Sonntag, 28. Juni 2009

Bailout Nation

Buchbesprechung:

Barry Ritholtz: Bailout Nation. How Greed and Easy Money corrupted Wall Street and Shook the World Economy. John Wiley & Sons, New Jersey, 2009.


Das Buch handelt von der Geschichte, wie Gier und billiges Geld Wall Street korrumpiert und die Weltwirtschaft ins Wanken gebracht haben. Wie ist es möglich, dass die USA sich von einer robusten, unabhängigen Nation zu einer weichen „Bailout Nation“ entwickelten? Eine „Bailout Nation“, in der Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, schreibt Bill Fleckenstein im Vorwort dazu. Was hat uns zu einem Kindermädchen für gut bezahlte Banker gemacht? So beginnt Barry Ritholtz mit seinem hochgeschätzten Buch, um eine kurze Historie der Bailouts zu erzählen. Wussten Sie schon, dass es, bevor die heutige Federal Reserve (Fed) 1913 gegründet wurde, drei andere Versuche gegeben hat, in den USA eine Zentralbank auf nationaler Ebene einzurichten? Im ersten Abschnitt behandelt Ritholtz in Reihenfolge zunächst die Ära „Pre-Bailout Nation“ (1860-1942) und dann die „Industrial-Era Bailouts“ (1971-1995). Im zweiten Abschnitt geht der Autor auf die Bailouts im Aktienmarkt (1987-1995) ein, um anschliessend vor dem Hintergrund der zinsgesteuerten Wirtschaft die „Irrational Exuberance Era“ (1996-1999) sowie den Schiffbruch von HighTech Boom (2000-2003) zu erläutern.


Barry Ritholtz führt heute eines der beliebtesten Blogs über die Wirtschaft. Seit dem Start seines Blogs hat Ritholtz über 50 Mio. Seitenzugriffe verbucht. Er ist CEO und Direktor von Equity Research bei FusionIQ, einer online quantitativen Research Firma. Ritholtz ist ein häufiger Gast bei CNBC und der Autor der beliebten „Apprentices Investor“ Spalte bei TheStreet.com. „Eat what you kill“ ist die klassische Haltung in Wall Street gegenüber Risiken und Erfolgen, Gewinn und Verlust. Es gibt aber mittlerweile Market Player, die gescheitert sind, zu leben oder von ihrer eigenen Schwerter zu sterben. Sie erwarten, durch andere gerettet zu werden, und zwar von ihrer eigenen Torheit. Sie verkörpern einen Schön-Wetter-Glaube an freier Marktwirtschaft, der nur während guter Zeiten gilt. Das ist „eine höchste Form der moralischen Feigheit“, urteilt Ritholtz. Darauf basiert der rote Faden in seinem Buch. Es ist hinlänglich bekannt, dass übermässige Gier, Rücksichtslosigkeit und dumme Spekulationen vom Markt bestraft werden. Das gegenwärtige System hat jedoch seinen Auto-Korrektur-Mechanismus verloren, hält Ritholtz fest. Die einer Kreditvergabe zugrunde liegende Prämisse ist seit jeher die Fähigkeit des Kreditnehmers zur Rückzahlung des Darlehens. Es ist der grundlegende Aspekt der Finanzierung. Seit Beginn der 2000er Jahren ist jedoch die fundamentale Basis aller Kredittransaktionen auf den Kopf gestellt worden. Es zählt nicht mehr die Fähigkeit des Kreditnehmers, das Darlehen zu tilgen, sondern die Fähigkeit des Kreditgebers, das Darlehen für Verbriefungszwecke weiter zu verkaufen. Das ist laut Ritholtz ein Paradigmenwechsel. Die US-Notenbank (Fed) hat die Leitzinsen von Dezember 2001 bis September 2004 bei 1,75% oder sogar darunter behalten. Ungefähr drei Jahre lang! Die Immobilienpreise haben sich innert 10 Jahren verdoppelt. Es kam in diesem Umfeld nur noch auf die Fähigkeit des Kreditgebers an, den Hypothekenkredit zu verbriefen und wiederzuverpacken. Dadurch wurde ermöglicht, einen zutiefst fehlerhaften Prozess der Darlehenstätigkeit zu tarnen. Die Kreditmärkte wurden folglich wie eine Kaskade in Richtung Katastrophe verschickt, so der Autor. Es ist konsequent, dass die Fed und die Ratingagenturen in diesem Buch am stärksten ihr Fett abbekommen. Der ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan hat die Zinsen 33 Monate lang auf einem historisch niedrigsten Niveau gehalten und die neuartigen Instrumente wie Collateralized Debt Obligations (CDOs) als „Finanzinnovation“ hochgelobt. CDOs, die von Ratingagenturen mit der besten Bonität „AAA“ bewertet wurden, weisen bekanntlich einen signifikanten Risikoaufschlag (Spread) gegenüber den US-Staatsanleihen auf, die ebenfalls ein „AAA“-Rating haben. Wie ist es aber möglich? Entweder das war ein brillanter, bis jetzt nicht realisierter Einblick oder es war ein massiver Betrug, schlussfolgert Ritholtz zu Recht. Nicht nur, dass die Marktteilnehmer nicht immer rational waren, sondern sie handelten oft unbeabsichtigt gegen ihre eigenen Interessen. Ein frappierendes Beispiel: Die SEC (US Aufsichtsbehörde) hatte eine kurz als „net capital rule“ bekannte Regel eingeführt, um sicherzustellen, dass die Wall Street Firmen über genügend Eigenmittel verfügen: Ein Verschuldungsgrad (debt-to-net capital ratio) von 12 zu 1. Das heisst, dass die Finanzinstitute auf 1 $ EK höchstens 12 $ FK aufnehmen dürfen. Im Jahre 2004 ging die SEC auf den Wunsch der 5 führenden Investmentbanken (GS, ML, Lehman, Bear Stearns und Morgan Stanley) ein. Unter der Führung des damaligen Goldman Sachs CEO Hank Paulson (den späteren Finanzminister und Bailout-König) erhielten die Investmentbanken eine spezielle Ausnahme, die damals ironischer Weise die „Bear Stearns-Rule“ genannt wurde. Die Firmen, die eine Marktkapitalisierung von mehr als 5 Mrd. $ hatten, haben sich nicht mehr an die Regel „net capital rule“ halten müssen. Der Verschuldungsgrad der erwähnten Investmentbanken kletterte prompt auf 30, 35, ja sogar 40 zu 1. Nur 4 Jahre später brach Bear Stearns zusammen. Lehman ging pleite. Und die restlichen Investmentbanken haben ihren Status verloren. Dieses mit zahlreichen anschaulichen Abbildungen optimal konzipierte Buch ist ein Hammer. Ein genialer Lesestoff. Didaktisch und kognitiv ein Hochgenuss.

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