Buchbesprechung:
Richard C. Koo: The Holy Grail of Macroeconomics. Lessons from Japan’s Great Recession. John Wiley & Sons , 2008.
Japans Wirtschaft war seit den 1950er Jahren durch ein relativ hohes Wachstum geprägt. Angetrieben wurde das reale Wirtschaftswachstum v.a. vom Exportsektor. Das Land erzielte hohe Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse. Begleitet wurde das phänomenale Wachstum von einem Boom auf den Aktien- und Immobilienmärkten. Japans Grosskonzerne haben nicht nur Industrieunternehmen, sondern auch Banken kontrolliert. Im Mittelpunkt dieses engen Netzwerks stand eine lockere Kreditvergabe, die anhand von persönlichen Absprachen in allen Sektoren (Stichwort: Kreuzbeteiligungen) der ganzen Wirtschaft stark ihren Stempel aufgedrückt hat. Japans Banken wiesen bis zu Beginn der 1990er Jahren im internationalen Vergleich eine sehr hohe Fremdkapitalquote auf. Mit der Zeit nahmen aber die Zweifel über die Stabilität des japanischen Finanzsystems zu. Und dann platzte die Spekulationsblase am Immobilienmarkt und die Aktienkurse haben sich innert neun Monaten halbiert.
Richard C. Koo ist Chief Economist der Nomura Research Institute in Japan. Davor war Koo als Volkswirt bei der Fed New York tätig. In diesem Buch setzt sich der Autor mit den Problemen des japanischen Wirtschafts- und Bankensystems auseinander. Der im Zuge der anhaltenden Krise in der Gegenwart meist zitierte Ausdruck „balance sheet recession“ (Bilanzrezession) stammt von ihm. Sein Hauptargument: Es kommt auf die Bilanzen an. Banken, die überschuldet und von der Insolvenz bedroht sind, müssen sich vorerst sanieren, d.h. Schulden abbauen. Wenn aber auch Haushalte, die hochverschuldet sind, weil sie von Eigenheim bis Autos alles auf Pump gekauft haben, dazu übergehen, ihre Schulden zurückzuzahlen, entsteht eine Abwärtsspirale, was zu einem anhaltenden Preisverfall bei Vermögenswerten führt. Koo vertritt die Meinung, dass daher die Weltwirtschaft heute nicht mit einer standardmässigen Rezession konfrontiert ist.
Richard Koo: The Holy Grail of Macroeconomics
Die Welt erlebte seit 1945 viele Rezessionen, die entweder auf Angebotsschocks oder verfehlte (antiinflationäre) Geldpolitik der Notenbanken zurückzuführen waren. Das Fatale bei einer Debt-Deflation ist aber, dass der reale Wert der Schulden umso mehr steigt, je mehr die Marktteilnehmer Wertpapiere, die sie auf Kredit (d.h. mit „leverage“) erworben haben, abstossen. Die steigenden Kurse haben den Vermögenswert nach oben getrieben. Bei fallenden Kursen wirkt jedoch die Hebelwirkung („leverage“) in umgekehrter Richtung. Die auf Kredit aufgebauten Vermögensposten rufen hohe Verluste hervor. Sinkende Preise wiederum verschlimmern die Finanzlage der Banken und Haushalte. Dieser Teufelskreis wird als „Paradox of de-leveraging“ genannt. Die Banken müssen sich also rekapitalisieren. Die gegenwärtige Finanzkrise weist deshalb laut Koo grosse Ähnlichkeiten mit der Krise, die in den 1930er Jahren die USA erfasst hat, auf. Doch welche Lehren sind heute aus der japanischen Erfahrung insgesamt zu ziehen? Koo schreibt zu Recht, dass die Ausgabenpolitik der japanischen Regierung nicht gescheitert sei, wie von manchen Experten derzeit behauptet wird. Aber sein Rat, die Nettoausfuhren steigern zu lassen, funktioniert heute nicht, da die Nachfrage global zum Erliegen gekommen ist. Japan ist zwar nicht in einer Depression versunken, aber die These, die zumindest in den westlichen Universitäten bislang unterrichtet wurde, dass eine Rezession verbunden mit Deflation in dieser Form im Westen nicht vorkommen würde, hat sich als krasse Fehleinschätzung erwiesen. Es ist heute ferner evident, dass der enorme Refinanzierungsbedarf der Banken und der Sachzwang, die Bilanzen zu verkleinern, zur Verlängerung der Rezession beitragen. Und die Debatte darüber, ob eine expansive Fiskalpolitik notwendig ist, deswegen völlig weltfremd ist. Denn die Nachfrage hat vier Komponenten: 1) Privatverbrauch, 2) Unternehmensinvestitionen, 3) Ausfuhren und 4) Staatsausgaben. Wenn die Quellen aus 1) bis 3) ausfallen, muss der Staat die Lücke schliessen. Heute darf deshalb Japans Fehler von 1997 nicht wiederholt werden, als man zu früh glaubte, der Abschwung sei vorbei, der Staat müsse sofort ihre Ausgaben radikal kürzen, weil sonst das Defizit ausufert. Japans verlorenes Jahrzehnt muss also der ganzen Welt heute nicht widerfahren. Die Regierungen sind aufgefordert. Aus makroökonomischer Sicht ein spannendes Buch.
1 Kommentar:
Wie steht dieses Werk zu den Thesen von Richard A. Werner?
Kommentar veröffentlichen