Montag, 30. September 2013

Fürsprecher der Banken in den Medien

Es gibt legale und illegale Wege, um Geld zu verdienen. Fallen die Gewinne in der letzteren Kategorie an, dann fragt sich, ob man in den Medien tröstlich als „Kapitän der Industrie“ gefeiert werden kann. Mit „man“ ist hier Jamie Dimon, Vorstands- und Verwaltungsratschef von JPMorgan gemeint. Und die "Medien" repräsentieren die Anchors von CNBC.

Felix Salmon verweist in einem lesenswerten Beitrag in seinem Blog auf ein CNBC-Interview, wo die Frage aufgeworfen wird, wie Jamie Dimon noch als CEO und Chairman von JPMorgan Chase agieren kann, während die US-Investmentbank in einem komplexen Spannungsfeld einer Reihe von laufenden Ermittlungen gegenübersteht.

Die CNBC-Anchors vertreten die Ansicht, als ob Profite alle Sünden reinigen würden, unabhängig davon, wie man Geld verdient.

Tim Fernholz legt in einem lesenswerten Artikel alle ausstehenden Ermittlungen gegen die JPMorgan dar. Die Libor-Manipulation ist auf dem Platz 5 auf der Liste. Auf der oberen Seite der Liste stehen weitere vier Untersuchungen, die bereits abgeschlossen sind. Es geht um Summen wie 4 Mrd., 11 Mrd. und 20 Mrd. USD.

Bemerkenswert ist im Vergleich, dass Bob Diamond, der Vorstandschef von Barclays nach Libor-Manipulation im Juni 2012 seinen Rücktritt erklärt hatte. Die zweitgrösste Bank Grossbritanniens war im Zusammenhang mit dem Skandal um manipulierte Interbank-Zinssätze von den britischen und US-Aufsichtsbehörden mit einer rekord-hohen Strafe von 290 Mio. Pfund belegt worden.

„Shut Down“ in Amerika und dann?

Der Haushaltsstreit in den USA spitzt sich zu. Wenn heute kein neues Gesetz verabschiedet wird, muss mit dem sog. "Shut Down" gerechnet werden. Die öffentliche Hand müsste also dicht machen. Es ist unverantwortlich für die GOP, dieses Risiko mit der Wirtschaft einzugehen, bemerkt Mark Thoma dazu in seinem Blog.

Das kann die Art und Weise sein, wie die Welt zu Ende geht, nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wutanfall, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Rebels Without a Clue“) am Montag in NYTimes dazu.

Nun, eine vorübergehende Abschaltung der Regierung würde nicht zum Ende der Welt führen, ergänzt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor im gleichen Atemzug. Aber eine Zahlungsunfähigkeit (default) der öffentlichen Hand, was passieren würde, wenn der Kongress die sog. Schuldenobergrenze (debt ceiling) demnächst nicht anheben würde, dürfte eine finanzielle Katastrophe verursachen. Leider verstehen es viele Republikaner nicht, oder sie kümmern sich nicht darum.

Die Wirtschaft ist heute schwach, mit sinkenden Staatsausgaben als Hauptursache dieser Schwäche. Eine Abschaltung würde die Wirtschaft zusätzlich hart treffen. Dennoch sieht eine Abschaltung der Regierung milde aus, verglichen mit der Möglichkeit, dass der Kongress eine Erhöhung der Schuldenobergrenze ablehnt.

Die Schuldengrenze nicht zu erhöhen würde zwingend ein sofortiger Schnitt für die Ausgaben bedeuten, was Amerika laut Krugman fast sicher in die Rezession zurückschicken würde. Darüber hinaus würde eine Nicht-Erhöhung der Schuldengrenze Zahlungsausfall für die US-Staatsanleihen bedeuten. Und dies hätte erschreckende Folgen.



USA: Staatsausgaben (blaue Kurve)  und Staatseinnahmen (rote Kurve), Graph: Prof. Paul Krugman

Sonntag, 29. September 2013

Blasengeschichte als psychologische Ansteckung

Hauspreise steigen rasch, sodass die Rede davon ist, dass wir in eine andere Blase hineingeraten.

Ist es möglich, dass wir in eine Art Blasen-Mentalität verfallen, einen sich selbst verstärkenden Kreislauf von landläufigen Meinungen, dass die Preise nur höher gehen können, schreibt Robert Shiller dazu in einem lesenswerten Artikel („Housing market is heating up, if not yet bubbling“) am Sonntag in NYTimes.

Menschen, die nun dazu neigen, ein Haus zu kaufen, sind meist offen, daran zu denken, dass wir uns von einer Rezession allmählich erholen und dass es ein guter Zeitpunkt ist, zu kaufen, schildert der an der Yale University lehrende Wirtschaftsprofessor weiter.

Die mentale Umrahmung scheint immer noch die wirtschaftliche Erholung zu erfassen und die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen steigen werden. Menschen scheinen also meist nicht von der Erwartung eines weiteren Immobilienbooms auszugehen.

Samstag, 28. September 2013

Geringere Nachfrage nach dem CHF

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am 19. September mitgeteilt, am Mindestkurs von 1,20 CHF pro EUR unverändert festzuhalten. Die Stimmung an den internationalen Finanzmärkten hat sich zwar etwas entspannt. Aber der Mindestkurs ist laut SNB auch bei Zinsen nahe null notwendig.

Die SNB unterstreicht zudem im am 26. September veröffentlichten „Quartalsheft 3/2013 September“, dass die Untergrenze (floor) für den EUR bei 1,20 CHF bleibt. Der reale exportgewichtete Aussenwert des CHF lag im August auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahresmonat. Damit befindet sich der external value des CHF weiterhin deutlich über dem langfristigen Durchschnitt. Der CHF ist also nach wie vor hoch bewertet.

Es gibt drei Faktoren, die vor diesem Hintergrund eine „moderate Schwäche“ des CHF unterstützen: 

(1) Die Fed hat angekündigt, dass es noch kein „tapering“ (d.h. Drosselung der Käufe von UST und MBS) gibt. 

(2) Die EZB hat die Bereitschaft hervorgehoben, eine dritte Runde von LTRO vorzustellen, da die Überschussliquidität im Markt kontinuierlich abnimmt und die Gefahr besteht, dass der EONIA rasch ansteigt; in Richtung Refi-Satz. Die EZB gerät damit unter Druck, die monetären Rahmenbedingungen weiter zu lockern. Das heisst, dass Mario Draghi einen Anstieg der Refinanzierungskosten unterbinden müsste. 

(3) Die Nachfrage nach als sicher geltenden Anlagen wie USD und CHF geht zurück.




Aussenwert des Schweizer Frankens, Graph: SNB in Quartalsheft 3/2013 September

PCE Indikator meldet negative Inflation

Die Inflationsrate wird auf längere Sicht v.a. durch die Geldpolitik bestimmt, hält die Fed fest. Und daher sieht sich der geldpolitischen Ausschuss der US-Notenbank in der Lage, ein längerfristiges Ziel für die Inflation anzugeben und anzustreben.

Die Fed betrachtet eine Inflation von 2%, gemessen durch die jährliche Veränderung des Preisindexes für PCE (persönliche Konsumausgaben) als den konsequentesten Wert, der mit dem gesetzlichen Auftrag der US-Notenbank im Einklang steht.

Die Vermittlung dieses Inflationsziels über die Öffentlichkeit hilft, die längerfristigen Inflationserwartungen verankert zu halten, wobei die Fed vor diesem Hintergrund zugleich auch eine maximale Beschäftigung fördert.

Für die Geldpolitik ist jedoch nicht der viel zitierte Verbraucherpreis-Index (CPI), sondern die PCE-Inflation entscheidend, wie die Fed selbst hervorhebt. Und die PCE-Inflation verläuft seit geraumer Zeit unter der Marke von 2 Prozent.

Justin Wolfers schreibt vor diesem Hintergrund in einem lesenswerten Artikel („Where is the panic over deflation?“) in Bloomberg, dass der PCE Deflator im zweiten Quartal gesunken ist. Es handelt sich zwar dabei um einen Rückgang von 0,1%. Aber es ist insofern bemerkenswert, als die politischen Entscheidungsträger zur Zeit in der Öffentlichkeit über „tapering“ diskutieren, d.h. wann und wie die Geldpolitik zu straffen ist.

Der an der University of Michigan lehrende Wirtschaftsprofessor will damit nicht sagen, dass eine weit verbreitete Deflation die US-Wirtschaft heimsucht. Aber selbst die Kern PCE, ein besserer Messwert (wo die Preise für Nahrungsmittel- und Energie ausgeklammert werden) ist auf das Jahr hochgerechnet nur um 0,6% gestiegen.



US PCE Inflation, Graph: Prof. Ed Dolan

Freitag, 27. September 2013

Der Wutanfall der besonders reichen Leute

Robert Benmosche, der CEO der AIG hat neulich so eine dumme Aussage gemacht, dass Paul Krugman sich veranlasst sieht, in seiner lesenswerten Kolumne („Plutocrats Feeling Persecuted“) am Freitag in NYTimes darauf ausführlich einzugehen.

Wir sollten darüber froh sein, weil wir dadurch unterstreichen können, wie wichtig es ist, sich über die (selten diskutierten) Kosten der extremen Einkommensungleichheit im Amerika Gedanken zu machen, schreibt Krugman. Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises deutet v.a. auf den Anstieg einer kleinen, aber mächtigen Gruppe, die er als Soziopathen bezeichnet.

Für die jenigen, die sich nicht erinnern: Die AIG ist eine gigantische Versicherungsgesellschaft, die im Hinblick auf die Entstehung der globalen Wirtschaftskrise eine entscheidende Rolle gespielt hat. Vor fünf Jahren haben die US-Behörden, die nach dem Zusammenbruch der AIG eine Destabilisierung des ganzen Finanzsystems befürchtet hatten, ein riesiges Rettungspaket geschnürt. Für eine Zeit war die AIG im Grunde genommen nichts anders ale eine Abteilung der Bundesregierung, die einen grossen Teil der Aktien im Besitz hatte, aber trotzdem hohe Bonuszahlungen billigte, wie Krugman schildert. Es gab verständlicherweise viel öffentliche Aufregung.

Benmosche vergleicht nun im Interview mit dem WSJ die Aufregung über die hohen Bonuszahlungen mit Lynchjustiz im tiefen Süden und erklärt, dass die Bonus-Gegenreaktion genauso schlimm wie falsch gewesen sei.

Im Jahr 2010 gab es einen vergleichbaren Wutausbruch von Stephen Schwarzman, dem Vorsitzenden der Blackstone Group, einer weltweit grössten Private-Equity Firmen.

Das ist wichtig, hebt Krugman hervor: Denn die Reichen reden manchmal wie die Charaktere in „Atlas Shrugged“, wo sie von der Gesellschaft verlangen, dass die Schnorrer sie in Ruhe lassen.

Braucht es unbedingt Leverage und Bubbles, um Vollbeschäftigung zu haben?

Die Nachwirkungen der Finanzkrise 2007/2008 halten noch an. Es ist zwar etwas Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Aber es gibt auch Anzeichen, als ob das Problem der schwachen Nachfrage Notenbanken weiter viel würde zu schaffen machen. Die Frage lautet daher, ob eine lang-anhaltende Flaute droht; so eine, wie viele Ökonomen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befürchtet hatten?

Paul Krugman spricht von einer secular stagnation in seinem Blog. Die Analyse des an der Universität von Princeton lehrenden Wirtschaftsprofessors beginnt mit der grundlegenden Aufgabe der Geldpolitik: Es gilt, dass die Zentralbank in der Lage ist, die Real-Zinsen festzulegen. Das Ziel der Zentralbank ist, die Zinsen so zu bestimmen, dass die Wirtschaft nahe Produktionspotenzial (potential output) bleibt, d.h. auf einem Niveau, wo die Preisstabilität (niedrige Inflation) gewährleistet ist, was in Theorie dem natürlichen Zinssatz (natural interest rate) à la Wichsell entspricht.

Nicht so lange her wurden Notenbanker von Makroökonomen zum guten Job gratuliert. Und die Notenbanker haben sich selbst auf die Schulter geklopft, dass die Inflation verankert bleibe, wie Krugman schildert. In der Tat hat sich auch die reale Wirtschaft von 1985 bis 2007 recht stabil entwickelt.

Dann kam es aber zu Krise. Die Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt ist geplatzt. Und es kam zum Vorschein, was die Stabilität der Preise und der Produktion bisher verdeckt hatte: das Wachstum der Wirtschaft war von einer übermässigen Leverage getrieben. Das heisst, dass eine unhaltbare Hebelwirkung dahinter steckte.

Es war ein Minsky-Moment. Folglich kam es zu einem Ansturm auf Schuldenabbau (deleveraging), was unmittelbar zum Einsturz der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führte. Der natürliche Zinssatz à la Wichsell wurde negativ und die Wirtschaft geriet in eine Liquiditätsfalle. 


Die gewöhnliche Geldpolitik, Graph: Prof. Paul Krugman

Donnerstag, 26. September 2013

Nicht die Unsicherheit, sondern die Austerität zerrt die Wirtschaft zurück

Im Vorjahr stand „fiscal cliff“ (Fiskalklippe) im Mittelpunkt des parteipolitischen Disputs in Washington. Davor ging es um „debt ceiling“. Und heute rückt „debt ceiling“ (Schuldenobergrenze) wieder ins Zentrum des Haushaltsstreits in den USA. Dazu kommt das neue Ausgabengesetz, das verabschiedet werden muss, damit der Bund nicht dicht macht.

Die jährlichen Fiskal-Politik-Dramen nennt Josh Bivens das fiskalpolitische Kräftemessen zwischen der Demokratischen  und der Republikanischen Partei in Amerika. Der Ökonom vom Economic Policy Institute (epi) beschreibt  in einem lesenswerten Artikel („Austerity, not uncertainty“), wie der Streit um die Haushaltspolitik die Erholung der Wirtschaft aus der Great Recession beeinträchtigt.

Viele Menschen nehmen jedoch nicht richtig wahr, wie die jährlichen Dramen um die Fiskalpolitik auf der Wirtschaft lasten. Nicht die Unsicherheit, die aus dem Streit hervorgeht, ist die Ursache des gedämpften Wachstums, sondern der reduzierte Haushalt mitten in einem tiefen Abschwung, wodurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage eingeschränkt und die Kaufkraft der Wirtschaft erschöpft wird. Die Unsicherheit ist nur ein Symptom der trägen Erholung der Konjunktur. Die Ursache sind die übermässigen Kürzungen im Haushalt.

Die Staatsausgaben hinken seit Anfang 2011 deutlich hinter dem historischen Durchschnittswert, wie in der Abbildung zu sehen ist



Die realen Staatsausgaben in den USA, nach Rezessionen und darauf folgenden Erholungsphasen der Wirtschaft, Graph: Josh Bivens, im Blog von Econonic Policy Institute

Nicht die Unsicherheit, sondern die Austerität ist die Ursache für das schwache Wirtschaftswachstum

Mittwoch, 25. September 2013

US-Haushaltsstreit: Worum genau geht es?

Die GOP will mitten in einer Depression massive Einsparungen durchsetzen. Die führenden Politiker de Republikanischen Partei schrecken davor nicht zurück, die US-Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen. Wenn die Schuldenobergrenze aber nicht heraufgesetzt wird, wird die Erholung der Wirtschaft gefährdet. Da die Republikaner das Repräsentantenhaus kontrollieren, droht die Schliessung von Ministerien, falls kein neues Ausgabengesetz verabschiedet wird.

Der Streit um die Schuldenobergrenze (debt ceiling) ist natürlich kein Streit darüber, wie viel sich der Staat verschulden darf. Die Verschuldung ist auf lange Sicht sicherlich ein wichtiges Thema. Aber die Politiker müssten dann mehr über Steuererhöhungen reden, um die Lücke im Haushalt zu schliessen. Das ist heute jedoch nicht der Fall. Zumal die Steuerbelastung in den USA im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften nicht besonders hoch ist.

Beim Haushaltsstreit geht es um die Grösse und die Rolle des Staates, wie Mark Thoma in einem lesenswerten Artikel („The real reason for the fight over the debt limit“) in The Fiscal Times hervorhebt.

Es ist ein Versuch der Republikaner, die unnötige Angst über die Verschuldung zu nutzen, um die Ausgaben für Sozialversicherung-Programme wie Medicare, Social Security, Obamacare, Essensmarken und Arbeitslosengeld radikal zu kürzen, hält der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor fest.

Und es ist kein Zufall, dass der Angriff auf die Sozialversicherung heute mit der zunehmenden Einkommensungleichheit einhergeht.

Täuschung über Austerität

Die Debatte über die Austerität hat vor Augen geführt, wie staatskritisch die Mainstream-Ökonomen sind. Das eine Argument lautet meistens, dass die Bürger das Vertrauen in den Staat verlieren, weil die Staatsverschuldung steigt.

Neulich hat Jeremy Warner in diesem Zusammenhang in einem Kommentar im Daily Telegraph eine ziemlich plakative Vorstellung geprägt, dass man am Ende entweder für einen kleinen oder einen grossen Staat sei. Und diejenigen, die einen grossen Staat befürworten die Austerität deswegen verabscheuen, weil die Sparmassnahmen auf eine Kürzung der Staatsausgaben hinauslaufen. Seiner Meinung nach kann in den Staat daher nur in Krisenzeiten eingewirkt werden. Das möge zwar pro-zyklisch sein. Aber die Menschen hätten in guten Zeiten sonst nie die Lust darauf, die Grösse des Staates zurückzufahren.

In einer guten Antwort auf Warners Äusserungen bemerkt Simon Wren-Lewis in seinem Blog, dass das intellektuelle Argument gegen die Austerität überhaupt nichts mit der Grösse des Staates zu tun hat. 

Die Hauptargumentation ist, dass es töricht ist, zu versuchen, den Staat in eine kleinere Dimension zurückzuführen, wenn die nominalen Zinsen nahe null (zero lower bound) liegen. Ausserdem wird die Kürzung der Staatsausgaben i.d.R. so gerechtfertigt, dass die Verschuldung abgebaut werden müsse, nicht um der Tugend eines kleinen Staates willen. Und die vorübergehende Verringerung der Grösse des Staates, um die Staatsschulden abzubauen und die dauerhafte Reduzierung der Grösse des Staates sind zwei verschiedene Sachen.

Es ist daher so, dass nur die eine Seite in der Debatte über die Austerität die Sache als „big-state“ versus „small-state“ betrachtet. Die Gegner der Austeritätspolitik sind deswegen dagegen, weil die harschen Sparmassnahmen in einer Depression die Situation verschlimmern. Und sie haben Recht damit.


Dienstag, 24. September 2013

Wie funktioniert das neue Reverse Repo-System der Fed?

Die New York Fed hat am Montag ein neues „Overnight Financing Programme“ gestetet. Es handelt sich dabei um ein neues Instrument der Fed mit dem langen Namen „Full Allotment Overnight Reverse Repo Facility“. 

Die Fed will mit der neuen Repo Facility auch bei einer ausgeweiteten Bilanzsumme die Geldpolitik wirksam unter Kontrolle halten und den Abwärtsdruck auf die Zinsen am Geldmarkt über Nacht verringern.

Die Fed überlässt bei der Reverse Repo Operation an Gegenparteien (Banken, Primary Dealers, Money Market Funds, GSEs wie Fannie Mae, Freddie Mac) eine Staatsanleihe über Nacht zu einem festen Zinssatz bei Vollzuteilung.

Am Montag hat die Fed 11,8 Mrd USD angenommen und im Gegenzug Gegenparteien Staatsanleihen zu einem festen Zinssatz von 0,01% überlassen. Mit anderen Worten handelt es sich dabei um eine Art besicherte Darlehen.

Warum heisst es „reverse“? 

Weil das Geld und die Wertschriften in die verkehrte Richtung fliessen: Die Banken (d.h. die Gegenparteien) geben der Fed das Geld und bekommen im Gegenzug Staatsanleihen. In der Regel läuft das Geschäft umgekehrt. Die Fed akzeptiert diesmal Cash von Banken, Geldmarktfonds und GSEs und gibt dafür eine Staatsanleihe mit dem Versprechen, sie zu einem späteren Zeitpunkt (hier über Nacht) wieder zurückzukaufen.

Was heisst Vollzuteilung („full allotment“)?

Die Banken können sich bei der Fed Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe gegen Cash leihen. Die Fed setzt keine Einschränkung ein.

Es gibt kaum Korrelation zwischen M3-Wachstum und Inflation

Die Notenbankgeldmenge (=Notenumlauf + Giroguthaben der inländischen Banken bei der SNB) hat sich in der Schweiz in den vergangenen 12 Monaten stabilisiert.

Das Wachstum der Geldmenge M3 hat sich im September dem Vorjahr gegenüber von 10,8% auf 10,4% verlangsamt. Der Anstieg der Geldaggregate, die die Geldhaltung der privaten Haushalte und Unternehmen erfassen, zeigt, dass die Transmission der Geldpolitik durch den Bankensektor funktioniert. Bemerkenswert ist aber, dass das Wachstum der Bankkredit mit 3,8% (im ersten Quartal 2013) das nominale BIP-Wachstum übersteigt.

Die SNB bleibt daher auf der Hut, die Ungleichgewichte am Hypotheker- und Immobilienmarkt nicht weiter zunehmen zu lassen. Der Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) führt in einer Wirtschaft, die in einer Liquiditätsfalle steckt und wo die nominalen Zinsen nahe null (zero lower bound) liegen, nicht automatisch zu einem Anstieg der Inflation, wie in der von der ZKB heute gelieferten Abbildung schön zu sehen ist.



Schweiz: Inflation versus M3-Wachstum, Graph: ZKB in DMO

Montag, 23. September 2013

Bank of Israel senkt die Zinsen auf 1,0%

Die israelische Zentralbank (BoI) hat die Zinsen um 25 Basispunkte auf 1,0 Prozent gesenkt. Der Realzins beträgt damit minus 0,9%.

Es handelt sich dabei um die erste Zinssenkung seit dem Abschied von Stanley Fischer als BoI-Chef. Die israelische Geldpolitik wird von der Gouverneurin Karnit Flug gelenkt.

Die BoI deutet im Statement zum Zinsbeschluss auf die Inflationsaussichten, das Wirtschaftswachstum und die Entwicklungen der Immobilienpreise hin. Ausserdem erwähnen die israelischen Währungshüter auch den Beschluss der US-Notenbank, das Anleihekaufprogramm nicht zu reduzieren als Faktor.

Die Entscheidung steht im Einklang mit der Zinspolitik der BoI, die dazu bestimmt ist, die Inflationsrate innerhalb der Preisstabilität von 1%-3% in den nächsten 12 Monaten zu verankern und das Wirtschaftswachstum zu fördern, während die finanzielle Stabilität aufrechterhalten werden soll, teilt die BoI mit.

Der Konsumenten-Preisindex (CPI) ist im August um 0,2% gestiegen und bleibt damit unter Projektionen von 0,4% im Durchschnitt. Annualisiert beläuft sich die Inflation in Israel auf 1,3%.




Israel: Entwicklung der Zinsen im Vergleich zum Verlauf der Fed Funds Rate, Graph: Morgan Stanley

Was Spekulationsblasen mit Gehirn zu tun haben

Es ist bekannt, dass das Gehirn ein sehr aktives Organ ist. Aber was hat das Gehirn mit Spekulationsblasen zu tun? Eine Forschungsarbeit (h/t to Noah Smith) meldet, dass sich die Treiber von financial boom & bust wohl im Kopf befinden. Spekulationsblasen, die zum Absturz der Finanzmärkte führen, dürften demnach selbst gemacht sein, weil instinktive biologische Mechanismen im Gehirn der Händler sie dazu veranlassen, zu versuchen, herauszufinden, wie andere Händler sich verhalten.

Die Studie bietet einen ersten Einblick in die Prozesse im Gehirn, die finanzielle Entscheidungen und Verhaltensweisen untermauern, welche wiederum zur Bildung von Spekulationsblasen führen.

Forscher am California Institute for Technology fanden heraus, dass die Bildung von Blasen mit einer erhöhten Aktivität in einem Bereich des Gehirns verbunden ist, wo die Prozesse in Bezug auf Werturteile verarbeitet werden. Menschen mit grösseren Hirnaktivitäten in diesem Bereich sind i.d.R. dazu geneigt, auf der Welle von Blasen zu reiten und Geld zu verlieren, weil sie das Augenmerk auf einen Vermögenswert richten anstatt auf grundlegende Daten.

Es gibt angeblich eine starke Korrelation zwischen der Aktivität im Wert der Verarbeitung dieses Teils des Gehirns und einem anderen Bereich des Gehirns, wo soziale Signale gesendet werden, um aus Absichten anderer Menschen zu schliessen und ihr Verhalten vorherzusagen.

Lebensmittelgutscheine und gemeine Klassenkämpfer

Konservative haben gerade dafür gestimmt, das Programm für Lebensmittelgutscheine scharf zu kürzen. Es handelt sich dabei um das sog. SNAP (Supplemental Nutritional Assistance Program).

Konservative vertreten die Ansicht, dass die Grösse des Staates unter Präsident Obama explodiert hat. Aber sie stehen der peinlichen Tatsache gegenüber, dass die Beschäftigung im öffentlichen Sektor stark gefallen ist, während die gesamten Ausgaben als Anteil am BIP rasch sinken.

SNAP ist jedoch tatsächlich etwas gestiegen: von 36 Millionen Amerikanern als Benutzer im Jahr 2007 auf fast 48 Millionen Amerikaner heute, wie Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Fee to be hungry“) am Montag in NYTimes darlegt.

Konservative werfen einen Blick darauf und sehen, zur eigenen Überraschung, dass es an keiner Stelle ein explosives Wachstum eines Regierungsprogramms gibt. Der jüngste Anstieg im SNAP ist laut Krugman in der Tat ungewöhnlich, aber so ist auch die heutige Zeit. Mehrere vorsichtig erstellte wirtschaftliche Studien zeigen, dass der konjunkturelle Abschwung den grössten Teil des Anstiegs des Gebrauchs von Essensmarken erklären kann. Die Lebensmittelmarken haben zumindest die Härte gemildert, was Millionen von Amerikanern vor der Armut schützt.

Aber die üblichen Verdächtigen sagen, dass die Rezession im Jahr 2009 zu Ende gegangen ist, so Krugman. Warum hat die Erholung der Wirtschaft das SNAP nicht heruntergerollt? Die Antwort ist: während das Einkommen der obersten 1% um 31% von 2009 bis 2012 gestiegen ist, ist das reale Einkommen der unteren 40% tatsächlich um 6% gefallen. Warum soll der Gebrauch von Essensmarken zurückgegangen sein?



SNAP-Programm als Anteil (in %) des BIP in den USA, Graph: Prof. Paul Krugman

Sonntag, 22. September 2013

Produktionslücke und das Leiden Spaniens

Mark Schieritz deutet in seinem Blog auf einen interessanten Artikel (“Austerity seen easing with change to EU budget policy”) im WSJ hin, wonach die EU-Kommission über eine Überarbeitung ihrer Methoden zur Schätzung der Produktionslücke (output gap) nachdenkt.

Eine Arbeitsgruppe namens OGWG arbeitet daran, herauszufinden, inwieweit sich die tatsächliche Produktion im Euro-Raum vom Potenzialwachstum unterscheidet.

Es wird höchtste Zeit. Paul Krugman hat sich in seinem Blog damit bereits einige Male beschäftigt. Die Standard-Methoden zur Schätzung des Wirtschaftspotenzials (potential GDP) funktionieren schlecht, v.a. wenn die Wirtschaft in ener tiefen Rezession steckt, was dazu führt, dass der Abschwung als „strukturell“ betrachtet wird, was nur durch schmerzhafte Reformen angegangen werden kann.

Spanien bildet dabei einen besonders markanten Fall. Den aktuellen Schätzungen der EU-Kommission zufolge sieht die NAWRU (non-accelerating wage rate of unemployment) wie folgt aus:

Spanien hat demnach einen rätselhaften Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit. Woran kann es liegen? Vielleicht ist so was gar nicht passiert.



NAWRU für Spanien laut EU-Kommission, Graph: Prof. Paul Krugman

NAWRU steht für „ non-accelerating wage rate of unemployment” und beschreibt die Arbeitslosenquote, wo durch Lohnerhöhungen kein Inflationsdruck entsteht.

Gerechtes Wachstum

Was braucht es für ein gerechtes Wachstum? Brad DeLong zählt dazu in seinem Blog sieben Kardinaltugenden auf:

(1) Die Makroökonomie soll so verwaltet werden, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sich mit dem potentialen Angebot deckt. Das heisst, dass eine Zentralbank ihr Doppelmandat (Preisstabilität und Vollbeschäftigung) ernst nimmt. Man soll in Zeiten von Krieg, Depression oder anderen nationalen Notsituationen ruhig hohe Defizite einfahren dürfen. Die Staatsverschuldung soll aber in anderen Zeiten abgebaut werden.

(2) Investieren in Ideen, Güterherstellung, Strukturen, Bildung. Sowohl staatliche als auch private Investitionen sollen gefördert werden.

(3) Die enormen Ressourcen, die in die wert-schmälernden Sektoren (wie healt-care Verwaltung, Gefängnisse, Finanz, Kohlenstoffenenergie) verlagert worden sind, sollen rückgängig gemacht werden. Das Augenmerk soll stattdessen auf wert-erzeugende Sektoren gerichtet werden.

(4) Eine Kohlendioxid-Steuer (CO2) hätte bereits vor 20 Jahren eingeführt werden sollen.

(5) Mehr Zuwanderung ist notwendig. Mehr Zuwanderung ist ein Mitzwa für die Einwanderer.

(6) Wir brauchen mehr Gleichheit. Wenn wir in 50 Jahren Chancengleichheit wollen, brauchen wir heute schon Ergebnisse in Sachen wesentliche Gleichheit.

Samstag, 21. September 2013

Warum hat die Fed das Anleihekaufprogramm nicht reduziert?

Die Fed hat entgegen aller Erwartungen beschlossen, den Umfang der Anleihekäufe (UST und MBS) vorerst nicht zu drosseln. Das ist richtig so.

Es ist bemerkenswert, dass diejenigen Experten, die ein Ende der QE-Politik fordern, stets auf eine angeblich massive Bond Bubble verweisen. Es mag in erster Linie dahin gestellt sein, ob es tatsächlich eine langfristige Blase auf dem Anleihemarkt gibt oder nicht. Aber die Argumentation, die dahinter steckt, überzeugt nicht.

Warum haben wir auf beiden Seiten des Atlantiks hohe Haushaltsdefizite? Weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusammengebrochen ist, und zwar wegen der Finanzkrise von 2008, die ja dem Platzen einer massiven Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt gefolgt ist. Gefüttert worden war die Bubble von Banken, mit übermässiger Leverage.

Sparen die privaten Haushalte und Unternehmen, steigt das Defizit des Staates. Da aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit die automatischen Stabilisatoren zum Einsatz kommen, nehmen die Einnahmen der öffentlichen Hand ab. Und die Ausgaben fangen an, zu steigen. Das heisst, dass wir hier mit einer schwachen Nachfrage nach Finanzierungsmitteln zu tun haben, nicht mit einer starken Nachfrage. In so einer Situation fallen die Zinsen. Aufgrund der anhaltenden Schwäche der Wirtschaft behält die Fed die nominalen Zinsen auf nahe null Prozent. Und das Anleihekaufprogramm ist als ein unkonventionelles Instrument der Geldpolitik ein Teil der gegenwärtigen Fed-Politik.
 


Bilanzsumme im Vergleich: Fed versus EZB, Graph: Morgan Stanley

Freitag, 20. September 2013

Die wahnsinnige Partei in Amerika

Die GOP scheint sich in den letzten Monaten von einer dummen Partei zu einer wahnsinnigen Partei umgestellt zu haben, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („The Crazy Party“) am Freitag in NYTimes.

Es hilft, zu verstehen, wie unerhöht das politische Klima heute wirklich ist, hebt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.

Gespaltene Regierung an sich ist nichts Ungewöhnliches und es kommt in der Tat häufig vor. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es 35 Kongress-Fälle, wo die Partei des Präsidenten nur in 13 Fällen die volle Kontrolle über die Legislative hatte.

Dennoch hat die Regierung in den USA immer funktioniert. Niemand hat auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass eine Partei versuchen würde, ihre eigene Agenda durchzusetzen, jedenfalls nicht durch den Verfassungsprozess, sondern durch Erpressung und Drohung, die Regierung und vielleicht die ganze Wirtschaft in die Knie zu zwingen, bis die Forderungen erfüllt werden. Es ist wahr, dass es eine Abschaltung der Regierung gegeben hat: 1995. Aber es wurde tatsächlich als Empörung und Fehler eingesehen, legt Krugman dar.

Doch im Moment scheint es sehr wahrscheinlich, dass die Republikanische Partei sich weigert, die Finanzierung der Regierung zuzulassen und einen Shutdown im nächsten Monat zu erzwingen, es sei denn, Präsident lässt die Gesundheitsreform fallen, die die Unterschrift des Erfolges seiner Präsidentschaft trägt. Wie konnte es aber so weit kommen?



US-Haushalt (CBO-Schätzung), Graph: Prof. Paul Krugman

Donnerstag, 19. September 2013

In der Schweiz bleiben die Zinsen nahe null

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat heute im Rahmen der geldpolitischen Lagebeurteilung mitgeteilt, dass sie unverändert am Mindestkurs von 1,20 CHF pro EUR festhält. Die SNB steht darüber hinaus bereit, den Mindestkurs, wenn nötig, durch den Kauf von Devisen in unbeschränkter Höhe durchzusetzen.

In der Tat ist der CHF nach vie vor hoch bewertet. In der Eurozone gibt es seit zwei Jahren keine Anzeichen auf eine Besserung der Konjunktur. Der Aufwertungsdruck auf den CHF bleibt daher latent bestehen.

Das Schweizer Bargeld ist gefragter als je zuvor. Der Notenumlauf beläuft sich in der Schweizer zur Zeit auf rund 60 Mrd. CHF. Der CHF wird im Sog der Finanzkrise von 2008 in erheblichen Umfang auch als Wertaufbewahrungsmittel verwendet. Die SNB handelt deshalb richtig, eine unerwünschte Verschärfung der monetären Rahmenbedingungen nicht zu zulassen.

Die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten sind unter-ausgelastet. Die Produktionslücke (output gap) hat sich zwar im ersten Quartal etwas verringert. Mit -1,3% bleibt sie aber weiter geöffnet. Und die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie vor eingetrübt.



Inflationsprognose für die Schweiz, Graph: SNB, Sept 19, 2013

Mittwoch, 18. September 2013

Geldpolitik und Arbeitslosigkeit als Schwellenwert

Die Fed will die Zinsen nicht erhöhen, bevor die Arbeitslosenquote unter 6,5% gefallen ist. Fed-Chef Ben Bernanke hat damit einen Schwellenwert festgelegt. Die Orientierung am Arbeitsmarkt (via Arbeitslosigkeit) gilt als ein unkonventionelles Instrument der Geldpolitik und das Ganze geschieht im Rahmen der sog. Forward Guidance, die Bernanke vor rund zwei Monaten erläutert hat.

Ist es aber sinnvoll, die Arbeitslosenquote als einen wichtigen Indikator für den Zustand des Arbeitsmarktes zu verwenden? Gavyn Davies befasst sich in einem lesenswerten Artikel („Lies, damned lies and the US unemployment statistics“) in FT genau mit dieser Frage und erklärt den gesamten Zusammenhang anhand von vier anschaulichen Abbildungen.

Die Arbeitslosenquote ist in den USA von 10,0% im Oktober 2009 auf 7,3% im August 2013 gesunken, was ein beeindruckender Rückgang bedeutet. Doch hat sich die Erwerbsquote (employment-population ratio) im selben Zeitraum kaum verändert, was nahelegt, dass der Rückgang der Arbeitslosenquote auf einen Rückgang der Erwerbsbeteiligung (participation ratio) zurückzuführen ist, weil enttäuschte Arbeitsuchende sich aus dem Arbeitsmarkt verabschieden.

Auf dieser Basis argumentieren viele Keynesianer, dass der Arbeitsmarkt sich inzwischen überhaupt nicht erholt hat. Die logische Folge ist, dass die Arbeitslosenstatistik eine irreführende Indikation im Hinblick auf geldpolitischen Spielraum der US-Notenbank liefert, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter anzukurbeln.


Vier standardisierte Indikatoren für den Arbeitsmarkt, Graph: Gavyn Davies in FT

Dienstag, 17. September 2013

Die anmassende Rechtfertigung der Austerität in Europa

Wolfgang Schäuble nimmt in einem wunderlichen Artikel („Ignore the doomsayers: Europe is being fixed“) in FT die Europe von Berlin verordnete harsche Austeritätspolitik in Schutz. Der deutsche Finanzminister deutet auf „die positiven wirtschaftlichen Signale, die die Eurozone in diesen Tagen kontinuierlich sende“, hin und behauptet, dass die Eurozone auf dem Weg der Besserung sei, sowohl strukturell als auch zyklisch.

Paul Krugman kann es nicht fassen. Es war vorhersehbar, dass Europas Austerians jedes Anzeichen der konjunkturellen Belebung zum Anlass nehmen würden, die Austerität zu rechtfertigen, schreibt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor in seinem Blog dazu.

Während Schäuble ein Viertel Wachstum hochjubelt, verweist Krugman auf die folgende Abbildung: Die abnehmende Beschäftigung in Europa.



Entwicklung der Erwerbsfähigkeit in der EU, Graph: eurostat

Fed zwischen Tapering und Forward Guidance

Michael Woodford will, dass die Fed mit dem Kauf von Anleihen so schnell wie möglich aufhört. Er ist einer der weltweit herausragenden Theoretiker der Geldpolitik.

Der an der University of Columbia lehrende Wirtschaftsprofessor gilt im Allgemeinen als Verfechter der unkonventionellen geldpolitischen Impulse. Deswegen ist es erstaunlich, dass er jetzt das Ende der Anleihekäufe durch die Fed fordert. Woodfords Name ist zumeist mit „forward guidance“ verbunden. Die Idee stammt aus einer Forschungsarbeit, die Woodford im Jahr 2003 mit Gauti Eggertson verfasst hat.

Es handelt sich dabei um ein unkonventionelles Instrument der Notenbanken, um auf die Markterwartungen im Hinblick auf den künftigen Kurs der Geldpolitik Einfluss zu nehmen, vorausgesetzt, dass die Zinsen an der Null-Grenze angekommen sind. Die Fed, die Bank of England (BoE) und die EZB bedienen sich zur Zeit dieses Konzeptes, das Niveau der kurzfristigen Zinsen über einen längeren Zeitraum niedrig zu halten.

Man muss sich vorstellen, dass sogar die EZB forward guidance auf die Fahnen geschrieben hat. Es war die EZB, die in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit ausgelassen hat, zu betonen, dass sie sich nie im Voraus festlegt. Im Sommer hat Mario Draghi, EZB-Präsident jedoch angekündigt, dass die EZB die Schlüsselzinsen über einen längeren Zeitraum auf dem derzeitigen Niveau festhalten will. 

Die verbale Lenkung der Markterwartungen kommt im Rahmen der QE-Politik (quantitative easing) v.a. dann zum Einsatz, wenn die nominalen Zinsen nahe null (zero lowe bound) liegen und die herkömmliche Geldpolitik an Wirksamkeit verliert, weil die Zinsen nicht einfach unter die Null-Marke fallen können. Die modernen Zentralbanken versuchen deshalb, via Vermögenseffekt (z.B. steigende Aktienkurse oder sich erholende Immobilienmärkte) die Konjunktur zu beleben.



Finanzmärkte im Gleichgewicht (ultra-kurzfristig), Graph: Prof. Paul Krugman

Montag, 16. September 2013

Die Fed und die weisse Augenhaut der Inflation

All we are saying is give peace a chance”, hat John Lennon einst gesungen. Paul Krugman titelt seine lesenswerte Kolumne („Give Jobs a Chance“) am Montag in NYTimes.

Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor bezieht sich um die sechste Sitzung des geldpolitischen Ausschusses der US-Notenbank in diesem Jahr. Am Ende der Sitzung dürfte die Fed das sog. allgemein erwartete „tapering“ ankündigen, d.h. eine Verlangsamung der Geschwindigkeit für den Kauf von langfristigen Papieren.

Krugmans Memo an die Fed lautet: Bitte tu es nicht. Die Argumente zu Gunsten der Reduzierung des Umfangs der Wertschriftenkäufe sind zwar weder verrückt noch dumm. Aber wenn man über das Restrisko nachdenkt, ist es eine ungünstige Zeit, etwas zu unternehmen, was nach einer Straffung der Geldpolitik aussieht, legt Krugman dar.

Na gut, die Fed spricht über die Verlangsamung des Tempos solcher Käufe, was dazu führen dürfte, dass das Anleihekaufprogramm irgendwann im nächsten Jahr zu Ende kommt. Aber warum?

Eine Antwort ist der Glaube, dass diese Käufe, v.a. Kauf von Staatsanleihen, am Ende nicht sehr wirksam sind. Und es gibt ein gutes Stück von Beweisen für die Annahme. Leider sind sich die Finanzmärkte inzwischen eindeutig einig, dass das tapering eine allgemeine Abkehr von der Ankurbelung der Wirtschaft bedeutet. In der Tat hat die Fed durch die Rede von tapering die Geldpolitik bereits eine ganze Menge angezogen, schildert Krugman.



Erwerbsquote: Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter mit Beschäftigung, Graph: Prof. Paul Krugman

Schulden-Einkommensquotient der privaten Haushalte

Zwischen 2008 und 2012 ist der durchschnittliche Preis für ein Haus in Israel um rund 54% gestiegen, während das durchschnittliche Haushaltseinkommen um nur 20% gestiegen ist. Diese Tatsache wirft einige Fragen auf: Wie können die Käufer den starken Anstieg der Hauspreise finanzieren? Ist die LTV-Ratio (Beleihungswert: loan-to-value) gestiegen? Welche Auswirkungen hat die Entwicklung auf die Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmer?

In diesem Kontext stellt die Bank of Israel (BoI) heute in einem aktuellen Bericht ein paar interessante Abbildungen zur Verfügung. Man sieht im folgenden Chart die Schulden-Einkommensquotienten der privaten Haushalte in den USA, der EU und in Israel im Vergleich.

Der Indikator (payment to household ratio) definiert das Verhältnis der Schulden der privaten Haushalte zum verfügbaren Brutto Einkommen. Die Kennzahl (DTI: debt-to-income ratio) dient dazu, die Verschuldung der privaten Haushalte und ihre Fähigkeit, das geschuldete Kapital zurückzuzahlen, zu messen. Je höher das Verhältnis ist, desto mehr Belastung bedeutet es für die privaten Haushalte, für die Schulden aufzukommen.



Schulden-Einkommensquotient der privaten Haushalte im Vergleich: USA, die EU und Israel, Graph: Bank of Israel (BoI)

Sonntag, 15. September 2013

Was Hedge Fonds Manager nach dem 2/20 Ansatz machen

Der dringende Handlungsbedarf im Finanzsystem ist unumstritten. Die Banken brauchen mehr Eigenkapital und eine viel geringere Leverage Ratio. Darüber hinaus gilt es, auch die falschen Anreize in den Finanzmärkten anzupacken. Wenn es um die verzerrten Anreize geht, steht v.a. die Vergütung der hauptsächlichen Protagonisten im Mittelpunkt.

Die Hedge Fonds beispielsweise agieren nach dem Ansatz „2/20“. Es gibt eine Gebühr von 2% auf das eingezahlte Geld der Investoren. Und falls das angelegte Geld einen Ertrag abwirft, gibt es später eine Gewinnbeteiligung von 20%.

Was die Hedge Fonds Manager vor diesem Hintergrund tun, ist, möglichst viel Leverage (Fremdkapital-Einsatz) einzusetzen, und möglichst viel Risiko einzugehen, um damit möglichst viel an Ertrag zu erwirtschaften. Und das garantiert mehr oder weniger, wie Paul Krugman in seinem Blog darlegt, dass der Fonds schliesslich pleite geht. Inzwischen hat der Hedge Fonds aber für sich so viel Geld gescheffelt, dass die Manager aus dem Wrack zu Fuss steinreich wegkommen können.

Was sagen die Investoren dazu? Sehen sie die ganze Strategie nicht durch? Sie können doch nicht konsequent dumm oder naiv sein, oder?

Coase: Externe Effekte und die Rolle des Staates

Ronald Coase, der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von 1991 hat die meiste Zeit seiner Karriere an der University of Chicago verbracht, wo er durch viele Enthusiasten des freien Marktes als die weltweit führende Autorität in Sachen „negative Externalitäten“ geehrt wurde, schreibt Robert Frank in einem lesenswerten Artikel („Ronald Coase, a pragmatic voice for government’s role“) am Sonntag in NYTimes.

Der britische Ökonom wurde zum Meister der Anhänger des freien Marktes, weil sie dachten, dass sein Konzept die überzeugendsten Argumente für die Begrenzung der Rolle des Staates im wirtschaftlichen Leben liefere.

Dieser Glaube ist jedoch grundlegend falsch, hebt der an der Cornell University lehrende Wirtschaftsprofessor hervor. Mit der Zeit wird Coases‘ Ansatz („The Problem of Social Cost“) stattdessen nicht nur als die beste Erklärung dafür, warum es staatlicher Regulierung bedarf, sondern auch als den besten Ratschlag dafür, wie die Regulierung via Staat effektiver wirken kann, angesehen, lautet die Voraussage von Frank.

Coases Arbeit kann nicht als ein Argument für die minimale Rolle des Staates betrachtet werden. Ganz im Gegenteil, seine Botschaft war viel pragmatischer: Weil wir über private Lösungen die meiste Zeit nicht effizient verhandeln können, müssen wir uns fragen, ob Gesetze und andere Institutionen helfen können, uns in Richtung Lösungen zu lenken, die wir sonst finden würden, wenn die Verhandlungen praktisch wären, erläutert Frank weiter.

Euro, Sudden Stops und Goldstandard

Was Barry Eichengreen und Olivier Accominotti in dem lesenswerten Artikel in voxeu (mit Blick auf Europa) schreiben, veranlasst Paul Krugman, dazu in seinem Blog kurz Stellung zu nehmen.

Zur Erinnerung:  Krugman hat die Euro-Krise von Anfang an nicht als eine Schulden-, sondern als eine Zahlungsbilanz-Krise betrachtet: also einen Fall, wo die Kapitalzuflüsse in die Peripherie der Euro-Zone sich plötzlich umkehren.

Was Eichengreen und Accominotti darüber hinaus unterstreichen, ist, dass es sich dabei (in der Euro-Zone) nicht um ein neues Phänomen handelt, sondern etwas Ähnliches ist in Europa bereits geschehen, und zwar von 1919 bis 1933.

Es waren Österreich, Ungarn und Deutschland, die eine plötzliche Umkehrung der Kapitalströme erlebten, mit ähnlichen katastrophalen Folgen wie heute die EU-Peripherie.

Krugman erinnert daran, dass die Wortschöpfung „sudden stop“ von Guillermo Calvo nach der Asien-Krise der 1990er Jahre geprägt wurde. Der argentinische Ökonom hat allerdings darauf hingewiesen, dass den „sudden stops“ i.d.R. so etwas wie „Phoenix Wunder“ folge, wo die Volkswirtschaft „brüllend“ wieder auf die Beine kommt.

Heute sehen wir aber in Europa keine Volkswirtschaften wie Phoenix aus der Asche steigend. Warum nicht?



Industrieproduktion in 5 Ländern zwischen 1927 und 1937, Graph: Prof. Christina D. Romer, in: The Nation in Depression

Samstag, 14. September 2013

Warum gibt es Sudden Stops?

Es geht um private Kapitalströme in den freien Märkten. Betroffen sind in erster Linie die sog. Schwellenländer.

Der plötzliche Wandel von Kapitalzuflüssen zu Kapitalabflüssen wird in diesem Zusammenhang „sudden stop“ genannt. Die Wortschöpfung geht auf die Ökonomen Rudi Dornbusch und Alejandro Werner zurück.

Gibt es keine Kapitalverkehrskontrollen, kann es vorkommen, dass die Kapitalstörme sich plötzlich umkehren, mit destabilisierenden Folgen.

Die sog. Emerging Markets leiden heute unter genau diesem Phänomen, ausgelöst durch die Tapering-Debatte, d.h. die Ankündigung der US-Notenbank, den Umfang der Anleihekäufe (im Rahmen der QE-Politik) im Markt allmählich zu verringern. Das Problem entfaltet sich als vielschichtig, wenn mit Kapitalströmen zuvor Währungsaufwertungen in den genannten Ländern einhergegangen sind.

Es gab in der Geschicht einige Fälle von „sudden stops“: (siehe z.B. aktuell Island und Asien-Krise).  Barry Eichengreen und Olivier Accominotti untersuchen in einem lesenswerten Artikel („The mother of all sudden stops: Capital flows and reversals in Europe, 1919-1932“) in voxeu die Ursachen, warum der starke Kapitalstrom plötzlich stoppt. Die Autoren vergleichen v.a. die Kapitalzuflüsse und –abflüsse zwischen den Jahren 1919-1932 und 2006-2011, wo es deutliche Parallelen gibt.



Private und öffentlich-rechtliche Kapitalzuflüsse in Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien, Graph: Barry Eichengreen und Olivier Accominotti untersuchen in einem lesenswerten Artikel („The mother of all sudden stops: Capital flows and reversals in Europe, 1919-1932“) in: voxeu

FDIC schliesst zwei weitere Banken am Freitag

Die FDIC (Einlagensicherungsbehörde) hat am Freitag zwei Banken in Texas und Connecticut geschlossen.

Damit sind seit Beginn des Jahres 22 Banken verstaatlicht worden, nachdem im Vorjahr insgesamt 51 Banken gescheitert waren.

Die Zahl der Bankschliessungen im Jahr 2012 markiert mit 51 einen deutlichen Rückgang aus den beiden Vorjahren. Dennoch ist die Zahl ungewöhnlich hoch, da in einer stark wachsenden Wirtschaft jährlich i.d.R. nur vier oder fünf Banken im Durchschnitt geschlossen werden.

Die gestern verstaatlichten zwei Banken verfügen insgesamt über ein Anlagevermögen (assets) von 3 126 Mio. $ und Einlagen (deposits) von 2‘326 Mio. $. Die Kosten der geschlossenen Banken betragen für die öffentliche Hand  schätzungsweise 645,3 Mio. $.

Bankpleiten:

2013: 22
2012: 51
2011: 92
2010: 157
2009: 140
2008: 25
2007: 3

Freitag, 13. September 2013

Industrieproduktion im Euro-Raum ohne Hoffnung auf Besserung

Die Industrieproduktion im Euroraum ist im Juli gegenüber Juni 2013 um 1,5% gefallen.

Im Jahresvergleich fiel die Produktion von Gebrauchsgütern im Juli 2013 um 3,9%. Die stärkesten Rückgänge meldeten Griechenland (-8,2%), Irland (-7,9%), Malta (-7,7%) und Schweden (-6,2%).

Das ist dramatisch und belegt kurz vor der Wahl in Deutschland, wie die von Deutschland inspirierte Austeritätspolitik den Kontinent ins Elend geführt hat, bemerkt Heiner Flassbeck in seinem Blog.




Industrieproduktion im Euro-Raum, Graph: eurostat; das statistische Amt der Europäischen Union (EU)

Die zunehmende Ungleichheit vergiftet die Gesellschaft

Vor ein paar Tagen ist in The New York Times ein Bericht über eine Gesellschaft, die durch extreme Ungleichheit untergraben wird, veröffentlicht worden.

Diese Gesellschaft behauptet, die besten und die hellsten Menschen zu belohnen. In der Praxis profitieren jedoch die Kinder der Reichen von Chancen und Verbindungen, die für die Kinder der Mittel- und Arbeiterschicht nicht verfügbar sind. Und die Lücke zwischen der meritokratischen Ideologie der Gesellschaft und ihrer wachsenden oligarchischen Realität hat einen zutiefst demoralisierenden Effekt, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Rich Man’s Recovery“) am Freitag in NYTimes.

Der Bericht führt in Kürze vor Augen, warum die extreme Ungleichheit destruktiv ist, warum die Ansprüche hohl klingen, dass es auf die Ungleichheit nicht ankomme, solange es eine Chancengleichheit gebe. Wenn die Reichen in einem sozial und materiell anderen Universum leben, macht diese Tatsache keinen Sinn für die jegliche Vorstellung von Chancengleichheit, argumentiert Krugman.

Im Übrigen, über welche Gesellschaft reden wir hier? Die Antwort: Die Harvard Business School, eine Elite-Institution, aber eine, die durch eine scharfe Trennung zwischen internen gewöhnlichen Studenten und einer Sub-Elite Studenten aus wohlhabenden Familien gekennzeichnet ist, legt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor dar.

Der Punkt ist natürlich, dass es Amerika gut geht, wenn es Business School gut geht, auch wenn 95% der Gewinne aus der Erholung der Wirtschaft seit 2009 nur dem berühmten 1% zu Gute kommen.



Change in income share (1979-2012), Graph: Prof. Paul Krugman