Donnerstag, 27. Dezember 2018

Armutsrisiko, unsichere Arbeitsplätze und Europas Wirtschaftslehre


Deutschland hat unter den grössten Volkswirtschaften der EU den höchsten Anteil an schlecht bezahlten Arbeitsplätzen. 

Dies ist auf den Prozess der Ausgliederung des Produktionsprozesses und die Schwächung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zurückzuführen, sagt Christian Odendahl, Chefsvolkswirt von Centre for European Reform mit Sitz in Berlin.

Die aktuellen Eurostat-Daten zeigen, dass im Jahr 2017 jeder zehnte Arbeitnehmer in einem Haushalt unterhalb der Armutsgrenze gelebt hat, eine Zahl, die seit 2016 unverändert geblieben ist und den höchsten Stand markiert.

Mit dem Ausblick, dass das Wirtschaftswachstum sich im kommenden Jahr abschwächt, verschlechtern sich auch die Aussichten für besser bezahlte und stabile Stellen in der EU, berichtet FT aus London heute am Donnerstag und liefert dazu ein paar bemerkenswerte Abbildungen.

Viele Faktoren trage dazu bei, dass die Arbeitnehmer in der EU nicht in der Lage sind, ein angemessenes Familieneinkommen zu erzielen: verkürzte Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Alleinverdiener, Sozialabbau usw.


Das Armutsrisiko ist bei den meisten Arten von Arbeitsplätzen in Deutschland gestiegen, Graph: FT, Dec 27, 2018 

Montag, 24. Dezember 2018

Prosperity


Buchbesprechung:

Colin Mayer: Prosperity – better business makes the greater good, Oxford University Press, Jan 2019


Das Gesetz gilt der Gerechtigkeit, wie die Medizin der Gesundheit, wie das Unternehmen .... Nun, ja, wie würden Sie diesen Satz vervollständigen?

Der Friedman-Doktrin nach besteht der Geschäftszweck darin, Geld zu verdienen und den Gewinn für die Aktionäre zu maximieren. 

Das ist ein Missverständnis, unterstreicht Colin Mayer. 

Der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor für Management Studies schreibt in seinem neulich veröffentlichten Buch, dass die Friedman-Auffassung hoffnungslos naive ist. Denn sie beruht auf einer Konzeption der Welt, die einfach elegante ökonomische Modelle erzeugt, welche sich aber in der Praxis nicht bewähren.

Die „Friedman-Doktrin“ verstehe nicht, was die Menschen motiviert, was für ein gutes Geschäft sorgt und was Regulierung zustande bringen kann. Natürlich seien Geld und Gewinne wichtig. Sie sind jedoch nicht die Hauptmotivation der Menschen oder die Hauptquelle für den Erfolg von Unternehmen, argumentiert Mayer.

Sonntag, 16. Dezember 2018

Von QE zu QT: „Cash is king“ – Auch im nächsten Jahr?


Das Marktverhalten hat es derzeit in sich: Die kurzfristigen Staatspapiere (UST Bills) übertreffen in Sachen Performance die globalen Aktien, Anleihen und Rohstoffe.

Das ist ein ungewöhnliches Ereignis, sodass einige Analysten  befürchten, dass 2019 die Gemüter erneut erhitzen könnte.

Was passiert, ist klar: 

Die Ära der mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik (QE: quantitative easing) wird ausgetauscht, durch mengenmässige Straffung (QT: quantitative tightening) der Geldpolitik. 

Das heisst, dass die US-Notenbank ihre Bilanzsumme verkleinert und die Zinsen anhebt. Im Klartext lässt der Schub für die Aktienmärkte (ausgelöst durch die expansive Geldpolitik) allmählich nach.


Die Rendite der UST-Bills mit drei Monaten Laufzeit stimmt nun mit dem Ertrag von Bloomberg Barclays Multivers Index (Anleihen Index) überein, Graph: FT, Dec 12, 2018 („Cash is back in the spotlight as global bond yields fall”) 

Freitag, 14. Dezember 2018

USA versus China: Dichotomie auf Kreditmärkten


Während sich Anzeichen besserer Handelsbeziehungen zwischen den USA und China angeblich mehren, geschieht auf der „Nebenbühne“ Anleihemärkte etwas Ungewöhnliches.

Amerika zahlt jetzt mehr, um Geld zu leihen, als China. Siehe Abbildung.

Zur Erinnerung: Die Fed hat während der GFC (Global Financial Crisis) die Zinsen auf null gesenkt hat. Und die US-Notenbank hat seit 2015 die Zinsen achtmal auf 2,25% erhöht.

Im gleichen Zeitraum ist Chinas Referenz-Zinssatz für einjährige Kreditzinsen von 5,31% auf 4,35% gesunken, wie es aus Daten von Bloomberg hervorgeht.


Die Rendite der 12-monatigen Staatspapiere der USA liegen höher als die Rendite der 12-monatigen Staatspapiere Chinas, Graph: Bloomberg, Dec 12, 2018 

Mittwoch, 12. Dezember 2018

Handel: frei und fair?


Die Ökonomen, die sich am Lehrbuch halten, haben von Anfang an gesagt, dass die Tarife von US-Präsident Donald Trump eine schlechte Idee sind.

Zugegeben war die Ausgangslage knifflig. Der Handel mag per se frei sein. Aber der Handel zwischen Volkswirtschaften war nicht ganz fair. Hier ist Deutschland, das grösste Überschussland der Welt. Dort die USA, das grösste Defizitland der Welt. 

Dass die Amerikaner dabei Unfairness empfinden, kann daher nicht überraschen. Ob die Strafzölle aber das angemessene Mittel sind, um die Ungleichgewichte zu beseitigen bzw. Handelskonflikte zu lösen, möchte man dahingestellt sein lassen. 

Der Ball liegt im Grunde genommen bei internationalen Organisationen, die beratend herausfinden müssen, wie die Überschüsse abgebaut werden können. (*)

Jedenfalls war der Oktober der erste vollständige Monat, in dem die US-Zölle gegen volle 250 Mrd. USD aus China eingeführt wurden.

Trotz der Zölle hat das US-Handelsdefizit im Oktober den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht, wie aus den von WSJ neulich vorgelegten Abbildungen hervorgeht.


Das Handelsdefizit (Güter & Dienstleistungen) der USA hat einen neuen Rekordstand erreicht, trotz der kürzlich eingeführten Zölle, Graph: WSJ, Dec 7, 2018 

Sonntag, 9. Dezember 2018

Märkte signalisieren erste Zinssenkung der Fed


Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.

Das Sprichwort hat insofern mit Finanzmärkten zu tun hat, als dass mit der Umkehrung der US-Ertragskurve (inverse yield curve) die Future Märkte nun auf eine erste Zinssenkung durch die Fed im Jahr 2020 hindeuten.

Bemerkenswert ist, dass der US-Dollar am Ende einer turbulenten Woche für die Finanzmärkte relativ unversehrt dasteht, auch wenn der weltweite Aktienverkauf die Erwartungen hinsichtlich weiterer Zinserhöhung der US-Notenbank beeinträchtigt hat.

Die Widerstandsfähigkeit des USD-Index ist auffällig, wie Bloomberg berichtet. Die US-Zinsstruktur-Kurve wurde invers. Die Futures an den Zinsmärkten signalisieren die erste Zinssenkung. Aber der US-Dollar hat die Woche trotzdem mit einem knappen Minus 0,4% abgeschlossen.

Das heisst, dass der US-Dollar eine wichtige Wertanlage bleibt. Der Greenback wird von vielen Investoren immer noch als „ein sicherer Hafen“ wahrgenommen.


Futures Märkte preisen die erste Zinssenkung durch die Fed im Jahr 2020, gemessen an Eurodollar Kontrakts, Graph: Bloomberg, Dec 7, 2018 

Samstag, 8. Dezember 2018

The Lies We Were Told


Buchbesprechung:

Simon Wren-Lewis: The Lies We Were Told – Politics, Economics, Austerity and Brexit, Bristol University Press, UK, October 2018.

Der schlechte Standard der öffentlichen Debatte über die Sparpolitik (fiscal austerity) war ein Hauptmotiv, weshalb Simon Wren-Lewis Ende 2011 angefangen hat, zu bloggen, wie er selbst erklärt.

Was er damit meint, ist die einseitige und unausgewogene Berichterstattung in den Mainstream-Medien über fundamentale makroökonomische Zusammenhänge.

Dafür prägt der britische Ökonom den Begriff „Mediamacro“. Die „Mediamacro“ spricht beispielsweise von einer „boomenden Wirtschaft“, während die Wirtschaft im historischen Vergleich eine ausserordentlich schwache Phase durchläuft. 

Ferner stellt die „Mediamacro“ Haushaltsdefizite stets in den Mittelpunkt, anstelle von Lebensstandards von Menschen. Die Frage zum Beispiel, warum Haushaltsdefizite ein wichtigeres Problem darstellen sollen als Massenarbeitslosigkeit, bleibt unbeantwortet.

Die Mediamacro war beispielsweise der entscheidende Faktor hinter dem Erfolg der konservativen Partei in Grossbritannien, v.a. was die Wahl von 2015 betrifft.

Mittwoch, 5. Dezember 2018

Rezession oder andere Risiken am Horizont


Es wurde längst erwartet. Nun ist sie eingetroffen. Die US-Ertragskurve (yield curve) wurde invers, und zwar am kurzen Ende: Der Rendite-Abstand (spread) zwischen drei- und fünfjährigen Anleihen ist unter null gefallen. Das heisst, dass die zweijährige Rendite über der fünfjährigen liegt.

Es ist erstaunlich, dass diese Situation, die Investoren als Vorbote einer Rezession betrachten, wenn sie v.a. den Rendite-Abstand zwischen zwei- und zehnjährigen Anleihen betrifft, zu einem denkbar „günstigen“ Zeitpunkt entstanden ist.

Die US-Administration hat gerade jetzt mit Stolz einen „Waffenstillstand“ im Handelsstreit mit China angekündigt. Die Wirtschaft wächst. Die Inflation gilt per Definition am Ziel angekommen. Und die Arbeitslosigkeit ist niedrig.

Doch die Weltwirtschaft scheint im Moment irgendwie risikobehaftet.

Und die Umkehrung der Rendite-Kurve gehört zu den Gefahren, die von Zentralbanken genau überwacht werden. 

Droht eine Abkühlung der US-Wirtschaft?

Eine inverse Zinsstruktur-Kurve deutet i.d.R. auf eine schwächere Wirtschaft hin. Wenn die Zinsen am kurzen Ende steigen und am langen Ende sinken oder stagnieren, signalisieren die Anleihemärkte, dass die Geldpolitik zu straff ist.


Rendite-Spread für US-Staatsanleihen mit 3 und 5 Jahren Laufzeit, Graph: BloombergTV, Dec 5, 2018 


Montag, 3. Dezember 2018

Prognostiziert die Renditekurve wirklich eine Rezession?


Es ist allgemein bekannt, dass Rezessionen in den USA häufig eine Umkehr der Zinsstrukturkurve (inversion of yield curve) vorausgegangen ist.

Die Frage ist, ob es ökonomische Gründe dafür gibt.

Die meisten Renditekurve-Analysen beziehen sich auf Nominalzinsen. Die Wirtschaftstheorie betont jedoch die Relevanz der realen (inflationsbereinigten) Zinssätze, schreiben David Andolfatto und Andrew Spewak in einem aktuellen Blog-Eintrag bei der St. Louis Fed.

Gemäss der Standard-Asset-Pricing Theorie misst der Realzinssatz die Rate, mit der der Konsum voraussichtlich über einen bestimmten Zeithorizont ansteigen wird.

Eine hohe Rendite von einem Jahr signalisiert ein über einen Zeitraum von einem Jahr erwartetes hohes Wachstum.

Eine hohe 10-jährige Rendite signalisiert ein voraussichtlich hohes Wachstum über einen Zeitraum von 10 Jahren. 

Wenn die Differenz zwischen der 10-jährigen und der 1-jährigen Rendite positiv ist, wird erwartet, dass sich das Wachstum beschleunigt.

Wenn die Differenz negativ ist, das heisst, wenn die reale Renditekurve invertiert, wird erwartet, dass sich das Wachstum verlangsamt.


Der reale Rendite-Spread zwischen UST mit 10y und 1y Laufzeit, Graph: David Andolfatto and Andrew Spewak, FRED Blog, Nov 2018


Die Abbildung zeigt die Spanne der Realrendite zwischen 10 und 1 Jahr sowie die Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Verbrauchs (ohne Gebrauchsgüter) gegenüber dem Vorjahr.

Wie aus der Abbildung hervorgeht, wurde die reale Renditekurve vor jeder der drei letzten Rezessionen (1985-86, 1988-89 und 2006-07) abgeflacht und invertiert.

Sonntag, 2. Dezember 2018

Löhne, Inflation und Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum


Morgan Stanley liefert im „2019 European Economic Outlook” ein paar sensationell schöne Abbildungen.

Die eine davon zeigt, wie sich die Löhne entwickeln. 

Was wir sehen, ist etwas Lohnwachstum. Und dies könnte sich als unterstützend für den privaten Konsum erweisen.

Aber auch die Lohnstückkosten, d.h. um die Produktivität angepasste Löhne, steigen. Und das kann natürlich auch eine treibende Kraft für eine höhere Inflation sein, wie Morgan Stanley mit Recht hervorhebt.

Warum ist diese Entwicklung wichtig?

Weil wir damit die makroökonomischen Ungleichgewichte im Euroraum besser und nüchtern angehen können.


Das Lohnwachstum beginnt, vom Boden aufzuheben, Graph: Morgan Stanley, Nov 28, 2018

Mittwoch, 28. November 2018

Italien und der „Schneeball“-Effekt


Die deutsche Wirtschaft boomt

Das ist eine Schlagzeile, die in den Mainstream-Medien allzu oft auftaucht, unabhängig davon, wie die Konjunktur gerade läuft und ob sie den tatsächlichen Daten entspricht oder nicht.

In Berichterstattungen für Südeuropa hingegen, wie z.B. zuletzt für Italien gehört die Warnung vor der (steten) Gefahr eines Staatsbankrotts zum allgemeinen Vokabular.

Ein Blick auf die Performance der Aktienmärkte lässt etwas aufhorchen:

In der angeblich auf Hochtouren laufenden Wirtschaft (Deutschland) ist die Wertentwicklung der Aktien (year to date: seit Jahresbeginn) mit Minus 12% genau gleich wie in einer angeblich vor der Staatspleite stehenden Wirtschaft Italiens (Minus 12%). 

Es ist natürlich fragwürdig, wem mit einem Staatsbankrott zu helfen ist? Der grösste Teil der italienischen Staatsanleihen wird von italienischen Banken gehalten. Die Banken sind ja bekanntlich in einer anhaltend stagnierenden Wirtschaft bereits angeschlagen, um es milde auszudrücken. 

Ausserdem, welche Probleme der Eurokrise können mit Staatsbankrott überhaupt gelöst werden?


Der Verlauf der Aktienmärkte im Vergleich (seit Jahresbeginn): DAX (-12%) versus FTSE MIB Italy (-12%), Graph: Bloomberg TV, Nov 27, 2018 

Samstag, 24. November 2018

Makroökonomische Krisen und politische Entscheidungsträger


Der Streit um Italiens Haushalt sollte zu bedenken geben, und zwar in Sachen überliefertes Wissen der Makroökonomie. 

Gemeint ist eine Art „Mechanismus zur Wissensübertragung“ zwischen Akademikern und politischen Entscheidungsträgern.

Warum hat z.B. die EZB im Jahr 2010 die EU-Mitgliedsstaaten zu restriktiven fiskalpolitischen Massnahmen ermutigt, obwohl ihr Wirtschaftsmodell nahelegt, dass sie (d.h. fiscal austerity) zur Schrumpfung der Produktion (output) führen und einen weiteren Rückgang der Inflation verursachen würde, obwohl sie zu dem Zeitpunkt selbst Mühe hatte, das eigene Inflationsziel zu treffen, was im Grunde genommen heute noch der Fall ist. 

Denn die EZB unterbietet die Zielinflationsrate im Euroraum noch immer.

Warum hat die EZB einfach nicht gesagt, dass die Geldpolitik an Wirksamkeit verliert, wenn die Wirtschaft in eine Liquiditätsfalle gerät und die nominalen Zinsen auf der Nulllinie liegen (zero lower bound) und sie deshalb die Unterstützung durch die Fiskalpolitik benötigt, um die Wirtschaft auf den Vordermann zu bringen.

Es geht wahrscheinlich um Interessen und Ideen in der politischen Ökonomie. Simon Wren-Lewis stellt dazu in seinem neuen Buch zwei Überlegungen an.

Warum ziehen die Eliten Fiscal Austerity vor? Und wie werden solche Interessen durch die Zentralbanken vermittelt?



10y Die Rendite-Differenz ("lo spread") ITA (3,40%) - GER (0,34%), Graph: Bloomberg, Nov 23, 2018 

Freitag, 23. November 2018

Brexit, Makroökonomie und Einwanderung


Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Einwanderung beim Brexit-Referendum eine wichtige Rolle gespielt hat. Vielleicht war sie der Hauptfaktor, wie Jonathan Portes in seinem Beitrag („Immigration – the way forward“) im von VoxEU veröffentlichten eBook („Brexit Beckons“) schreibt. 

Wenn das Votum des Vereinigten Königreichs ein Nein gegen irgend etwas war, war es ein Nein gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU; ein Votum, die Einwanderungspolitik zurückzufahren.

Für die meisten Ökonomen ist das paradox. Denn es besteht ein klarer Konsens darüber, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einwanderung, insbesondere aus der EU, im Vereinigten Königreich (UK) weitgehend positiv waren, unterstreicht Portes mit Nachdruck.

Insbesondere gibt es wenig oder keine Belege für wirtschaftlich bedeutende negative Auswirkungen auf die einheimischen Arbeitskräfte, weder in Bezug auf die Arbeitsplätze noch auf die Löhne, während die öffentlichen Finanzen und damit die öffentlichen Dienstleistungen entlastet wurden.


Grossbritannien: Der Verlauf des Wechselkurses und der Inflation nach dem Brexit-Referendum, Graph: NIESR, June 2017

Dienstag, 20. November 2018

Wird die Wirtschaft allmählich bargeldlos?


Ein interessanter Aspekt im Wirbel um den Aufstieg von „Crypto-Currencies“ ist sicherlich die Rede von der Bedeutung der bargeldlosen Wirtschaft.

Bewegt sich aber die Wirtschaft tatsächlich auf eine bargeldlose Zukunft zu, in dem Sinne, dass die Menschen immer mehr „Plastik“ (Kredit- und Debitkarten) für Transaktionen benutzen?

Die Theorie lässt sich rasch mit einem Blick auf den Bargeldumlauf testen, notiert die Research-Abteilung der St. Louis Fed in einer aktuellen Studie (FRED Blog).

Sollte das Bargeld im Umlauf nicht mehr wachsen, während die Wirtschaft weiter wächst, wäre es ein Indikator dafür, dass andere Formen von Geld wichtiger werden und das Geld irgendwie ersetzen.

Die folgende Abbildung erzählt aber eine andere Geschichte:

Das Bargeld im Umlauf wächst durchweg schneller als die Wirtschaft.


Bargeld im Umlauf, Graph: FRED Blog St. Louis Fed, Nov 2018

Sonntag, 18. November 2018

Europas prozyklische Fiskalpolitik und Italien


Wie die folgende Abbildung zeigt, hat Italiens BIP-Wachstum im dritten Quartal 2018 stagniert: 0,0%Q und 0.8%Y.

Es gibt also gute Gründe, warum die Ausgaben steigen sollten. Doch die EU-Behörden bestehen darauf, dass Rom die Gürtel enger schnallt.

Das ist die Torheit prozyklischer Fiskalpolitik à la EU-Kommission. 

Eine stagnierende Wirtschaft, wo die nominalen Zinsen nahe null liegen, ist nicht der richtige Zeitpunkt, Haushaltskonsolidierung anzusteuern.

Dass die Austerität das Vertrauen erhöhen und das erhöhte Vertrauen die Produktion (output) steigern würde, ist ein Zirkelschluss. Denn das Vertrauen würde dann steigen, falls die Austerität gut für die Wirtschaft wäre, was ja nicht der Fall ist.

Die Wirtschaftslehre sagt voraus, dass fiskalische Austerität das Wachstum für Jahre reduziert. Das durchschnittliche Wachstum nach langer Stagnation ist daher eine Art Selbstanzeige der Austerität, nicht Rechtfertigung dafür, dass sie richtig war. Eine Erholung der Wirtschaft mehrere Jahre nach dem Ende der Rezession ist keine Evidenz, dass die Austerität funktioniert.


Italiens BIP, Graph: Bank Safra Sarasin, Zurich, Nov 16, 2018

Freitag, 16. November 2018

USD-Nachfrage und Basis-Spread


Der US-Dollar ist das Schmiermittel, mit dem das globale Wirtschaftssystem geölt wird, und ein Anstieg der Nachfrage nach dem Greenback kann als Zeichen finanzieller Not betrachtet werden, berichtet Financial Times aus London anhand ein paar sehenswerter Abbildungen.

Eine Möglichkeit, dies zu messen ist, der Basis-Spread (cross-currency basis). Die Basis repräsentiert, vereinfacht ausgedrückt, die zusätzlichen Kosten, die die Banken für den Austausch (swap) einer Währung durch eine andere Währung am Derivatemarkt erheben.

In turbulenten Zeiten kann die cross-currency Basis durch die Decke schiessen, z.B. während der GFC und Eurokrise, wenn Banken und Investoren sich drängeln, US-Dollar aufzubringen, um Verbindlichkeiten auf Dollar-Basis zu finanzieren.

Der Basis-Spread neigt insbesondere gegen Ende des Geschäftsjahres „wackelig“ zu werden, wenn Banken versuchen, die Derivate in den Büchern zu bereinigen, um die Berichtsanforderungen zu erfüllen.

Dies führt i.d.R. zu einer drastischen Erhöhung des Basis-Spreads für viele Devisen-Swaps und veranschaulicht damit nicht unbedingt die wachsende Nervosität an den Finanzmärkten.


USD-EUR cross-currency basis, Graph: FT, Nov 15, 2018 

Dienstag, 13. November 2018

EZB als „lender of last resort“ und Italiens Haushalt


Italien sucht Lösung im Haushaltsstreit mit der EU. 

Um zu verstehen, was der Hintergrund der Auseinandersetzung ist, lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, wie die Eurokrise beendet wurde.

Mario Draghi hatte seine berühmten Worte gesprochen, um die Märkte zu beruhigen: „whatever it takes“. Das war am 26. Juli 2012. Dann hatte die EZB im September beschlossen, OMT (outright monetary transaction) anzusetzen.

OMT war im Wesentlichen eine uneingeschränkte Verpflichtung, die Anleihen bestimmter Länder zu kaufen. 

Das heisst im Klartext, dass die EZB damit ihre Bereitschaft angekündigt hat, als lender of last resort zu agieren.

Keine Regierung, die über eine eigene Zentralbank verfügt, kann von den Märkten gezwungen werden, Zahlungsunfähigkeit (default) zu erklären, weil die Zentralbank intervenieren und die Staatspapiere, die sonst von niemandem gekauft werden, kaufen würde.

Mit der OMT-Vorstellung hat sich die Eurokrise damals erheblich entspannt. 


Italienische Staatsanleihen mit 2 und 5 Jahren Laufzeit, Graph: FT, Nov 12, 2018 

Sonntag, 11. November 2018

Niedrige Realrenditen in der Eurozone und die Ursachen


In den letzten vier Jahren bewegten sich die Renditen der Anleihen der Kern-Eurozone mit einem Durchschnittswert von 0,38% in einer relativ knappen Bandbreite. Und sie liegen derzeit bei 0,45%, berichtet Bank J. Safra Sarasin in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.

Die realen Renditen für Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit haben sich in diesem Zeitraum stark negativ entwickelt. 

Verschiedene geldpolitische Massnahmen wie Negativzinsen, das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten am offenen Markt sowie die explizite Forward Rate Guidance der EZB haben die Anleiherenditen auf ein Niveau gedrückt, welches mit den aktuellen Entwicklungen der Realwirtschaft nicht im Einklang steht, heisst es in der Analyse weiter.

Was in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt, ist die Tatsache, dass die fatale Kombination von interner Abwertung (internal devaluation) und der rigorosen Sparpolitik (fiscal austerity) der Auslöser ist. 

Die EZB hält die Zinsen auf einem historisch tiefen Niveau nicht aus Jux und Dollerei, sondern sie nimmt (endlich mit der Amtsübernahme von Mario Draghi) ihre Rolle als „lender of last resort“ wahr, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln.

Die Nachfrage ist träge, weil das schwache Lohnwachstum direkt die Einkommen der Konsumenten reduziert, und zwar real, wenn die Preise nicht im Gleichschritt sinken.


Die Entwicklung der Zinsen in der Eurozone, gemessen an Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit, Graph: Karsten Junius, Bank Safra Sarasin, Nov 9, 2018

Freitag, 9. November 2018

Sparpolitik und Medien


Viele der wichtigsten Ereignisse der letzten acht Jahre haben einen gemeinsamen Faden, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog.

Gemeint ist die entscheidende Rolle, die die Medien gespielt haben, und zwar was die fiskalische Austerität, die Krise in der Eurozone, die Wahlen in Grossbritannien von 2015, die Abstimmung über Brexit und die Wahl von Trump betrifft.

Der emeritierte Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oxford zählt dazu das Ignorieren von Fachwissen und Fakten, unausgewogene und einseitige Berichterstattungen oder sogar einfache Lügen seitens der Medien.

Keiner der genannten Ereignisse ist nur im Nachhinein ein Fehler, sondern eher ein Fehler, der damals vorhergesagt wurde.

Von wem?

Von der Mehrzahl der Makroökonomen. 

Dass zum Beispiel die fiscal austerity eine schlechte Idee ist, wurde von den Medien weitgehend ignoriert. Wenn die Medien mit Ökonomen sprechen, tun sie es eher mit denen aus dem Finanzsektor.


Simon Wren-Lewis: „The Lies We Were Told“, Graph: Bristol University Press, Nov 8, 2018

Sonntag, 4. November 2018

Defizite und Überschüsse im Haushalt und Parteilichkeit


Die Washington Post hat letzte Woche kritisch auf ein gegenwärtiges Phänomen der US-Wirtschaft hingewiesen: 

Der Anstieg des Haushaltsdefizits trotz der weiter fallenden, historisch niedrigen Arbeitslosenquote.

Die empirische Beobachtung legt offen nahe, dass es tendenziell zu Haushaltsdefiziten kommt, wenn die Wirtschaft nicht gut läuft. Und wenn die Wirtschaft Tritt fasst und gut läuft, entstehen kleinere Defizite oder eher Überschüsse. 

Trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit ist das Defizit jetzt wieder auf dem Vormarsch in den USA. 

Nun nimmt sich auch Paul Krugman in seinem Blog bei NYTimes des Themas an und vertritt die Ansicht, dass dies unverantwortlich sei und zeige, dass das Händeringen der Republikaner über Haushaltsdefizite bislang immer unaufrichtig war.

John Maynard Keynes (*) hat es einst so zum Ausdruck gebracht: „Der Boom, nicht der Einbruch ist der richtige Zeitpunkt für Sparpolitik“.

Das heisst, dass die Fiskalpolitik die Nachfrage unterstützen sollte, wenn die Wirtschaft schwach läuft und sie sollte die Unterstützung zurückziehen, wenn die Wirtschaft auf Touren kommt.


US-Wirtschaft heute: mit hohen Haushaltsdefiziten trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit, Graph: Catherine Rampell @crampell @WashingtonPost 

Freitag, 2. November 2018

Italiens sparende Unternehmen und Haushaltsstreit mit der EU


Der italienische Haushaltsentwurf wurde bekanntlich von der EU-Kommission neulich zurückgewiesen, mit der Begründung, dass die EU-Defizitregel von Rom nicht eingehalten werden.

Italiens Kreditwürdigkeit steht seither auf der Kippe. Die Rating-Agenturen melden sich zu Wort und an den Anleihemärkten steigen die Kosten der Kreditaufnahme. 

Der Anstieg der Risikoaufschläge (spreads) italienischer Staatspapiere verschärft aber die Finanzierungsbedingungen auch für den privaten Sektor, wodurch die ohnehin fragile Lage der italienischen Banken zusätzlich belastet wird. Die Banken halten schliesslich eine Menge Staatsanleihen in ihren Büchern.

Was ferner nicht vergessen werden darf, ist die Tatsache, dass auch die herben Äusserungen der EU-Funktionäre in Bezug auf Rom dazu beitragen, dass der Ausblick für die gesamtwirtschaftliche Stabilität Italiens düsterer wird, wie Ashoka Mody in seiner lesenswerten Kolumne bei Bloomberg hervorhebt. 

Wenn jedoch die italienische Wirtschaft ins Stocken gerät, könnten fiskalische Anreize (fiscal stimulus) der einzige Weg sein, um eine gefährliche Rezession zu vermeiden, die Italien in eine unüberschaubare Krise stürzen könnte, bekräftigt Mody, der derzeit an der Princeton University für internationale Wirtschaftspolitik als Gastprofessor agiert.


Die sektoralen Finanzierungssalden der italienischen Wirtschaft: private Haushalte und Unternehmen sparen; sie sind Netto-Sparer, Graph: Makroskop, August 17, 2018 

Mittwoch, 31. Oktober 2018

US-Inflation ist am Ziel - Was nun?


Zum ersten Mal, seit die US-Notenbank im Jahr 2012 durch den damaligen Fed-Präsidenten Ben Bernanke offiziell ein Inflation Target von 2% eingeführt hat, liegen sowohl die Headline- als auch die Kerninflation in den USA heute am Ziel.

Und das geschieht, während die Arbeitslosenquote mit 3,7% einen historisch tiefen Wert markiert.

Die Fed-Mitarbeiter können sich zwar nun kurz auf die Schulter klopfen. Ist aber jetzt alles in Ordnung?

Nein. Was für die Geldpolitik wichtig ist, ist nicht das gegenwärtige Niveau der Inflation, sondern wohin sie hingeht: steigt sie höher oder fällt sie zurück?

Die Inflationserwartungen am Anleihemarkt deuten in diesem Jahr gemessen an 5y5y forward inflation breakeven Sätzen (*) relativ konstant auf 2% hin. 


US-Inflation ist am Ziel, Graph: Bloomberg, Oct 30, 2018

Montag, 29. Oktober 2018

Interne Abwertung, fiskalische Austerität und italienische Banken


Die EU hat den Haushaltsentwurf Italiens abgelehnt. Begründung: zu hohe Neuverschuldung.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, wie die Kosten der Kreditausfall-Versicherungen (CDS: Credit Default Swaps) für italienische Banken gestiegen sind.

Warum?

Die Banken in Europa waren bereits vor dem Ausbruch der Krise hoch verschuldet. 

Dazu kommt, dass Disinflation und anhaltende Stagnation dem europäischen Finanzsystem seit geraumer Zeit Schwierigkeiten bereiten. 

Gemeint sind die negativen Begleiterscheinungen der Wirtschaftspolitik der Eurozone.

Die europäischen Entscheidungsträger betrachten die Senkung der Arbeitskosten als eine effektive Lösung für die ökonomischen Probleme Europas. Zur Wiedererlangung des externen Gleichgewichts verfolgen die EU-Behörden den Ansatz der internen Abwertung (internal devaluation) durch Lohnsenkung.

Eine interne Abwertung ist aber für das Finanzsystem und die Schuldner nicht förderlich. Sinkende Löhne bedeuten einen Rückgang des Einkommens. In erster Linie ist die Bevölkerung mit relativ hoher Konsumneigung davon betroffen.


CDS auf Italiens Banken, Graph: FT, Oct 26, 2018

Sonntag, 28. Oktober 2018

Warum steigt das US-Haushaltdefizit trotz des Wirtschaftswachstums?


Wie das US-Schatzamt neulich berichtet hat, ist das US-Haushaltsdefizit vom Fiskaljahr 2017 zum Fiskaljahr 2018 um 17% auf 113 Mrd. USD gestiegen.

In der Regel schrumpfen die Defizite, wenn die Wirtschaft gut läuft. Das liegt daran, dass die Menschen mehr Geld verdienen, wodurch sie mehr Steuern zahlen und weniger staatliche Sicherheitsnetzprogramme in Anspruch nehmen.

Diese Beziehung zwischen Defiziten und der Wirtschaft hat sich in den letzten 70 Jahren, ausser in Kriegszeiten, im Allgemeinen bewährt, schreibt Catherine Rampell in ihrer Kolumne bei Washington Post.

Vor diesem Hintergrund nennt sie die Steuersenkungen durch die Republikanische Partei ein grosses Versagen: keines der Dinge, die die Republikaner versprochen haben, wurde erreicht. Das Defizit wurde nicht abgebaut. Die Mittelklasse hat nichts davon. Und auch der gute Wille der Wähler wurde damit nicht gewonnen.

Die Treasury-Zahlen sind im Grunde genommen keine Überraschung. Buchstäblich sagte jeder unabhängige Wirtschaftsprognostiker im Vorfeld voraus, dass die Steuersenkung die netto-Defizite erhöhen würde. 


Der Verlauf des US-Haushalts im Laufe der Zeit, Graph: Catherine Campell, Washington Post, Oct 2018 @crampell @washingtonpost 

Freitag, 26. Oktober 2018

Handelsbilanz und Konjunkturzyklus

Die Handelsbilanz USA und Deutschland ist ohne Zweifel eines der heissesten Themas seit dem Amtsantritt des US-Präsidenten Donald Trump.

Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist sicherlich im Allgemeinen, in welcher Beziehung die Handelsbilanz zur wirtschaftlichen Aktivität steht.

Die Handelsbilanz der USA für Waren und Dienstleistungen hat ein anhaltendes Defizit. Es sieht so aus, als ob das Handelsbilanzdefizit bei jeder Rezession tendenziell abnehmen würde, wie die folgende Abbildung der St. Louis Fed nahelegt.

Das von Ökonomen der St. Louis Fed erstellte Streudiagramm zeigt ferner eine negative Korrelation: 

Wenn das reale BIP tendenziell ansteigt, geht die Handelsbilanz tendenziell zurück. Das heisst, dass die Handelsbilanzüberschüsse zurückgehen oder die Handelsbilanzdefizite zunehmen.


US-Handelsbilanz, Graph: FRED, St. Louis Fed, Oct 25, 2018 


Montag, 22. Oktober 2018

US-Schatzamt rügt deutsche Wirtschaftspolitik


US-Finanzministerium hat vergangene Woche seinen halbjährlichen Wirtschaftsbericht ("makroökonomische Politik und Devisenpolitik der wichtigsten Handelspartner der Vereinigten Staaten") veröffentlicht. 

Der Bericht betont v.a. drei makroökonomische Kriterien, die erfüllt sein müssen, um Manipulationen im Aussenhandel nachzuweisen.

Erstens: ein signifikanter bilateraler Handelsüberschuss mit den USA; mind. 20 Mrd. USD, 
Zweitens: ein wesentlicher Leistungsbilanzüberschuss, mind. 3% des BIP und
Drittens: hartnäckige und einseitige Eingriffe in den Devisenmarkt, mind. 2% des BIP über einen Zeitraum von 12 Monaten.

Bemerkenswert ist, dass laut US-Schatzamt kein Land derzeit gegen alle drei Auflagen verstösst. Dennoch bleiben die Schweiz, China, Japan Deutschland, Korea und Indien auf der Überprüfungsliste.

Deutschland hat den grössten Leistungsbilanzüberschuss der Welt: 329 Mrd. USD (8.2% des BIP) in den vier Quartalen bis Juni 2018, was den höchsten nominalen Stand seit Beginn der Aufzeichnungen darstellt, so das US-Schatzamt.


Leistungsbilanz, Überschuss versus Defizit in ausgewählten Volkswirtschaften, Graph: US-Finanzministerium (US-Treasury), Oct 2018 @USTreasury 

Freitag, 19. Oktober 2018

Libor OIS Spread und Kreditbedingungen


Der US Libor-OIS Spread (3 Monats Libor minus OIS) ist der Aufschlag für besicherte Kredite unter Banken.

Isoliert betrachtet reflektiert der Spread (zwischen dem Zinssatz für die Kreditvergabe der Banken und dem Kredit für ein risikoloses Darlehen) die Kombination aus einer Liquiditätsprämie und einem Ausgleich (compensation) für das Kontrahentenrisiko.

Wenn der Spread sich ausweitet, kann daraus geschlossen werden, dass entweder die Liquidität teurer wird oder das wahrgenommene Ausfallrisiko steigt, oder eine Mischung aus beidem.

Wie aus einer heute veröffentlichten Abbildung via BloombergTV hervorgeht, verläuft der Libor OIS Spread heute nahe einem 10-Monats-Tief.

Allem Anschein nach wurden die Zinsschritte der Fed bisher durch die Investoren vollkommen eingepreist und der weitere Verlauf keine Anzeichen von Stress andeutet.


US Libor OIS Spread, Graph: BloombergTV, Oct 19, 2018

Dienstag, 16. Oktober 2018

Kein Sparen ohne Schulden


US-Präsident Donald Trump hat vergangene Woche gesagt, dass die Fed verrückt geworden ist. Die Begründung der Kritik lautet, dass die US-Notenbank mit Zinserhöhungen einen Fehler mache.

In der Tat hat die Fed die Zinsen in diesem Jahr dreimal angehoben. Die Futures Märkte deuten auf eine weitere Zinserhöhung durch die Fed im Dezember hin. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt 70%. 

Es gibt jedoch wenig Hinweise darauf, dass die Zinssätze angesichts der aktuellen Wirtschaftslage „zu fest“ sind, wie die folgenden zwei Abbildungen zeigen.

Die Fed hat den Straffungszyklus Ende 2015 gestartet. Und die finanziellen Konditionen sehen seither nicht besonders gespannt.


Der reale US-Leitzins (Fed Funds Rate minus Kern-Inflation), Graph: Bloomberg, Oct 11, 2018

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Die transatlantische Rendite-Differenz


Während die US-Notenbank die Zinserhöhungen mit Verweis auf den “fest und vollgefüllten Arbeitsmarkt” und das „starke Wirtschaftswachstum“ fortsetzt, wartet die EZB allem Anschein nach bis mindestens September 2019 zu, den geldpolitischen Kurs in Richtung „Normalisierung“ zu lenken.

Unterdessen weitet sich die transatlantische Rendite-Differenz so aus, dass sich der höchste Wert seit September 1984 ergibt, wie PictetWM aus Genf mit einer sehenswerten Abbildung unterstreicht.

Die Rendite der UST Bills mit 3 Monaten Laufzeit beträgt 2.27%. Die Rendite der deutschen Staatspapiere mit derselben Laufzeit beläuft sich auf minus 0.671%. Und in Grossbritannien lautet der entsprechende Wert 0.731%.

Bemerkenswert ist aber, dass die deutschen Bundesanleihen für Anleger mit Sitz in den USA besonders attraktiv erscheinen, wenn man die Kosten für die Währungsabsicherung (FX hedged) mit berücksichtigt.


Europäische Staatsanleihen bieten höchst vorteilhafte Erträge für US-Investoren, wenn man die Kosten für die Währungsabsicherung mit berechnet, Graph: Bloomberg, Oct 10, 2018


Sonntag, 7. Oktober 2018

Fed und die neue Bedeutung des neutralen Zinses


Ist der neutrale Zins (Kurzwort: „r-star“) nun am Ende seines Daseins?

John Williams, New York Fed Präsident hat am vergangenen Freitag in einer Rede deutlich gemacht, dass der neutrale Zinssatz nicht länger ein Leitstern für die Geldpolitik gilt.

Das bedeutet im Grunde genommen, dass ein Leitzins (federal funds rate) in der Bandbreite dessen, was als neutral gilt, für die Gestaltung der Geldpolitik keine besondere Rolle spielt, bemerkt Tim Duy in seiner Kolumne bei Bloomberg Opinion.

Das ist relativ „hawkish“ gegenüber allen Erwartungen, dass die Fed eine Pause einlegen würde, sobald die Leitzinsen ein Niveau erreichen, welches die Wirtschaft weder stimuliert noch einschränkt.

Und damit wird durch die Fed erneut die Relevanz der eingehenden Wirtschaftsdaten unterstrichen.

Williams Anhänglichkeit an „r-star“ kann nicht überbewertet werden, betont Duy weiter. Denn das Thema war ein Schlüsselelement auf der Forschungsagenda von William. Noch im Mai hat er gesagt, dass der „r-star“ weiterhin hell erstrahle, und die Geldpolitik leite. Jetzt legt er die Metrik beiseite.


Die US-Notenbank hat seit Dezember 2015 die Zinsen insgesamt achtmal erhöht, um die Wirtschaft anzukurbeln, Graph: Bloomberg, Oct 1, 2018

Dienstag, 2. Oktober 2018

Unterbeschäftigung ist die neue Arbeitslosigkeit


Die Mainstream-Medien bejubeln den Rückgang der Arbeitslosigkeit in den westlichen Volkswirtschaften. Was aber dabei in Vergessenheit zu geraten scheint, ist, dass ein grosser Teil der neu beschaffenen Stellen auf Teilzeit entfällt. 

Es handelt sich dabei zumeist um atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, d.h. Arbeitsplätze mit zu geringer Einkommenssicherheit.

Es mag deshalb dahingestellt sein, ob die grossen Volkswirtschaften per Definition der Vollbeschäftigung nahestehen oder nicht. Eine wichtige Frage, die sich stellt, ist, ob wir uns auf die Benchmark „Arbeitslosenquote“ weiter wie bisher verlassen können, während die Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen immer grösser wird.

Vor diesem Hintergrund unterstreichen David Bell und David Blanchflower in einem neulich vorgelegten NBER Working Paper ("Underemployment in the US and Europe") August 2018, dass es seit der GFC (Global Financial Crisis) vor allem auf die Unterbeschäftigung (als neues Mass für die Arbeitslosigkeit) ankommt. Die Unterbeschäftigung ist sozusagen die neue Arbeitslosenquote.

Die Unterbeschäftigung sei zudem auch der Grund dafür, warum die Löhne in den USA und Europe trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit langsamer wachsen als in der Zeit vor der GFC, so die Autoren weiter.


Unterbeschäftigung in den USA und Europe, Graph: David Bell and David Blanchflower, in: voxeu, Sept 24, 2018 

Freitag, 28. September 2018

Von “Handelskrieg” zu “Handelsumlenkungen”


Auch wenn die von den USA verhängten Zölle bisher nur geringe Auswirkungen zu entfalten scheinen, steht fest, dass die globale Handelslandschaft sich in den letzten Monaten stark verändert hat. Stichwort: Unsicherheit.

Ein latenter Handelskrieg löst Nervosität und Sorgenfalten aus. Der Ankündigung von erhöhten Zöllen durch die Trump-Administration folgen nun Vergeltungsmassnahmen durch die Handelspartner. 

Die ECB untersucht vor diesem Hintergrund die möglichen Auswirkungen einer hypothetischen Eskalation der Handelsspannungen auf die Weltwirtschaft in einer am Mittwoch vorgelegten Studie.

Das Fazit lautet kurz, dass eine Wirtschaft, die einen Tarif verhängt, und damit eine Vergeltung durch Handelspartner verursacht, dann deutlich schlechter steht: der Lebensstandard sinkt und Arbeitsplätze gehen verloren.


Die geschätzten Auswirkungen einer Eskalation der Handelsspannungen -Effekte im ersten Fiskaljahr, Graph: ECB in: ECB Economic Bulletin, Issue 6/2018: “macroeconomic implications of increasing protectionism”, Sept 26, 2018 

Mittwoch, 26. September 2018

Inverse Renditekurve und Rezession in der Theorie


Eine inverse Zinskurve (yield curve) liegt dann vor, wenn die Zinsen für kurze Laufzeiten über den Zinsen für lange Laufzeiten liegen. Zumeist handelt es sich dabei um ein Anzeichen für eine bevorstehende konjunkturelle Schwäche der Wirtschaft, u.U. sogar für eine Rezession.

Das ist zumindest die Interpretation in der Praxis. Wie sieht es aber in der Theorie aus? Was sagt das Lehrbuch dazu?

Es ist bekannt, dass Rezessionen in den USA oft einer Umkehrung der Rendite-Kurve (invers yield curve) vorausgegangen sind. Was die wirtschaftlichen Gründe dafür sind, erläutert David Andolfatto in seinem Blog.

Die meisten Renditekurve-Analysen beziehen sich auf nominale Zinssätze. Die Wirtschaftstheorie betont jedoch die Relevanz von realen (um die Inflation bereinigten) Zinssätzen, schreibt Vize Präsident der Economic Research Abteilung der Fed St. Louis.

Die Unterscheidung spielt für die USA aber in den letzten Jahrzehnten keine grosse Rolle, da die Inflation niedrig und stabil gewesen ist.

Nach der Standard-Asset-Pricing-Theorie misst der Realzins die Rate, mit der der Konsum (ein breites Mass an materiellem Lebensstandard) über einen gegebenen Horizont wachsen soll, so Andolfatto. 


UST 2s10s (real) Rendite-Spread versus (real) Konsumwachstum, Graph: Prof. David Andolfatto, St. Louis Fed, Sept 24, 2018

Sonntag, 23. September 2018

Warum hält die EZB an den niedrigen Zinsen fest?


Ein beachtenswertes Phänomen seit der GFC (Global Financial Crisis) ist, dass die Niedrigzinspolitik der EZB traditionellen Volkswirten immer noch sauer aufstosst.

Warum hält aber EZB-Präsident niedrige Zinsen weiterhin für nötig? Die Antwort ist einfach: weil kein Anstieg der Inflation droht. Wir leben sozusagen weiterhin in deflationären Zeiten. 

Warum steigt aber die Inflation nicht an? Auch hier ist die Antwort einfach: weil die Löhne nicht steigen.

Die Löhne bleiben im gesamten Euroraum unter Druck. Wie kann man von einer boomenden Wirtschaft reden, wenn die Löhne kaum vom Fleck kommen?

Was unbestritten ist, dass es zwischen Lohnstückkosten (unit labor costs) und Inflation einen absolut klaren Zusammenhang gibt.

Die folgende Abbildung, die Morgan Stanley am Freitag vorgelegt hat, ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert. Wir sehen den Verlauf der Lohnstückkosten und Kerninflation im Euroraum.


Kerninflation (core inflation) und Lohnstückkosten (unit labor costs) im Euroraum, Graph: Morgan Stanley, Sept 21, 2018

Freitag, 21. September 2018

Legal Pot Market: Mit Aktien im Höhenrausch


Die Aktien von Cannabis-Produzenten sind seit ein paar Tagen in aller Munde. Es ist schwer, das berauschende Thema zu ignorieren.

Mit der Legalisierung der Hanf-Pflanze in Kanada (für medizinische Zwecke und aber auch für den Freizeitkonsum) öffnen sich offensichtlich neue Türen in der Business-Welt.

Coca-Cola beispielsweise stellt Überlegungen an, in das Geschäft mit Cannabis-haltigen Getränken einzusteigen, wie FT aus London berichtet. 

Der amerikanische Soda-Hersteller spricht angeblich mit dem kanadischen Cannabis-Hersteller „Aurora Cannabis“ über eine mögliche Entwicklung eines Cannabis-Drinks.

Die Aktie der Woche war sicherlich ein Cannabis-Produzent aus Kanada:

Tilray hat mit rekordverdächtigen Kursprüngen eine Marktkapitalisierung von rund 20 Mrd. USD erreicht. Am Mittwoch wurde die Aktie fünf Mal vom Handel ausgesetzt.

Analysten schätzen, dass die Börsenkapitalisierung der Cannabis-Titel 2025 auf 40 Mrd. USD klettern würde. 

Bereits vor zwei Tagen wurde die 40 Mrd. USD Marke von den drei grössten Marijuana Aktien Tilray (TLRY), Canopy (CGC) und Cronos (CRON) geknackt.


Marktkapitalisierung von „Weed Stocks“, Graph: Bloomberg, Sept 20, 2018

Donnerstag, 20. September 2018

Banken und Ausgabenkürzungen

Eine der grössten Veränderungen in der Finanzlandschaft ist die stark eingeschränkte internationale Aktivität, schreibt McKinsey GI in einer speziellen Studie („A decade after the global financial crisis“) zum Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers vor genau 10 Jahren.

Die grenzüberschreitenden Brutto-Kapitalströme sind seit 2007 in absoluten Zahlen um die Hälfte gesunken.

Angeführt wurde der Rückzug aus der internationalen Aktivität durch die Banken im Euroraum, bemerken die Verfasser des Berichtes. 

Die gesamten Auslandforderungen und sonstige Forderungen sind seit 2007 um 6,1 Billionen USD (d.h. 6‘100 Mrd. USD) oder um 38% gesunken.

Fast die Hälfte des Rückgangs ist auf die geringere Kreditaufnahme innerhalb der Eurozone zurückzuführen, insbesondere auf die Interbankenkredite.

So befanden sich 2007 zwei Drittel der Aktiva deutscher Banken ausserhalb Deutschlands; heute sind es nur noch ein Drittel.


Der Rückzug der Banken aus der internationalen Aktivität oder Abbau der Kreditrisiken, Graph: McKinsey GI, Sept 2018 in: „A decade after the global financial crisis“