Buchbesprechung
Paul
Krugman:
End This Depression Now! W.W.Norton, New
York, 2012.
Wer schreibt ein Buch und widmet es den Arbeitslosen?
Paul Krugman. Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) unterstreicht
bereits in der Einführung seines ausgezeichneten Buches, dass es ihm nicht um
die Frage geht, wie die Finanzkrise hat entstehen können, sondern darum, was
wir jetzt tun können, um dem menschlichen Leid ein Ende zu setzen.
Wir verfügen über die notwendige Erfahrung aus den
1930er Jahren, wie eine Depression zu bekämpfen ist. Die Erkenntnisse und die
Instrumente sind vorhanden. Die wirtschaftliche Situation ist heute zwar nicht
so schwer wie während der Grossen
Depression, aber schlimm genug, dass alles unternommen werden muss, um die
Wirtschaft wieder voranzubringen.
Aber im Frühling von 2010 ist etwas passiert. Die
politische Elite, die weltweit die gängige Meinung festlegt, hat sich von den
Lehrbüchern und den Lehren der Geschichte losgesagt und erklärt, dass alles
umgekehrt gilt. Es ist ziemlich plötzlich zu Mode geworden, eine harsche Kürzung
von Staatsausgaben zu fordern und für höhere Steuern und Zinsen zu plädieren,
auch im Angesichts der Massenarbeitslosigkeit.
Die Verfechter der tight money-Politik waren zum Beispiel OECD und BIS (als
Institution), Raghuram Rajan von der Chicago University und Bill Gross von
Pimco (als einflussreicher Ökonom bzw. Marktexperte). Und natürlich die
Republikanische Partei in Amerika.
In den USA hat zwar eine „passive“ fiskalpolitische
Straffung stattgefunden. Aber die Obama-Regierung hat sich die
Austeritätspolitik nicht zu Herzen genommen. Zum Glück. In Grossbritannien
hingegen hat die konservative Regierung einen rigosoren Sparkurs auf ihre
Fahnen geschrieben. Die Fiscal Austerity
wurde rasch im ganzen europäischen Kontinent zum letzten Schrei. Die EZB hat sogar
darauf hin im April und im Juli 2011 trotz der tief-depressiven Wirtschaft im
Euroland die Zinsen angehoben.
Die Rezession mag vier Jahre nach dem Ausbruch
inzwischen per Definition zu Ende gegangen sein, die Depression ist aber nicht.
Dutzende von Millionen der Mitbürger erleiden grosse Not. Die
Zukunftsaussichten der heutigen Jugend schwindet praktisch jeden Monat dahin, und zwar unnötigerweise. Alles, was die
Erholung blockiert, sind ein Mangel an intellektueller Klarheit und politischem
Willen.
In einer tief depressiven Wirtschaft liegen die
Zinsen, die von Zentralbanken kontrolliert werden, auf der Null Grenze. Gerade
dann braucht es nicht weniger, sondern mehr staatliche Investitionen. Ein
Anstieg der Staatsausgaben hat die Grosse Depression beendet. Heute ist etwas
Ähnliches dringend notwendig. Woher wissen wir aber, dass eine Erhöhung der
Investitionen durch die öffentliche Hand das Wirtschaftswachstum fördern und
die Beschäftigung ankurbeln würde? Ökonomische Evidenz spricht dafür. Die
politischen Vorurteile sprechen dagegen. Bei der Wirtschaft handelt es sich
aber nicht um eine Moralfabel. Wie die Wirtschaft funktioniert, sollte daher
aufgrund der Evidenz entschieden werden.
Im Übrigen: Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Der IWF, der sich
im Rahmen einer Forschungsarbeit mit 173 Fällen der Sparpolitik zwischen 1978
und 2009 in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften befasst hat, hat
herausgefunden, dass der Sparkurs zur Schrumpfung der Wirtschaft und zu einem
Anstieg der Arbeitslosigkeit führt.
Die Situation, in der die Wirtschaft sich seit vier
Jahren befindet, richtet einen enormen menschlichen Schaden an. Es gibt
Beweise, dass Konjunkturprogramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.
Der an der University of Princeton
lehrende Wirtschaftsprofessor, der es für möglich hält, dass die
Vollbeschäftigung in weniger als zwei Jahren wiederhergestellt wird, führt
überzeugend vor Augen, wie das Krisenmanagement von Angela Merkel und die pro-zyklische
Wirtschaftspolitik Brüssels in der Euro-Zone an empirischen Befunden gescheitert sind.
Paul Krugmans mit intensiver geistiger Kraft und
temperamentvoll geschriebene Buch ist wie ein Leuchtturm,
weithin sichtbar und wirkungsvoll. Es ist ein Paradebeispiel der
intellektuellen Redlichkeit.
PS: Ich hatte vor, auch die deutsche Ausgabe zu lesen.
Aber wegen des bescheuerten und taktlosen Titels „Vergesst die Krise!“ verzichte ich vorerst
darauf.
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