(Nur für Streber)
Es
war keine besondere Überraschung, dass ein Mitglied der EZB Lettlands „Erfolgsgeschichte“
hochgejubelt hat, weil es genau dem parteipolitischen Dogma entspricht.
Es
ist aber doch überraschend, wenn auch der IWF
in die gleiche Kerbe schlägt. Denn der IWF war bislang über die Folgen der
Austeritätspolitik und der internal
devaluation eher realistischer, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog. Was den an der Oxford University lehrenden Wirtschaftsprofessor
verwundert, ist, was Dani Rodrik nach seinem Besuch
in Lettland berichtet.
Prof.
Rodrik geht in seinem Blog auf die Details
über die jüngsten Entwicklungen der lettischen Makroökonomie ein und stellt
fest, dass das Land trotz eines massiven Einbruchs der Wirtschaftsleistung und
eines massiven Anstiegs der Arbeitslosigkeit die Wettbewerbsfähigkeit im
vorangegangenen Boom noch immer nicht wiederherstellen konnte.
Aber
Rodrik unterstreicht dann, dass die wichtigste Lehre, die er aus der Erfahrung
Lettlands ziehe, die Notwendigkeit ist, einfache Verallgemeinerungen, die die
Besonderheiten des betreffenden Landes nicht berücksichtigen, zu vermeiden.
Wenn
jemand wie Dani Rodrik sich denselben Sachverhalt anschaue und zu ganz anderen
Schlussfolgerungen komme, dann bekomme er Angst, ob er vielleicht falsch liege,
bemerkt Wren-Lewis. Deswegen knüpft er sich seine eigene makroökonomische
Argumentation vorsichtig noch einmal vor.
Lettland,
Wirtschaftswachstum und Leistungsbilanz, Graph:
Prof. Paul Krugman
War
die Tiefe der Rezession also angesichts des vorhergehenden Booms unvermeidlich?
Die Wirtschaft war 2007/08 eindeutig
überhitzt, legt der Ökonom dar. Deshalb kann es sein, dass die eine oder die
andere Rezession wohl unvermeidbar war, wie das Beispiel vieler Länder der
Eurozone zeigt. Aber Lettland hat 2008/09 weitweit den stärksten Rückgang der
Produktion erlebt.
Das
zentrale Problem is aber nicht, ob Lettland die Inflation runter drücken musste,
sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellt musste. Es geht hier um
die Makroökonomie einer kurzen, schweren Rezession mit einem festen, schlecht
aussehenden Wechselkurs, erklärt Wren-Lewis.
Wir
haben hier eine Volkswirtschaft, welche durch die Überhitzung nicht mehr
wettbewerbsfähig wurde. Das Land muss daher die Preise in Euro runterdrücken,
sagen wir mal um 20%. Die Regierung hat die Überhitzung überwinden können. Die
Produktionslücke ist nun nahe Null Prozent und die Inflation ist auf einem
ähnlichen Niveau wie bei den Konkurrenten. Aber die Preise sind immer noch um
20% höher.
Die
Option mit geringsten Kosten ist die Abwertung der Währung um 20 Prozent. Es
wäre aber töricht, zu glauben, dass es alles wäre, was man tun müsste. Nämlich:
die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit kurbelt die Nachfrage an. Um
eine erneute Überwindung zu vermeiden, muss eine Art deflationäre Politik her.
Möglicherweise bräuchte man auch eine negative Produktionslücke (output gap), weil höhere Importpreise
die Inflation erhöhen. Allerdings bedarf es nicht eines 20%igen Rückgangs der Produktion
(output).
Wir
nehmen an, dass der feste Wechselkurs gegeben ist. Selbst in diesem Fall macht
eine kurze, scharfe Rezession makroökonomisch keinen Sinn. Eine
Produktionslücke von 1% würde bei gegebenen Inflationserwartungen die Inflation
um 1% reduzieren. Eine kurze, scharfe Schrumpfung der Produktion von 20% unter
dem Potenzial würde zu einem Rückgang der Inflation um 20% pro Jahr führen,
sodass man die Wettbewerbsfähigkeit rasch wiederherstellen könnte, aber mit
einem grossen Aufwand.
Um
sich das Ganze besser vorzustellen, muss man sich die Phillips-Kurve heranziehen. Wie in den 1970er Jahren deutlich
wurde, hängt die Inflation nicht einfach von der Produktionslücke ab, sondern
auch von den Inflationserwartungen.
Die
Inflation in diesem Jahr hängt von den Inflationserwartungen im nächsten Jahr
ab. Und wenn die Menschen, was die Inflationserwartungen betrifft, ziemlich
vernünftig sind, bedeutet eine Produktionslücke von Minus 10% im nächsten Jahr,
dass die Inflation im nächsten Jahr Minus 10% beträgt. Wir müssen jedoch in
diesem Jahr nicht unbedingt eine Produktionslücke von Minus 10% haben. Die
Inflation wird Minus 10% betragen, weil die Inflationserwartungen Minus 10% betragen.
Die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit wird also (gestützt auf die
Phillips Kurve nach keynesianischer Lesart) in zwei Jahren erfolgen, aber zur
Hälfte auf Kosten von entgagengener Produktion. Also mit sehr hohen Kosten aus
Sicht der Wirtschaft.
Die
Phillips Kurve besagt, dass die schrittweise
Reduzierung des Preisniveaus im Lauf der Zeit effizienter ist als wenn man es
schnell handhaben würde. Daher gilt, dass, auch wenn man daran glaubt, an einem
festen Wechselkurs festzuhalten, eine kurze, schwere Rezession deutlich weniger
effizient ist, als eine zwar mässige, aber anhaltende Rezession.
Deswegen
ist Wren-Lewis damit nicht einverstanden, Lettlands Erfahrung als „Erfolgsgeschichte“
zu betrachten. Die Korrektur der Wettbewerbsfähigkeit lastet auf der
Wirtschaft: in Form von einer grossen Menge Verschwendung an Ressourcen und das
Elend der Arbeitslosigkeit.
Fazit: Die entscheidende Frage ist, ob
Lettland in Sachen internal devaluation
wirklich eine Erfolgsgeschichte bietet. Die kurze Antwort lautet: nein. Wie Paul Krugman festhält, zeigt die
lettische Erfahrung, dass die Austerians einen Helden brauchen, um
Austeritätspolitik im Angesicht einer schweren Depression zu rechtfertigen,
zumal Irland hierbei kein gutes
Beispiel liefert.
Die
lettische Erfahrung ist ähnlich wie die der Peripherie der Euro-Zone im
Allgemeinen, erklärt Krugman. Es gab eine Zeit lang starke Kapitalzuströme und
entsprechende Handelsbilanzdefizite. Dann kam es zu einem abrupten Ende.
Lettland
hat dann das riesige Leistungsbilanzdefizit in einen Überschuss umgewandelt. Der
Preis dafür war jedoch eine gigantische wirtschaftliche Kontraktion, welche,
wie man erwarten würde, Einfuhren einschränken und die Handelsbilanz verbessern
müsste.
Der
Streudiagramm zeigt aber laut Krugman, mit R im Quatrat gleich 0,67, dass es kein
offensichtliches Zeichen dafür gibt, dass Lettlands Zahlungsbilanz mehr als
eine grosse Verbesserung in der Handelsbilanz vorzeigt, dank einer enormen
wirtschaftlichen Kontraktion, wobei das Defizit wieder zunimmt, während die
Wirtschaft sich erholt.
Wie
sieht es mit der „internen Abwertung“ aus? Hat
Lettland zeigen können, dass es möglich ist, die Löhne, die nach unten starr sind,
anzupassen, sodass man keine Anpassung über den Wechselkurs braucht? Nein.
Die Quintessenz ist, dass,
während Lettlands Bereitschaft, extreme Austerität zu ertragen politisch
beeindruckend ist, die wirtschaftlichen Daten aber die Behauptung in Bezug auf
die Wirtschaft nicht unterstützen, wie Krugman zusammenfasst.
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