Sonntag, 28. November 2010

Der Schwarze Schwan

Buchbesprechung:

Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan. Konsequenzen aus der Krise. Hanser Verlag, München, 2010.


Das vorliegende Buch wurde in den USA Nassim Talebs Bestseller „The Black Swan“ als „postscript essay“ angefügt. Der Carl Hanser Verlag hat es vorgezogen, die kurze Abhandlung diesseits des Atlantiks als eigenständiges Buch herauszubringen, was eine gute Idee ist. Dieses „Buch verdankt seine Existenz Danny Kahneman, dem meine Ideen und ich mehr schulden als sonst irgendjemandem auf diesem Planeten“, hebt der Autor bereits im ersten Kapitel hervor. Auch Nouriel Roubini schneidet hier gut ab, den Taleb als „vielleicht den einzigen unabhängigen Denker in diesem Geschäft“ bezeichnet. Ansonsten scheint Taleb von der Wirtschaftswissenschaft aufgrund der „sehr schädlichen Modelle“ nicht viel zu halten, weil sie sich „für keine Form des Risikomanagements nutzen lassen“. Für die Ökonometrie hat er überhaupt nichts übrig: Ein „Gebiet, welches überhaupt nicht existieren würde, wenn man es mit wissenschaftlicher Genauigkeit betrachten würde“.

Fairerweise gilt es hier anzumerken, was in diesem Buch nicht erwähnt wird, dass John Maynard Keynes, einer der grössten Ökonomen der Weltgeschichte, zwischen Risiko und Unsicherheit unterschieden hat. Seine zentrale Aussage lautet, dass Wahrscheinlichkeit kein statistisches, sondern ein logisches Phänomen ist. Quelle des Wissens ist aus der Perspektive der Wahrscheinlichkeit hauptsächlich die Vernunft, weniger die Beobachtung.

Warum hielt aber Taleb es für nötig, diese Ergänzungen zu schreiben?  „In den letzten drei Jahren hat die Vorstellung von mir Besitz ergriffen, dass unter epistemischen Beschränkungen – einer gewissen Opazität im Hinblick auf die Zukunft – ohne einen dieser Redundanztypen kein Fortschritt (und kein Überleben) möglich ist“. Der Leser darf ruhig über solche Sätze stolpern. Es macht nichts. Schliesslich gilt der Grundsatz der „Konvexität der Ungewissheit“. Das hier ist ferner kein Wirtschaftsbuch, sondern eine philosophische Erzählung, wo es um die Unvollständigkeit des Wissens und die Auswirkungen von folgenschwerer Unsicherheit geht, wobei „die Ökonomen nun mal die Rasse mit der grössten Bilindheit gegenüber Schwarzen Schwänen sind“. Zudem möchte Taleb über Ereignisse sprechen, bevor sie eintreten, nicht hinterher.

Die Krise von 2008 macht es in diesem Zusammenhang deutlich, dass Robustheit erforderlich ist, und es sich lohnt, darüber zu sprechen, erklärt der Autor weiter. Er will sich aber mit der Finanzkrise nicht ausführlich befassen, weil sie kein Schwarzer Schwan ist, sondern nur das Ergebnis der Fragilität von Systemen, die auf Nichtwissen aufgebaut waren. Taleb plädiert im Übrigen nicht für eine „stärkere Regulierung der wirtschaftlichen Aktivitäten“, weil sie „Investmentbankern, Anwälten und Wall Street-Beratern, die früher Regulierer waren, zu Reichtum verhilft und auch den Interessen anderen Gruppen dient“. Stattdessen sei der offensichtlichste Weg, um den vierten Quadranten abzumildern: „Beschneidung“: die Reduzierung bestimmter Formen des Ausgesetztseins, indem man sich Versicherungen besorgt, wo sie erhältlich sind. Dazu zählt der Autor im Einzelnen neun Aspekte auf.

Im Grunde genommen denkt Taleb auch in diesem Buch weiter über den Zufall nach, und zwar philosophisch. Denn die Philosophie hat mit der Weisheit bei der Entscheidungsfindung zu tun. Und die Medizin, wo diese Weisheit praktiziert wird, ist die Schwester der Philosophie. Der Schwarze Schwan ist laut dem Autor der allererste Versuch in der Geschichte des Denkens, eine Karte dafür zu liefern, wo uns das, was wir nicht wissen, schadet. Es ist offensichtlich, fasst Taleb zusammen, dass wir nicht funktionieren können, wenn wir alles in Zweifel ziehen und dass wir nicht überleben können, wenn wir alles glauben. Kein Wunder, dass der Autor vor diesem Hintergrund nur „den intelligenten, neugierigen, aufgeschlossenen Amateur“ als seinen Freund bezeichnet.

Fazit: Es ist viel vernünftiger, Risiken einzugehen, die wir messen können, als die Risiken zu messen, die wir eingehen. Wenn die Verluste sozialisiert werden, dürfen die Gewinne nicht privatisiert werden. Alle Unternehmen, die staatliche Hilfen brauchen, sollten verstaatlicht werden.

Keine Kommentare: