Mittwoch, 4. Juli 2018

Das Euro-Desaster


Buchbesprechung

Jörg Bibow & Heiner Flassbeck: Das Euro-Desaster – Wie deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt, Westend Verlag, März 2018


Es ist ein offenes Geheimnis, dass Europas Wirtschaftspolitik gescheitert ist. Die Indizien sind im Wesentlichen (1) die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit und (2) das verfehlte bzw. unterbotene Inflationsziel.

Während die Arbeitslosenquote zehn Jahre nach der GFC (Global Financial Crisis) im Euroraum 8,5% beträgt, verläuft sie in den USA mittlerweile unter 4%. Die europäische Wachstumsdynamik (8 Jahre Nullwachstum) ist so schwach, dass die Unterbeschäftigung heute noch auf 18% verharrt.

Zur Erinnerung: Die EZB unterbietet den eigenen Zielwert (von knapp 2%) inzwischen seit 5 Jahren.

Der Policy Mix, mit dem die EU-Behörden darauf reagieren, besteht hauptsächlich aus zwei Komponenten: A) fiskalische Austeritätspolitik und B) Lohnsenkung. 

Das erste Instrument zielt auf das interne Gleichgewicht, d.h. Haushaltskonsolidierung und Preisstabilität, ab.

Das zweite Instrument hat das externe Gleichgewicht im Visier, v.a. die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig wird eine nachhaltige Position in der Leistungsbilanz angestrebt. 


Da die Mitgliedstaaten in einer Währungsunion nicht über eine eigene Landeswährung verfügen, ist die anvisierte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit nur über eine „interne Abwertung“ möglich, d.h. wiederum „flexible Löhne“, gestützt durch Strukturreformen (d.h. erleichterte Arbeitnehmerentlassungen und Senkung von Sozialleistungen). 

Die Annahme, von der die Verfechter dieser Art von wirtschaftspolitischen Massnahmen ausgehen, ist, dass Lohnsenkungen zu einem raschen Anstieg der Beschäftigung führen. Dass das ein Trugschluss ist, belegt die praktische Erfahrung in den vergangenen 10 Jahren in Europa.

Hinzu kommt, dass gewisse Widrigkeiten, wenn die Anpassung in einem deflationären Wirtschaftsumfeld stattfindet, in Bezug auf die Konjunktur und Beschäftigung unvermeidbar sind.

Die Tatsache, dass die EZB nolens volens eine QE-Politik aufgelegt hat, ist zudem ein weiterer Hinweis darauf, dass die Preise und Löhne kaum steigen und eine deflationäre Tendenz im Euroraum vorherrscht. Die EZB will bekanntlich mit der mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik Inflation und Inflationserwartungen erhöhen. Es ist jedoch naheliegend, festzuhalten, wie grotesk die gesamte Konzeption ist: Löhne senken und dann erwarten, dass die Inflation steigt. 

Jörg Bibow und Heiner Flassbeck beleuchten in diesem lesenswerten Buch den Verlauf der europäischen Politikmischung (fiscal austerity & wage cuts) und beschreiben theoretisch und veranschaulichen empirisch, wie sie für die Tiefe und die Dauer des wirtschaftlichen Einbruchs in Europa verantwortlich ist.

Das Fazit lautet, dass es Zeit ist, Mythen zur „expansiven Sparpolitik“ und „beschäftigungsfreundlichen Lohnsenkungspolitik“ ad acta zu legen.

Denn Europa hat sich in der Sackgasse der neoliberalen Wirtschaftskonzeption verrannt. Selbst in Deutschland sind die öffentlichen Nettoinvestitionen seit rund 10 Jahren negativ. 

Die Verfechter der neoliberalen Agenda (Zurückdrängen des Staates) beschweren sich gern über die vermeintliche „Enteignung der deutschen Sparer“ durch die Niedrigzinspolitik der EZB. 

Was sie aber übersehen ist, dass Deutschland notorisch unter seinen Verhältnissen lebt und zukünftige Generationen durch „gesparte“ (d.h. unterlassene) Investitionen ihres Wohlstandes beraubt.

Die Autoren betonen, dass der Anpassungsprozess symmetrisch stattfinden muss. Bisher wurden die Defizitländer zu einer kombinierten Spar- und Lohnkürzungspolitik verdonnert. 

Die Überschussländer wurden aber verschont. Auch sie müssen interne Anpassungen zulassen, d.h. Lohn- und Preisinflation, die deutlich über 2% liegt. Und die EZB muss sich neben Preisstabilität genau wie die US-Notenbank auch Vollbeschäftigung gleichberechtigt auf die Fahne schreiben.

Es gelingt den Autoren, die ideologisch geprägte Wirtschaftspolitik Europas, die inzwischen mit verheerenden sozialen Konsequenzen kläglich versagt hat, logisch zu entlarven. Bibow und Flassbeck unterbreiten darüber hinaus vernünftige Lösungsvorschläge.

Dies ist ein tiefgründiges und wichtiges Buch, das den Weg bereitet, wie das Überleben des Euro sichergestellt werden kann. Sonst bleibt der nicht-reformierte Euro eine tickende Zeitbombe. Die Charts sind sehenswert und eine echte Bereicherung zum Buch. Schade, dass es kein Stichwortverzeichnis gibt. Ein hervorstechendes Buch (im makroökonomischen Sinne), dem eine breite Leserschaft zu wünschen ist.



Jörg Bibow und Heiner Flassbeck: "Das Euro-Desaster", Westend Verlag 2018

Keine Kommentare: