Sonntag, 30. Juni 2019

Evolution or Revolution?


Buchbesprechung:

Olivier Blanchard and Lawrence H. Summers: Evolution or Revolution? Rethinking Macroeconomic Policy After the Great Recession, MIT Press, May 2019


Dieses von Olivier Blanchard und Larry Summers kürzlich gemeinsam herausgegebene Buch befasst sich mit der Frage, wie die Erfahrung aus der jüngsten Krise (gemeint ist die GFC, Global Financial Crisis von 2008-2009) das makroökonomische Denken und die makroökonomische Politik verändern sollte.

Denn die Frage, wie und wann Zurückhaltung angewendet werden soll, ist heute wichtiger als die Frage, wie die Nachfrage gesteigert werden kann, so die Autoren ganz am Anfang des Buches.

Sind die politischen Entscheidungsträger auf die nächste Krise vorbereitet? 

Das Buch, das lesenswerte Beiträge von z.B. Ben Bernanke, Lael Brainard, Adam Posen, Mario Draghi, Jay C. Shambaugh, Markus K. Brunnermeier, Gita Gopinath und Barry Eichengreen beinhaltet, behandelt hauptsächlich fünf Themen: Geldpolitik, Fiskalpolitik, Finanzpolitik, Ungleichheit und politische Ökonomie sowie das internationale Währungs- und Finanzsystem. 

Eine der wesentlichen Aussagen, die die Herausgeber wiederholt unterstreichen, ist die Tatsache, dass das blinde Vertrauen in die sich selbst wiederherstellenden Eigenschaften von Volkswirtschaften, wie es in der Frühphase der Krise von einigen Ökonomen zum Ausdruck gebracht wurde, mittlerweile weitgehend abzulehnen ist.

Donnerstag, 27. Juni 2019

Euroraum im Trugschluss der Verallgemeinerung


Es sei nämlich interessant, gerade, wo die EZB und Brüssel die deutsche Bundesregierung auffordern, Ausgaben zu erhöhen, plane Berlin, den Haushalt zu kürzen (um 3 Mrd. EUR). Ist es etwa wegen Haushaltsdefizite?

Das ist die Frage, die Matt Miller, Bloomberg Reporter an Marcel Fratzscher in einem TV-Gespräch stellt. 

Fratzscher, DIW-Präsident sagt, die deutschen Einnahmen seien rückgängig, weniger als geplant. Die deutsche Wirtschaft wachse langsam und sei globalen Unsicherheiten ausgesetzt, so die Begründung.

Es gibt aber kein Haushaltsdefizit, hackt Miller nach. Im Gegenteil, Deutschland habe einen gigantischen Haushaltsüberschuss, so die Betonung.

Dann sagt Fratzscher, Wirtschaftsprofessor für Makroökonomie an der Humboldt-Uni zu Berlin, „Wir Deutschen mögen Überschüsse“. Und die Schwierigkeit sei, dass Deutschland eine Schuldenbremse habe. Und das bedeute, dass Deutschland einen Überschuss aufweisen müsse.

Das ist in der Tat eine aufschlussreiche Unterhaltung.

Die Frage ist, warum die Einnahmen des Staates zurückgehen. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil der Staat auf Sparkurs ist, sprich „fiscal austerity“. 


Berlin plant Haushaltskürzungen trotz Haushaltsüberschuss, Graph: BloombergQuint, June 27, 2019

Mittwoch, 26. Juni 2019

Wie niedrige Zinsen und Fiskalpolitik interagieren


Die Inflationserwartungen bilden sich auf beiden Seiten des Atlantiks zurück. 

Das ist ein neues Phänomen, das v.a. im Nachspiel der GFC (Global Financial Crisis 2008-2009) augenfällig wurde.

Was sagt aber der Rückgang der Inflationserwartungen über die makroökonomische Politik aus?

Seit rund 15 Jahren geben die privaten Haushalte gemäss Umfragen (zur Ermittlung der Inflationserwartungen) in den USA (*) an, dass sie mit einer Schrumpfung ihres Einkommenswachstums rechnen.

Kein Wunder, dass sie sich mit Ausgaben zurückhalten.

Ein geringeres Produktivitätswachstum wird häufig als Grund dafür herangezogen, sich mit einem geringeren Lohnwachstum zufrieden zu geben.

Aber warum sind bisherige Produktivitätsgewinne nicht an die Arbeitnehmer zurückgeflossen?

Skanda Amarnath bietet dazu ein paar sehenswerte Abbildungen in seinem Blog


Inflationserwartungen in den USA (blaue Kurve) und im Euroraum (weisse Kurve), gemessen an 5y5y Inflation Swap Forward Rates, und Oil Futures (Brent, linke Skala), Graph: BloombergTV, June 25, 2019

Samstag, 22. Juni 2019

Austerity Palooza in Stagnation und Deutschlands Ertragskurve


Der letzte Schimmer positiver Renditen für deutsche Staatsanleihen droht ausgelöscht zu werden, meldet Bloomberg am Freitag.

Eine globale Rally an den Anleihemärkten hat bereits alle deutschen Staatspapiere bis auf 20 Jahre unter null gebracht.

Es wäre eine Premiere unter den grossen Märkten, wenn auch die Rendite der deutschen Staatsanleihen mit 30 Jahren Laufzeit ins Negative drehen würde.

Der Wert der Anleihen, die mit negativen Renditen gehandelt werden, stieg diese Woche weltweit auf ein Rekordniveau von 12‘500 Mrd. USD, nachdem EZB-Präsident Mario Draghi das Signal gegeben hatte, dass die europäische Zentralbank über Zinssenkungen und mengenmässige Lockerung der Geldpolitik nachdenke. 

Auch die US-Notenbank hat neulich, geplagt von Sorgen um die wachsenden Bedrohungen für das globale Wirtschaftswachstum, Zinssenkungen in Aussicht gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

In der Folge ist die Rendite der US-Treasury Bonds mit 10 Jahren Laufzeit unter 2% gesunken, zum ersten Mal seit Juli 2016.


Die deutsche Renditekurve präsentiert negative Werte bis auf 20 Jahre. Nur die 30-jährige Anleihe hat eine positive Rendite, Graph: Bloomberg, June 21, 2019

Dienstag, 18. Juni 2019

Deflationsangst und warum Investoren nach Spreads lechzen


Das Volumen der Anleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, hat nun einen Wert von rund 12`000 Mrd. USD erreicht.

Deutschland hat vergangene Woche eine 10-jährige Staatsanleihe mit einer Rekord-tiefen Rendite von minus 0,25% ausgegeben. 

Auch in der Schweiz, in Japan, den Niederlanden und Dänemark werden Staatspapiere mit 10 Jahren Laufzeit mit einer Negativ-Rendite gehandelt.

Es wäre keine Übertreibung, davon zu reden, dass die Bond-Märkte und Inflationserwartungen vor einer Deflationsangst stehen, wenn man v.a. den jüngsten Verlauf der 5y5y Inflation Swap Forward Rates und/oder 10y Breakeven Rates beobachtet.

In einer Rezession oder Depression gibt es laut Lehrbuch kaum Bereiche, die von Überschuss-Nachfrage gekennzeichnet sind. Folglich ist es kein Wunder, zu erblicken, dass die Preise sich einem allgemeinen Rückgang unterziehen, der als Deflation beschrieben wird.


Das Volumen der Anleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, hat heute einen Wert von fast 12`000 Mrd. USD erreicht, Graph: FT, June 17, 2019 

Sonntag, 16. Juni 2019

Wenn Zinsen tiefer liegen als Wachstum


Im Euroraum haben sich Inflationserwartungen auch diese Woche etwas zurückgebildet.

5y5y Inflation Swap Forward Rates markieren mit 1.1385% einen neuen historisch niedrigen Rekord-Wert. 

Aber auch gemessen an sog. Breakeven-Sätzen sind die Inflationserwartungen zurückgefallen.

Die Sätze errechnen sich aus der Differenz der nominalen Renditen und der realen Renditen (gemessen an inflationsindexierten Staatsanleihen mit der entsprechenden Laufzeit) und gelten als „proxy“ für Inflationserwartungen.

Die gegenwärtigen Werte (mit Daten aus Freitag) belaufen sich für USD auf 1,65% (2,08% minus 0,43%) und für EUR (deutsche Bundeswertpapiere) auf 0,89% (-0,26% minus -1,15%).

Auffallend ist, dass die Werte deutlich unter dem Inflation Target der jeweiligen Zentralbanken liegen.

Dies deutet darauf hin, dass die Anleger nicht davon überzeugt sind, dass die Zentralbanken in der Lage sind, die Wirtschaft in Zukunft zurück zum Potentialwachstum zu bringen.


5y5y Inflation Swap Forward Rate, Graph: Mike Makenzie, FT, June 14, 2019 

Donnerstag, 13. Juni 2019

Niedrige Zinsen bedeuten niedrige Opportunitätskosten


Im Euroraum suchen derzeit über 12,5 Mio. Menschen Arbeitsplätze. 2,3 Mio. Arbeitslose sind unter 25 Jahre alt.

Der Sachverhalt hat einen Namen: fiscal austerity.

Die Sparpolitik, die die EU seit dem Ausbruch der GFC verfolgt hat, hat für Millionen von Menschen vorhersehbare katastrophale Folgen.

Die hohe Arbeitslosigkeit resultiert nicht aus dem Fachkräftemangel der Arbeitnehmer, sondern aus Rezessionen, d.h. aus dem Versagen des Marktes, Löhne mit Opportunitätskosten in Einklang zu bringen, wie John Quiggin in seinem neulich erschienenen Buch formuliert.

Arbeitslosigkeit lässt sich mit Lohnmoderation nicht lösen. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Rezessionen und Arbeitslosigkeit entstehen durch die Entscheidung, die Ausgaben zu kürzen bzw. kein Geld auszugeben.

Austerität ist eine gefährliche Idee.


Inflationserwartungen im Euroraum fallen auf ein Rekordtief, Graph: Dhara Ranasinghe, Reuters, June 07, 2019

Sonntag, 9. Juni 2019

Sparparadoxon und Geldpolitik im Engpass


Das ist eine bemerkenswerte Abbildung, die den Verlauf der Inflationserwartungen auf beiden Seiten des Atlantiks zeigt.

Gemessen an 5y5y Inflation Swap Forward Rates fallen die Inflationserwartungen sowohl in den USA als auch im Euroland.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die EZB am Donnerstag erklärt hat, die Leitzinsen im Euroraum noch bis mindestens zum Ende des ersten Halbjahres 2020 nicht antasten zu wollen.

Damit hat EZB-Präsident Mario Draghi den Zinsausblick (forward guidance) zeitlich weiter nach hinten verschoben. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Banken mit Liquidität liegt seit März 2012 auf 0.0%.

Das geldpolitische Ziel der EZB ist, mit der Neuauflage der langfristigen Kredite (genannt „TLTRO III“) an die Banken, die Kreditvergabe im Euroraum zu fördern. 


Inflationserwartungen in den USA und im Euroraum, gemessen an 5y5y Inflation Swap Forward Rates, rechte Skala: EUR, und linke Skale: USD, Graph: Bloomberg, June 7, 2019

Economics in Two Lessons

Buchbesprechung:

John Quiggin: Economics in Two Lessons – Why Markets Work so Well, and Why They Can Fail so Badly, Princeton University Press, May 2019, Princeton New Jersey

In diesem Buch dreht sich alles um die Opportunitätskosten. Die Zielsetzung ist, zu verstehen, wann der Markt funktioniert und wann versagt und warum der Staat in die Bresche springen muss.

Der Ausgangspunkt ist das von Henry Hazlitt im Jahr 1946 vorgelegte Werk „Economics in One Lesson“. Ein Buch, das um jeden Preis die freie Marktwirtschaft verteidigt. Des Autors einfache Antwort ist: „lass‘ die Märkte in Ruhe, und alles wird gut“. 

Das Buch war eigentlich eine Art Hommage an Frederic Bastiat, den französischen Schriftsteller, der sich in einem Pamphlet 1850 energisch für den „free trade“ eingesetzt hatte.

Hazlitt, der in der Tradition der Mikroökonomie gearbeitet hat, hat Bastiats Buch nicht nur als Vorlage genutzt, sondern auch um eine Kritik an Keynes Analyse in Bezug auf die „Great Depression“ der 1930er Jahren erweitert.

John Quiggin überprüft hierbei die Frage v.a. aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, ob die Preise für Waren und Dienstleistungen alle Kosten widerspiegeln und bestimmen, die für eine Gesellschaft bei der Bereitstellung dieser Waren und Dienstleistungen anfallen, im „Konzept der Opportunitätskosten“ zusammengefasst werden.

Dienstag, 4. Juni 2019

Europas verkrustete Identifikation mit Fiscal Austerity


Die jährliche Inflation im Euroraum im Mai 2019 ist auf 1,2% gesunken. Dies geht aus einer Schnellschätzung (flash estimate) am Dienstag von Eurostat, dem statistischen Amt der EU hervor. Im April belief sich die Inflation auf 1,7%. 

Das bedeutet, dass die Inflation vom Zielwert der EZB weiter wegkommt. Darüber hinaus bilden sich auch die Inflationserwartungen zurück. Der 5y5y Inflation Swap-Satz ist inzwischen auf 1,3% gefallen, nahe dem niedrigen Wert von 1,25% von Mitte-2016. 

Das stellt eine erhebliche Herausforderung für die europäischen Währungshüter dar. Denn der Kerngedanke der (konventionellen) Geldpolitik ist, die Zinsen während einer Rezession-Phase zu senken und während einer Boom-Phase zu erhöhen.

Eine Zinssenkung macht allerlei Investitionen attraktiv, weil die Finanzierungskosten damit fallen. Je niedriger die Zinsen sind, desto niedriger sind die Opportunitätskosten.


Inflationserwartungen im Euroraum gemessen am 5y5y Inflation Swap-Satz, Graph: FT, June 04, 2019