Freitag, 16. Mai 2008

Machtteilung: Geschichte der Mischverfassung

Buchbesprechung:

Alois Riklin: „Machtteilung“. Geschichte der Mischverfassung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2006.

In der Präambel der neuen schweizerischen Bundesverfassung von 1999 steht: „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen“. Eine verfassungsrechtlich verankerte sozialliberale Position wird jedoch zur Zeit in den globalisierten Finanzmärkten vom Grundsatz des Markt-Fundamentalismus „Gewinne durch Boni privatisieren, Verluste sozialisieren“ völlig überschattet. Noch vor zwei Tagen vertedigte Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank (Fed) die Rettung einer gescheiterten US-Investmentbank mit den Geldern der Steuerzahler. Die „Moral-Hazard“-Thematik bleibt im Mittelpunkt öffentlichen Debatte über die Entstehungsgeschichte der aktuellen Kreditkrise.

Die Gesellschaft wird in der neoklassischen Ökonomie als ein Teil der Wirtschaft betrachtet, und nicht umgekehrt. Die soziale Verantwortung des Unternehmens beruht auf Gewinnmaximierung. So fasst Milton Friedman, einer der prominenten Verfechter des polarisierenden Marktfundamentalismus, die Doktrin des Wettbewerbprinzips zusammen. Wie aber aus der Subprime-Krise zum Vorschein kam, wurde die Markt-Ideologie bisher über den Schutz der Öffentlichkeit gestellt. Geleitet von der Maxime, dass der Markt immer recht hat, wurde trotz offensichtlich fragwürdiger Praktiken der Hypothekenvermittler keine regulativen Massnahmen in Erwägung gezogen. Die Subprime-Kreditvergabe ging mit einem hohen Niveau von Kriminalität, Zwangvollstreckungen und ja sogar in manchen Fällen mit missbräuchlicher Praxis einher, so klagte ein ehem. Fed-Mitglied einst. Bürger mit geringen Einkommen wurden von amerikanischen Immobilienunternehmen und Kreditinstituten mit „innovativen Finanzprodukten“ hemmlungslos getäuscht und ausgebeutet. In der Schweiz wird zur Zeit über die Ballung von politischer Macht diskutiert. Eine von Milliardären geleitete Partei gibt mehr Geld für Wahlkampagne aus als alle anderen Parteien zusammen. Die Rede ist von feudalen Zügen. Es ist sicherlich eine Gefahr für die Demokratie, wenn politische Macht sich mit Geld kaufen lässt.

A propos „Missbrauch“. „Die Mischverfassung war in der abendländischen Geschichte lange Zeit die vorherrschende Idee des besten Staates“, schreibt Alois Riklin emeritierter Professor am Institut für Politikwissenschaft der Uni St. Gallen. Die gemischte Staatsform sei aus der Erfahrung des Machtmissbrauchs entstanden. Riklin hat sich 18 Jahre lang mit diesem Material unentwegt befasst. Er verfolgte die erste repräsentative Ideen- und Verfassungsgeschichte der gemischten Staatsform von der Antike bis zur Gegenwart und legt seine Analyse in einer an Umfang nicht zu überbietenden Form vor. Was heisst aber Mischverfassung? Sie bezeichnet „ eine politische Ordnung, die auf der Grundlage des Pluralismus gesellschaftlicher Kräfte demokratische , oligokratische und/oder monokratische Strukturen miteinander verknüpft“. Es geht darum, Machtkonzentration durch Machtteilung zu ersetzen. Ziel ist es, die Tyrannei eines Alleinherrschers, einer Minderheit oder der Mehrheit zu bannen. Der Autor will mit diesem Buch dazu beitragen, die „Wahrnehmung der Mischverfassung als eine der wichtigsten und wohltätigsten politischen Erfindungen gegen Machtmissbrauch wieder zu beleben“. Es wäre nicht übertrieben, zu behaupten, dass sich aus diesem Standardwerk auch für das regulative Gerüst der Finanzmärkte Prinzipien herleiten liessen. Wahrhaftigkeit war nämlich nie die Haupttugend der globalisierten Wirtschaftsprozesse. Ein grandioses Buch.

Cezmi Dispinar
*erschienen in der Ausgabe 196 von 16. Mai 2008

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