Samstag, 31. Oktober 2015

Inflationsziel und fatale Arroganz

Die folgende Abbildung (h/t to Mark Dittli), die Finanz und Wirtschaft am Freitag geliefert hat, regt an, darüber nachzudenken, was passiert, wenn die eine wichtige Regel in einer Währungsunion nicht eingehalten wird.

Worum geht es?

Eine Währungsunion wie die EMU bedeutet in erster Linie, dass die Mitgliedstaaten sich einigen, ein gemeinsam festgelegtes Inflationsziel (inflation targeting) zu verfolgen, weil sie im Vorfeld auf die Ausgestaltung einer autonomen Geldpolitik verzichten. Die Geldpolitik wird von der EZB gemacht, und zwar für alle Mitgliedstaaten.

Alle Mitglieder der EMU müssen sich daher daran halten, dass die Inflationsrate im eigenen Land rund 2% beträgt. Das ist genau der Zielwert, der von der EZB angestrebt wird.

Was in der Abbildung ins Auge sticht, ist, dass Frankreich das einzige Land in der EMU ist, das den Zielwert in den vergangenen Jahren eingehalten hat:

2% Inflation pro Jahr macht in 14 Jahren rund 32%. Frankreichs Lohnstückkosten sind um genau 32% in rund 15 Jahren gestiegen. In Deutschland hingegen sind die Lohnstückkosten im selben Zeitraum um 15% gestiegen. Das heisst, dass Deutschland den Zielwert um rund 50% unterboten hat.



Verlauf der Lohnstückkosten (ULC: unit labor cost), in der EMU, Graph: Finanz und Wirtschaft via Societé Générale

Freitag, 30. Oktober 2015

SNB zwischen Hammer und Amboss

Die Devisenreserven der SNB sind von 540 Mrd. CHF im August auf 541,5 Mrd. CHF im September gestiegen.

In einem Zwischenbericht hat die SNB heute dazu mitgeteilt, dass die Schweizerische Nationalbank für die ersten drei Quartale 2015 einen Verlust von 33,9 Mrd. CHF gebucht hat.

Der Verlust auf den Fremdwährungspositionen betrug laut SNB 31,3 Mrd. CHF. Das Ergebnis ist überwiegend von der Entwicklung der Gold-, Devisen- und Kapitalmärkte abhängig.

Der Gewinn auf den CHF-Positionen belief sich hingegen insgesamt auf 931 Mio. CHF, davon 843 Mio. CHF aus den seit dem 22. Januar 2015 erhobenen Negativzinsen auf Giroguthaben.

Was die Anlagestruktur betrifft, ist der Anteil der Aktien in Anlagekategorien per Ende 3. Quartal 2015 auf 18% gestiegen, von 17% per Ende 2. Quartal 2015.

71% der Devisenreserven werden in Staatsanleihen investiert. Andere Anleihen (Staatsanleihen in Fremdwährung, Pfandbriefe, Anleihen von ausländischen Gebietskörperschaften, Unternehmensanleihen usw.) machen 11% der Devisenreserven aus.



CHF/EUR, CHF bleibt überbewertet, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Hunger Games an der Nullzinsgrenze

Nach der Bekanntgabe des Zinsentscheides der Fed am Mittwoch hat sich die vom Markt implizierte Wahrscheinlichkeit für eine Zinserhöhung im Dezember von 34% auf 48% hochgeschnellt.

Die Fed hat nicht nur die Fed Funds Rate unverändert belassen, sondern auch den Passus, dass “die jüngsten globalen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen die Wirtschaftsaktivität dämpfen könnten” aus dem Statement gestrichen.

Interessant wird es daher vor diesem Hintergrund, zu beobachten, wie die Fed die demnächst bevorstehenden Daten in Bezug auf das BIP 3. Quartal, ECI (Employment Cost Index) 3. Quartal und PCE Index beurteilt.

Denn die Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses scheinen zunehmend die Nullzinsgrenze (zero lower bound) endlich loswerden zu wollen und die Straffung des geldpolitischen Kurses (tighthening bias) beizubehalten.



Die vom Markt implizierte Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung im Dezember 2015, Graph: Morgan Stanley

Ist QE-Politik für schwache Investitionen verantwortlich?

Michael Spence and Kevin Warsh greifen in einem Artikel (“The Fed has hurt business investment”) im WSJ Ben Bernanke scharf an und behaupten, dass die QE-Politik des ehemaligen Fed-Präsidenten Unternehmensinvestitionen stark beeinträchtigt hat.

Die Offenmarktgeschäfte der US-Notenbank haben die Ausgaben angekurbelt, was nicht anderes bedeutet als eine höhere Kapazitätsauslastung. Und niedrige Zinsen stellen ohne Zweifel vorteilhafte Finanzierungskosten dar, antwortet Brad DeLong in einem Antwortschreiben in seinem Blog darauf völlig betroffen.

Was soll daran Unternehmensinvestitionen zurückhalten, so der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.

Es ist seiner Meinung nach die Schwäche in Investitionen im Wohnungsbau, die 100% für die Schwäche in gesamten Investitionen verantwortlich ist. Hat die QE-Politik die Investitionen im Wohnungsbau verringert? Nein.

Während die Exporte gestiegen sind, bleiben die Staatsausgaben und Investitionen im Wohnungsbau gedämpft. Man braucht vor diesem Hintergrund nicht überrascht zu sein, dass die gesamten Investitionen irgendwie normal ablaufen.



Vier Bestimmungsfaktoren der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, Graph: Brad DeLong

Mittwoch, 28. Oktober 2015

Austerität versus Niedrigzinsen

Italien hat am Dienstag zum ersten Mal ein Staatspapier mit zwei Jahren Laufzeit zu einer negativen Rendite verkauft. Während das Anleihevolumen sich auf 1,75 Mrd EUR belief, ergab sich eine Rendite von minus 0,023%.

Damit gehört Italien zu einer “auserwählten” Gruppe von Ländern, wie z.B. Deutschland, Frankreich und die Schweiz, die seit geraumer Zeit Staatsanleihen mit Negativ-Rendite versteigern.

Die negative Rendite für festverzinsliche Papiere der öffentlichen Hand bedeutet, dass die Investoren dem italienischen Staat (mit debt-to-GDP ratio von 136% per 2014) Geld zur Aufbewahrung leihen und dafür etwas zahlen.

Das ist ein Anlass, die Austeritäts-Rhetorik der europäischen Entscheidungsträger in Erinnerung zu rufen:

Die Politiker verwiesen seit dem Ausbruch der Krise, der Defizitpanik verfallend, auf die Verschuldung der Länder an der Peripherie der Eurozone, um die harschen Sparmassnahmen zu rechtfertigen.

Wir müssen die Gürtel enger schnallen, um das Vertrauen der Märkte zu gewinnen, weil die Zinsen sonst massiv steigen und die Inflation durch die Decke schiessen würde, so oder ähnlich lautete die von der neoklassischen Orthodoxie geprägte Hauptaussage der europäischen Protagonisten immer und immer wieder.



Italien Staatspapiere mit zwei Jahren Laufzeit, Graph: Finanz und Wirtschaft

Der natürliche Zinssatz versus US-Notenbank

Die Niedrigzinsen sind eine Folge der realwirtschaftlichen Situation. Die Fed legt zwar die kurzfristigen Zinsen fest. Aber die Geldpolitik ist der primäre Bestimmungsfaktor der Inflation und Inflationserwartungen.

Worauf es ankommt, ist der Realzins (d.h. der um die Inflation bereinigte Zinssatz). Und die Fed hat einen begrenzten und vorübergehenden Einfluss darauf. Der Realzins ist vom Verlauf der Wirtschaft (den Aussichten des Wachstums) abhängig.

Die Fed steuert die Fed Funds Rate, den Tagesdurchschnittszinssatz für täglich fällige Kredite zwischen den Banken. Und die Fed Funds Rate, der sog. Leitzins ist in den vergangenen Monaten jeweils am Monatsende stark gesunken, wie das WSJ mit der folgenden Abbildung zeigt.

0,05% ist die Untergrenze, die die US-Notenbank in Sachen Fed Funds Rate seit geraumer Zeit aufrechterhalten will, während sie sich anschickt, die Zinsen zum ersten Mal seit 2006 zu erhöhen.




Fed Funds Rate; starke Rückfälle jeweils am Monatsende, Graph: WSJ

Dienstag, 27. Oktober 2015

Defizitpanik, Niedrigzinsen und andere Unannehmlichkeiten

Die schwedische Notenbank, Riksbank hat im Februar 2015 unkonventionelle Massnahmen bekanntgegeben: mengenmässige Lockerung der Geldpolitik (genannt QE policy) und Negativzinsen, um den Abwärtstrend einer Deflation zu verhindern.

Stefan Ingves, Notenbank-Gouvernuer hatte auf der Pressekonferenz die Bereitschaft der Riksbank unterstrichen, die Geldpolitik noch expansiver zu gestalten. Die Bank sehe keine Untergrenze für Zinsen und könne so viel Staatsanleihen am Markt kaufen, wie es angemessen ist.

Im Vorfeld der am Mittwoch stattfindenden Sitzung der Riksbank wird heute in den Märkten eine weitere Zinssenkung um 5 Basispunkte eingepreist.

Die Mitglieder des geldpolitischen Aussschusses der schwedischen Zentralbank zeigen sich jedoch heute nicht mehr bereit, zu handeln, wie sie es im September signaliserten.



Märkte implizieren heute eine weitere Zinssenkung durch die Riksbank am Mittwoch, Graph: Morgan Stanley

Inflationserwartungen und Wahrscheinlichkeit von Deflation

Seit der Veröffentlichung der jüngsten Sitzungsnotizen des geldpolitischen Ausschusses der US-Notenbank sind die 5y5y Breakeven-Sätze weiter gefallen, von 183 Basispunkten auf 169 Basispunkte.

Das deutet darauf hin, dass die Märkte disinflation-Risiken heute höher einschätzen als vor einem Monat.

Auch die von der Michigan Universität gemessenen Inflationserwartungen (5-10y) sind zurückgefallen, und zwar um 10 Basispunkte auf 2,6%, was dem tiefsten Wert von 2,5% seit zwei Jahrzehnten nahekommt. Informativer sind aber eher die Veränderungen in Inflationserwartungen im gegenwärtigen Marktumfeld als die aufgezeichneten Werte.

Der durchschnittliche Wert der von der Uni Michigan gemessenen Inflationserwartungen lag in den vergangenen 20 Jahren auf 2,9%, mit min. 2,5% und max. 3,4%.



Inflationserwartungen, die auf Umfragen unter Konsumenten basieren, Graph: Morgan Stanley

Montag, 26. Oktober 2015

EZB wandert weiter von ZIRP zu NIRP

Mario Draghis Aussagen über eine Ausweitung des EZB-Anleihekaufprogramms sorgen für fallende Renditen. Das Universum der europäischen Staatsanleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, wird grösser.

Die von Draghi angedeutete Senkung des Einlagensatzes reflektiert sich auch am Verlauf der EONIA-Kurve.

Die Märkte preisen vor diesem Hintergrund eine Einlagensatz-Senkung um 5 Basispunkte (bps) im Dezember und um 10 Basispunkte (bps) im April ein, meldet Morgan Stanley in einer am Wochenende vorgelegten Analyse.

Für die EZB wird es nun schwierig, zurückzurudern, zumal die SNB, die Riksbank und die dänische Zentralbank mit dem Einlagensatz tiefer als minus 0,20% im Negativ-Bereich gegangen sind.


Die Märkte erwarten Einlagensatz-Senkung durch die EZB in den kommenden Monaten, Graph: Morgan Stanley

Sonntag, 25. Oktober 2015

Es gibt ein Leben nach der Nullzinsgrenze

Nach der Pressekonferenz von Mario Draghi am Donnerstag im Anschluss der geldpolitischen Sitzung der EZB hat sich das Universum der europäischen Staatsanleihen mit Negativ-Rendite um 190 Mrd. EUR erhöht, meldet Bloomberg.

Der Grund dafür ist die von Draghi angedeutete Ausweitung des Anleihekaufprogramms und eine weitere Senkung des Einlagensatzes; von minus 0,20% auf minus 0,30%.

Die Rendite der zweijährigen Anleihen Italiens und Spaniens sind infolgedessen erstmals ins Minus gerutscht.

Und die deutschen Papiere mit zwei Jahren Laufzeit sind auf minus 0,35% gefallen, was dem niedrigsten Renditeniveau aller Zeiten entspricht.



Staatsanleihen im Wert von insgesamt 1’570 Mrd. EUR haben in Europa eine negative Rendite, Graph: Bloomberg


Trugschluss der Verallgemeinerung auch in der Schweiz

Die Inflation ist negativ. Der BIP-Deflator ist negativ. Die Produktionslücke ist negativ. Und die negative Rendite der CHF Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist gerade in dieser Woche auf ein neues Rekordtief gefallen: minus 0,33%. Doch die Schweiz will sparen.

Die Ausgaben für Bildung & Forschung und die internationale Zusammenarbeit werden gestrichen. Auch die soziale Wohlfahrt ist davon betroffen.

Eine Sparpolitik trifft diejenigen Menschen unten auf der Einkommensleiter deutlich stärker als diejenigen oben, weil sie weniger auf staatliche Leistungen angewiesen sind.

Angesichts der folgenden Abbildung, die financial balance der Schweiz in der jüngsten Vergangenheit im Vergleich zum Verlauf der Notenbankgeldmenge (monetary base) zeigt, drängt sich keine Frage auf Sparsamkeit.




Switzerland’s financial balance versus monetary base, Graph:
ACEMAXX-ANALYTICS, snb.data.ch

Samstag, 24. Oktober 2015

Liquiditätsfalle und Geld stinkt nicht

Die unkonventionelle Geldpolitik zur Überwindung der Liquiditätsfalle erweist sich als mühsam und langwierig:

Die Arbeitslosigkeit ist zwar etwas zurückgekommen, aber sie verharrt immer noch auf einem hohen Niveau. Die Nachfrage ist schwach. Das Wachstum stagniert. Die Produktionslücke ist negativ. Inflation liegt deutlich unterhalb der Zielmarke.

Was ist zu tun, um der Liquiditätsfalle entkommen?

Ökonomen auf beide Seiten des Atlantiks schlagen radikale Massnahmen vor: Die Rede ist z.B. von Helicopter Money und QE for People, um nur die auffälligsten zu nennen.

Was ist aber der Unterschied zwischen einer expansiven Fiskalpolitik, die durch die Kreditaufnahme finanziert wird und dem Drucken von Geld und im Folgeschritt der Verteilung des Gelds an die Menschen.

Es gibt zwei Differenzen, sagt Roger Farmer in seinem Blog:




Rendite der Staatspapiere mit 2 Jahren Laufzeit: USD versus EUR, Graph: Morgan Stanley

Freitag, 23. Oktober 2015

Unkonventionelle Negativzinsen

Im Anschluss an die Pressekonferenz von Mario Draghi, dem EZB-Präsidenten ist die Rendite der Schweizer Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit auf minus 0,33% gesunken, wie die FT aus London mit der folgenden Abbildung meldet: ein neues Rekordtief.

Was ist passiert? Die EZB hat angedeutet, das Anleihe-Kaufprogramm auszuweiten. Obendrauf hat Draghi eine Verschärfung der Negativverzinsung (heute: minus 0,20%) der Guthaben der Banken bei der EZB in Kürze nicht ausgeschlossen.



Rendite der Schweizer Staatsanleihen (CHF) mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FT

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Wer ist für Niedrigzinsen verantwortlich?

Die Gedankeneinheit, dass die Fed die Zinsen seitdem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 künstlich niedrig halte, ist weit verbreitet, v.a. in konservativen Kreisen.

David Beckworth zeigt sich in seinem Blog enttäuscht, dass George Will und Bill Gross die Behauptung teilen, dass die Fed für die niedrigen Zinsen verantwortlich sei.

Der an der Western Kentucky University lehrende Wirtschaftsprofessor bringt dazu sein Bedauern zum Ausdruck, dass seine Kollegen, Will und Gross, die er als “Anhänger des freien Marktes” bezeichnet, nach all den Jahren die eigenen Prämissen nicht wieder in Erwägung ziehen. Ganz im Gegenteil halten die beiden Herren uneinsichtig daran fest. 

Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass die Niedrigzinsen in den vergangenen sieben Jahren viele Probleme verursacht haben, zum Beispiel für die Personen, die von festverzinslichen Papieren leben.

Aber die Fed ist nicht die Quelle der niedrigen Zinsen, sondern einfach ein Follower davon, wo die Marktkräfte die Zinsen hindrücken, argumentiert Beckworth, der selbst ein Verfechter von NGDP Targeting ist und die MMT (Modern Monetary Theory) vertritt.


Der natürliche Zinssatz nach Wicksell, Graph: Paul Krugman in NYTimes

Dienstag, 20. Oktober 2015

Austerität einmaleins

Im amerikanischen Kongress deutet sich erneut ein grosser Streit über das Haushaltsdefizit, die Staatsverschuldung und die Schuldenobergrenze (debt ceiling) an.

Die Republikaner halten jetzt schon Social Security and Medicare in Geiselhaft, um Kürzungen zu zwingen, damit die Schuldengrenze angehoben werden kann.

Vor diesem Hintergrund schreibt Robert Reich in seinem Blog, dass es drei Gründe gibt, warum die Defizit-Falken falsch liegen.
  
(1) Defizit und Verschuldung sind in eigener Sache bedeutungslos: sie müssen im Verhältnis zur Volkswirtschaft betrachtet werden.

Und das Verhältnis ist entscheidend. Solange das jährliche Defizit als Prozent der nationalen Wirtschaft fällt, wie es seit mehreren Jahren der Fall ist, können wir locker zurückzahlen, was wir schulden, bemerkt der an der University of California lehrende Wirtschaftsprofessor.

(2) Amerika muss besonders dann grössere Defizite einfahren, wenn viele Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt sind, wie es heute der Fall ist. Es ist längst nachgewiesen, dass ein Anstieg der Staatsausgaben in einem wirtschaftlichen Abschwung helfen kann, Arbeitsplätze zu schaffen:

Zum Beispiel für Lehrer, Feuerwehrleute, Polizisten, Sozialarbeiter und Menschen, die die Strassen, Brücken und Parks wiederaufbauen. Und die Menschen in diesen Berufen tragen durch Konsum zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.


Austerität einmaleins, Graph: Robert Reich

Deutschlands Wirtschaftsmodell als Fata Morgana?

Der symbolträchtige VW-Skandal für den berühmten Export-Sektor ist keineswegs die grösste Herausforderung der deutschen Wirtschaft, schreibt FT in einem lesenswerten Artikel am Montag.

Exporteure mögen sich zwar als flexibel genug erweisen, den Nachfrage-Schock im Aussenhandel irgendwie anzupacken. Aber die besondere Abhängigkeit der Wirtschaft vom export-orientierten Modell macht Deutschland für längerfristige Underperformance anfällig, so das Narrativ weiter.

Die besagte Flexibilität hat sich aber ausgerechnet im Rahmen eines bestimmten Modells, das auf den Export angewiesen ist, entwickelt, mit dem Ziel, das Wachstum anzukurbeln. 

Das wiederum hängt von der Lohnzurückhaltung ab, um die Wettbewerbsfähigkeit zu pflegen, auch wenn das Ganze auf Kosten von Realeinkommen geht, das heisst zu Lasten der Binnennachfrage, was Behörden bewusst sein muss.

Es ist auf alle Fälle sehr interessant, den gesamten Zusammenhang kurz und bündig in einer seriösen Zeitung mit einem international guten Ruf zu lesen. Zur Erinnerung: Heiner Flassbeck behandelt diese Thematik seit Jahren in seinem Blog vertieft analytisch.




Sectoral financial balances in Germany (1995-2014), Graph: Heiner Flassbeck, Vortrag “Europain der Krise”, Düsseldorf am 1. Oktober 2015

PS: Alle sparen: private Haushalte, Unternehmen und die öffentliche Hand. Nur das Ausland verschuldet sich. Wir sollen die Gürtel weiter enger schnallen. Die anderen sollen über ihre Verhältnisse leben.

Montag, 19. Oktober 2015

Grossbanken wollen kein Cash von Unternehmen

Wer seine Ersparnisse zur Bank bringt, bekommt heute nichts mehr dafür. Kunden werden aufgefordert, Guthabengebühr zu entrichten. Wie das WSJ berichtet, fangen manche Grossbanken in den USA an, Gebühren auf Einlagen zu verlangen.

State Street aus Boston hat begonnen, auf hohe Beträge der institutionellen Anleger auf Giro- oder Tagesgeldkonto negative Zinsen einzuführen.

JP Morgan Chase, die grösste Bank Amerikas, gemessen an Vermögenswerten, hat laut dem Bericht bereits in diesem Jahr durch Erhebung von Gebühren 150 Mrd. USD an Einlagen abgebaut.

Die Entwicklung deutet auf einen tiefen Konflikt über Bargeld hin, schildert das WSJ: Die Unternehmen verfügen über hohe Cash-Bestände. Die Banken suchen nach neuen Wegen im Umfeld von Niedrigzinsen und Regulierung (liquidity coverage ratio) seit der Finanzkrise von 2008.

Banken müssen Reserven von bis zu 40% gegenüber bestimmten Unternehmenseinlagen und so viel wie 100% gegen Einlagen von Hedge Fonds halten.



Einlagen-Wachstum ist grösser als Kredit-Wachstum, Graph: WSJ in: “Big Banks to America’s Firms: We Don’t Want Your Cash

Sonntag, 18. Oktober 2015

Die erfundene Niedriginflation in der Eurozone

Ewald Nowotny hat am Donnerstag gesagt, dass die EZB das Inflationsziel deutlich unterschreite. Richtig.

Die Begründung des Chefs der Österreichishen Nationalbank lautet, dass die ungewöhnlich niedrige Inflation in der Eurozone v.a. auf die günstige Energiepreise zurückzuführen sei. Falsch.

Weil auch die Kerninflation (d.h. Inflation ohne die schwankungsanfälligen Energiepreise) deutlich unter 2% verläuft, dem Zielwert der EZB. Die aktuellen Daten dazu (core inflation) wurden von der Eurostat am Freitag veröffentlicht: 0,5% monatlich und 0,9% annualisiert.

Bemerkenswert ist aber, dass Nowotny selbst vor ein paar Wochen gesagt hatte, dass die Kerninflation auf ein “Gleichgewicht” hindeute. Das ist bei allem Respekt abwegig.

Das Mitglied des EZB-Rats spricht ferner für strukturelle Massnahmen seitens der nationalen Regierungen in der Eurozone, um das Wirtschaftswachstum über eine höhere Nachfrage bei Firmen und Konsumenten anzukurbeln.

Immer die alte Leier: Das ist die Ideologie, die die Probleme auf der Nachfrage-Seite, mit Massnahmen auf der Angebot-Seite lösen will.




Euro Raum Inflation, Graph: Peter Praet, EZB, Oct 8, 2015

Samstag, 17. Oktober 2015

Inflationserwartungen: Inflation Swaps versus Breakevens

Was die Notenbanken mit der QE-Politik anstreben, ist nicht die nominale Rendite der Staatsanleihen, die sie senken wollen, sondern die reale Rendite. Das Ziel ist, Inflationserwartungen steigen zu lassen.

Wie werden Inflationserwartungen gemessen? Die eine Methode ist TIPS Breakeven. Das heisst, dass man den Verlauf der Rendite der inflationsgeschützen Staatsanleihen (der sog. TIPS) beobachtet.

Die Differenz zwischen der nominalen Rendite der amerikanischen Staatsanleihen (UST) und der realen Rendite der Staatsanleihen (TIPS) ergibt die Breakeven-Sätze.

Ein konkretes Beispiel (per Oct 16, 2015):

10y UST Rendite: 2,03%
10y TIPS Rendite: 0,54%
Breakeven = 1,49%

Das heisst, dass die Inflationserwartungen 1,49% betragen, für die Laufzeit von 10 Jahren.

Die markt-basierten Messwerte sind leicht zugänglich, da der Handel mit UST und TIPS täglich stattfindet. Das US-Schatzamt gibt seit 1997 regelmässig TIPS (Treasury Inflation Protected Securities) aus. Mit TIPS haben Investoren die Möglichkeit, sich gegen Inflation zu schützen. 

Das US-Treasury-Amt gilt als “Inflationszahler”, d.h. der Verkäufer von Inflationsschutz. Da die Tilgung und die Kupon-Zahlung an die Inflation (CPI) angepasst werden, ist die Rendite der TIPS real.

Es gibt aber eine zweite Methode, um Inflationserwartungen zu messen: Inflation Swaps.



2y Inflation Swaps, USD versus EUR, Graph: Morgan Stanley

Freitag, 16. Oktober 2015

Immer mehr Länder begegnen Deflation

Janet Yellen hat zwar vor rund vier Wochen das Ende der expansiven Geldpolitik angekündigt. Aber die Investoren am Anleihemarkt stellen die Glaubwürdigkeit der Fed-Chefin irgendwie in Frage. Denn sie gehen davon aus, dass die US-Notenbank die Zinsen unverändert lässt.

Die Erwartungen am Markt deuten darauf hin, dass die Fed das Inflation Target über 30 Jahre nicht erfüllen kann. Das mag zum Teil auf negative Inflation-Risikoprämie zurückgeführt werden. Aber die umfrage-basierten Inflationserwartungen legen nahe, dass auch am kurzen Ende der Ertragskurve ein Rückgang zu verzeichnen ist.

Auch Lael Brainard, die neue Fed-Goveurneurin will, dass die Fed noch zuwartet, bevor sie den ersten Zinsschritt unternimmt.

Die Future-Märkte schätzen derzeit die Wahrscheinlichkeit für eine Zinserhöhung im Dezember auf 30% ein.


Breakeven Term Structure versus Fed’s Inflation Target, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Kein Momentum für Straffung

Lael Brainard hat neulich ein eindrucksvolles Referat gehalten. Tim Duy ist in seinem Blog analytisch darauf eingegangen.

Die Rede von Brainard, dem neuen Mitglied des US Federal Reserve Board of Governors war eine direkte Herausforderung an Janet Yellen und Stanley Fischer, bemerkt Duy.

Es ist nicht meine Absicht, irgendwelche “kalenderbasierte” Aussagen zu machen, sagte Brainard. Und sie steht damit im Gegensatz zu Yellen und Fischer, die ja seit ein paar Monaten “kalenderbasierte Guidance” hervorheben.

Trotz der beträchtlichen Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt, sagt Brainard, dass die Fortschritte, was den zweiten Teil des Doppelmandats der Fed betrifft, noch schwer zu erfassen sind. Eine Vielzahl von ökonometrischen Schätzungen legen nahe, dass der Einfluss der klassischen Phillips-Kurve auf die Ressourcennutzung und die Inflation derzeit im besten Fall sehr schwach ist.

Yellen hingegen sagte neulich, dass die Phillips-Kurve die Grundlage für ihre Argumentation bilde, warum sie die Ansicht vertrete, dass die Zinsen in Kürze erhöht werden müssen.

Brainard denkt, dass die anhaltende Stärke des Wachstums der Inlandsnachfrage nicht für verständlich gehalten werden kann. Die globalen Einflüsse lasten auf dem Exportgeschäft und der Inflation in den USA. Und die Risiken, die aus dem Ausland stammen, sind nach unten gerichtet, so die neue Fed-Gouverneurin.

Die Wirtschaft kommt zwar voran, in Richtung Vollbeschäftigung, aber das träge Lohnwachstum deute darauf hin, dass es noch viel Spielraum gibt: Die Inflation bleibt nämlich unter dem Zielwert. Der reale Gleichgewichtszinssatz dürfte daher noch einige Zeit niedrig verbleiben, so Brainard weiter.

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Finanzierungslücke und Target II

Die deutschen Banken fahren die Kreditvergabe in der Peripherie der Eurozone zurück. Die sog. “Finanzierungslücke” (funding gap) der Banken aus Deutschland ist weiter geschrumpft: von einem Höchstwert von 520 Mrd. EUR im Jahr 2009 auf ca. 200 Mrd. EUR im August 2015.

Folglich geraten manche Banken in den betroffenen Ländern und Regionen immer stärker in Schwierigkeiten, und deshalb darauf angewiesen werden, sich von der  EZB finanzieren zu lassen.

Die Analysten von Morgan Stanley sprechen in diesem Zusammenhang von der “Balkanisierung” der europäischen Bankenmärkte.




Finanzierungslücke der deutschen Banken im Euro-Raum, Graph: Morgan Stanley

Primitivierung der Haushaltskonsolidierung

Es ist offensichtlich, dass die Austeritätspolitik eine besondere Eigenschaft der anhaltenden Rezession ist.

Da nach dem Lehrbuch träges Wirtschaftswachstum und Fiscal Austerity in Zusammenhang stehen, hält sich jede halbwegs vernünftige Regierung i.d.R. davor zurück, in einer schweren Rezession die Staatsausgaben zu kürzen oder die Steuern zu erhöhen.

Neulich hat sich der Chefökonom des deutschen Finanzministeriums in einem wunderlichen Meinungsartikel (“What the bankers can teach stimulus-addicted economists”) in FT über zu viel Stimulus im Euro-Raum beschwert. Seiner Ansicht nach sollen stattdessen Schulden abgebaut werden.

Das heisst, dass die rigorose Haushaltskonsolidierung in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft wider besseres Wissen fortgesetzt werden soll. Was Ludger Schuknecht m.a.W. will, ist, dass alle anderen EU-Länder genau wie Deutschland einen immensen Handelsbilanzüberschuss vorlegen sollen.

Das ist natürlich aus makroökonomischen Gründen absurd und aus praktischen Gründen unmöglich. Paul Krugman hat dazu neulich kritisch Stellung genommen.

Nun meldet sich auch Simon Wren-Lewis in seinem Blog zu Wort: Die Amtsleute in Deutschland sollen nicht auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaft hinweisen, um ihre eigene anti-keynesianische Ansicht zu rechtfertigen.


Euro Area Inflation, Graph: Peter Praet, ECB, Oct 8, 2015

Dienstag, 13. Oktober 2015

Die Welt dreht sich um die Zinsen

Die nominalen Zinsen liegen nahe null (zero lower bound). Wenn eine Zentralbank mit Zinssenkung die Wirtschaft ankurbeln wollte, könnte sie es nicht. Wenn sie aber die Zinsen erhöhen will, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern, kann sie es.

Wenn die Fed im nächsten Jahr die Zinsen erhöhen und dann ein Jahr später denken würde, dass sie einen Fehler gemacht hat, könnte sie den Fehler durch die Senkung der Zinsen auf null wieder korrigieren. Aber sie könnte den Schaden durch weitere Zinssenkung nicht aufheben, um die unnötige (durch die Zinsanhebung verursachte) Kontraktion der Wirtschaft auszugleichen, bemerkt Brad DeLong in seinem Blog.

Die Fed soll also die Zinsen an der Nullzins-Grenze nicht erhöhen. Die richtige geldpolitische Massnahme wäre, mit der “Zinserhöhung hinter der Kurve zu bleiben” (*), hält der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor fest.

Was ist zu tun? Es gibt Ökonomen (pro), die seit langer Zeit eine sofortige Zinserhöhung befürworten, während es Ökonomen (contra) gibt, die eine Zinserhöhung derzeit für verfrüht halten.

Das contra-Argument deutet auf die Produktionslücke, das deflationäre Risiko und die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt hin.

Das pro-Argument, wie es von Roger Farmer am Wochenende in seinem Blog formuliert wurde, lautet, dass die Zinserhöhung notwendig ist, um einen Anstieg der Inflation herbeizuführen.

Der an der UCLA lehrende Wirtschaftsprofessor begründet seinen Standpunkt so, dass es zu einem Kursabsturz an den Aktienmärkten käme und die reale Wirtschaft sich verschlechtern würde, wenn die Zentralbank, die die Zinsen erhöht, gleichzeitig nicht Vertrauen schaffen würde.

Die Zentralbank braucht daher ein zweites Instrument: QE fürs Volk (Peoples QE).

Montag, 12. Oktober 2015

Fiskalunion ist kein Patentrezept für die Eurozone

Olivier Blanchard sagt, dass radikale Visionen für eine ausgewachsene “Fiskalunion” grundlegende Spannungen im Herzen des Euro nicht lösen können.

Der im September nach sieben Jahren im Amt als Chefökonom des IWF zurückgetretene Wirtschaftsprofessor bringt es in einem Gespräch mit The Telegraph aus Grossbritannien deutlich zum Ausdruck, dass Fiskalunion kein Heilmittel ist.

Es wäre ein Fehlschluss, zu erwarten, dass nach Abschluss von Fiskalunion in Europa alles für immer in Ordnung wäre. 

Ohne die Möglichkeit, ihre Währungen abzuwerten, wären die Länder an der EU-Peripherie immer gezwungen, eine harsche Anpassung über sich ergehen zu lassen, wie z.B. über Lohnkürzungen, erklärt Blanchard weiter.




BIP US versus Eurozone, Graph: The Telegraph

Sonntag, 11. Oktober 2015

The Future of the Euro

Buchbesprechung:

Matthias Matthijs and Mark Blyth: The Future of the Euro, Oxford University Press, Oxford, New York, Sept 2015.

Matthias Matthijs and Mark Blyth wollen wissen, was die Euro-Krise verursacht hat. Zweites wollen sie feststellen, wie die institutionelle Ausgestaltung, die auf dem Euro laste, auf lange Sicht korrigert werden kann. Und sie wollen drittens die Zukunft der Gemeinschaftswährung auskundschaften.

Die beiden Volkswirtschaftler verwenden dazu einen Ansatz a lá Project Management: “divide et impera”. In der ersten Phase (denken), wo sie die Initiierung (Vorprojekt) und Planung (Konzept) übernehmen, stellen sie offene Fragen: wie, was, wo, wann, wer usw? Als Antwort liefern sie Erklärungen, Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen. 

In der zweiten Phase (handeln) überlassen sie die Realisierung (Durchführung) acht Europa-Experten (“work packages”), wo sie geschlossene Fragen stellen, um dann den gesamten Prozess selbst abzuschliessen.

Der rote Faden des Buches ist das unvollständige institutionelle Rahmenwerk der EMU. Das heisst, dass im Mittelpunkt der Analyse die institutionelle Ausgestaltung der Eurozone steht, die unzulänglich bzw. mangelhaft ist.

Was immer wieder betont wird, ist, dass die grösste Herausforderung der Eurozone nicht daran liegt, dass sie suboptimal ist, sondern daran, dass das institutionelle Gerüst ein besonders politisches Problem darstellt:

Die Euro-Architektur ist für alle Widrigkeiten und Verzerrungen in der Eurozone verantwortlich, nicht die einzelnen Mitglieder, so der Grundtenor des Buches im Grossen und Ganzen.

Das schnelle Geld in US-Wahlkampagne

Das Geld kommt aus der Energie- und Finanzbranche, die die amerikanischen Wahlkampfausgaben früh in Kampagnen dominiert. Und es fliesst meistens zu den Republikanern.

Das meldet NYTimes in einem lesenswerten Bericht am Samstag:

Sie sind überwiegend weiss, reich, alt und männlich, in einem Land, das von den Frauen, schwarzen und braunen Wählern erneuert wird. Und sie wohnen in exklusivsten Vierteln in einigen handvoll Städten und Gemeinden. 

In einer Wirtschaft, die in einer Vielzahl von Branchen Milliardäre hervorbringt, stammt das Vermögen dazu aus nur zwei Branchen: Finanz und Energie.

Nun stellen sie ihren grossen Reichtum in der politischen Arena zur Verfügung und bieten fast die Hälfte aller Startkapital, um demokratische und republikanische Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen, schildert NYTimes weiter.

Es waren nur 158 Familien und die von ihnen kontrollierten Unternehmen, die in der ersten Phase der Wahlkampagne 176 Mio. USD dazu beigetragen haben.



158 Familien finanzieren die Hälfte der frühen Wahlkampagne in den USA, Graph: NYTimes in Buying Power