Sonntag, 1. September 2024

Supercharge Me

Buchbesprechung

Eric Lonergan and Corinne Sawers: Supercharge Me – Net Zero Faster, agenda publishing, Febr 2022, Newcastle upon Tyne.


Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Fokus auf ökologische Investitionen die Finanzmärkte erfasst hat, insbesondere in Europa. Es vollziehen sich gewaltige Veränderungen.

Es gibt Anzeichen dafür, dass sich Umweltfaktoren auf Aktienkurse und Anleiherenditen auswirken, was Unternehmen motiviert, das individuelle Verhalten zu ändern. CEOs und Vorstände sind ohne Zweifel besessen von dem Aktienkurs des eigenen Unternehmens, nicht zuletzt, weil ihre persönlichen Finanzen davon beeinflusst werden.

Das Umdenken in den letzten zwei Jahren hat sich rasant vollzogen. Der Trend spiegelt den Wandel in der Unternehmenskultur vollständig wider.

Und dafür gibt es drei Gründe. Die sozialen Normen ändern sich, es wurden regulatorische Änderungen eingeführt, und Aktien, die als umweltfreundlich wahrgenommen werden, entwickeln sich besser als der Markt. 

ESG steht für „Environmental, Social and Governance“ (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und ist in der Finanzwelt zum Schlagwort für Investitionen mit Gewissen geworden. 

Es ist dennoch verblüffend, im Nachhinein erneut Revue passieren zu lassen, wie sich vor dem Hintergrund der erheblichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Form des sog. «lockdowns» während der Pandemie ein Kulturwandel in Sachen «Klima-Wandel» entwickelt hat. 

Die meisten großen Finanzunternehmen und Banken haben sich beispielsweise im Jahr 2022 verpflichtet, ihre „finanzierten Emissionen“ («financed emissions») bis 2050 auf null zu senken.

Auch die Konsumgüterhersteller haben sich festgelegt, mit der harten Arbeit der Emissionsreduzierung in ihren Lieferketten zu beginnen. 

Der private Sektor hat sich m.a.W. bereit erklärt, auf smarte Aktionen zu reagieren: eine Chance, die nicht verpassen werden darf.

Das ist unter anderem eine Botschaft, die dieses Buch sendet, welches im Grunde genommen darauf basiert, was bisher funktioniert hat: positive Anreize und strenge Regulierung.

Der pragmatische Ansatz der Autoren nimmt auf das tatsächliche Verhalten von Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen Bezug.

Es ist schliesslich allgemein bekannt, dass unsere Fähigkeit, in der Umwelt-Krise geschickt zu steuern, im Wesentlichen durch die menschliche und unternehmerische Psychologie tangiert wird. 

Die Menschen ändern ihr Verhalten nur, wenn die Alternative billiger oder besser ist oder wenn ihre Freunde es auch tun.

Unternehmen ändern ihr Verhalten nur, wenn sie damit mehr Geld verdienen können oder wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist. 

Politische Maßnahmen funktionieren nur dann, wenn sie wirksam, einfach und unparteiisch sind.

Eric Lonergan und Corinne Sawers nehmen sich der neuesten Erkenntnisse der Sozial- und Verhaltenspsychologie an, um kritisch zu untersuchen, wie Menschen ihr Verhalten tatsächlich ändern. 

«Wir müssen die sozialen Normen ändern. Andernfalls vergeuden wir nur unsere Zeit.»

Es geht auf alle Fälle um die Macht des Einzelnen. Die Autoren nennen es das Konzept der „extrem positiven Anreize für Veränderungen“ (EPICs). Die Idee der EPICs beruht auf einer Kombination aus Mikroökonomie, Verhaltenspsychologie und Politikwissenschaft.

Was bedeutet aber «Supercharging»?

«Supercharging» ist ein Aktionsplan zur Beschleunigung der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Er basiert auf realistischen Annahmen über die Motivationen von Einzelpersonen, Unternehmen und Staaten. Europa, die Vereinigten Staaten, China und Indien haben sich inzwischen ernsthafte Ziele gesetzt, wie zum Beispiel einen Temperaturanstieg der Erde um mehr als 1,5 °C zu verhindern.


«Die Geschichte zeigt, dass eine technologiegetriebene Transformation unserer Volkswirtschaften unsere Lebensqualität und unseren Lebensstandard enorm verbessert. Der grüne Wandel sollte da keine Ausnahme sein.» 


Es geht also nicht um Idealismus, wie die Autoren unterstreichen:


«Es wird einige Verlierer geben, insbesondere die Besitzer von Vermögenswerten im Bereich fossiler Brennstoffe. Glücklicherweise befinden sich diese Vermögenswerte in den meisten Teilen der Welt größtenteils in den Händen von drei Gruppen: Gangsterherrschaften, Theokratien und einem Bruchteil des „1%“. Die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung muss sich deswegen keine Sorgen machen, dass der Wert dieser Vermögenswerte gegen Null sinkt.»


Alles, wofür die Autoren plädieren, betrifft die Verringerung der CO2-Emissionen, die wir jedes Jahr in die Atmosphäre abgeben, d. h. die Begrenzung der Kohlenstoffquellen. 

Doch, um die Welt mit Energie zu versorgen, brauchen wir eine klare Diagnose des Problems, eine Theorie des Wandels und besonders weise Maßnahmen. 

Es gibt zum Beispiel eine eigene Klasse von Faktoren, die CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können. Dabei handelt es sich um natürliche „Kohlenstoffsenken“ wie Bäume, Böden und Ozeane sowie um vom Menschen geschaffene Technologien wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff. Wälder gehören zu dieser Kategorie. Jeder weiß, dass wir die Abholzung der Tropenwälder stoppen müssen. 

Doch es ist sehr schwierig, die Wirkung von Kohlenstoffsenken genau zu messen. Es wird geschätzt, dass die Ozeane zwischen 25 und 30 % der jährlichen Emissionen aufnehmen. Wälder absorbieren zwischen 5% und 15 % der vom Menschen verursachten Emissionen. Zum Vergleich: Allein die Stahlindustrie verursacht 8 % der weltweiten Emissionen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Bäume zwar gut sind, aber wir können uns nicht drauf verlassen, wir müssen die fossilen Brennstoffe im Boden lassen.

Wie lässt sich aber EPICs finanzieren?

EPICs können auf die zentrale Herausforderung der Umstellung der weltweiten Stromversorgung auf Wind- und Solarenergie angewendet werden, argumentieren die Autoren.

Der entscheidende Punkt ist, dass wir keine Wahl haben, wir müssen EPICs nutzen. Sie können durch Geld- und Fiskal-Politik umgesetzt werden. Im Falle der Infrastruktur finanzieren sich die EPICs im Wesentlichen selbst. 

Das meiste, was wir tun müssen, um Netto-Null zu erreichen, sind Kapitalausgaben, Investitionen in die Infrastruktur. Die Rendite der meisten dieser Investitionen wird unsere Finanzierungskosten übersteigen, so dass diese Investitionen zur Schaffung von Vermögenswerten führen werden. 

Wir wollen keine bescheidene Veränderung der Nachfrage nach Kohlenstoff-intensiven Aktivitäten, wir wollen, dass die Nachfrage zusammenbricht. Norwegen und China hatten erstaunliche Erfolge bei der Elektrifizierung des Automobilmarktes, indem sie genau dies taten. 

Norwegen hat die 50%-Regel angewandt, nach der Maut- und Parkgebühren für E-Fahrzeuge um 50 % gesenkt werden. Vor allem aber haben sie durch Steuerbefreiungen dafür gesorgt, dass der Listenpreis von Elektroautos unter dem der fossilen Alternative liegt. Es überrascht nicht, dass der Anteil der Elektroautos an den Gesamtverkäufen bis Ende letzten Jahres 90% betrug. 

Die Kraftstoffsteuern im Vereinigten Königreich haben außer der Erhöhung der Steuereinnahmen und der Erzeugung von politischem Widerstand wenig gebracht. Eine relative Preisstrategie in Norwegen und einigen chinesischen Städten hat den Markt verändert.

Gegenwärtig herrscht in der Weltwirtschaft chronischer Investitionsmangel. Durch mehr Investitionen können wir einen enormen Wert für die Gesellschaft schaffen.

Wer den Klimawandel stoppen will, muss weltweit Preiserhöhungen für fossile Energieträger durchsetzen. Eine globale Energiewende kann es nur geben, wenn global weniger Öl und Gas gefördert werden. Es geht nicht darum, dass jeder Einzelne seinen Lebensstil komplett umstellen muss. Es bedeutet nicht das Ende des Kapitalismus.

Ein erfrischendes Buch, mit profunden Analysen geschmückt und in einer allgemein verständlichen, freimütigen Sprache in Gesprächsform (Frage-Antwort) nüchtern verfasst, unbedingt lesenswert für alle, die den Klima-Wandel ernst nehmen.

Eric Lonergan and Corinne Sawers: Supercharge Me – Net Zero Faster, agenda publishing, Febr 2022, Newcastle upon Tyne.




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