Samstag, 19. Oktober 2019

Preise, Zins und Wechselkurse


Buchbesprechung:

Heiner Flassbeck: „Preise, Zins und Wechselkurse“ – Warum offene Volkswirtschaften untrennbar miteinander verbunden sind, Westend Verlag, Juli 2019, Frankfurt am Main


Das ist ohne Zweifel ein kompaktes Buch, aber umso wuchtig, was das Thema betrifft.  

Es geht um die ideengeschichtliche Erläuterung der (makro- und mikroökonomischen) Anpassungsprozesse, die angesichts der Friktionen des internationalen Austausches von Gütern und Kapital vorwiegend durch internationale Wachstums- und Preisdifferenzen (v.a. Lohnstückkosten) ausgelöst werden. 

Die Frage, ob wir mit festen oder mit flexiblen Wechselkursen zu tun haben, ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Das Ergebnis der progressiven Analyse von Heiner Flassbeck ist die Aussage im Sinne eines Forschungsprogramms, dass wir eine neue Weltwährungsordnung brauchen.

Warum? Die Antwort ist selbstevident: Die Vorstellung vom effizienten Markt ist irreführend. Der Markt kann nicht dafür sorgen, dass die Leistungsbilanzsalden sich systematisch ausgleichen. Falsche Wechselkurse beispielsweise verstärken das Problem der Handelsverzerrungen. 

Es ist daher nicht angemessen, anzunehmen, dass Preis- und Wechselkursänderungen keinen Einfluss auf die Handelsbilanzsalden hätten.

Ein eklatantes Beispiel dazu ist das sog. „carry trades“, getrieben von internationalen Spekulanten, internationale Zinsdifferenzen ausspielend.

Ein Entwicklungsland, das hohe Zinsen hat, weil es eine relative hohe Inflation hat, sieht sich einem enormen Geldzustrom via „carry trades“ gegenüber. Seine Währung wertet sich auf, anstatt abzuwerten, wegen der hohen Inflation. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit und weist mit der Zeit grosse Leistungsbilanzdefizite auf. Und schliesslich gerät es in eine Währungskrise. Siehe Brasilien, Argentinien, Island, Ungarn, Ukraine usw.

Der Autor stellt vor diesem Hintergrund die Theorie des internationalen Handels in Frage, vehement, zu Recht. Es kann sein, dass es einfacher ist, die Zusammenhänge der Anpassungsprozesse im internationalen Handel von Gütern und Kapital anhand von Modellen (z.B. IS-LM), die von der Neoklassik geprägt sind, darzulegen. 

Solche Modelle gehen aber i.d.R. von Annahmen aus, die in der Praxis der post-modernen Finanzmärkte (Financialication, Deregulierung, um ein paar Stichworte zu nennen) fehlschlagen. Dass beispielsweise die realen Wechselkurse zwischen den Ländern konstant bleiben, ist nicht der Fall. 

Die gewaltigen Spekulationen (im Zusammenhang mit der GFC von 2008) gegenüber kleineren Volkswirtschaften wie Island und Ungarn lassen sich durchaus als Anzeichen einer Währungskrise deuten. 

Auch die Euro-Krise zeigt, dass eine Wirtschaftspolitik a la Monetarismus und „schwäbische Hausfrau“ nicht funktioniert, argumentiert Flassbeck weiter.

Bezeichnend ist, dass der amerikanische Finanzminister Tim Geithner (2009-2013) in einer G20 Sitzung nach GFC (2008) vorgeschlagen hatte, Unter- und Obergrenzen für Leistungsbilanzdefizite und -überschüsse festzulegen.

Sein Statement war im Klartext, dass das dogmatische Setzen auf den „Markt“ abwegig ist, weil damit realwirtschaftlich katastrophale Konsequenzen einhergehen. 

Wenn man dazu beitragen könnte, dass Wechselkurse den Fundamentaldaten der betroffenen Länder folgen, würden wilde Spekulationen erheblich abnehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften erhalten bleiben. 

Vorausgesetzt, dass die Lohnstückkosten von der jeweiligen Produktivität auf nationaler Ebene nicht abweichen. Das heisst, dass die Reallöhne nicht hinter der Produktivität zurückbleiben. Dann wäre damit auch für die Gleichverteilung gesorgt. 

Die europäische Währungsunion verlangt nur, dass alle das Inflationsziel einhalten, nicht, dass alle die gleiche Produktivität haben. 

Alle können zusammen produktiver werden, aber alle zusammen können nicht wettbewerbsfähiger werden. 

Es bedarf also einer monetären Konvergenz im Sinne einer Angleichung der Inflationsraten. Sonst lassen sich Spekulationen gegen Währungen nicht ausschliessen.

Der internationale Handel zwingt m.a.W. eine enge Kooperation, so der Autor mit Überzeugung als Fazit. Wenn die Zentralbanken an einem solchen Übereinkommen beteiligt werden, gibt es für Spekulanten wenig Anreiz, gegen sie vorzugehen. Denn die souveränen Zentralbanken selbst können am Devisenmarkt beliebig intervenieren.

Zur Erinnerung: Es war das nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffene Bretton-Woods System, das Deutschland das Wirtschaftswunder der 1950 und 1960er Jahre ermöglicht hat. Ein vergleichbares Währungssystem (mit festen Wechselkursen) einzuführen, ist daher sicherlich im Sinne der Analyse des Autors.

Das Buch setzt einen gewaltigen, intellektuellen Impuls, über eine neue globale Geldordnung mutig nachzudenken. Progressiv anregend.


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