Freitag, 28. September 2018

Von “Handelskrieg” zu “Handelsumlenkungen”


Auch wenn die von den USA verhängten Zölle bisher nur geringe Auswirkungen zu entfalten scheinen, steht fest, dass die globale Handelslandschaft sich in den letzten Monaten stark verändert hat. Stichwort: Unsicherheit.

Ein latenter Handelskrieg löst Nervosität und Sorgenfalten aus. Der Ankündigung von erhöhten Zöllen durch die Trump-Administration folgen nun Vergeltungsmassnahmen durch die Handelspartner. 

Die ECB untersucht vor diesem Hintergrund die möglichen Auswirkungen einer hypothetischen Eskalation der Handelsspannungen auf die Weltwirtschaft in einer am Mittwoch vorgelegten Studie.

Das Fazit lautet kurz, dass eine Wirtschaft, die einen Tarif verhängt, und damit eine Vergeltung durch Handelspartner verursacht, dann deutlich schlechter steht: der Lebensstandard sinkt und Arbeitsplätze gehen verloren.


Die geschätzten Auswirkungen einer Eskalation der Handelsspannungen -Effekte im ersten Fiskaljahr, Graph: ECB in: ECB Economic Bulletin, Issue 6/2018: “macroeconomic implications of increasing protectionism”, Sept 26, 2018 

Mittwoch, 26. September 2018

Inverse Renditekurve und Rezession in der Theorie


Eine inverse Zinskurve (yield curve) liegt dann vor, wenn die Zinsen für kurze Laufzeiten über den Zinsen für lange Laufzeiten liegen. Zumeist handelt es sich dabei um ein Anzeichen für eine bevorstehende konjunkturelle Schwäche der Wirtschaft, u.U. sogar für eine Rezession.

Das ist zumindest die Interpretation in der Praxis. Wie sieht es aber in der Theorie aus? Was sagt das Lehrbuch dazu?

Es ist bekannt, dass Rezessionen in den USA oft einer Umkehrung der Rendite-Kurve (invers yield curve) vorausgegangen sind. Was die wirtschaftlichen Gründe dafür sind, erläutert David Andolfatto in seinem Blog.

Die meisten Renditekurve-Analysen beziehen sich auf nominale Zinssätze. Die Wirtschaftstheorie betont jedoch die Relevanz von realen (um die Inflation bereinigten) Zinssätzen, schreibt Vize Präsident der Economic Research Abteilung der Fed St. Louis.

Die Unterscheidung spielt für die USA aber in den letzten Jahrzehnten keine grosse Rolle, da die Inflation niedrig und stabil gewesen ist.

Nach der Standard-Asset-Pricing-Theorie misst der Realzins die Rate, mit der der Konsum (ein breites Mass an materiellem Lebensstandard) über einen gegebenen Horizont wachsen soll, so Andolfatto. 


UST 2s10s (real) Rendite-Spread versus (real) Konsumwachstum, Graph: Prof. David Andolfatto, St. Louis Fed, Sept 24, 2018

Sonntag, 23. September 2018

Warum hält die EZB an den niedrigen Zinsen fest?


Ein beachtenswertes Phänomen seit der GFC (Global Financial Crisis) ist, dass die Niedrigzinspolitik der EZB traditionellen Volkswirten immer noch sauer aufstosst.

Warum hält aber EZB-Präsident niedrige Zinsen weiterhin für nötig? Die Antwort ist einfach: weil kein Anstieg der Inflation droht. Wir leben sozusagen weiterhin in deflationären Zeiten. 

Warum steigt aber die Inflation nicht an? Auch hier ist die Antwort einfach: weil die Löhne nicht steigen.

Die Löhne bleiben im gesamten Euroraum unter Druck. Wie kann man von einer boomenden Wirtschaft reden, wenn die Löhne kaum vom Fleck kommen?

Was unbestritten ist, dass es zwischen Lohnstückkosten (unit labor costs) und Inflation einen absolut klaren Zusammenhang gibt.

Die folgende Abbildung, die Morgan Stanley am Freitag vorgelegt hat, ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert. Wir sehen den Verlauf der Lohnstückkosten und Kerninflation im Euroraum.


Kerninflation (core inflation) und Lohnstückkosten (unit labor costs) im Euroraum, Graph: Morgan Stanley, Sept 21, 2018

Freitag, 21. September 2018

Legal Pot Market: Mit Aktien im Höhenrausch


Die Aktien von Cannabis-Produzenten sind seit ein paar Tagen in aller Munde. Es ist schwer, das berauschende Thema zu ignorieren.

Mit der Legalisierung der Hanf-Pflanze in Kanada (für medizinische Zwecke und aber auch für den Freizeitkonsum) öffnen sich offensichtlich neue Türen in der Business-Welt.

Coca-Cola beispielsweise stellt Überlegungen an, in das Geschäft mit Cannabis-haltigen Getränken einzusteigen, wie FT aus London berichtet. 

Der amerikanische Soda-Hersteller spricht angeblich mit dem kanadischen Cannabis-Hersteller „Aurora Cannabis“ über eine mögliche Entwicklung eines Cannabis-Drinks.

Die Aktie der Woche war sicherlich ein Cannabis-Produzent aus Kanada:

Tilray hat mit rekordverdächtigen Kursprüngen eine Marktkapitalisierung von rund 20 Mrd. USD erreicht. Am Mittwoch wurde die Aktie fünf Mal vom Handel ausgesetzt.

Analysten schätzen, dass die Börsenkapitalisierung der Cannabis-Titel 2025 auf 40 Mrd. USD klettern würde. 

Bereits vor zwei Tagen wurde die 40 Mrd. USD Marke von den drei grössten Marijuana Aktien Tilray (TLRY), Canopy (CGC) und Cronos (CRON) geknackt.


Marktkapitalisierung von „Weed Stocks“, Graph: Bloomberg, Sept 20, 2018

Donnerstag, 20. September 2018

Banken und Ausgabenkürzungen

Eine der grössten Veränderungen in der Finanzlandschaft ist die stark eingeschränkte internationale Aktivität, schreibt McKinsey GI in einer speziellen Studie („A decade after the global financial crisis“) zum Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers vor genau 10 Jahren.

Die grenzüberschreitenden Brutto-Kapitalströme sind seit 2007 in absoluten Zahlen um die Hälfte gesunken.

Angeführt wurde der Rückzug aus der internationalen Aktivität durch die Banken im Euroraum, bemerken die Verfasser des Berichtes. 

Die gesamten Auslandforderungen und sonstige Forderungen sind seit 2007 um 6,1 Billionen USD (d.h. 6‘100 Mrd. USD) oder um 38% gesunken.

Fast die Hälfte des Rückgangs ist auf die geringere Kreditaufnahme innerhalb der Eurozone zurückzuführen, insbesondere auf die Interbankenkredite.

So befanden sich 2007 zwei Drittel der Aktiva deutscher Banken ausserhalb Deutschlands; heute sind es nur noch ein Drittel.


Der Rückzug der Banken aus der internationalen Aktivität oder Abbau der Kreditrisiken, Graph: McKinsey GI, Sept 2018 in: „A decade after the global financial crisis“


Dienstag, 18. September 2018

Der neutrale Zinssatz und das Policy Mix in Zukunft


Die Zinsen sind nicht künstlich niedrig: sie fallen, weil die Inflation fällt. Und die Zinsen fallen weiter, wenn mit Inflation auch die Produktivität fällt. 

Die Inflation sinkt, weil die Nachfrage sinkt. Die Nachfrage geht zurück, weil die Löhne nicht steigen. Die Nachfrage hängt schliesslich vom Einkommen ab.

Der Zusammenhang ist plausibel, auch wenn die Mainstream-Ökonomen gefliesentlich den anhaltend niedrig verlaufenden Kurs der Zinsen als „Rätsel“ bezeichnen.

Bemerkenswert ist daher die folgende Abbildung, die JPMorgan neulich präsentiert hat (h/t to @JohnAuthers @FT). Der Chart zeigt die langfristige Entwicklung des sog. neutralen Zinssatzes auf beiden Seiten des Atlantiks.

Der neutrale (oder der natürliche Zinssatz) ist der theoretische reale Zinssatz, bei dem die Inflation weder steigt noch fällt. Unabhängig von der Geldpolitik ist es ein Massstab für die Beurteilung, ob die Geldpolitik expansiv oder restriktiv ist.



Der Verlauf des neutralen Zinssatzes (r-star) in den USA und im Euroraum, Graph: JPMorgan via @JohnAuthers @FT 

Sonntag, 16. September 2018

Wann ist eigentlich Vollbeschäftigung?


Der durchschnittliche Stundenlohn ist in den USA im August gegenüber dem Vorjahr mit 2,9% stärker gestiegen als erwartet. 

Und die Fed fühlt sich angesichts der niedrigen Arbeitslosenquote (3,9%) bestätigt, am eingeschlagenen Kurs festzuhalten, die Zinsen schrittweise weiter anzuheben.

Die Löhne steigen zwar, aber das Tempo der Einkommenszuwächse bleibt im historischen Vergleich gering, zumal negative Faktoren wie z.B. niedrige Erwerbsbeteiligung und weit verbreitete Unterbeschäftigung fortbestehen, wie Pedro da Costa, Business Insider beschreibt.

Die Arbeitslosenquote von rund 4% hinterlässt den Eindruck, wie wenn wir eine Vollbeschäftigung hätten.

Doch das ist falsch, sagt Josh Bivens von Economic Policy Institute (EPI).

Eine Vollbeschäftigung ist dann gegeben, wenn Niedriglohn-Bezieher tatsächlich Gehaltserhöhungen bekommen. Bis das passiert, haben wir keine Vollbeschäftigung. Und wenn das nicht geschieht, sollten wird dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit weiter sinkt, erklärt Bivens weiter.


Das Lohnwachstum in den USA, Graph: Josh Bivens, Economic Policy Institute, Sept 13, 2018

Samstag, 15. September 2018

Unfinished Business


Buchbesprechung:

Tamim Bayoumi: Unfinished Business – The unexplored causes of the financial crisis and the lessons yet to be learned, Yale University Press, October 2017


Es ist nicht einfach, dem Leser zehn Jahre nach der Pleite von Lehman und dem Ausbruch der GFC (Global Financial Crisis) ein weiteres Buch vorzulegen, das verspricht, “unerforschten Ursachen der Krise” darzulegen und die Lehren daraus zu präsentieren.

Eine Unmenge von Büchern ist über die GFC verfasst worden. Manche sind gut und informativ, manche bieten aber nichts Neues. Vor diesem Hintergrund ist es kein leichtes Unterfangen, dieses viel versprechende Buch zu besprechen, zumal der Autor technokratisch an das Thema herangeht.

Die Krise war ein systemischer Misserfolg der Makroökonomie, der eine systemische Erneuerung über strengeren Bankregulierung hinaus erfordert, hält Tamim Bayoumi fest.

Der stellvertretende Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) , der einen Bachelor Abschluss von der University of Cambridge und einen PhD von der Standford University hat, nennt die Krise „North Atlantic crisis“ und betont, dass es eine einzige Krise gab, in der beide Seiten des Nordatlantiks „parasitär miteinander verflochten“ waren. 

Eine massive Ausweitung der Kreditvergabe der Banken im Kern des Euroraums trug seiner Ansicht nach dazu bei, den Finanz-Boom in der Peripherie des Euroraums und auf dem US-Immobilienmarkt anzutreiben.

Donnerstag, 13. September 2018

Fed Funds Futures und Staatsschulden


Die Fed Funds Rate Futures Märkte deuten darauf hin, dass die Fed die Zinsen bis zum Jahresende noch zweimal erhöhen wird. 

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist am Dienstag auf 81,6% gestiegen, von 69,2% am Montag. Am vergangenen Freitag hat sich die Wahrscheinlichkeit auf 61,4% belaufen.

Zur Erinnerung: Die Fed hat im Dezember 2015 angefangen, die Zinsen allmählich anzuheben. Inzwischen wurden es insgesamt sieben Zinsschritte, die die US-Notenbank im fortbestehenden Zyklus getan hat. Das Zielband beläuft sich derzeit auf 1,75% bis 2%.

Am Freitag wurde bekannt, dass die durchschnittlichen Stundenlöhne um 2,9% gestiegen sind, was die höchste Steigerungsrate seit 2009 markiert. 

Inzwischen steigen die Aktienkurse an der Wall Street weiter.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass die Stimmung sich auf die Wahrscheinlichkeit weiter Zinserhöhungen im nächsten Jahr verlagert.

Was heisst das?


Fed Funds Future Märkte: Dezember 2018, Graph: FT Sept 12, 2018 

Sonntag, 9. September 2018

Lob der Nation


Buchbesprechung:

Michael Bröning: Lob der Nation – Warum wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen, Dietz-Verlag, Bonn, Mai 2018


Es gibt viele Lehren, wenn wir über die Krise von 2008 nachdenken, aber das Wichtigste ist, dass die Herausforderung politisch war und bleibt, nicht wirtschaftlich, schrieb Prof. Joseph Stiglitz in einem lesenswerten Beitrag („The Myth of Secular Stagnation“) kürzlich bei Project Syndicate.

Es gibt nichts, was unsere Wirtschaft davon abhält, auf eine Weise zu funktionieren, die Vollbeschäftigung und Wohlstand garantiert, so der an der Columbia University tätig Wirtschaftsprofessor.

Die Argumente „wir müssen sparen“ und „der Staat kann kein Geld ausgeben, das er nicht hat“ sind Trugschlüsse. 

Der Punkt ist, dass der Hinweis (wie von manchen namhaften Ökonomen) auf „säkulare Stagnation“ nur ein Vorwand für eine mangelhafte Wirtschaftspolitik ist.

Im Hintergrund steht die ideologisch geprägte Dichotomie zwischen „Staat und Markt“: Der Markt ist die Lösung. Der Staat ist das Problem“.

Das ist das Motto, das in grossen Volkswirtschaften insbesondere seit der Amtsübernahme von Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Grossbritannien in gewissen Kreisen geflissentlich gepflegt wird.

Die Idee der Rehabilitierung des (National) Staates, die in diesem neulich erschienenen Buch präsentiert wird, ist daher in diesem Zusammenhang zu verstehen. Wichtig: Es geht nicht um eine ethnische Definition des Begriffs der Nation und/oder des Staates.

Dienstag, 4. September 2018

US Ertragskurve: Zinserhöhung versus Zinssenkung


Die Debatte über die Form der US Treasury Bonds Ertragskurve (yield curve) hält an. 

Ist die flacher werdende (*) Steigung der Kurve ein Vorbote der Rezession oder nicht? Daran scheiden sich die Geister sogar unterhalb der Fed-Ökonomen.

Neel Kashkari (Minneapolis Fed Präsident) und James Bullard (St. Louis Fed Präsident) äussern sich besorgt über den schrumpfenden Spread zwischen den kurzläufigen und langläufigen Renditen entlang der UST-Kurve.

Doch Jerome Powell, Fed Präsident schenkt nach eigenen Angaben nicht viel Beachtung auf die Form der Ertragskurve, obwohl er die Rendite der US-Staatspapiere mit 10 Jahren Laufzeit als eine Art „Annäherung“ für den „neutralen Zinssatz“ (neutral rate) betrachtet.

Und das deutet im Grunde genommen auf eine Kontinuität mit seiner Vorgängerin Janet Yellen hin.


US-Zinsen: Die Lücke zwischen den Erwartungen der US-Notenbank und des Markets (gemessen an OIS-Futures) über den weiteren Verlauf der Zinsen öffnet sich weiter, Graph: PictetWM, Sept 3, 2018

Sonntag, 2. September 2018

Reclaiming the State


Buchbesprechung

William Mitchell & Thomas Fazi: Reclaiming the State – A progressive Vision of Sovereignty for a Post-Neoliberal World, Pluto Press, London 2017


Das “Brexit” Votum in Grossbritannien, die Wahl von Donald Trump als US-Präsident, die Verwerfung der Verfassungsreform der von Matteo Renzi geführten italienischen Regierung und die Legitimationskrise der EU mögen sich in Sachen Ideologie und Zielsetzung voneinander unterscheiden. 

Aber es handelt sich bei allen um eine Abfuhr der neoliberal geprägten Ordnung der Welt in den vergangenen 30 Jahren, heisst es in der Einleitung dieses neulich vorgelegten anspruchsvollen Buches.

Die Situation hat sich nach der Finanzkrise von 2008 durch die wirtschaftspolitischen Massnahmen, v.a. durch den rigorosen Sparkurs (fiscal austerity) und Lohnmässigung (wage deflation) sogar weiter verschlechtert. 

Privatisierung, Deregulierung und der Rückbau des sozialen Staates wurden mit noch mehr Energie fortgeführt, schreiben William Mitchell und Thomas Fazi mit Nachdruck weiter.

Vor diesem Hintergrund machen die Autoren reale Einkommensbussen der Mittelschicht als eine der treibenden Kräfte der populistischen Revolte in den fortentwickelten Volkswirtschaften aus.

Warum sind es aber die Rechte und die extreme Rechte, die sich aufbegehren? Warum war die Linke nicht in der Lage, der Arbeiterklasse eine glaubwürdige Alternative zum Neoliberalismus und der neoliberal gestalteten Globalisierung zu bieten?