Mittwoch, 28. November 2018

Italien und der „Schneeball“-Effekt


Die deutsche Wirtschaft boomt

Das ist eine Schlagzeile, die in den Mainstream-Medien allzu oft auftaucht, unabhängig davon, wie die Konjunktur gerade läuft und ob sie den tatsächlichen Daten entspricht oder nicht.

In Berichterstattungen für Südeuropa hingegen, wie z.B. zuletzt für Italien gehört die Warnung vor der (steten) Gefahr eines Staatsbankrotts zum allgemeinen Vokabular.

Ein Blick auf die Performance der Aktienmärkte lässt etwas aufhorchen:

In der angeblich auf Hochtouren laufenden Wirtschaft (Deutschland) ist die Wertentwicklung der Aktien (year to date: seit Jahresbeginn) mit Minus 12% genau gleich wie in einer angeblich vor der Staatspleite stehenden Wirtschaft Italiens (Minus 12%). 

Es ist natürlich fragwürdig, wem mit einem Staatsbankrott zu helfen ist? Der grösste Teil der italienischen Staatsanleihen wird von italienischen Banken gehalten. Die Banken sind ja bekanntlich in einer anhaltend stagnierenden Wirtschaft bereits angeschlagen, um es milde auszudrücken. 

Ausserdem, welche Probleme der Eurokrise können mit Staatsbankrott überhaupt gelöst werden?


Der Verlauf der Aktienmärkte im Vergleich (seit Jahresbeginn): DAX (-12%) versus FTSE MIB Italy (-12%), Graph: Bloomberg TV, Nov 27, 2018 

Samstag, 24. November 2018

Makroökonomische Krisen und politische Entscheidungsträger


Der Streit um Italiens Haushalt sollte zu bedenken geben, und zwar in Sachen überliefertes Wissen der Makroökonomie. 

Gemeint ist eine Art „Mechanismus zur Wissensübertragung“ zwischen Akademikern und politischen Entscheidungsträgern.

Warum hat z.B. die EZB im Jahr 2010 die EU-Mitgliedsstaaten zu restriktiven fiskalpolitischen Massnahmen ermutigt, obwohl ihr Wirtschaftsmodell nahelegt, dass sie (d.h. fiscal austerity) zur Schrumpfung der Produktion (output) führen und einen weiteren Rückgang der Inflation verursachen würde, obwohl sie zu dem Zeitpunkt selbst Mühe hatte, das eigene Inflationsziel zu treffen, was im Grunde genommen heute noch der Fall ist. 

Denn die EZB unterbietet die Zielinflationsrate im Euroraum noch immer.

Warum hat die EZB einfach nicht gesagt, dass die Geldpolitik an Wirksamkeit verliert, wenn die Wirtschaft in eine Liquiditätsfalle gerät und die nominalen Zinsen auf der Nulllinie liegen (zero lower bound) und sie deshalb die Unterstützung durch die Fiskalpolitik benötigt, um die Wirtschaft auf den Vordermann zu bringen.

Es geht wahrscheinlich um Interessen und Ideen in der politischen Ökonomie. Simon Wren-Lewis stellt dazu in seinem neuen Buch zwei Überlegungen an.

Warum ziehen die Eliten Fiscal Austerity vor? Und wie werden solche Interessen durch die Zentralbanken vermittelt?



10y Die Rendite-Differenz ("lo spread") ITA (3,40%) - GER (0,34%), Graph: Bloomberg, Nov 23, 2018 

Freitag, 23. November 2018

Brexit, Makroökonomie und Einwanderung


Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Einwanderung beim Brexit-Referendum eine wichtige Rolle gespielt hat. Vielleicht war sie der Hauptfaktor, wie Jonathan Portes in seinem Beitrag („Immigration – the way forward“) im von VoxEU veröffentlichten eBook („Brexit Beckons“) schreibt. 

Wenn das Votum des Vereinigten Königreichs ein Nein gegen irgend etwas war, war es ein Nein gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU; ein Votum, die Einwanderungspolitik zurückzufahren.

Für die meisten Ökonomen ist das paradox. Denn es besteht ein klarer Konsens darüber, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einwanderung, insbesondere aus der EU, im Vereinigten Königreich (UK) weitgehend positiv waren, unterstreicht Portes mit Nachdruck.

Insbesondere gibt es wenig oder keine Belege für wirtschaftlich bedeutende negative Auswirkungen auf die einheimischen Arbeitskräfte, weder in Bezug auf die Arbeitsplätze noch auf die Löhne, während die öffentlichen Finanzen und damit die öffentlichen Dienstleistungen entlastet wurden.


Grossbritannien: Der Verlauf des Wechselkurses und der Inflation nach dem Brexit-Referendum, Graph: NIESR, June 2017

Dienstag, 20. November 2018

Wird die Wirtschaft allmählich bargeldlos?


Ein interessanter Aspekt im Wirbel um den Aufstieg von „Crypto-Currencies“ ist sicherlich die Rede von der Bedeutung der bargeldlosen Wirtschaft.

Bewegt sich aber die Wirtschaft tatsächlich auf eine bargeldlose Zukunft zu, in dem Sinne, dass die Menschen immer mehr „Plastik“ (Kredit- und Debitkarten) für Transaktionen benutzen?

Die Theorie lässt sich rasch mit einem Blick auf den Bargeldumlauf testen, notiert die Research-Abteilung der St. Louis Fed in einer aktuellen Studie (FRED Blog).

Sollte das Bargeld im Umlauf nicht mehr wachsen, während die Wirtschaft weiter wächst, wäre es ein Indikator dafür, dass andere Formen von Geld wichtiger werden und das Geld irgendwie ersetzen.

Die folgende Abbildung erzählt aber eine andere Geschichte:

Das Bargeld im Umlauf wächst durchweg schneller als die Wirtschaft.


Bargeld im Umlauf, Graph: FRED Blog St. Louis Fed, Nov 2018

Sonntag, 18. November 2018

Europas prozyklische Fiskalpolitik und Italien


Wie die folgende Abbildung zeigt, hat Italiens BIP-Wachstum im dritten Quartal 2018 stagniert: 0,0%Q und 0.8%Y.

Es gibt also gute Gründe, warum die Ausgaben steigen sollten. Doch die EU-Behörden bestehen darauf, dass Rom die Gürtel enger schnallt.

Das ist die Torheit prozyklischer Fiskalpolitik à la EU-Kommission. 

Eine stagnierende Wirtschaft, wo die nominalen Zinsen nahe null liegen, ist nicht der richtige Zeitpunkt, Haushaltskonsolidierung anzusteuern.

Dass die Austerität das Vertrauen erhöhen und das erhöhte Vertrauen die Produktion (output) steigern würde, ist ein Zirkelschluss. Denn das Vertrauen würde dann steigen, falls die Austerität gut für die Wirtschaft wäre, was ja nicht der Fall ist.

Die Wirtschaftslehre sagt voraus, dass fiskalische Austerität das Wachstum für Jahre reduziert. Das durchschnittliche Wachstum nach langer Stagnation ist daher eine Art Selbstanzeige der Austerität, nicht Rechtfertigung dafür, dass sie richtig war. Eine Erholung der Wirtschaft mehrere Jahre nach dem Ende der Rezession ist keine Evidenz, dass die Austerität funktioniert.


Italiens BIP, Graph: Bank Safra Sarasin, Zurich, Nov 16, 2018

Freitag, 16. November 2018

USD-Nachfrage und Basis-Spread


Der US-Dollar ist das Schmiermittel, mit dem das globale Wirtschaftssystem geölt wird, und ein Anstieg der Nachfrage nach dem Greenback kann als Zeichen finanzieller Not betrachtet werden, berichtet Financial Times aus London anhand ein paar sehenswerter Abbildungen.

Eine Möglichkeit, dies zu messen ist, der Basis-Spread (cross-currency basis). Die Basis repräsentiert, vereinfacht ausgedrückt, die zusätzlichen Kosten, die die Banken für den Austausch (swap) einer Währung durch eine andere Währung am Derivatemarkt erheben.

In turbulenten Zeiten kann die cross-currency Basis durch die Decke schiessen, z.B. während der GFC und Eurokrise, wenn Banken und Investoren sich drängeln, US-Dollar aufzubringen, um Verbindlichkeiten auf Dollar-Basis zu finanzieren.

Der Basis-Spread neigt insbesondere gegen Ende des Geschäftsjahres „wackelig“ zu werden, wenn Banken versuchen, die Derivate in den Büchern zu bereinigen, um die Berichtsanforderungen zu erfüllen.

Dies führt i.d.R. zu einer drastischen Erhöhung des Basis-Spreads für viele Devisen-Swaps und veranschaulicht damit nicht unbedingt die wachsende Nervosität an den Finanzmärkten.


USD-EUR cross-currency basis, Graph: FT, Nov 15, 2018 

Dienstag, 13. November 2018

EZB als „lender of last resort“ und Italiens Haushalt


Italien sucht Lösung im Haushaltsstreit mit der EU. 

Um zu verstehen, was der Hintergrund der Auseinandersetzung ist, lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, wie die Eurokrise beendet wurde.

Mario Draghi hatte seine berühmten Worte gesprochen, um die Märkte zu beruhigen: „whatever it takes“. Das war am 26. Juli 2012. Dann hatte die EZB im September beschlossen, OMT (outright monetary transaction) anzusetzen.

OMT war im Wesentlichen eine uneingeschränkte Verpflichtung, die Anleihen bestimmter Länder zu kaufen. 

Das heisst im Klartext, dass die EZB damit ihre Bereitschaft angekündigt hat, als lender of last resort zu agieren.

Keine Regierung, die über eine eigene Zentralbank verfügt, kann von den Märkten gezwungen werden, Zahlungsunfähigkeit (default) zu erklären, weil die Zentralbank intervenieren und die Staatspapiere, die sonst von niemandem gekauft werden, kaufen würde.

Mit der OMT-Vorstellung hat sich die Eurokrise damals erheblich entspannt. 


Italienische Staatsanleihen mit 2 und 5 Jahren Laufzeit, Graph: FT, Nov 12, 2018 

Sonntag, 11. November 2018

Niedrige Realrenditen in der Eurozone und die Ursachen


In den letzten vier Jahren bewegten sich die Renditen der Anleihen der Kern-Eurozone mit einem Durchschnittswert von 0,38% in einer relativ knappen Bandbreite. Und sie liegen derzeit bei 0,45%, berichtet Bank J. Safra Sarasin in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.

Die realen Renditen für Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit haben sich in diesem Zeitraum stark negativ entwickelt. 

Verschiedene geldpolitische Massnahmen wie Negativzinsen, das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten am offenen Markt sowie die explizite Forward Rate Guidance der EZB haben die Anleiherenditen auf ein Niveau gedrückt, welches mit den aktuellen Entwicklungen der Realwirtschaft nicht im Einklang steht, heisst es in der Analyse weiter.

Was in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt, ist die Tatsache, dass die fatale Kombination von interner Abwertung (internal devaluation) und der rigorosen Sparpolitik (fiscal austerity) der Auslöser ist. 

Die EZB hält die Zinsen auf einem historisch tiefen Niveau nicht aus Jux und Dollerei, sondern sie nimmt (endlich mit der Amtsübernahme von Mario Draghi) ihre Rolle als „lender of last resort“ wahr, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln.

Die Nachfrage ist träge, weil das schwache Lohnwachstum direkt die Einkommen der Konsumenten reduziert, und zwar real, wenn die Preise nicht im Gleichschritt sinken.


Die Entwicklung der Zinsen in der Eurozone, gemessen an Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit, Graph: Karsten Junius, Bank Safra Sarasin, Nov 9, 2018

Freitag, 9. November 2018

Sparpolitik und Medien


Viele der wichtigsten Ereignisse der letzten acht Jahre haben einen gemeinsamen Faden, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog.

Gemeint ist die entscheidende Rolle, die die Medien gespielt haben, und zwar was die fiskalische Austerität, die Krise in der Eurozone, die Wahlen in Grossbritannien von 2015, die Abstimmung über Brexit und die Wahl von Trump betrifft.

Der emeritierte Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oxford zählt dazu das Ignorieren von Fachwissen und Fakten, unausgewogene und einseitige Berichterstattungen oder sogar einfache Lügen seitens der Medien.

Keiner der genannten Ereignisse ist nur im Nachhinein ein Fehler, sondern eher ein Fehler, der damals vorhergesagt wurde.

Von wem?

Von der Mehrzahl der Makroökonomen. 

Dass zum Beispiel die fiscal austerity eine schlechte Idee ist, wurde von den Medien weitgehend ignoriert. Wenn die Medien mit Ökonomen sprechen, tun sie es eher mit denen aus dem Finanzsektor.


Simon Wren-Lewis: „The Lies We Were Told“, Graph: Bristol University Press, Nov 8, 2018

Sonntag, 4. November 2018

Defizite und Überschüsse im Haushalt und Parteilichkeit


Die Washington Post hat letzte Woche kritisch auf ein gegenwärtiges Phänomen der US-Wirtschaft hingewiesen: 

Der Anstieg des Haushaltsdefizits trotz der weiter fallenden, historisch niedrigen Arbeitslosenquote.

Die empirische Beobachtung legt offen nahe, dass es tendenziell zu Haushaltsdefiziten kommt, wenn die Wirtschaft nicht gut läuft. Und wenn die Wirtschaft Tritt fasst und gut läuft, entstehen kleinere Defizite oder eher Überschüsse. 

Trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit ist das Defizit jetzt wieder auf dem Vormarsch in den USA. 

Nun nimmt sich auch Paul Krugman in seinem Blog bei NYTimes des Themas an und vertritt die Ansicht, dass dies unverantwortlich sei und zeige, dass das Händeringen der Republikaner über Haushaltsdefizite bislang immer unaufrichtig war.

John Maynard Keynes (*) hat es einst so zum Ausdruck gebracht: „Der Boom, nicht der Einbruch ist der richtige Zeitpunkt für Sparpolitik“.

Das heisst, dass die Fiskalpolitik die Nachfrage unterstützen sollte, wenn die Wirtschaft schwach läuft und sie sollte die Unterstützung zurückziehen, wenn die Wirtschaft auf Touren kommt.


US-Wirtschaft heute: mit hohen Haushaltsdefiziten trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit, Graph: Catherine Rampell @crampell @WashingtonPost 

Freitag, 2. November 2018

Italiens sparende Unternehmen und Haushaltsstreit mit der EU


Der italienische Haushaltsentwurf wurde bekanntlich von der EU-Kommission neulich zurückgewiesen, mit der Begründung, dass die EU-Defizitregel von Rom nicht eingehalten werden.

Italiens Kreditwürdigkeit steht seither auf der Kippe. Die Rating-Agenturen melden sich zu Wort und an den Anleihemärkten steigen die Kosten der Kreditaufnahme. 

Der Anstieg der Risikoaufschläge (spreads) italienischer Staatspapiere verschärft aber die Finanzierungsbedingungen auch für den privaten Sektor, wodurch die ohnehin fragile Lage der italienischen Banken zusätzlich belastet wird. Die Banken halten schliesslich eine Menge Staatsanleihen in ihren Büchern.

Was ferner nicht vergessen werden darf, ist die Tatsache, dass auch die herben Äusserungen der EU-Funktionäre in Bezug auf Rom dazu beitragen, dass der Ausblick für die gesamtwirtschaftliche Stabilität Italiens düsterer wird, wie Ashoka Mody in seiner lesenswerten Kolumne bei Bloomberg hervorhebt. 

Wenn jedoch die italienische Wirtschaft ins Stocken gerät, könnten fiskalische Anreize (fiscal stimulus) der einzige Weg sein, um eine gefährliche Rezession zu vermeiden, die Italien in eine unüberschaubare Krise stürzen könnte, bekräftigt Mody, der derzeit an der Princeton University für internationale Wirtschaftspolitik als Gastprofessor agiert.


Die sektoralen Finanzierungssalden der italienischen Wirtschaft: private Haushalte und Unternehmen sparen; sie sind Netto-Sparer, Graph: Makroskop, August 17, 2018