Buchbesprechung:
Anja Shortland: Kidnap – Inside the Ransom Business, Oxford University Press, London, 2018
Die Hauptaussage des kürzlich vorgelegten Buches über pekuniär motivierte Entführungen ist, dass der „Markt für Geiselnahme“ funktioniert, und zwar dank privater Steuerung (private governance).
Die Autorin, eine Dozentin in Political Economy am King’s College London, schildert in einzelnen Abschnitten detailliert, warum Menschen überhaupt entführt werden, und weshalb Kidnapping versicherbar ist, wie der Preis für das Lösegeld (von Vermittlern, Beschützern und Responders) gehandelt wird und wann die Verschleppung fehlschlägt und wieso die Entführten in manchen Fällen ums Leben kommen, und was zu tun ist, wie die Gefahr im Allgemeinen entschärft werden kann.
Praxisbeispiele beziehen sich im Wesentlichen auf die Region Somali.
Anja Shortland betont mit allem Nachdruck, dass der Markt für Geiselnahme und Entführungen funktioniert, weil es eine Marktkonzentration gibt und wichtige Marktteilnehmer über alle relevanten Informationen verfügen.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Versicherungsgesellschaft Lloyd’s, die dafür sorgt, dass ein kniffliger Markt sich in einem ausserrechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen weiterentwickelt.
Lloyd’s aus London besichtigt zu diesem Zweck zahlreiche Versicherungsträger (underwriters) bändigend, sodass ein Lösegeld-Disziplin (ransom discipline) bestehen bleibt und ein evolutionärer Wettbewerb (evolutionary competition) ermöglicht wird.
Der Markt für kriminelle Geiselnahme ist daher nur dank privater Lenkung profitable. Und das ist auf die Monopol-Stellung der britischen Versicherungsgesellschaft im Geschäft mit verbrecherischen Entführungen zurückzuführen.
Die Autorin bemerkt zwar, dass der „Handel mit Geiseln“ der komplizierteste Handel der Welt ist, aber sie kann ihre Begeisterung für das „wunderschöne System“ und den „faszinierenden Governance“-Mechanismus irgendwie nicht eindämmen.
Schliesslich funktionieren laut Anja Shortland auch Schattenwirtschaft und kriminelle Märkte, wenn Regeln und Normen entwickelt werden, um den Handel damit zu strukturieren. Der transnationale Markt für Entführungen und Geiselnahme ist vorausschaubar und wohlgeordnet, sodass Unternehmen ihre Mitarbeiter gegen Geiseldrama versichern können.
Die Autorin baut den Inhalt ihres Buches auf die „Protection Theory“ auf. Der Ansatz beschreibt v.a. die Eigenschaften des Schutzes als privat gelieferten Service. Wer langfristig von der Kontrolle eines Gebiets profitieren will, muss den Menschen unter seiner Herrschaft Sicherheit geben. Niemand produziert einen Überschuss, wenn die Früchte seiner Arbeit regelmässig geplündert werden, so die Autorin.
Und das gilt für alle Beteiligten am Markt für gesetzwidrige Geiselnahme; auf der einen Seite die Mafias als traditionelle Anbieter von Governance, und auf der anderen Seite die Staaten, und in der Mitte die Rebellen, brutale Kriegsherren und sezessionistische Aufständische u.Ä.
Nur wenn der Staat sich einmischt, läuft alles schief. Denn der öffentliche Sektor verfügt nicht über die notwendige Erfahrung und Kenntnisse. Wenn Regierungen in einem Geiseldrama intervenieren, bieten sie ausserdem mehr Lösegeld (über dem Marktpreis) als notwendig, um ihre Landsleute freizukaufen. Aber sie zerstören damit die „ransom discipline“. Denn wie gesagt, der Markt ist im Gleichgewicht, dank privater Steuerung.
Der Ausdruck erinnert an das Schlagwort „Marktdisziplin“ aus dem mittlerweile doktrinär wirkenden Werkzeugkasten der neoklassischen Lehre der Volkswirtschaft. Nicht umsonst hält die Autorin als Fazit fest, dass „der Markt die Lösung und der Staat das Problem“ ist.
Zum Schluss bekräftigt Frau Shortland energisch, dass das UN-Verbot für Zahlung von Lösegeld für die entführten Landsleute an Geiselnehmer aufgehoben werden soll. Denn es sei kontraproduktiv und hat unbeabsichtigte Folgen. Es bedürfe stattdessen eines starken internationalen Konsensus.
Anja Shortland: Kidnap – Inside the Ransom Business, Oxford University Press, London, 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen