Buchbesprechung:
Markus Diem Meier: „Auf Crash-Kurs“. Die grossen Baustellen der Weltwirtschaft. orell füssli Verlag AG, Zürich, 2011.
Dieses Buch befasst sich mit den Wirkungen des dominierenden ökonomischen Dogmas der letzten rund 30 Jahre auf die Wirtschaftspolitik und seine gefährlichen Folgen auf die politische Kultur.
Die Mehrzahl von Ökonomen hat in den vergangenen 30 Jahren ein Welt- und Menschenbild gepflegt, das mit der Realität gar nichts zu tun hat. Im Mittelpunkt der dogmatischen Wirtschaftsideologie stand Neoliberalismus. Das fatale Problem lag darin, dass die Annahmen, die den Modellen zugrunde liegen, von der Politik unkritisch übernommen wurden.
„Die Kritik am Neoliberalismus ist nicht gleichbedeutend mit Kritik an der freien wirtschaftlichen Ordnung, die sich an Märkten orientiert. Im Gegenteil: Es ist eine Kritik an irrigen Vorstellungen über das Funktionieren von Märkten, an Vorstellungen, die zur Gefahr für das marktwirtschaftliche System werden, wenn sie die Politik dominieren, so wie es in der Vergangenheit geschehen ist“, hebt der Autor bereits zu Beginn des lesenswerten Buches hervor.
Die Euro-Krise ist nicht eine Staatsschuldenkrise, wie Markus Diem Meier unterstreicht: „Die Verschuldung ist nur das Symptom tieferliegender Ursachen. Sie resultiert auch nicht aus dem Handeln einiger unverantwortlicher Politiker, selbst wenn das Beispiel Griechenlands für diese Annahme spricht“.
„Die Ursache der Eurokrise sind die Regeln der Währungsunion selbst. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde das Fundament für künftige Systemkrisen gelegt. Denn schon dieser Vertrag sah vor, dass künftigen Mitgliedsländern der Eurozone praktisch keine Möglichkeiten mehr zu einer ausgleichenden Stabilitätspolitik bleiben, wenn sie in konjunkturelle Schwierigkeiten geraten. Dass ein Vertragswerk mit derart einscheidenden politischen Folgen überhaupt unterzeichnet wurde, hatte viel mit dem damals vorherrschenden neoliberalen Dogma zu tun“, argumentiert der Autor.
Die Ungleichgewichte lassen sich mit dem Regelwerk von Maastricht nicht korrigieren, weil das vorherrschende Dogma von perfekt funktionierenden Märkten ausgeht, wo solche Widrigkeiten gar nicht auftreten können.
Als die Immobilienblasen in Spanien und Irland platzten, blieb ein Schuldenberg zurück. Am Anfang war die Privatwirtschaft betroffen und damit (direkt oder indirekt) die Banken. Die Rettungspakete für die Banken liess die Schulden in die Höhe schnellen. „So wurde die hohe private Verschuldung zu einer hohen staatlichen Verschuldung“, beschreibt der Autor zutreffend. Die Musterländer waren plötzlich keine mehr.
Die EZB konnte über die Leitzinsen weder die Exzesse in Ländern wie Spanien und Irland verhindern noch die wirtschaftliche Talfahrt in Deutschland bis etwa 2005 unterbinden. „Die Ungleichgewichte im Euroraum waren daher für Deutschland eine willkommene Möglichkeit, das konjunkturelle Jammertal durch Exporte zu überwinden“, weil es auf „Exporte und Investitionen in die damals boomenden Länder an der EU-Peripherie setzte, die jetzt als die Schuldigen am ganzen Schamassel angeprangert werden“, legt der Autor dar. Der überraschende Aufschwung Deutschland seit der Finanzkrise hat laut dem Autor im Wesentlichen hier seine Ursachen. Natürlich darf man dabei das von Deutschland verfolgte Lohndumping nicht vergessen.
Fazit: Ein Sytem freier Märkte funktioniert nicht ohne staatliche Stabilitätspolitik und ohne Regulierungen. Sonst gibt es eine wirtschaftliche Katastrophe. Die Erfahrung mit der Grossen Depression (1930er Jahre) müsste eine Warnung sein. Die Lage nach der jüngsten Finanzkrise hat nämlich eine gefährliche Gemeinsamkeit mit jener während der Grossen Depression: „die schwindende Legitimität der Politik“, so der Autor. „Sie war damals ein wichtiger Auslöser für den aufkommenden Extremismus und die Destabilisierung der Gesellschaft und der Politik“.
Der Autor verdankt viele seine wichtigen Einsichten Prof. Paul Krugmans Ausseinandersetzungen mit aktuellen Themen über die Enwicklung der Makroökonomie. Wer beispielsweise Joseph Stiglitz und Heiner Flassbeck gern liest, wird sich auch über die Lektüre dieses erfrischenden Buches freuen.
Markus Diem Meier ist Wirtschaftschef beim Newsnetz des TagesAnzeigers. Nebenamtlich ist er Dozent für VWL mit Schwerpunkt Makroökonomie. Ein Stichwortverzeichnis hätte das Buch bestimmt wesentlich aufgewertet. Schade, dass es fehlt.
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