Buchbesprechung:
Wolfgang Münchau: „Makro-Strategien“. Sicher investieren, wenn Staaten pleitegehen. Hanser Verlag, München 2010.
Die anhaltende Krise zeigt, dass wir in einer Welt der Unsicherheit leben. Keynes hat die Auffassung vertreten, dass die Unsicherheit über die Zukunft die Ursache von Finanzkrisen ist. Unsicherheit macht die Wirtschaft instabil und führt dazu, dass eine Volkswirtschaft unter ihrem Potenzial bleibt. Es kommt zur Abnahme der Investitionen. Und dann entsteht Arbeitslosigkeit. Keynes macht zudem einen Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit. Unsicherheit bedeutet, dass man einem zukünftigen Ereignis keinerlei Wahrscheinlichkeit zuweisen kann. M.a.W. existiert Unsicherheit, wenn Wahrscheinlichkeiten nicht bekannt (oder nicht messbar) sind. Der wichtigste Schutz vor Unsicherheit ist Geld. In diesem Buch geht es darum, Anleger zu veranlassen, darüber nachzudenken, wie sie sich orientieren sollen, wenn makroökonomische Unsicherheit dominiert. Investitionsentscheidungen werden in stabilen Zeiten auf der Basis von Mikroanalysen getroffen, schreibt Wolfgang Münchau am Anfang seines Buches. Die Konjunktur ist wichtiger für den klassischen Investor. Das Hauptinteresse eines Makroinvestors hingegen gilt strukturellen Aspekten des Systems, so Münchau.
Der Autor beginnt mit der Analyse der Finanzinstabilität. Der Ausgangspunkt ist die Krisentheorie von Hyman Minsky. Münchau stützt sich auf den Erklärungsansatz des im Jahre 1996 verstorbenen amerikanischen Ökonomen. Minksy ist mit seiner Theorie der finanziellen Instabilität in die Fussstapfen des grossen Meisters Keynes getreten.
Im esten Teil des Buches zeigt Münchau auf, woher und in welchen Formen die Instabilität („Preisinstabilität“, „Blase in China“ und „globale Ungleichgewichte“) kommt. Im zweiten Teil erklärt er, aufgrund welcher Kriterien (z.B. zwei Bewertungsmodelle wie CAPE und Tobin-Q für Aktienmärkte werden hier ausführlich vorgestellt) zu entscheiden ist, ob in Aktien, Bonds, Immobilien oder Gold investiert werden soll. Im dritten Teil legt der Autor konkrete Investitionsstrategien dar. Die in grau unterlegten Textboxen präsentierten Lektüren sind kenntnisreich und stossen Lerneffekte an. Ziel des Autors ist, dem Leser einen Analyserahmen zu geben, anhand dessen man sich vor Gefahren schützen kann. Auf eine kritische Würdigung der Makrostrategien, die der Autor bietet, kann hier verzichtet werden, weil wie der Autor weiss, dass die Rahmenbedingungen sich dramatisch ändern. Bewährte Konzepte haben immer nur eine begrenzte Gültigkeit. Das heisst, dass Kreativität und neue Konzepte permanent gefragt sind.
Der Autor hält Aktienmärkte für überbewertet und sieht eine Blase am Bond-Markt. Er kann sich aber mit Gold anfreunden. Dennoch kann investieren, „wer risikobereit ist und gerne Wellen reitet“, so Münchau. Denn es gibt in den Aktienmärkten langfristige Tendenzen zur Rückkehr zum Trend. Aber die Abweichungen können Jahre oder Jahrzehnte dauern, warnt der Autor. Der Anleger muss zudem den „richtigen Exit-Moment“ selbst erkennen können. Die spezielle Frage nach den Ursachen der Finanzkrise beantwortet der Autor ganz Anfang des Buches: Eine Kombination globaler Ungleichgewichte und moderner Finanzinstrumente. Warum hat aber der Autor dieses Buch geschrieben? Weil man ihm während der ganzen Krisen-Periode keine Frage häufiger gestellt hat als die Frage, was man mit seinem angesparten Vermögen machen soll. Soll man aber von einem Journalisten Anlage-Tipps nehmen? Bestimmt nicht. Weil die Tipps nichts taugen. Münchau versucht zum Glück, keine abzugeben.
Es gibt zwar Währungsunion, aber keine Fiskalunion, betont der Autor. Griechenland müsste die Löhne um etwa ein Drittel senken, um eine Verbesserung der Leistungsbilanz zu erreichen, so der Autor. Da die EU-Mitglieder über keine eigene Währung verfügen, kann die Koordinierung über die Löhne erfolgen. Athen kann also als Mitglied der EWU den Wechselkurs nicht nominal, sondern nur real abwerten, erklärt Münchau. Was er aber verschweigt, ist die Tatsache, dass die Produktivität in Deutschland in den vergangenen 10 Jahren weniger stark gestiegen ist als in den anderen EU-Ländern. Dennoch hat sich die deutsche Wettbewerbsposition dramatisch verbessert. Das ging über die Löhne, die in Deutschland real schwächer gestiegen sind als die Produktivität, wie Heiner Flassbeck in zahlreichen Essays in den vergangenen Jahren mehrfach dargelegt hat. Die Aussenhandelsüberschüsse eines Landes gehen zu Lasten der restlichen Länder, da der internationale Handel ein Nullsummenspiel ist. Handelsüberschüsse destabilisieren die Weltwirtschaft, weil Handelsungleichgewichte die Schuldensituation der Defizit-Länder verschlechtern. Der Schuldenabbau wird dann nur über Abwertung möglich, wobei das einseitig exportorientierte Wirtschaftsmodell Deutschlands dabei eine wesentliche Rolle spielt. Steigen die Einkommen nicht, kann die Binnennachfrage nicht belebt werden. Eine einseitige Lohnkürzung in Defizitländern würde daher die Problematik verschärfen. Die Nominallöhne in Deutschland müssten also zulegen, und zwar entsprechend der Produktivität plus der Inflationsrate. Der Autor geht aber darauf nicht ein. „Entweder der Rest des Euroraums passt sich an das frugale Deutschland an oder es kommt irgendwann einmal zum Knall“, bemerkt er. Das Schuldenproblem kann laut Münchau nicht durch das Wachstum unter Kontrolle gebracht werden. Vor allem in den USA erwartet er einen Schuldenabbau durch Inflation.
Wolfgang Münchau ist Direktor des Wirtschaftinformationsdienstes „Eurointelligence.com“ und Europa-Kolumnnis der britischen „Financial Times“ sowie der „FTD“ mit Sitz in Brüssel. Münchau war einer der Gründer der FTD und deren Chefredakteur von 2001 bis 2003. Wer eine mit aktuellen Zitaten von zahlreichen renommierten Ökonomen dargestellte Zusammenfassung der makroökonomischen Zusammenhänge im Sog der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er Jahren lesen will, kann auf dieses Buch zurückgreifen.
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