Montag, 14. Dezember 2009

Interview: Roger de Weck, Publizist

Warum hat der Kapitalismus moralisch versagt?

Nicht der Kapitalismus an sich, aber viele grosse und kleine Kapitalisten haben versagt. Sie hielten sich an die bequeme Lehre, wonach das Verfolgen des Eigennutzes automatisch dem Gemeinwesen hilft. Mit anderen Worten wurde der Markt – ein nützliches, aber gefährliches Instrument – zu einer „moralischen Anstalt“ emporstilisiert: Ist der Markt die Moral, dürfen Marktteilnehmer auch mal unmoralisch handeln. Das Gesetz lässt vieles zu, was der Anstand verbietet. Jedoch wurde es üblich, bis an die Grenze des gesetzlich Zulässigen zu gehen – und darüber hinaus. Noch wichtiger als eine Rückkehr zur Verantwortungsethik sind aber Systemreformen.

Das Interesse an Politik schwindet. Während die Mittelschicht bedrängt ist, wie Sie schreiben, wächst die Unterschicht. Die Interessenabstimmung zwischen Politik und Finanzmärkten ist nun im Zug der Krise offensichtlicher geworden. Wer soll in diesem (Markt-)Umfeld jetzt den Kapitalismus retten, und wie?

Ich stehe zu der Schwäche meines Buchs, dass es zwar Überblick und Orientierung in der grossen Unordnung verschafft, Spuren für eine neue Marktwirtschaft legt, aber (noch) keine politische Strategie aufzeigt, wer und wie einen anderen Kapitalismus allmählich herbeiführen könnte. Einerseits bin ich selbst noch auf der Suche. Andererseits ist zunächst überhaupt das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Marktgesetze keine Naturgesetze sind und dass wir unsere Wirtschaft teilweise gestalten können. Ökonomie ist nicht die Wissenschaft des Fatalismus.


Ist die Schweiz aus dem Schneider, nachdem sie aus der grauen Liste der OECD gestrichen worden ist?

Bleibt die Eidgenossenschaft Avantgarde des internationalen Steuerwettbewerbs, während ihre Schlüsselpartner hoch verschuldet sind und Steuerflucht je länger, desto unwirscher dulden werden, sind weitere schwere Konflikte programmiert. Dieses Land hat Unternehmen – darunter viele KMU –, die sehr begabt sind, Entwicklungen und Probleme vorwegzunehmen, Krisen zu antizipieren. Von der Schweizer Politik kann man das nicht behaupten. „Gouverner, c’est prévoir“, sagen die Franzosen. In der Schweiz heisst es oft genug: Regieren ist Lavieren.

Vielen Dank.

Roger de Weck ist Publizist in Zürich und Berlin und moderiert die Fernsehsendung „Sternstunden Philosophie“ (SF1 und 3Sat). Er arbeitete als Chefredakteur des „Tages-Anzeigers“ in Zürich und der „Zeit“ in Hamburg. Sein Buch: „Nach der Krise: Gibt es einen anderen Kapitalismus?“ (Verlag: Nagel & Kimche) ist bereits ein Bestseller.

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