Samstag, 26. September 2009

Meinungsmache

Buchbesprechung:

Albrecht Müller: Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen. Droemer, München, 2009.



Allein die Tatsache, dass der Autor sich dieses politisch brisanten und soziologisch wichtigen Themas annimt, verdient Anerkennung. Denn Meinungsmache ist, um es mit den Worten von Albrecht Müller auszudrücken, eine radikale und die Realität ausblendende Agitation. Sie ist das sanfte Mittel zur Machtausübung und zur Machterhaltung ordinärer Art. Die unmittelbare Folge davon ist Entdemokratisierung des öffentlichen Lebens. Meinungsmache ist m.a.W. ein heimtückischer Raub der Freiheit des Einzelnen. Hinterhältig und arglistig, weil wer vom Vampir gebissen wird, nolens volens selber zu einem Vampir wird. Die Propaganda ist so umfassend, dass man jenen, die darauf hereinfallen, keinen Vorwurf machen kann. „Wer den Sirenen des demographischen Niedergangs glaubt, wer fürchtet, die gesetzliche Rente sei perdu, ist Opfer, nicht Täter“, hebt Müller mit einem praktischen Beispiel hervor.

Wie kann aber Meinungsmache gedeihen? „Das Interesse an Politik schwindet“, klagt der Autor. Er verweist darauf, dass jeder dritte Bürger kein Vertrauen mehr in die demokratische Staatsform hat. Die Bürger fühlen sich ohnmächtig, weil sie „die politischen Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen können oder sogar als gegen sich gerichtet sehen“. Die Resignation führt dazu, dass Menschen „schnell zum Opfer von bewusst angelegten Kampagnen der Meinungsbeeinflussung werden. Diese Kampagnen werden systematisch und strategisch geplant“. Die PR-Agenturen und die damit verbundenen Beratungsunternehmen sind die eigentlichen Produzenten der Meinungsmache, ist der Autor überzeugt. “Unsere Demokratie befinden sich am Rand ihrer Existenz“, hält er zu Recht fest. „Mit der Manipulation von Meinung wird Politik gemacht“, so Müller kurz und prägnant. Anhand einer Reihe von konkreten Beispielen zeigt der Autor überzeugend auf, wie Meinungsmache das politische Geschehen bestimmt. „Mindestlohn, Sozialstaat, Lohnstückkosten, Privatvorsorge fürs Alter, Heuschrecken, der Markt regelt alles, Banken sind systemrelevant, Finanzkrise, Privatisierung“ u.v.m. gehören zu Themen der Meinungsmache. Wie die einschlägigen Botschaften lauten und die Inhalte gestaltet werden, erläutert Müller sogar einleuchtend tabellarisch.

Albrecht Müller; Industriekaufmann, studierte Nationalökonomie und war Redenschreiber von Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, von 1973 bis 1982 Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt, von 1987 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er lebt als Publizist in der Südpfalz und betreibt zusammen mit Wolfgang Lieb das Blog www.NachDenkSeiten.de.

Gegen den roten Faden des Buches lässt sich objektiv nichts einwenden. Enttäuschend ist jedoch, dass die unrühmliche Debatte um die „Leitkultur“ unter den gängigen Beispielen der Meinugsmache nicht erwähnt wird. Immerhin handelt es sich dabei um eine der übelsten Sorten der Meinungsmache. Nicht nur Inländer mit fremdem Pass werden auf diese Weise perfid diffamiert, sondern ein Teil der Gesellschaft wird kulturell ausgegrenzt. Durch eine künstliche Hierarchisierung wird sogar ein Grundsatz der Verfassung („Würde des Menschen ist unantastbar“) vorsätzlich unterhöhlt. Kulturrassismus ist heute gefährlicher als Inflation. Jemandem seine Herkunft zum Vorwurf zu machen, ist eine primitive Stigmatisierung. Nicht die kulturellen Unterschiede lösen Konflikte aus, sondern deren Instrumentalisierung für politische Zwecke. Gerade in Anhängerkreisen der „Leitkultur“ wird lieber die sog. Aktienkultur gepflegt, damit ahnungslose Bürger ihre Ersparnisse in sog. Finanzinnovationen (die vorwiegend nichts anderes als Schwindel sind) anlegen und den Casinobetrieb der internationalen Finanzmärkte stützen. Für sie hat Spekulationsmaschinerie Vorrang vor dem Gleichheitsgrundsatz. Die Protagonisten der „Leitkultur“ befassen sich gern mit dem „Migrationshintergrund“ der steuerzahlenden Bürger, und nehmen die Manipulierung der Lebensmittelpreise mit perversen Wetten auf weiche Rohstoffe in Kauf, sodass Millionen von Menschen dem Hunger ausgesetzt werden. Meinungsmacher betrachten das Land als eine AG. Selbst nach einer beinahe-Depression fordern sie lediglich ein Krisenmanagement, weshalb Sanktionen für Verantwortliche ausbleiben und Vorhaben einer neuen wirtschaftspolitischen Orientierung (Abbau der einseitigen Exportabhängigkeit, Stärkung der Binnennachfrage, gerechte Einkommensverteilung usw.) nicht realisiert werden. Unternehmen werden bekanntlich autoritär geführt.

Wie kann man gegen die Meinungsmache halten? Durch „Checks & Balances“ und durch die Schaffung von Transparenz, indem man Hintergründe aufzeigt und die Zusammenhänge erläutert. Zum Beispiel im Internet mittels Blogs. „Nötig wären wachsame und unabhängige Medien“, schreibt Müller. „Doch wir haben Kampagnen statt kritischen Journalismus. Wir bekommen Kommerz statt Aufklärung, Verblödung statt Bildung“. Deswegen plädiert Müller für den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit. Der Mensch steht daher im Mittelpunkt. Das ist ohne Zweifel ein starkes Buch. Eine unverzichtbare Pflichtlektüre für die politische Weiterbildung. Möge die Wahrhaftigkeit sich gegen die Macht behaupten.

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