Globalisierung hat ihren politischen Rückhalt verloren, hebt der frühere Vorstandvorsitzende von Morgan Stanley Asia hervor

Im Gegensatz zu dem, was wir oft hören, ist die Weltwirtschaft kein globales Gemeingut, schreibt Dani Rodrik in seiner lesenswerten Kolumne („The False Economic Promise of Globale Governance“) bei Project Syndicate

Global Governance kann nur begrenzt Gutes tun, und es richtet gelegentlich einige Schäden an, so der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Die vielleicht grösste politische Enttäuschung in den fortgeschrittenen Demokratien ist, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft zunimmt und die Entscheidungsträger tatenlos zuschauen. Die Problematik liegt i.d.R. in der Innenpolitik, wo die Finanz- und Wirtschaftseliten den politischen Entscheidungsprozess gut im Griff zu halten scheinen und damit die Umverteilungspolitik engen Grenzen unterwerfen.



Das Wachstum des globalen Handelsvolumens, Graph: Morgan Stanley

Freitag, 12. August 2016

Inkonsistenz der Auteritätspolitik und Sanktionen

Daniel Gros bedauert in seiner Kolumne („The Silent Death of Eurozone Governance“) bei Project Syndicate, dass die Europäische Kommission keine Sanktionen gegen Spanien und Portugal wegen Haushaltsdefizite verhängt hat.

Das Bussgeld wäre weitgehend symbolischer Art (*) gewesen, schreibt der Direktor des Centre for European Policy Studies (CEPS). Und er jammert weiter, dass auch das übrige Europa still geblieben sei.

Gros findet die „haushaltspolitische Nachsicht“ in der EU irgendwie unverzeihbar. Die Finanzdisziplin muss bewahrt werden, koste es, was es wolle, so der Tenor.

Im Grunde genommen fordert der deutsche Ökonom mehr Schmerzen für die Menschen in Spanien (**) und Portugal, wo die Arbeitslosenquote 19,9% bzw. 11,2% beträgt.

Seine Begründung: Wenn das Defizitverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht zur Anwendung kommt, was zwingt dann die Mitgliedstaaten, Reformen einzuleiten und ihr Schuldenniveau zu stabilisieren?

Spätestens an dieser Stelle wird es interessant, die liquidationistische Haltung des früheren Wirtschaftsberaters der EU-Kommission kurz unter die Lupe zu nehmen.


Fiskal-Multiplikatoren von Staatsausgaben in einer von Überschuldung des Privatsektors verursachten Rezession, Graph: Cleveland Fed in: „Does fiscal stimulus work when recessions are caused by too much private debt?“), Aug 08, 2016.

Donnerstag, 11. August 2016

Normalisierung der Zinsen oder das Ende des Wachstums


Mehr als die Hälfte der ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum werden z.Z. mit einer Negativ-Rendite gehandelt. Die Basis ist der Bloomberg Eurozone Sovereign Bond Index, der Staatsanleihen im Wert von 6'400 Mrd. EUR erfasst.

Eine Frage, die in diesen Tagen immer öfters aufgeworfen wird, ist, wie weit die Zinsen vor einer Normalisierung noch entfernt sind? Das heisst, wann kommt die Zinswende?

Die Bank of England (BoE) hat vergangene Woche die Zinsen gesenkt und zugleich mitgeteilt, dass sie sie weiter lockern kann, wenn es notwendig werde. Davor hatten auch die Bank of Japan und die EZB eine ähnliche Botschaft gesendet. Das heisst, dass auch sie bereit sind, falls nötig, die Zinsen weiter zu senken.

Was passiert aber währenddessen? Die Ertragskurve (yield curve) verflacht sich. Das bedeutet, dass die Spanne (spread) zwischen den kurzfristigen und den längerfristigen Zinsen kleiner wird.

Der Rückgang der Renditen am langen Ende der Ertragskurve wird im Allgemeinen auf die QE-Politik (Ankauf von Staatsanleihen am offenen Markt) durch die Notenbanken zurückgeführt. Und die Entwicklung wird dann mehr oder weniger als Erfolg der proaktiv agierenden Zentralbanken gefeiert.



Mehr als die Hälfte der ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum werden mit einer negativen Rendite gehandelt, Graph: Bloomberg

Mittwoch, 10. August 2016

Bond Vigilantes fehlen am europäischen Anleihemarkt

Die Rendite der spanischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist am Montag erstmals unter die Marke von 1 Prozent gefallen. Am Dienstag hat sich der Rückgang der Rendite fortgesetzt und mit 0,972% einen neuen Tiefstwert verbucht.

Die Anleihemärkte scheinen wegen des spanischen Haushaltsdefizits nicht sonderlich besorgt zu sein, obwohl die Defizit-Falken seit mehreren Jahren davor warnen, dass die Zinsen durch die Decke schössen, wenn die Haushaltsdefizite an der EU-Peripherie nicht zeitig abgebaut würden. 

In einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit und der ultra-niedrigen Finanzierungskosten beharren die fiskalischen Schimpfer darauf, dass die Anleihemärkte beruhigt werden müssen, damit es nicht zu einer galoppierenden Inflation kommt.

Die Bond Market Vigilantes bleiben aber bislang unsichtbar. Das ist peinlich. Weil die Anhänger der neoklassischen Theorie damit völlig falsch liegen, Jahr ein, Jahr aus.

Noch peinlicher ist, dass die EU-Behörden gegen Spanien und Portugal vergangene Woche wegen mangelnder Haushaltsdisziplin beinahe Geldbussen in Höhe von 2 Mrd. EUR verhängt hätten. Die EU-Kommission hat gestern mitgeteilt, dass Madrid und Lissabon nicht belangt werden. Gut.

Beide Länder wären fast dafür bestraft worden, mit der Erhöhung der Staatsausgaben die schwer angeschlagene Wirtschaft in Fahrt bringen zu wollen. Wie schlimm!

Nur zur Erinnerung: Das Lehrbuch besagt, dass ein erhöhtes Haushaltsdefizit in einer Liquiditätsfalle kein crowding-out auslöst, der Anstieg der Notenbankgeldmenge kaum Einwirkungen auf die Inflation hat und Fiskalmultiplikatoren höher sind als sonst.



Die Rendite der spanischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit fällt unter 1%, Graph: FastFT

Dienstag, 9. August 2016

Warum besonders heute Wachstum nötig ist


Ein Leser fragt, warum ich „den naiven Glauben“ pflege, dass die Wirtschaft im Euro-Raum wachsen muss. Brauchen wir wirklich Wirtschaftswachstum, um Wohlstand zu ermöglichen? Die Antwort ist ganz klar: Ja.

Denn Wirtschaftswachstum bedeutet in erster Linie mehr Beschäftigung. Und es kommt heute im schwer angeschlagenen Umfeld der europäischen Wirtschaft besonders auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung an.

Interessant ist, dass die Washington Post gerade am Sonntag einen lesenswerten Artikel von Larry Summers veröffentlicht hat. Der ehemalige US-Finanzminister schreibt dort, dass es kaum ein Zufall sein kann, dass die Jahrzehnte des maximalen Wachstums (1960er und 1990er Jahren) auch das schnellste Beschäftigungswachstum und den schnellsten Anstieg des Lebensstandards der Mittelschicht markieren.

Das Wachstum stellt die nötigen Mittel für erhöhte Einnahmen des Bundes bereit und fördert damit den Schutz der lebenswichtigen Sozialprogramme (wie z.B. Social Security und Medicare in den USA), hebt der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.

Und Wachstum schafft v.a. Spielraum für Initiativen wie z.B. Lohnsubventionen (in den USA: EITC, Erweiterung von Steuergutschriften).

Wachstum erleichtert zudem die Gestaltung der Geldpolitik. Auf diese Weise werden verzweifelte Aktionen, die die Finanzstabilität in Zukunft gefährden könnten, vermieden. Mehr Wachstum reduziert auch die Kriminalität und fördert Projekte für den Umweltschutz und nährt den öffentlichen Optimismus, was der nächsten Generation zugute kommt.



Verlangsamung des realen Pro-Kopf-BIP-Wachstums in den hoch entwickelten Volkswirtschaften, USA, Euro-Raum und Japan im Vergleich, Graph: NYTimes
(annualisierte 10-Jahres-Durchschnitt-Wachstumsraten)

Montag, 8. August 2016

Bank of England und Term Funding Scheme

Mark Carney hat am vergangenen Donnerstag gesagt, dass er gegen Negativ-Zinsen ist. Und es besteht seiner Ansicht nach keine Notwendigkeit für das Helicopter Money.

In der Realität handelt er aber so, dass beide in die Tat umgesetzt werden, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog. 

Wenn wir über die Negativ-Zinsen diskutieren, denken wir i.d.R. an die Sparer und die Tatsache, dass sie das Geld einfach horten können, um Negativ-Zinsen aus dem Weg zu gehen.

Die Kreditnehmer hätten aber mit Negativ-Zinsen kein Problem. Denn wenn Sie z.B. GBP1’000 Kredit aufnehmen, zahlen sie bei Fälligkeit GBP990 zurück. Die Bank, von der Sie Kredit aufnehmen, könnte eine staatliche Subvention bekommen.

Wir gehen normalerweise davon aus, dass die Geldpolitik den Zinssatz ändert. Wenn die Zinsen gesenkt werden, ist es gut für die Kreditnehmer, aber schlecht für die Sparer.

Stellen wir uns vor: Die Zentralbank gibt Privatbanken Geld, unter der Bedingung, dass sie es mit einem niedrigeren Zinssatz an die Kreditnehmer weiterreichen. Wenn dies geschieht, ändert sich der Zins nicht, was Kreditnehmern begünstigen und die Sparer nicht benachteiligen würde.



Wie weit fällt der Benchmark-Zinssatz in Grossbritannien? Graph: Bloomberg

Sonntag, 7. August 2016

Spanien und Portugal strafen Brüssel und Berlin Lügen

Brüssel war kurz davor, gegen Spanien und Portugal wegen mangelnder Haushaltsdisziplin Sanktionen zu erlassen.

Der Ministerrat hatte Mitte Juli auf Empfehlung der EU-Kommission festgehalten, dass Spanien und Portugal keine Anstalten machten, wirksame Massnahmen zum Defizitabbau zu treffen.

Doch die EU-Kommission hat vergangene Woche mit dem Hinweis auf die „labile politische Lage“ in beiden Ländern auf Geldstrafen verzichtet.

Im Vorfeld hatten Deutschland und die Niederlande Druck ausgeübt, die Regeln der EWU durchzusetzen, damit nicht wieder „eine Staatsschuldenkrise wie in Griechenland“ vorkommt.

Spanien und Portugal, die in EUR-Zwangsjacke feststecken, sollen also bestraft werden, weil sie in der schwersten Rezession (seit den 1930er Jahren) die Staatsausgaben erhöhen wollen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stützen.

Wie abwegig der restriktive Fiskal-Pakt der EU-Behörden ist, zeigt der Verlauf der Renditen der Staatsanleihen der beiden Länder. Denn was sich am Anleihemarkt seit geraumer Zeit abspielt, spricht gegen eine pro-zyklische Haushaltspolitik. Die Renditen der Staatsanleihen fallen, sie steigen nicht.



Die Rendite-Differenz zwischen deutschen und spanischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: Bloomberg

Freitag, 5. August 2016

NIRP, Nachfrageschwäche und Investitionen in Infrastruktur


Die britische Notenbank (BoE) hat am Donnerstag den Leitzins um 0,25% auf 0,25% gesenkt. Das ist die erste Zinssenkung (*) seit sieben Jahren. Das Pfund Sterling hat sich gegenüber Währungen aus fast allen Industrieländern abgewertet. Und die Renditen der britischen Staatsanleihen (Gilts) sind gefallen, während die Aktienpreise (FTSE 100) gestiegen sind.

Die BoE versucht mit der Zinssenkung und der Aufstockung des Staatsanleihenkaufprogramms (nun insgesamt 60 Mrd. £) einen Einbruch der britischen Konjunktur nach dem Brexit-Beschluss zu verhindern.

Mark Carney, BoE-Gouverneur (**) hat bei der Vorstellung des neuen Massnahmenpakets angedeutet, dass die Zinsen weiter gesenkt werden können. Allerdings hat der Notenbanker mit dem kanadischen Pass betont, dass er „kein Fan von Negativ-Zinsen“ sei: „Wir sehen negative Folgen für das Finanzsystem und Probleme für die Sparer“.

Zur Erinnerung: Carney agiert zugleich als Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB), einer G20 Institution mit Sitz in Basel, die das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen abgibt.

Während also Mario Draghi, ECB und Haruhiko Kuroda, BoJ darauf bestehen, dass die Negativ-Zins-Politik (NIRP) funktioniert, teilt Carney mit Janet Yellen, Fed die Ansicht, dass die NIRP u.U. nicht viel taugen kann.


Negativ-Zinsen und Zentralbanken, Graph: Bloomberg

Donnerstag, 4. August 2016

Warum bleiben Investitionen trotz Niedrigzinsen zurück?

Die Frage, warum die aussergewöhnliche Niedrigzins-Politik die Investitionen nicht ankurbelt, beschäftigt die Ökonomen wie ein Rätsel.

Der Fehlbetrag in Unternehmensinvestitionen im globalen Norden ist auf die Nachfrageschwäche und den Accelerator-Effect zurückzuführen, schreibt Brad DeLong in seinem Blog.

Nichts soll uns aber von der Tatsache ablenken, dass die träge volkswirtschaftliche Entwicklung, die schwachen Investitionen, niedrige Kapitalbildung (vermögenswirksame Leistungen) und das verlangsamte Produktivitätswachstum einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis bilden, argumentiert der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor weiter.

DeLong macht uns dann darauf aufmerksam, dass auch David Lipton die schwache wirtschaftliche Entwicklung als die Ursache für die schwachen Investitionen betrachtet. Das Entscheidende sei demnach Sicherstellung von Absatzchancen.

Eine von IWF veröffentlichte Studie im April 2015 (World Economic Outlook) lege nahe, dass die Schwäche der Unternehmensinvestitionen seit der Finanzkrise von 2008 mit der Schwäche des wirtschaftlichen Umfelds erklärt werden kann, und zwar im Einklang mit dem „Akzeleratoreffekt“ (accelerator effect), der zeigt, wie die Investitionen auf die Veränderung von Produktion und Umsatz reagieren.

Lipton befürwortet daher vermehrte Investitionen in die Infrastruktur, um den Teufelskreis zu brechen.



Ausblick Unternehmensinvestitionen, Graph: David Lipton, IMF in: „The Key to Raising Business Investment: Keep Pushing the Accelerator

Mittwoch, 3. August 2016

IWF zwischen Überschussländern und Defizitländern

Angesichts der bekannten Parameter, dass die Eurozone einen Überschuss in der Leistungsbilanz hat, eine hohe Arbeitslosigkeit ausweist und kaum einer Inflationsgefahr am Horizont gegenübersieht, liegt es auf der Hand, zum Schluss zu kommen, dass eine weitere Senkung der Zinsen nicht viel helfen kann, um die Nachfrage anzukurbeln, zumal die Zinsen bereits im negativen Bereich liegen.

Ein zusätzlicher Faktor, der nicht unerwähnt bleiben kann, ist, dass die Eurozone als Ganzes in einem schwer angeschlagenen Umfeld der Wirtschaft einen Primärüberschuss hat.

Was sagt das Standardbuch der Volkswirtschaftslehre dazu? Es ist ein einfach lösbares Problem und die Antwort ist eindeutig: eine moderate expansive Fiskalpolitik.

Weil es durch die empirische Erfahrung gestützt wird, teilt auch der IWF die Ansicht. In einem neulich veröffentlichten Eintrag auf der offiziellen Internet-Seite halten die IWF-Ökonomen das Folgende fest:

„Überschussländer, die unter einer schwachen Binnennachfrage leiden, sollten mehr auf eine lockere Fiskalpolitik setzen, um die Problematik der Produktionslücke (output gap) anzugehen“. Damit will der IWF nicht sagen, dass die Geldpolitik nicht eingesetzt werden soll, sondern nur, dass eine übermässige Abhängigkeit davon vermieden werden soll.

Und „Defizitländer sollten aktiv Geldpolitik einsetzen, wo es auch verfügbar ist, um sowohl die interne als auch die externe Lücke zu schliessen“.



Tricky Balance“, Graph: IMF in: „New External Assessments Show Larger Imbalances in 2015