Buchbesprechung
Jens Berger: Stresstest Deutschland. Wie gut sind wir wirklich?, Westend Verlag, Frankfurt 2012.
Die
Finanz- und die darauf folgende Wirtschaftskrise hält nun seit vier Jahren an. Und
die von Angela Merkel aufgenötigte Fiscal
Austerity greift in der Eurozone mittlerweile um sich. In Griechenland,
Italien, Portugal und Spanien verhindern Sparmassnahmen wichtige Investitionen,
während die Steuereinnahmen sinken.
Kurzum:
die Folgen des deutschen neoliberalen Wirtschaftsmodells im Euro-Raum sind gravierend:
zunehmende Arbeitslosigkeit, Lohnsenkungen („internal devaluation“), soziale Spaltung, der sich ausweitende
Niedriglohnsektor und eine sich allmählich beschleunigende Abwärtsspirale. Und die
Schuldensituation, die eine direkte Folge der Finanzkrise ist, verschlimmert
sich.
Die
von Kapitalmärkten angeforderten und von Teknokraten gebildeten Regierungen schicken
sich an, mit dem Sozialabbau die Depression der post-modernen Zeit zu umarmen. Am deutschen Wesen
soll also Europa genesen. Wie steht es aber mit Deutschland selbst? Besteht der
stolze Vizeweltexportmeister den Stresstest?
Jens
Berger befasst sich vor diesem Hintergrund mit Fragen und Problemen der
umwerfenden Entwicklungen, die seit Beginn der Finanzkrise auf Deutschland und
Europa lasten.
Bergers
Ziel ist die Leserschaft zum Nachdenken anzuregen und wachzurütteln, zumal (1) die
Medien (v.a Meinungsmacher) keine
aufklärerische Aufgabe erfüllen, vermeintliche Wahrheiten nicht hinterfragen
und Alternative nicht aufzeigen und (2) die „Politik in zentralen Fragen
dauerhaft gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung regiert“.
Was
ist aber die Benchmark für den
Stresstest für ein Land? Einerseits ist es „eine gerechte Gesellschaft, in
der Einkommen, Vermögen und Macht möglichst gleich verteilt sind, in der die
Menschen keine Angst vor sozialem Abstieg haben müssen und die sich durch eine
hohe Einkommens- und Bildungsmobilität auszeichnet“. Und andererseits ist es
„ein aktiver Staat, der sein Handeln am Wohl seiner Bürger ausrichtet“.
Schliesslich
steht der Mensch im Mittelpunkt der Verfassung eines jeden demokratischen
Rechtsstaates in der zivilisierten Welt. In der Präambel der Verfassung der
Schweiz heisst es, dass die Stärke des Volkes sich am Wohl der Schwachen misst.
Die von Angela Merkel geförderte „marktkonforme“ Demokratie geht aber, um es
milde auszudrücken, ohne Zweifel daran vorbei. Denn in dieser Agendapolitik
sind nicht die Menschen, sondern die Banken und Finanzunternehmen
„systemrelevant“.
Wie
das Finanzsystem die Realwirtschaft destabilisieren kann, erleben die Menschen am
eigenen Leib. Fast jede/r Vierte arbeitet in Deutschland im Niedriglohnsektor. Wie aus
einer im Dezember 2011 vorgelegten OECD-Studie hervorgeht, ist in den letzten
20 Jahren in keinem Industrieland die Enkommensungleichheit so stark gestiegen
wie in Deutschland. Und die Politiker reden (zynisch) von einem XXL-Aufschwung,
obwohl die Binnennachfrage stagniert. Heiner Flassbeck deutet in diesem
Zusammenhang auf den deutschen Einzelhandelsumsatz hin, der im Dezember 2011 auf
einem Wert von 96,7 lag, wenn man den Wert von 2005 gleich 100 setzt. Die
Menschen haben also in Deutschland kein Geld in der Tasche. Guido Westerwelle, der ehemalige
FDP-Vorsitzende und der Stellvertreter der Bundeskanzlerin attestiert hingegen Hartz-IV-Empfängern
„anstrengungslosen Wohlstand“ und „spätrömische Dekadenz“.
Und
die Lobbyisten lullen das Volk in den grotesken und manipulativen TV-Talkshows nicht
nur arglistig ein, sondern nisten sich allmählich auch in
Regierung ein. Die FDP holt sogar Verbandsmitarbeiter in die
Ministerienspitzen, um an Gesetzesentwürfen mitarbeiten zu lassen, was ein
krasser Rechtsverstoss bedeutet.
Berger
erklärt, wie einzelwirtschaftliches Denken für die Gesamtheit falsch ist. Der
Autor lässt kein wichtiges Thema aus. Lobbyismus, Sozialpolitik, Steuersystem,
Gesundheitspolitik und Finanzpolitik werden jeweils in einem einzelnen
Abschnitt (pro-contra) erläutert.
Selbstverständlich ist er für einen "demokratiekonformen Markt", nicht für eine
„marktkonforme Demokratie“.
Jens
Berger ist freier Journalist und Herausgeber des lesenswerten Blogs Spiegelfecter und seit einiger Zeit auch als
Redakteur bei NachDenkSeiten (einem Blog, der unerschütterlich allen Schwierigkeiten
zum Trotz die Wahrhaftigkeit gegen die Meinungsmache in der Mediokratie verteidigt)
tätig. Ein starkes Buch. Bitte lesen und lesen lassen.
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