Dienstag, 31. August 2010

Inflation und Zinssatz in Modellbildung

Es ist unbestritten, dass es sich lohnt, komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge mit lehrbaren Modellen darzustellen. Paul Krugman will daher anhand eines einfachen Modells zeigen, worum es bei der aktuellen Debatte um „Inflation und Zinssätze“ geht. In den zwei Abbildungen kombiniert Krugman die Vorstellung eines natürlichen Zinssatzes (natural real rate of interest) à la Wichsell mit der Beschreibung der Geldpolitik à la Taylor.

Die flachere Linie (mit einer 45 Grad Steigerung) in der Abbildung zeigt die Kombination von Inflation und Nominalzinsen, wo die Wirtschaft sich bei der natürlichen Rate der Arbeitslosigkeit (natural rate of unemployment) befindet.


Inflation und Zinssatz, Graph : Prof. Paul Krugman

Die Inflation beschleunigt sich, wenn die Wirtschaft unterhalb der Linie ist. Die Inflation bildet sich zurück, wenn die Wirtschaft oberhalb der Linie ist.

Die steilere Linie in der Abbildung stellt eine Taylor Regel dar, die das Verhalten der Zentralbank beschreibt: Die Zentralbank erhöht die Zinsen, wenn Inflation steigt, und die Zentralbank senkt die Zinsen, wenn Inflation fällt. Die Linie muss steiler als 45 Grad sein oder das Ding ist instabil, erklärt Krugman. Das langfristige Gleichgewicht ist dort, wo die zwei Linien sich kreuzen: Punkt 1.

Nun nehmen wir an, dass die Geldpolitik expansiver wird: Die Zentralbank senkt die Zinsen tiefer für eine bestimmte Inflationsrate. Damit verschiebt sich die Taylor Regel nach unten und nach rechts. Was geschieht jetzt? Die Wirtschaft geht von Punkt 1 zu Punkt 2: Der Zinssatz fällt. Im Lauf der Zeit steigt jedoch die Inflation. Und auch die Zinsen steigen. Schliesslich kommt die Wirtschaft zum Punkt 3: mit einer höheren Inflation und einem höheren Zinssatz.



Inflation und Zinssatz, Graph : Prof. Paul Krugman

Die Implikation ist natürlich so, dass eine Politik, die die Zinsen kurzfristig senkt, langfristig zu einer höheren Inflation und Zinssätzen führt. Und es gilt natürlich, dass eine Politik, die die Zinsen kurzfristig erhöht, langfristig die Inflation senkt.

Wie kann jemand jetzt damit nicht einverstanden sein? Hauptsächlich, indem man leugnet, dass es wirklich eine Unterscheidung zwischen der kurzen und der langen Sicht gibt. Indem man argumentiert, dass die Inflation sich sofort anpasst. Das wirft aber einige Fragen über die offensichtliche Realität auf, bemerkt Krugman. (1) Wie kann die Fed kurzfristige Zinsen überhaupt festlegen, wenn die Inflation nicht „sticky“ ist. (2) Die Erfahrung zeigt, dass die Inflation sich nur langsam ändert in Reaktion auf die Arbeitslosigkeit. Siehe z.B. die Erfahrung mit der Inflation in den 1970er und 1980er Jahren, so Krugman.

Fazit: „Die Debatte über Kocherlakota folgt Kocherlakotas sehr klaren Aussage, dass die derzeitige Geldpolitik der Fed deflationär ist. Das ist blanker Unsinn. Und es bleibt störend, dass ein Fed-Präsident so etwas sagt. Und es gibt Ökonomen, die ihm dabei zustimmen“, schlussfolgert Krugman.

PS: Die Wirtschaft befindet sich gegenwärtig nicht auf der Taylor-Regel Linie, weil die Zinsen an der Null Linie liegen. Aufgrund der schweren Finanzkrise hat sich der natürliche reale Zinssatz (natural real interest rate) nach unten verschoben. Auf diesem Punkt (mit blau angezeigt) würde jedes Fed-Verhalten, das sich auf die Taylor-Regel stützt, einen Zinssatz von Minus 5 bis 6% ergeben. Das geht aber nicht. Weil die „Wirtschaft in einem Zinssatz sitzen bleibt, der angesichts der niedrigen Inflation und einer sehr hohen Arbeitslosigkeit zu hoch ist“, erklärt Krugman. Entscheidend ist, um diese Position zu verstehen, dass sie sich nicht selbst korrigiert. Im Gegenteil: Wenn die Inflation im Laufe der Zeit sinkt, führt es möglicherweise zu einer eigentlichen Deflation, hält Krugman fest. Und die Wirtschaft steckt tiefer in der Falle. Was ist zu tun? (1) Die „wait-and-see“-Politik ist irreführend. Die Fed muss unkonventionelle Massnahmen ergreifen, und (2) Die Fiskalpolitik muss noch aggressiver gestaltet werden.

PPS:Was heisst Taylor-Regel? Die Taylor-Regel will aufzeigen, wie die Fed den kurzfristigen Zinssatz (Fed Funds Rate) festlegt. Krugman betrachtet eine Art Taylor-Regel, wobei der kurzfristige Zinssatz positiver Weise von der Inflation und negativer Weise von der Arbeitslosigkeit abhängt. Das ist machbar, solange der Koeffizient der Inflation grösser ist als eins. Was geschieht jetzt mit Inflation und Zinsen? (I) Strafft die Zentralbank die Geldpolitik, indem sie die Zinsen am kurzen Ende erhöht, fällt die Inflation im Laufe der Zeit. Auf lange Sicht schlägt sich die niedrige Inflation in niedrigen Zinsen nieder. Das ist keine Theorie, bemerkt Krugman. Das ist passiert, und zwar während der Disinflationsphase, als Volcker der Fed-Präsident war. (II) Umgekehrt führt eine lockere Geldpolitik kurzfristig zu niedrigeren Zinsen. Aber auf lange Sicht steigen die Zinsen.

Kocherlakota und seine Befürworter hingegen kehren jetzt das um und behaupten, weil auf lange Sicht niedrige Zinsen und tiefe Inflation Hand in Hand gehen, führt eine lockere Geldpolitik zu Disinflation und Deflation. Das ist Quatsch. Daher nennt Brad DeLong dies „cargo-cult-economics“.

Türkei: Aussenhandel im Juli

Die Türkei hat ihre Exporte im Juli (9'597 Mio. $) im Vergleich zur Vorjahresperiode um 6,0% gesteigert. Die Importe sind (16'013 Mio. $) um 24,6% gestiegen. Das Handelsbilanzdefizit hat sich folglich um 69,0% ausgeweitet: Minus 6'416 Mio. $. Zwischen Januar und Juli ist das Defizit im Aussenhandel (Minus 34'930 Mio. $) im Vergleich zur Vorjahresperiode um 89,4% gestiegen, wie das Turkish Statistical Institute heute mitgeteilt hat. Im Juli decken die Ausfuhren 59,9% der Einfuhren. Im Vorjahr lag die Quote bei 70,5%. Deutschland war im Juli das wichtigste Handelspartnerland für türkische Exporte in Höhe von 1’065 Mio. $. Das bedeutet ein Anstieg um 23,3 Prozent. Gefolgt von dem Vereinigten Königreich (623 Mio. $), Italien (539 Mio. $) und Irak (519 Mio. $).


Aussenhandel, Jan. - Juli 2010, Graph: Turkish Statistical Institute


Die Exporte in die EU haben im Vergleich zum Vorjahresmonat um 4% zugelegt: 4'517 Mio. $. Der Anteil der EU-Länder am türkischen Exportgeschäft betrug 47,1% (2009: 48,0%).

Für die Einfuhren lag Russland mit 1'721 Mio. $ auf dem Rang 1, gefolgt von einem Rekordwert von Deutschland mit 1'556 Mio. $. Danach folgen China mit 1'445 Mio. $ und die USA mit 979 Mio. $.

Die Türkei hat im Juli v.a. "andere Fahrzeuge als Eisenbahn- oder Strassenbahnschienen, und Teile davon" exportiert. Im Wert von 1'201 Mio. $. Dazu zählen noch „Kessel, Maschinen und mechanische Geräte“ (811 Mio. $), „Eisen und Stahl“ (715 Mio. $), „Elektrische Maschinen und Geräte“ (546 Mio. $) und „gestrickte und gehäkelte Waren und Gegenstände" (753 Mio. $).

Die Türkei hat in derselben Zeitperiode folgende Güter importiert: "Mineralische Brennstoffe und Mineralöle" (3'176 Mio. $) und „Kessel, Maschinen und mechanische Geräte (1'200 Mio. $), „Eisenstahl“ (1'200 Mio. $) und "Elektrische Maschinen und Geräte" (1'145 Mio. $).

Montag, 30. August 2010

Sind Forderungen nach Zinserhöhung intellektuell redlich?

Mark Thoma erklärt die starke Reaktion auf die umstrittenen Äusserungen des Minnesota Fed-Präsidenten Narayana Kocherlakota, der kürzlich für eine Anhebung der Zinssätze plädiert hat. Wenn ein Fed-Präsident eine Erhöhung der Zinssätze fordert, während die Wirtschaft noch damit kämpft, sich zu erholen, ist eine Reaktion in der Wissenschaft zu erwarten, weil sich die Fehlschläge aus den Jahren 1937/38 zu wiederholen anschicken, bemerkt Thoma. Die Tatsache, dass Kocherlakota auf ein Modell hinweist, das bereits gescheitert ist, hilft in der heutigen Situation nicht, so Thoma. Es sind auf jeden Fall ernsthafte Fragen über die Gültigkeit der Behauptung, hebt der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.

„Das ist nicht einfach eine theoretische Übung auf der Suche nach einer neuartigen, kontra-intuitiven Lösung, welche Anwendbarkeit auf die reale Welt hätte und die Bewunderung der Kollegen ziehen würde. Die Lebensgrundlage der Menschen steht auf dem Spiel“, erläutert Thoma. Die Vorschläge, dass die Fed die Zinsen erhöhen soll, um die Rezession zu bekämpfen, „gehen gegen jeden intuitiven Knochen in meinem Körper“, beschreibt Thoma. Die Vorschläge stehen im Widerspruch zur bestehenden empirischen Evidenz. Das ist kein Spiel. Die konkrete Politik hat einen Einfluss auf das Leben der Menschen. „Wir können mit unserem Ansatz nicht unvorsichtig umgehen“, erklärt Thoma. Seine starke Reaktion rühre daher, dass „wir die Fehler, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, nicht wiederholen dürfen“: Fehler, die Menschen hart getroffen haben, die bereits stark gelitten hatten, so Thoma als Fazit der gegenwärtig heftig geführten Debatte unter renommierten Ökonomen in den USA.

Wer profitiert von zu niedrigen Zinsen?

Politiker und Ökonomen spekulieren derzeit heftig, ob die US-Notenbank (Fed) zur Politik der mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik („quantitative easing“), kurz genannt QE II zurückkehren wird oder nicht, indem sie im grossen Umfang öffentliche Anleihen (MSB, UST usw.) kauft.
Die traurige Realität ist, dass das günstige Geld nicht funktioniert, schreibt Robert Reich in einem lesenswerten Essay („Why Cheaper Money Won’t Mean More Jobs?“) in Huffington Post. Private Haushalte nehmen keinen Kredit auf, weil sie noch unter der riesigen Schuldenlast stehen, ihre Häuser an Wert verlieren und ihre Löhne und Arbeitsplätze am Verschwinden sind. Kleinunternehmen nehmen keinen Kredit auf, weil sie keinen Grund haben, zu expandieren. Einzelhandel ist am Boden. Die Baubranche ist zusammengebrochen. Selbst Produktionslieferanten verlieren an Boden, bemerkt Reich. Was übrig bleibt, sind Grossunternehmen. Sie sind froh, jetzt zu noch günstigeren Preisen Geld aufzunehmen, obwohl sie bereits auf Bergen von Bargeld sitzen, argumentiert der ehem. Arbeitsminister der Clinton-Regierung.

Die Kreditaufnahme der Grossunternehmen schafft aber keine neuen Arbeitsplätze, unterstreicht Reich. Ganz im Gegenteil: (a) grosse Konzerne investieren das Geld in ihre Lohn- und Gehaltslisten und (b) sie kaufen neue Fabriken und Anlagen im Ausland. Die M & A –Welle (Fusionen und Übernahmen) hat bereits begonnen. (I) Wer gewinnt? Die Aktionäre der übernommenen Unternehmen und Top-Führungskräfte, die sich fette Vergütungspakete zuschieben. Und grosse Wirtschaftskanzleien in Wall Street. (II) Wer verliert? Eine hohe Anzahl von einfachen Arbeitnehmern, die ihre Jobs verlieren. Denn das Ziel der M & A sind grössere „economies of scale“ und mehr Synergie-Effekte.

Wenn Verbraucher und Kleinunternehmen sich keine Kredite leisten können, verwenden Grossunternehmen das günstige Geld, um Angebote für die Übernahme von anderen Unternehmen abzugeben und mehr Stellen abzubauen. „Was wir brauchen sind mehr Jobs, nicht noch grössere Unternehmen“, schlussfolgert der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.

Führen zu niedrige Zinsen zu Deflation?

Narayana Kocherlakota, Minneapolis Fed-Präsident sagte, dass die Fed die Zinsen erhöhen müsse, bevor eine zu lange Zeit vergeht oder ihre niedrige Zinspolitik Deflation erzeugt. „Auf lange Sicht ist das Geld, wie wir Ökonomen zu sagen pflegen, neutral. Wenn der geldpolitische Ausschuss der Fed (FOMC) die Zinsen (Fed Funds Rate) auf dem derzeitigen Niveau von 0 bis 0,25% zu lange hält, werden sowohl die erwartete als auch die tatsächliche Inflation negativ. Warum? Es ist eine einfache Arithmetik. Angenommen beträgt die Rendite von sicheren Anlagen 1% und wir dazu noch die erwartete Inflation berücksichtigen müssen, welche in einer Fed Funds Rate von 0,25% münden wird. Der einzige Weg ist, eine negative Zahl hinzuzufügen. In diesem Fall Minus 0,75%. Ein niedriger Leitzins (Fed Funds Rate) muss also zu anhaltenden, aber niedrigen Niveaus von Deflation führen. Wenn der FOMC zu eng am konventionellen Denken hängt, kann er dazu neigen, die Leitzinsen niedrig zu halten. Diese Art von Reaktion würde deflationäre Erwartungen verstärken und zu mehrere Jahre währenden Deflation führen“.

Andy Harless bemerkt dazu, dass Kocherlakota uns erzähle, dass man, wenn man es trocken haben wolle, dann keinen Schirm bei sich tragen solle, weil Regenschirme Regen verursachen, während die richtige Erklärung ist, dass man, wenn es trocken ist, keinen Schirm tragen würde.

Nick Rowe bemerkt dazu, dass jedermann gezwungen werden sollte, einen Einführungskurs in die Wirtschaft zu belegen. „Der Grund ist nicht, was Sie erwarten. Es ist, weil, wenn der 12. Präsident der Minneapolis Fed gezwungen worden wäre, er hält einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften aus der University of Chicago, und er ist ein Spezialist für Geld und Makroökonomie, so einen Fehler nicht gemacht hätte“, argumentiert Rowe: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein niedriger Leitzins (Fed Funds Rate) auf lange Sicht zu beständigen und niedrigen Niveaus von Deflation führt“, so Kocherlakota. Das könnte auf zwei Arten ausgelegt werden, schreibt Rowe dazu: „eine falsche Art, und vielleicht, nur vielleicht richtige Art“. Kocherlakota sagt aber: „Wenn reale Renditen sich normalisieren, könnten Inflationserwartungen auch negativ werden. Und es dürfte immer noch eine beträchtliche Menge an strukturellen Arbeitslosigkeit geben“. „Nö!“, schreibt Rowe, „Kocherlakota meint definitiv die falsche Art. Wenn die Wirtschaft sich wieder normalisiert und der natürliche Zinssatz wieder steigt, hebt die Fed ihre Leitzinsen an. Tut sie es nicht, dann wäre das Ergebnis Deflation. Inflation wäre die richtige Antwort“, legt Rowe dar.

Nun kommt Stephen Williamson und behauptet, dass alles, was Kocherlakota gesagt habe, war, dass Deflation ein Zeitraum von niederigen Zinsen wäre: „Ich habe über dieses Thema etwas vermisst, da ich versuche, DeLongs Blog nicht zu lesen, aus Angst mein Humankapital abzuwerten“. Williamson verweist auf einen Eintrag von Krugman und fügt hinzu, was DeLong in diesem Zusammenhang meint: „Mit diesen Kerlen eine vernünftige Diskussion zu führen, ist, wie am Nachmittag mit einem paar von psychotischen Frettchen Tee zu trinken“, beschreibt Williamson seinen Standpunkt beleidigend. „Letzlich führt ein geringeres Geldmengenwachstum als Ergebnis der Straffung der Geldpolitik zu niedrigen Inflation und niedrigen nominalen Zinssätzen auf lange Sicht. Schau, was passiert ist, nachdem Volcker die geldpolitische Zügeln angezogen hat. Nominale Zinsen sind gestiegen. Und dann kamen sie wieder herunter und die Inflationsrate ist gesunken“, so Williamson. „Kurzfristig gibt einen „Liquiditätseffekt“, wonach restriktive Geldpolitik dazu tendiert, nominale Zinsen zu erhöhen. Auf lange Sicht, was dominiert ist, der „Fisher Effekt“, wobei eine Inflationsprämie sich im Nominalzins einbaut. Das ist ziemlich alles, was Krugman und DeLong zu sagen versuchen. Warum also die Aufregung?“, bemerkt Williamson weiter.

"Vielleicht ist Williamson wirklich zu dumm, wahrzunehmen, dass Kocherlakota gesagt hat, dass ein niedriger Leitzins (Fed Funds Rate) zu Deflation führen muss", erinnert Brad DeLong in seinem Blog. „Vielleicht weiss Williamson sehr wohl, dass Regenschirme keinen Regen verursachen und dass Kocherlakota gesagt hat, dass „Regenschirme Regen versursachen“ ein Argument für baldige höhere Zinsen ist. Aber Williamson tut so, als ob er nicht verstanden hätte, worum es hier geht“, so DeLong. Was sagt Krugman dazu?

Sonntag, 29. August 2010

Keine Sorge über eine Blase in US-Staatsanleihen

Daniel Gross befasst sich in einem lesenswerten Essay („The Bubble That Isn’t“) in Slate mit der Thematik der „Bond Blase“ am Anleihemarkt. Es ist keine Frage, dass der massive Markt für US-Staatsanleihen „schaumig“ ist, bemerkt er, indem er darauf hinweist, dass die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen von 4,0% im April auf 2,6% heute gefallen ist. Das entpricht einem Rückgang von 40 Prozent. Der Markt deutet Anzeichen von Blasen an, was die Dynamik und die anhaltende Missachtung der Erwartungen betrifft, argumentiert Gross. Mit so tiefen Zinsen gibt es buchstäblich kaum Platz weiter, betont er: Das jüngste „boomlet“ in US-Staatsanleihen scheint nicht besonders „bubblicious“.


UST Renditen mit 10 Jahren Laufzeit (seit einem Jahr), Graph: Fed St. Louis


(1) Eines der Merkmale von Blasen ist, dass die Leute, die Vermögenswerte verkaufen, gegen Ende Hirngespinste und Phantasien verhökern. Sie machen finanzielle Versprechungen, die nicht erfüllt werden können oder die einfach nicht stimmen. „Wenn die Realität schliesslich den Hype einholt, dann kann der Absturz einige Investitionen vollständig auslöschen und der von Bubble befallene Sektor 70% oder mehr einbrechen.

Das ist aber nicht der Fall, was sich im Markt für US-Treasury Bonds abspielt“, so Gross. Die Leute, die die US-Treasury Bonds verkaufen, das ist ja der Staat, machen äusserst bescheidene Versprechungen und sie haben eine lange Zeit vor sich, um viel mehr extravangante Versprechungen zu machen. Wer die Staatsanleihen kauft und hält, wird in den nächsten Monaten die Kapitalsumme und ein bisschen Zinsen dazu erhalten. In der Zwischenzeit kann der Marktwert der Anleihen steigen oder fallen. Aber sie werden sich nicht verdoppeln und sie werden nicht auf Null gehen, so Gross völlig zutreffend.

(2) Die Bubbles werden i.d.R. von Gier und Furchtlosigkeit getrieben. Anleger gehen davon aus, dass sie nichts zu verlieren haben und sie sind sich sicher, dass sie massive Erträge bekommen können, indem sie beispielsweise ein Eigenheim ohne Eigenkapital kaufen und es im nächsten Monat abstossen. Leute kaufen Staatsanleihen nicht, weil sie denken, dass sie ihr Geld bis Dezember verdoppeln können, oder einen 50% igen Ertrag bekommen, wie sie sie in einem Jahr an eine Reihe von Narren verkaufen. Das ist heute in der Tat genau das Gegenteil der Fall. Die US-Treasury Bonds sind der ultimativ sichere Hafen; der am wenigsten schlechte Ort, zu investieren. Die Leute kaufen US-Staatsanleihen mit dürftigen Renditen, weil ihnen sonst nicht Besseres einfällt, was sie mit ihrem Cash Bestan machen sollen.

(3) Während Bubbles, wenn törichte Investoren bereit sind, Unternehmen in einem heissen Sektor höhere Bewertungen beizumessen, stürzen Unternehmen und Manager an die Öffentlichkeit und geben, was die Leute wollen. In einem Anleihemarkt erwartet man, dass die Regierung ihre Kreditaufnahme erhöht, wenn die Kreditkosten aussergewöhnlich niedrig sind. Das geschieht aber nicht. Die Regierung hat heute tatsächlich weniger Geld aufgenommen, weil die Renditen gefallen sind, sehr zum Leidwesen der Progressiven, die denken, dass die Obama-Regierung töricht ist, zu diesen wahnsinnig niedrigen Kosten nicht Geld aufzunehmen, um es in High-Speed-Schienen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Infrastruktur zu investieren.

Der Monatsbericht des amerikanischen Schatzamtes zeigt, dass die Steuereinnahmen in den vergangenen Monaten gestiegen sind, während die Ausgaben fallen. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2010 belief sich das Defizit auf 782 Mrd. $. Das ist ein Rückgang von 935 Mrd. $ in den ersten sieben Monates des Jahres 2009. Das heisst, dass der Staat weniger Schulden macht als im Vorjahr. Und der Trend dürfte sich fortsetzen, schlussfolgert Gross.

Arbeitslosigkeit vs Inflation

Die Inflation könnte im nächsten Jahr wegen der enormen Flaute, die sich während der Rezession gebildet hat, noch viel weiter fallen, schreiben James Stock und Mark Watson. Zwei Wirtschaftsprofessoren (Harvard und Princeton) haben ihr Research Paper am Wochenende auf der Jahrestagung der Zentralbanken in Jackson Hole präsentiert. Die allgemeinen respektierten Ökonometriker vertreten die Ansicht, dass die von der Fed favorisierte Messung der Inflation bezogen auf die Beziehungen, die sie aus den vergangenen Rezessionen gezeichnet haben, um 0,8% im zweiten Quartal 2011 von 1,5% im zweiten Quartal 2010 fallen könnte, berichtet Jon Hilsenrath in WSJ.

Stock und Watson untersuchen, was in den sieben Rezessionen seit 1960 passiert ist, wenn die Arbeitslosigkeit hochgeschossen ist. Die gemeinsame Überzeugung aller Wirtschaftswissenschaftlicher ist im Allgemeinen, dass die Inflation sinkt, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und umgekehrt. Der Zusammenhang hält aber nicht immer stand. Wie in den 1970er Jahren geschehen ist. Stock und Watson haben den Standard-Ansatz geändert, indem sie den Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in Abschwungsphasen untersuchen. Sie haben herausgefunden, dass ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit eine „unemployment recession gap“ auslöst, welche die Inflation nach unten treibt.

Es gibt einen Ausreisser: 2004. Die Inflation sollte nach dem Modell von Stock und Watson während der „jobless recovery“-Phase fallen. Stattdessen ist sie um 0,7% gestiegen. Die beiden Ökonomen haben keine Erklärung dafür. Im Jahre 2004 war die Fed besorgt, dass die Inflation zu niedrig war. Und sie versprach, die Zinsen als Antwort niedrig zu halten. Die Inflationserwartungen höher zu treiben, mag dazu beigetragen haben, dass die Inflation gestiegen ist. Die Fed scheint heute in einer ähnlichen Situation zu stecken, schlussfolgert Hilsenrath.

Wie Arme via Kreditkarten Reiche subventionieren

Die Boston Fed berechnet in einem vor rund einem Monat vorgelegten 57 Seiten umfassenden Research Paper mengenmässig, wie arme Menschen reiche Menschen in Folge der Kreditkarten interchange fees (Austauschgebühren) subventionieren. Die amerikanischen Haushalte geben mit Kreditkarten im Durchschnitt 1'190 $ pro Monat aus. Im Jahr macht es 14'280 $ aus. Felix Salmon sieht sich die Zahlen an, und bemerkt, dass die Reichen nicht nur mehr Geld mit Kreditkarten ausgeben, sondern sie konsumieren auch viel mit Cash Geld. So viel Quer-Subventionierung auf dieser Achse findet also von Amerikanern zu Amerikanern statt, argumentiert Salmon. „Sie nehmen das Geld, das sie verausgaben, wenn sie cash zahlen und bekommen es in Form von Kreditkarten-Belohnungen zurück, wenn sie mit Plastik zahlen. Die eigentliche Quer-Subventionierung findet zwischen reich und arm statt“, so Salmon.



Who Gains and Who Loses from Credit Card Payments ?, Graph : Scott Schuh, Oz Shy and Joanna Stavins

Nach Berücksichtigung von Prämien, die von den Banken an private Haushalte bezahlt werden, zahlen einkommensschwache Haushalte im Durchschnitt 9 $ an die Haushalte mit hohem Einkommen und jeder Haushalt mit hohem Einkommen bekommt 434 $ von einkommensschwachen Haushalten jedes Jahr, wenn man die Haushalte in zwei Einkommensgruppen teilt. Die Höhe der Übertragung ist laut Studie noch grösser, wenn Haushaltseinkommen in sieben Kategorien geteilt werden. Im Durchschnitt leisten einkommensschwache Haushalte (< 20'000 $) einen Transfer von 23 $ an Haushalte mit hohem Einkommen (> 150'000 $). Haushalte mit hohem Einkommen bekommen jedes Jahr 756 $ pro Jahr.

Der Brutto-Nutzen, der den Haushalten, die Kreditkarten benutzen, zu Gute kommt, beläuft sich laut Studie auf 1'482 $ im Durchschnitt. Die Summe erscheint aber angesichts des Betrags von 14'280 $, den die Haushalte im Jahresdurchschnitt ausgeben, zu hoch. Die Zahl 1'482 $ hat mit der Menge des Geldes, die Kreditkarten-Benutzer ausgeben, nichts zu tun, erklärt Salmon. Der wahre Grund, warum die Zahl 1'482 $ so gross ist, dass die Kreditkart-Transaktionen nur 17% der gesamten Konsumausgaben ausmachen, aber die Preise für alle erhöhen, argumentiert Salmon. Jeder zahlt denselben Preise, der höher ist, als sonst der Fall wäre, weil Händler Interchange Fess an die Kreditkarten-Firmen zahlen müssen. Leute, die Kreditkarten benutzen, profitieren davon, aber Leute, die in bar zahlen, zahlen am Ende mehr, als sie sonst müssten, erläutert Salmon.

Die Zahlen und Formeln sind auf den Seiten 17-18 der Studie zu finden. Sie sind schwer, zu verstehen. Aber über den Daumen gepeilt belaufen sich die Händler-Kosten auf 54 Mrd. $ jährlich. Davon sind 24 Mrd. $ zu den Kreditkarten-Transaktionen zuzuteilen. Und die Cash-Transaktionen betragen 30 Mrd. $, welche Debit-Karten einschliessen. Die Kreditkarten-Inhaber bekommmen 8,5 Mrd. $ in Form von Prämien zurück, schlussfolgert Salmon.

Die Leute, die bar zahlen, tragen 83% der Händler-Kosten, obwohl sie nur 55% der Händler-Kosten ausmachen. Die Leute, die Kreditkarten benutzen, zahlen nur 17% der Händler-Kosten, obwohl sie 45% der Händler-Aufwendungen ausmachen und sie bekommen 8,5 Mrd. $ in Form von Prämien.

Staatsausgaben Deutschland versus USA

Manche Mainstream-Ökonomen verweisen in diesen Tagen auf Deutschland, um zu zeigen, dass Fiscal Austerity gut ist. Dabei hat sich Deutschland in der Finanzkrise bisher als Keynesianer erwiesen. Wo sind also die Sparmassnahmen? Wo ist die Stimulanz? Mark Thoma liefert in seinem Blog via Paul Krugman und Dean Baker die folgenden zwei Abbildungen.



Reale Staatsausgaben: Deutschland vs USA, Graph: Dean Baker



BIP: Deutschland vs USA, Graph: Paul Krugman

Die Staatsausgaben (Konsum für Güter und Dienstleistungen) sind in Deutschland stärkter gestiegen als in den USA. Dean Baker beginnt mit dem III. Q. 2008. Das ist etwas unorthodox, aber was das Ergebnis betrifft, ist der Starttermin nicht empfindlich, bemerkt Krugman. Was geht aber hier ab? Im Grunde genommen ist es das „50 Herbert Hoovers Problem“, weil der Staat und lokale Regierungen nicht fortdauernd Defizit einfahren, und weil die staatliche Hilfe für die lokalen Regierungen zu kurz war, untergraben die Kürzungen auf unteren staatlichen Ebenen die Expansion auf bundesstaatlicher Ebene, erklärt Krugman. Die Staatsausgaben sind insgesamt tatsächlich langsamer gewachsen als der Potenzial-Output der Wirtschaft. Daher fragt Krugman, wo die Konjunkturstimulierung ist? Und wo die fiskalischen Sparmassnahmen (fiscal austerity) sind?


Staatsausgaben: Deutschland vs USA, Daten: Paul Krugman

Der Ausdruck „50 Herbert Hoovers“ deutet auf den fiskalpolitischen Fehler von 1932 an, als die Regierung versucht hat, angesichts einer schweren Rezession den Haushalt zu kürzen. Die Nation wurde von den Aktionen von 50 Herbert Hoovers getaumelt: die Gouverneure kürzten die Ausgaben in einer Zeit der Rezession, oft auf Kosten von sowohl am stärksten gefährdeten Komponenten als auch von der wirtschaftlichen Zukunft der Nation, erläutert Krugman.

Fazit: Wenn die Wirtschaft schrumpft, weil die Nachfrage eingebrochen ist, macht es keinen Sinn, das Problem durch die Kürzung der öffentlichen Ausgaben zu verschlimmern.

Samstag, 28. August 2010

Inflation Swaps mit 2 und 5 Jahren Laufzeit

Wie sich die Inflationserwartungen gegenwärtig zurückbilden, lässt sich anhand von Inflationsswaps mit 2 und/oder 5 Jahren Laufzeit deutlich veranschaulichen. Es handelt sich dabei um unverfälschte Markterwartungen für die Inflationsrate für die nächsten 2 und 5 Jahre. Im Grunde genommen bilden die Inflationsswaps die Markterwartungen für die Wachstumsrate des Verbraucherpreisindex (CPI) ab. Der CPI wird im Allgemeinen entweder als die genaueste Messung der Inflation oder eine völlig künstliche Figur, die von einer „betrügerischen“ Regierung produziert wird, wahrgenommen. Je nachdem, wie man die Zahlen betrachtet. Jedenfalls zeigen die CPI-Erwartungen derzeit einen rückläufigen Trend für die nächsten 2 und 5 Jahre an. Unabhängig davon, wie die Inflationserwartungen gemessen werden, bieten die Inflationsswap-Sätze wahrscheinlich kein ein allzu abwegiges Bild.



Inflationsswaps mit 5 Jahren Laufzeit, Graph : Bloomberg.com

Was heisst aber „Null-Kupon Inflation Swaps“? Es geht darum, dass Sie und ich einen Kontrakt abschliessen, wobei, während ich Ihnen nach „N“ Jahren „Inflation“ zahle, zahlen Sie mir im Gegenzug einen festen Satz „y“. Wir tauschen eine einzige pauschale Kapitalsumme nach „N“ Jahren aus, aber sonst keine Zahlungen auf dem Weg. Daher kommt die Bezeichnung „Null-Kupon“ im Begriff vor. „Inflation“ bedeutet in diesem Zusammenhang CPI und „y“ die Rendite, die ich von Ihnen im Gegenzug für die Bereitstellung von Inflationsschutz verlange.

Das heisst, dass Sie mir nach „N“ Jahren (1 + y)N – 1 zahlen
und ich Ihnen (CPIN / CPI0) – 1 zahle.

CPI0 ist der CPI von heute und CPIN ist der CPI nach N Jahren. Der Begriff „-1“ steht dafür, dass wir die Rendite, aber nicht die Kapitalsumme tauschen.

Eine ausführliche Erläuterung findet sich im Blog self-evident. Lesenswert!



Inflationsswaps mit 2 Jahren Laufzeit, Graph : Bloomberg.com

Wie üblich werden die Zahlungen mit dem rechnerischen Wert (Notional Value) des Swaps multipliziert, wie es im Kontrakt vereinbart wurde.

In der Regel ist es so, dass der „Inflation Buyer“ ein armer Kerl ist, während der Vertragspartner (Verkäufer von Inflation) eine mit allen Wassern gewaschene Investmentbank.

Freitag, 27. August 2010

Drei Ansichten über die Finanzkrise und die Rezession

Es gibt im Wesentlichen drei Ansichten über die Finanzkrise und die jüngste Rezession, schreibt Simon Johnson in einem lesenswerten Essay („Fiscal Austerity and America’s Future“) in NYT. In den ersten Ansichten hebt sich die Debatte über das Haushaltsdefizit von dem, was in der Krise passiert ist, deutlich ab. Die dritte Ansicht verbindet die Finanzkrise eng mit der Wahrscheinlichkeit der Fiscal Austerity (fiskalische Sparmassnahmen). Laut der ersten Ansicht ist etwas schief gegangen, was die finanzielle Installation der Weltwirtschaft betrifft. Das heisst, dass es sich dabei um ein technisches Problem handelt. Es steht also nichts tiefer auf dem Spiel. Beispielsweise beruht die Dodd-Frank Finanzreform auf dieser Ansicht. Auch das amerikanische Finanzministerium mit Tim Geithner teilt diese Ansicht, was aber laut Johnson fehlgeleitet ist.

Nach der zweiten Ansicht ist das Finanzsystem tiefer gebrochen. Die Meinungen in Bezug auf die relative Bedeutung der verschiedenen Elemente (darunter too-big-to-fail, Anreiz-Problem usw.) weichen jedoch von einander ab. Die beiden ersten Ansichten konzentrieren sich hauptsächlich auf die Natur des Finanzsystems, etwas isoliert von der Wirtschaft. Die dritte Ansicht aber impliziert zunehmend, dass sowohl die erste als auch die zweite „zu schmal“ sind. Die tiefere Kritik reflektiert sich in den kürzlich vorgelegten drei neuen Büchern. Arianna Huffington vertritt die Ansicht, dass wir die Finanzkrise nicht isoliert betrachten sollen, sondern als das Ergebnis eines lange anhaltenden Verhaltensmusters. Ihrer Meinung nach ist die übermässige Verschuldung der privaten Haushalte das Ergebnis einer anhaltenden Ungleichheit in der Gesellschaft. Die Menschen verschulden sich, weil sie versuchen, Mittelschicht zu bleiben, erklärt Frau Huffington in ihrem Buch („Third World America“). Skrupellose Kreditgeber waren nur allzu bereit, solche Menschen auszunehmen. Raghu Rajan, der ehem. Chefökonom des IWF fokussiert in seinem Buch („Fault Lines“) auf die globale Wirtschaft. Robert Reich, der ehem. Arbeitsminister in der Clinton-Regierung untersucht in seinem Buch („Aftershock“) die sozialen und politischen Auswirkungen der Finanzkrise. Die drei Bücher befassen sich also mit verwandten Themen: die anhaltende Einkommensungleichheit in Folge der Finanzkrise durch verschiedene Mechanismen. Die Verteilung des Einkommen in den USA wird zweifellos immer ungleicher, bemerkt Johnson dazu.

Die Finanzkrise mag hinter uns liegen, aber die Verbindung zu der intensiven Debatte in diesem Herbst in Bezug auf die Fiskal-Politik ist direkt, argumentiert der an der MIT lehrende Wirtschaftsprofessor. „Uns wird gesagt, dass Sparmassnahmen eine sofortige Kürzung der Leistungen für die Menschen auf Bundes- Staaten- und kommunaler Ebene erfordern. Das ist einfach nicht wahr. Leute, die diese Ansicht tatkräftig vorantreiben, sind fiskalpolitisch unverantwortlich. Sie sind auf dem Weg, entwicklungsländertypische Probleme in den USA zu verschärfen, und damit die Voraussetzungen für eine weitere Finanzkrise zu schaffen, schlussfolgert Johnson.

Grosse Rezession und Top-Notenbanker in Jackson Hole

Marktteilnehmer warten gespannt auf die für heute angesetzte Rede des amerikanischen Notenbankchefs Ben Bernanke beim Jahrestreffen der Zentralbanken in Jackson Hole. Was wird er sagen, dass die Wirtschaft sich weiter erholt, wenn auch langsamer als sie sich eigentlich wünscht? „Leider ist es nicht wahr. Das ist keine Erholung in irgendeinem Sinn, was zählt“, bemerkt Paul Krugman in seiner lesenswerten Freitagskolumne in NYT. Die politischen Entscheidungsträger sollen alles tun, um diesen Zustand zu ändern, fordert der Nobelpreisträger. Das kleine Stück der Wahrheit in den Ansprüchen der anhaltenden Erholung ist die Tatsache, dass das BIP wächst: „Wir haben keine klassische Rezession“. Die wichtige Frage ist aber, ob das Wachstum schnell genug ist, die exorbitante Arbeitslosigkeit zu senken. Wir brauchen ein Wachstum von etwa 2,5%, um die Arbeitslosigkeit nicht weiter ansteigen zu lassen und ein viel schnelleres Wachstum, um sie deutlich zu senken, argumentiert Krugman.

Wenn die Arbeitslosigkeit für den Rest des Jahres weiter steigt, dann spielt es laut Krugman keine Rolle, ob die BIP-Zahlen leicht positiv oder leicht negativ sind. Inzwischen redet Tim Geithner, der Finanzminister davon, dass „wir auf dem Weg der Besserung“ sind. Das stimmt nicht, betont Krugman: „Die Menschen, die um die wirtschaftliche Realität Bescheid wissen, entziehen sich der Verantwortung“.

Die Fed hat eine Reihe von Optionen, hebt Krugman hervor. (1) Kauf von langfristigen Anleihen öffentlich-rechtlicher und privater Schuldner, (2) Senkung der langfristigen Zinsen durch Ankündigung der Absicht, die kurzfristigen Zinsen niedrig zu halten, und (3) Anhebung des mittelfristigen Inflationsziels, um es Unternehmen unattraktiv zu machen, auf so viel Cash zu sitzen. Niemand kann sicher sein, wie gut diese Massnahmen funktionieren würden. Aber es ist besser, etwas zu versuchen, was nicht funktioniert, als Entschuldigungen zu präsentieren, während Arbeitnehmer leiden, ist Krugman überzeugt. Die Regierung kann die republikanische Blockade umgehen, indem sie Fannie Mae und Freddie Mac einsetzt, schlägt Krugman vor. Ferner soll die Administration ihre Konfrontation mit China wegen Währungsmanipulation endlich ernst nehmen. Wie oft haben die Chinesen versprochen, ihre Politik zu ändern und dann ihr Wort gebrochen? Ist es nicht Zeit, zu handeln?, fragt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor weiter. Welche dieser Optionen sollen aber die politischen Entscheidungsträger ausüben? „Wenn es nach mir ginge, alles“, schlussfolgert Krugman.

Donnerstag, 26. August 2010

Weltwirtschaft leidet nach wie vor unter Spar-Paradoxon

Gestützt auf einen aktuellen Bericht von Bloomberg, wonach die Investitionen (capital spending) laut Commerce Department im Juli zurückgegangen sind, erinnert Paul Krugman in seinem Blog daran, dass wir noch immer in der Welt des Spar-Paradoxon (paradox of thrift) sind. Warum fallen Unternehmensinvestitionen? Wegen Sorgen um das Wachstum der Weltwirtschaft. In normalen Zeiten glaubt man, dass es, wenn mehr gespart wird, privat und öffentlich-rechtlich, zu mehr Investitionen führt, weil dadurch Geld freigemacht wird. Damit das auch funktioniert, muss man manche Kanäle haben, durch die die höheren Ersparnisse den Anreiz zum Investieren erhöhen, erklärt Krugman.

Und der Weg, wie es in der Praxis in guten Zeiten funktioniert, ist, so dass die höheren Ersparnisse die Fed ermächtigen, die Zinsen zu senken, um das Kapital günstiger zu machen, damit Investitionen getätigt werden. Die Zinsen liegen aber heute bei der Null Untergrenze. OK, die langfristigen Zinsen sind nicht gleich Null, aber die Fed kann diese ja nicht unmittelbar beeinflussen, sodass der normale Kanal gegenwärtig nicht funktioniert, erläutert Krugman weiter. Und was das bedeutet, ist, dass, wenn die Menschen oder der Staat versuchen, mehr zu sparen, kommen sie letztendlich bei depressiver Wirtschaft an. Und die schwache Konjunktur führt zu niedrigeren, und nicht höheren Investitionen. Und das wiederum bedeutet, dass Versuche, mehr zu sparen, die Zukunftsaussichten nicht verbessern. Im Gegenteil: Sie verringern das künftige Wachstum der Wirtschaft, hält der Nobelpreisträger fest.

Fazit: Deshalb sind Sparmassnahmen (Fiscal Austerity) ein schrecklicher Gedanke. Fiskalische Sparmassnahmen erhöhen nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern sie machen die Menschen langfristig tatsächlich ärmer.

Was kann die Fed in Sachen Arbeitslosigkeit tun?

Narayana Kocherlakota, Minneapolis Fed-Präsident hat kürzlich in einer inzwischen viel zitierten Rede betont, dass die Fed über die Arbeitslosigkeitsproblematik kaum etwas unternehmen könne. Warum? Weil die Problematik struktureller Art sei. Mark Thoma ist damit nicht einverstanden. Thoma hebt in einem lesenswerten Essay („Can Government Help with Structural Unemployment?“) in CBS money watch hervor, dass es grosse zyklische Komponente gibt. Aber er geht vorerst auf die strukturellen Komponente der Arbeitslosigkeit ein.

(1) Die Rate, mit der die strukturelle Transformation stattfindet, hängt von der Höhe der Unternehmensinvestitionen ab. Langfristige Realzinsen können hierbei sicherlich verwendet werden, um Einfluss auf die Höhe der Investitionen zu nehmen, erklärt Thoma. Die Fed muss verhindern, dass die Realzinsen steigen, indem sie Inflationserwartungen sinken lässt. Je günstiger diese Transformation erfolgt, desto schneller kann das passieren.

(2) Während wir warten, bis die strukturelle Transformation stattfindet, kann die Fiskalpolitik die Kluft überbrücken, so Thoma. Ein Beispiel: Die Gemeinde entscheidet sich, ein Schulhaus abzureissen, um dann ein wesentlich verbessertes neues Haus am gleichen Ort zu bauen. Sollen alle Schüler (auch Lehrer) in die Ferien nach Hause geschickt werden, während das neue Schulhaus gebaut wird? Die Lehrer wären strukturell arbeitslos und müssten vorübergehend Arbeitslosengeld beziehen. Oder soll der Schuldbetrieb in temporären Einrichtungen weiter geführt werden, während die neue Schule gebaut wird? Die Fiskalpolitik kann hier eingesetzt werden, um temporäre Chancen für Arbeitslose zu bieten, während gleichzeitig die strukturelle Transformation stattfindet. „Es ist wahr, dass der strukturelle Wandel die Anpassungsperiode verlängern kann. Das bedeutet aber, dass es mehr Notwendigkeit für solche temporäre staatliche Hilfe gibt, welche die Beschäftigung fördern“, erklärt Thoma.

(3) Es gibt andere Dinge, die der Fiskus tun kann, um die strukturelle Transformation zu fördern, beispielsweise Steuervergünstigungen für Investitionen, Umschulungen, Anreize dafür, neue Unternehmen und Arbeitslose zusammen zu bringen, indem die Arbeit zu den Arbeitsplätzen gebracht wird oder neue Unternehmen ermutigt werden, den Betrieb dort aufzunehmen (Standort), wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist.

(4) Thoma ist überzeugt, dass es sich dabei um ein Problem der Nachfrage handelt. Selbst wenn man glaubt, dass es einen erheblichen strukturellen Wandel gibt, ist es schwer, zu leugnen, dass es auch einen Mangel an Nachfrage gibt. Die Schaffung von mehr Nachfrage durch ein zusätzliches Konjunkturpakett würde helfen, die Nachfrage anzukurbeln, was Unternehmen mehr Gewinn, mehr Vertrauen und v.a. mehr Ansporn für Investitionen in strukturelle Transformationsaktivitäten bringen würde, argumentiert Thoma.

Fazit: „Wir haben sowohl konjukturelle als auch strukturelle Probleme. Wir befinden uns in einer Situation, in denen Massnahmen sowohl aus der Fed als auch vom Kongress dazu beitragen könnten“, die Probleme zu lösen, schlussfolgert Thoma. Die Fed hat laut Thoma anerkannt, dass sie mehr tun könnte, aber sie denkt nicht daran, dass mehr Hilfe notwendig ist, noch nicht jedenfalls. Oder die Fed sagt, sie sei machtlos, weil das Problem struktureller Art ist. Es gibt immer eine Ausrede, hält der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor fest. „Wir brauchen aber keine Beweise dafür, dass sich die Dinge verschlechtern, bevor wir eine aggresivere Politik umsetzen. Es deutet wenig darauf hin, dass sich die Wirtschaft erholt. Die Dinge sind gegenwärtig schlecht genug“, argumentiert Thoma weiter. Sowohl die Fed als auch der Kongress müssen jetzt handeln.

Häusermarkt und Wirtschaftswachstum

Die Neubauverkäufe sind auf den niedrigsten Stand seit Erhebung der Daten im Jahr 1963 gefallen. Die Auftragseingänge für langlebige Güter (ohne Transporte) sind im Juli um 4% eingebrochen. Das sind zweifelsohne enttäuschende Daten. Nun fragt The New York Times eine Reihe von renommierten Ökonomen (Jennifer Lee, Jeffrey Frankel, Dean Baker, Patrick Newport), ob die Erholung der Wirtschaft vom Häusermarkt abhängt? Mark Thoma antwortet: Es ist sinnvoll, die Wirtschaft in vier grosse Sektoren einzuteilen: Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland-Sektor. Es ist nun zu überlegen, wie jeder Sektor sowohl langfristige als auch kurzfristige Aussichten für das Wachstum beeinflusst.


USA Neubauverkäufe, Graph: NYT, August 25, 2010

Der private Verbrauch, welcher den Kauf von neuen Häuser ausschliesst, dürfte unwahrscheinlich der Motor für das Wachstum sein, wie es in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, erklärt Thoma. Der Verbrauch vor der Absturz war weitgehend Schulden betrieben, basierend auf dem falschen Versprechen, dass die Immobilienpreise ständig steigen würden. Das ist nicht nachhaltig. Es wird im Allgemeinen angenommen, dass die Verbraucher den Konsum zurückfahren und nach der Rezession mehr sparen werden. Während dieser Übergangsphase wird der abnehmende Verbrauch eine erhebliche Belastung für die Wirtschaft darstellen.

Wie sieht es mit Investitionen aus? In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird der Kauf von neuen Immobilien als Teil der Investitionen gerechnet. Können Investitionen von Unternehmen und der Häuserkauf die Flaute überwinden? Während der Häusermarkt eines Tages wieder normal wachsen wird, bedeuten der grosse Überbestand an Häusern, schwache Verkaufszahlen und andere Probleme, dass dieser Tag weit, weit weg ist, so Thoma. Kurzfristig dürfte die Erwartung, dass der Häusermarkt das Wachstum ankurbelt, wahrscheinlich enttäuschend ausfallen, argumentiert der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor.

Unternehmensinvestitionen bieten auch keine grosse Hoffnung. Sie dürften zunehmen, erst wenn es Anzeichen für eine Verbesserung in der Wirtschaft gibt und die Fed beginnt, die langfristigen Zinsen durch mengenmässige Lockerung der Geldpolitik (quantitative easing) zu senken, erläutert Thoma. Was die Ausfuhren betrifft, ist es schwierig, zu erwarten, dass der Sektor die Erholung vorantreiben könnte, da auch der Rest der Welt in Schwierigkeiten steckt.

Abgesehen vom Staat gibt es wenig, was den nötigen Auftrieb für die Wirtschaft in der unmittelbaren Zukunft liefern könnte. Wenn der Staat die Brücke über unsere Probleme liefern kann, dann können andere Sektoren übernehmen und langfristiges Wachstum generieren, und die Hoffnung ist, dass das Wachstum so robust wird wie vor dem jüngsten Absturz. Es gibt aber keine Garantie dafür, dass sich die Hoffnung erfüllt, hält Thoma fest.

Verbraucher Schuldendienstquote

Die amerikanischen Verbraucher bauen ihre Schulden ab (deleveraging) und sparen schneller als erwartet, bemerkt Richard Berner in seiner aktuellen Analyse. Während das Schulden-Einkommen-Verhältnis noch hoch bleibt, zeigen zwei wichtige Kennzahlen, dass der Schuldenabbau ein Jahr früher erfolgt als geplant, argumentiert der Co-Head of Global Economics von Morgan Stanley. Der Rückgang der Hypotheken-Zinsen dürften den Schuldendienst noch tiefer drucken, argumentiert Berner. Er hält 11 bis 12% für eine nachhaltige Schuldendienst-Quote, im Einklang mit dem Schulden-Einkommen-Verhältnis von 80 bis 100%.


US Verbraucher Schuldendienst, Graph: Richard Berner, Morgan Stanley

Das erste der Ziele sei wahrscheinlich bis Ende dieses Jahres erreichbar, begleitet vom realen (annualisierten) Ausgabenwachstum von 2 bis 2,5%, einer persönlichen Sparquote von 5 bis 6% und einer Kontraktion der Konsumentenverschuldung von rund 8% 2009-11, so Berner.

Mittwoch, 25. August 2010

US-Treasury Bonds: Es gibt keine Bubble

"Die Treasury Bond Renditen deuten auf die Erwartungen hin, dass die Fed die Leitzinsen auf unbestimmte Zeit aufs Eis gelegt hat und ein mässiges Deflationsrisiko existiert. US-Staatsanleihen stellen daher keine Bond Blase dar", bemerkt Greg Peters, Morgan Stanley in seiner heute vorgelegten Analyse. Eine Blase impliziert seiner Einschätzung nach (1) eine Preisabweichung von den Fundamentaldaten und (2) Renditen, die wegen spekulativen Kaufs auf der Kehrseite hinausschiessen. Peters erwartet beides nicht. Die Erwartung, dass die Fed die Leitzinsen auf unbestimmte Zeit unverändert belässt, verankert die gesamte Ertragskurve vor dem derzeitigen Niveau. In diesem Fall profitieren Investoren, die Sicherheit suchen, wenn auch gering, von den Erträgen aus dem „carry-and-rolldown“-Geschäft mit den Anleihen, die längerfristige Laufzeiten haben.



Rendite der US-Staatsanleihen versus Zuflüsse an US-Staatsanleihen, Graph : Greg Peters, Morgan Stanley

Während Peters den Inflationsgehalt der US-Treasuries als Deflationssignal hinterfragt, betrachtet er sie als mehr indikativ als die erwartete Fed-Politik. Die wesentlichen Zuflüsse in US-Staatsanleihen reflektieren keine Blase. Die Kleinanleger dürften weiterhin danach fragen.

Hohe Arbeitslosigkeit: Zyklisch oder strukturell?

„Die beiden Banden von Ökonomen streiten über die Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit“, schreibt James Ledbetter in einem Artikel („Strucs vs. Cycs“) in Slate. Mit Bezug auf eine kürzlich vorgetragene Rede von Narayana Kocherlakota, dem Präsidenten der Federal Reserve Bank Minneapolis bezieht Ledbetter Stellung zugunsten des „mismatch“-Konzeptes. Kocherlakota hat nämlich gesagt, dass die Arbeitslosigkeit überraschend steige, obwohl die Anzahl der Stellenangebote zunehme. Firmen bieten Jobs, aber die Arbeitnehmer finden laut Kocherlakota keine geeignete Stelle. Der Fed-Minneapolis Chef macht also strukturelle Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit aus. Brad DeLong ist damit nicht einverstanden. Zu Recht. Denn die Probleme der Wirtschaft sind in erster Linie auf den Zusammenbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zurückzuführen, und sie sind daher nicht struktureller Art.


USA Arbeitslosenquote, Graph: BLS (Bureau of Labor Statistics)

DeLong begründet seinen Standpunkt in einem lesenswerten Eintrag in seinem Blog wie folgt.

Nehmen wir an, dass wir keine zyklische (konjunkturbedingte) Arbeitslosigkeit haben, welche durch einen Zusammenbruch der aggregierten Nachfrage ausgelöst wurde, sondern eine strukturelle Arbeitslosigkeit durch „mismatch“ (Fehlanpassung). Nehmen wir weiter an, dass wir eine Situation haben, in der sich die Struktur der Nachfrage der Verbraucher von den Arbeitsplätzen unterscheidet, die Arbeitnehmer zu besetzen in der Lage sind. Ferner nehmen wir an, dass wir uns im Gleichgewicht befinden, wo einige der Arbeitnehmer Baristas sind, die Kaffee anbieten und andere Yoga-Lehrer sind. Plötzlich verschiebt sich die Nachfrage so, dass die Verbraucher entscheiden, weniger Zeit vor Laptops in Coffee Shops zu verbringen und lieber mehr Momente des inneren Friedens geniessen zu wollen. Was erwarten wir? Was geschieht nun? Die Coffee Bars würden leer stehen, weil die Leute jetzt ihr Geld für die nächste Yoga-Stunde sparen. Coffee Bars würden die Baristas entlassen und schliessen. Wir würden erwarten, dass die Yoga-Studios nun überfüllt würden.

Die Grösse und die Dauer der übermässigen Arbeitslosigkeit der Ex-Baristas dürfte erheblich und langlebig sein. Es würde eine ganze Weile dauern, bis ein Barista als Yoga-Lehrer umgeschult würde. Diejenigen, die auf der Suche nach Ausbildung sind, würden eine schwierige Zeit haben, um Aufmerksamkeit zu finden und sich als Yoga-Lehrer ausbilden zu lassen. Aber die Depression im Coffee-Bar Sektor und die Arbeitslosigkeit unter den ex-Baristas würden durch die Ausgelassenheit, steigende Preise für Yoga-Unterricht und lange Arbeitszeiten und hohe Löhne für Yoga-Lehrer im Yoga-Studio-Sektor ausgeglichen. Das ist, wie eine „mismatch“ (Fehlanpassung) strukturelle Arbeitslosigkeit aussieht, erklärt DeLong. Ein Sektor ist depressiv mit viel Leerlauf und ein zweiter Sektor bommt, mit steigenden Löhnen und Preisen.

Wie sieht es heute mit Beschäftigung in den USA aus? Ein Rückgang von 137,83 Mio. Menschen im Juli 2007 auf 129,95 Mio. Menschen im Juli 2010, wie in der Abbildung ausführlich dargestellt ist. Das bedeutet ein Rückgang der Beschäftigung um 7'880'000 während einer Zeitperiode, in der die Erwachsenen in der Bevölkerung um 6 Mio. gewachsen sind, erläutert DeLong weiter.


USA: Beschäftigungssituation in den vergangenen drei Jahren, Graph: Prof. Brad DeLong

DeLong sieht Beschäftigungswachstum in den Sektoren (a) Internet, (b) Gesundheitsfürsorge und (c) Holzeinschlag und Bergbau. Sonst sinkt die Beschäftigung überall.

Fazit: Das sieht nicht wie eine „mismatch“ Arbeitslosigkeit aus, in der die Nachfrage sich in eine Richtung verschiebt, sodass die bestehende Arbeitskraft damit nicht mitgehen kann und in einer strukturellen Arbeitslosigkeit resultiert, wo der Sektor und dieBeschäftigungsfelder schrumpfen, während dort, wo die Nachfrage sich hinbewegt hat, die Beschäftigung und die Löhne steigen. Es sieht überhaupt nicht danach aus, schlussfolgert DeLong zu Recht.

Hausbau: Eine schlechte Investition?

Wohnungswesen ist eine schlechte Investition, bemerkt James Kwak in The Baseline Scenario. Und er liefert die folgende Abbildung, wobei die Daten sich auf Robert Shiller’s Datenbank beziehen. „Investitionen in Wohnungsbau sind i.d.R. eine schlechtere Investition als in Aktien oder in US-Treasury Bonds. Doch warum denken so viele Leute, dass es eine grossartige Investition ist?“, argumentiert der Mitbegründer des beliebten Blogs weiter.


USA Hauspreise, Graph: James Kwak, The Baseline Scenario

(1) Leverage : Die Inflation ist angenommen 2%. Und das Haus wirft eine Rendite von 3% (d.h. real 1%). Machen Sie eine Anzahlung von 10%, dann beträgt der Ertrag 30% oder real 28%. Abzüglich der festen Hypothek von 6%, erreichen Sie eine Rendite von 22%. Das heisst, 22 mal die reale Rendite des Basiswertes. Natürlich wissen wir um die Gefahr des Leverage (Verschuldung).

(2) Preisillusion: Die Menschen erinnern sich an den nominalen Preis, den sie für das Haus bezahlt haben. Wenn sie es 30 Jahre später verkaufen, schauen sie sich die Differenz zwischen dem nominalen Kaufpreis und dem Verkaufspreis an. Und sie denken, dass sie eine Menge Geld gemacht haben. Das gilt v.a. für die Generation, die ihre Häuser zwischen den 1960er und frühen 1970er Jahren gekauft haben, bevor die Inflation einschlug. Sie sahen, dass der Preis ihrer Häuser um das 10-fache steigt. Und sie dachten, dass das wegen der hohen realen Rendite geschieht.

(3) Bubbles und Optimismus: Hin und wieder erleben wir eine riesige Blase, wie am rechten Ende der Abbildung zu sehen ist. Die Leute denken für eine Weile, dass das normal ist. Nach einer Weile denken die Leute weiter, dass es das neue Normal ist, weil sie zu optimistische Erwartungen über die Welt hegen.

Was lernen wir daraus? In einer jährlichen Umfrage, die von den Ökonomen Robert Shiller und Karl Case durchgeführt wurde, erzählen hunderte von neuen Eigetümern in vier Regionen (Alameda County, Boston, Orange County und Milwakukee) noch einmal, dass sie Preissteigerungen um etwa 10% pro Jahr für das nächste Jahrzehnt erwarten. Das ist der „Optimismus Befangenheit“ (optimism bias). Kwak ist der Ansicht, dass man nicht einmal von einer Ära reden kann, in der die Aufwertung des Housing eine Schlüsselrolle für die Wirtschaft gespielt habe. Es gab keine Ära, argumentiert er. Wie man in der Abbildung sehen kann, entwickelte sich der Housing-Markt für eine lange Zeit flach. Dann kam es zu einer Blase. Man gab sich Illusionen hin, dass es eine neue Ära gab, aber hauptsächlich ausgelöst durch die Verschuldung (leverage) und die Preis-Illusion.

Für jeden Hausbesitzer, der 1970 ein Riesengeschäft gemacht hat, weil man eine feste Hypothek bekommen hat, gab es eine neue Familie, die sich 1980 ein Haus nicht leisten konnte, weil die Zinsen zu hoch waren oder die Ersparnisse nicht ausreichten oder ein Darlehen einfach nicht möglich war, weil sie von der festen Hypothek niedergedrückt wurden. Das ganze Phänomen war ein Vermögenstransfer innerhalb der Gesellschaft, erklärt Kwak.

Kein Wirtschaftswunder

Viele Menschen halten Deutschland als Beweis dafür, dass Sparmassnahmen (fiscal austerity) gut sind. Es gibt eine Reihe von Gründen, dass das töricht ist, bemerkt Paul Krugman in seinem Blog. Darunter die Tatsache, dass Deutschland mit der Sparpolitik noch nicht begonnen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Deutschen tatsächlich ganz Keynesianer, argumentiert der Nobelpreisträger. Alles, was man bisher hört, betrifft den Aufwärtsknick am Ende, wie in der Abbildung zu sehen ist. Krugman ist daher nicht bereit, eine Wirtschaft, die sich mit Bezug auf das BIP noch auf den Stand vor der Krise erholen muss, als „Wirtschaftswunder“ zu erklären.



BIP Vergleich USA und Deutschland seit dem Ausbruch der Finanzkrise, Graph: Prof. Paul Krugman

Krugman fasst zusammen: „Es ist eine Wirtschaft, die keine Immobilienblase erlebt hat. Und sie ist daher von dem Zerplatzen der Blase nicht direkt eingeholt worden. Aber die Wirtschaft ist sehr exportorientiert, mit Schwerpunkt auf langlebige Industriegüter. Die Nachfrage nach diesen Gütern stürzte in den früheren Phasen der Krise ein, sodass Deutschland bemerkenswerterweise einen grösseren BIP-Rückgang gehabt hat als die „Bubble Volkswirtschaften“. Aber es hat sich seit Sommer 2009 wiederaufgefangen. Dies hat Deutschland zurückgezogen. Die Ausfuhren nach China haben dabei besonders gut getan“.

Fazit: Wenn es ein Slam-Dunk Argument für Sparmassnahmen gibt, dann ist es bemerkenswert gut versteckt, schlussfolgert Krugman.

Dienstag, 24. August 2010

Renditen der deutschen Bundesanleihen fallen auf Rekordtiefs

In den Tagen steht in der Presse öfters zu lesen, dass die Renditen auf immer neue Rekordtiefs fallen, obwohl die Wirtschaft in Deutschland derzeit brumme. Das ist nicht richtig. Die Wirtschaft in Deutschland brummt nicht. In diesem ungewöhnlich unsicheren Umfeld der Wirtschaft hält die starke Nachfrage nach sicheren, liquiden und hochwertigen Anlagen an. Das sind die US-Treasury Bonds in den USA und die Bundesobligationen in Deutschland. Wer vor diesem Hintergrund trotzdem von Boom redet und vor Inflation warnt, betreibt politische Propaganda. Die Renditen der 10-jährigen deutschen Bundesanleihen sind heute über Mittag auf 2,22% gefallen. Mit 2,179% wurde sogar ein neues Rekordtief verzeichnet.


Umlaufrendite DE, Graph : sueddeutsche.de

Auch die Renditen der 30-jährigen deutschen Bundesanleihen fallen weiter. Um 13.30 Uhr lag die Rendite bei 2,84%. Das Staatsdefizit in Deutschland ist zwar im ersten Halbjahr kräftig gestiegen, wie das statistische Bundesamt heute mitgeteilt hat, aber der deutsche Staat kann sich nach wie vor günstig verschulden. Der Anleihemarkt hält m.a.W. nichts von raschen Einsparungen und Ausgabenkürzungen, die laut Politiker angeblich erforderlich sind. Es ist also Unfug, zu behaupten, dass das Vertrauen der Märkte in die Qualität der Schulden erschüttert sei, wie die EZB andeutet. Anleger zeigen enormes Vertrauen in Staatsanleihen, indem sie diese als einzig sicheren Hafen betrachten. Wenn eine Überschussnachfrage nach sicheren Finanzanlagen besteht, dann darf und soll sich der Staat im Abschwung verschulden, um eine tiefere Depression zu vermeiden.

Konservative Konterrevolution am Ende

Martin Wolf erklärt in seinem Blog bei FT die konservative Konterrevolution, welche mit den Namen Ronald Reagan und Margaret Thatcher verbunden ist, für beendet. Die Grosse Rezession markiere nun fast sicher ihr Ende, argumentiert Wolf. Was folgt, ist aber unklar. Das sei eine gute Gelegenheit, die breiten wirtschaftlichen Folgen zu beurteilen, so der Chef Wirtschaftskommentator von Financial Times aus London. Wolf fokussiert dabei auf das BIP von sechs grössten Vollkswirtschaften: USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und Italien. Es gebe aber viel mehr Wertentwicklung als das BIP. Die BIP-Daten ignorieren nämlich die Einkommensverteilung, was von entscheidender Bedeutung ist, v.a. für die USA, wo ein grosser Teil des Einkommens dem Wohlhabendsten zu Gute kommt.

Die Daten ignorieren ferner auch die tiefen Ursachen der Veränderungen im BIP pro Kopf: Output pro Stunde, Stunden pro Arbeitnehmer und Beschäftigung. Dennoch sind sie aufschlussreich, erklärt Wolf. Der wichtigste Punkt ist, dass die USA seit über einem Jahrzehnt auf der Stelle treten, argumentiert Wolf. Auch Deutschland, Frankreich und Italien verbuchen einen erheblichen relativen Rückgang des BIP pro Kopf in diesem Zeitraum. Grossbritannien war das einzige von diesen fünf Ländern, welches das BIP prof Kopf gesteigert hat, im Verhältnis zu den USA seit 1990, so Wolf.

Auf den ersten Blick scheint die konservative Revolution einige Verbesserungen in der zuvor rückständigen Volkswirtschaften USA und Grossbritannien erreicht zu haben. Aber der Zaubertrank begann in den 2000er Jahren an Wirksamkeit zu verlieren, v.a. in den USA, hält Wolf fest. Wie kam es aber zum Ausrutscher? Wolf macht zwei Gründe dafür aus: (1) Die Expansion des Finanzsektors und die damit verbundende Verschuldung der privaten Haushalte hat eine grosse Rolle für das Wachstum der Volkswirtschaften in den USA und Grossbritannien gespielt. Wie konnte aber das von diesen beiden Entwicklungen angetriebene Wachstum zu einem Fata Morgana drehen? Der Finanzsektor hat Geld und Kredit geschaffen, nicht nur um sich Gebühren zahlen zu lassen, sondern auch den Bau-Boom zu finanzieren. Das nächste Jahrzehnt wird jetzt mit dem Schuldenabbau (de-leveraging) in den USA und Grossbritannien konfrontiert sein. Die Bereitschaft hingegen, den öffentlichen Sektor wirksam einzusetzen, scheint an wirtschaftliche und politische Grenzen zu stossen, argumentiert Wolf. (2) Die USA und Grossbritannien haben in den letzten Jahrzehnten erhebliche Leistungsbilanzdefizite eingefahren. Das hat zu einer relativen Schrumpfung des verarbeitenden, kapitalintensiven Sektors geführt, erklärt Wolf. Das habe wiederum den beiden Volkswirtschaften erlaubt, recht schnell zu wachsen, trotz der relativ niedrigen Investitionen in Sachkapital. In den kommenden zehn Jahren wird sich das voraussichtlich umkehren. Sparen und Investitionen müssen erheblich steigen, um das Wachstum aufrechtzuerhalten. Geschieht das nicht, würde sich das Wachstum verlangsamen.

Fazit: Bubbles induzieren schwere Überschätzungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Könnte das nächste Jahrzehnt also Deutschland und Japan gehören? „Das würde mich nicht überraschen“, bemerkt Wolf als Schlussfolgerung und fügt hinzu: „Erwarte das Unterwartete“.

TIPS mit 30 Jahren Laufzeit

Das amerikanische Schatzamt will diese Woche Staatspapiere im Gesamtwert von 109 Mrd. $ versteigern lassen. Gestern hat die Auktion der 30-jährigen TIPS (inflationsgeschützte Anleihen) stattgefunden. Die Versteigerung stiess auf eine rege Nachfrage. Das US-Finanzministerium hat TIPS im Wert von 7 Mrd. $ verkauft. Es ergab sich dabei ein Bid-to-Cover Verhältnis von 2,78. Das ist ein Rekordhoch. Die Rendite lag bei 1,768%. Die Zuteilung war ungewöhnlich hoch. Direktanbieter: 38,9% und Primary Dealers: nur 33,0%.




Fazit: Inflationserwartungen auf 30 Jahre belaufen sich auf 1,94%.


Inflationserwartungen (10 Jahre), Graph: Fed Cleveland


Die Effektive Fed Funds Rate (US-Leitzins), Graph: Fed St. Louis

Makroökonomie ist eine Wissenschaft

Die namhaften Geldpolitiker werden sich am Wochenende in den Rocky Mountains treffen. Es handelt sich dabei um die jährliche Konferenz der Federal Reserve Bank of Kansas in dem Bergort Jackson Hole. Fed-Präsident Ben Bernanke wird die Tagung mit einer Rede eröffnen. Raghuram Rajan, der ehem. Chef-Ökonom des IWF will dort laut Bloomberg die US-Notenbank (Fed) auffordern, die Zinsen zu erhöhen, selbst wenn die Arbeitslosigkeit noch bei rund 10% verbleiben sollte. Nach seiner Einschätzung soll Bernanke die Leitzinsen um 2,0% anheben, damit es keine negative Realzinsen gibt. Zinssätze nahe Null lösen Spekulationsblasen aus oder bilden ineffiziente Unternehmen, sagt Rajan.


Makro-Modell, Graph: Prof. Paul Krugman

Auf welches Modell sich Rajan aber dabei stützt, bleibt rätselhaft. Abgesehen von der Tatsache, dass es eine völlige Katastrophe für die Wirtschaft wäre, stört Paul Krugman v.a. die Art und Weise, wie Rajan und viele andere Ökonomen sich auf neue Doktrine stürzen, um ihre politische Vorurteile zu rechtfertigen. Nach Krugmans Ansicht sollte das, was man zu einem gegebenen Zeitpunkt über die Geldpolitik äussert, auf eine Art Modell beruhen. Und ausserdem sollte man bereits sein, das gleiche Modell auf andere Situationen anzuwenden und es nicht zu einem einmaligen Einsatz rechtfertigen, wenn es einem zufällig gerade zu Gute kommt.

Krugmans Analysen beruhen auf dem gleichen Modell der makroökonomischen Politik, die er in normalen Zeiten seinen Erklärungen zugrunde legt. Nur ist es so, dass die Situation sich ändert. Die „quick-and-dirty“-Version des Modells sieht wie in der Abbildung aus. Es bedeutet, andere Dinge gleich, dass die Nachfrage desto grösser ist, je geringer der reale Zinssatz ist. Das ist unbestritten. Nun aber ist der Nominalzins wegen der Finanzkrise gleich Null. Selbst ein Nominalzins von Null Prozent, leicht negativer Realzins, ist nicht tief genug, um Vollbeschäftigung zu produzieren. In normalen Zeiten, wenn die Untergrenze von Null nicht bindend ist, sagt das Modell aus, dass die Geldpolitik bei der Stabilisierung die Schlüsselrolle spielen kann. Gegen die Untergrenze von Null ändert sich aber alles, erklärt Krugman. Die Idee, dass es gut wäre, die Inflationserwartungen steigen zu lassen, kommt aus diesem minimalistischen Rahmenwerk. Die Wirtschaft „will“ einen negativen Realzins. Und der einzige Weg, um das zu bekommen, ist angesichts der Null Untergrenze, positive Inflationserwartungen zu haben, erläutert der Nobelpreisträger weiter.

Die Argumente für eine fiskalpolitische Expansion kommen recht schlicht daraus, so Krugman. Wenn man die Beschäftigung nicht erhöhen kann, indem man die Zinsen senkt, wird deficit spending ein Weg, um Arbeitslose wieder zu beschäftigen. Das deficit spending verdrängt die privaten Ausgaben nicht, wenn die Zinssätze unverändert bleiben, hält Krugman fest.

Fazit: Krugman legt grossen Wert darauf, dass man keinen Quatsch erzählt, sondern eine konsistente Sicht beibehält, welche aber jetzt unorthodoxe Schlussforderungen zulässt, nur, weil gegenwärtig eine aussergewöhnliche Situation vorherrscht.