Lettland ist plötzlich in aller Munde. Vor allem die
Verfechter der Austeritätspolitik können das Land im Zentrum des Baltikums
nicht genug hochloben.
Jörg Asmussen redet von einem „mutigen Weg der
Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen“. Das Mitglied des Direktoriums
der EZB hat neulich in einem Referat in Riga v.a. die interne Abwertung („internal devaluation“, sprich
Lohnsenkungen) und den harschen Sparkurs angepriesen.
Lettland
ist seit Mai 2004 Mitglied der EU. Die
lettische Wirtschaft ist 2009 um 18% geschrumpft. Nach einem flachen Verlauf im
Jahre 2010 ist das BIP im vergangenen Jahr um 5,5% gewachsen. Der IWF rechnet für 2012 mit einem
Wirtschaftswachstum von 2%.
Natürlich
spricht man in Lettland über eine „strukturelle“ Arbeitslosigkeit: das heisst,
ein Problem auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes. Asmussen geht auf die
Arbeitslosigkeit, die von 20% auf 15% gesunken ist, nicht ein.Für alle aber,
die an makroökonomischen Fakten (und z.B. sozialen Kosten der internen
Abwertung) interessiert sind, bietet CEPR
eine nüchterne Analyse, ob es sich dabei
tatsächlich um eine „beispielslose Erfolgsgechichte“ handelt oder nicht.
Was
am Referat wirklich beängstigend ist, ist die Lehre, die Asmussen aus dem Erfolg
Lettland zieht, bemerkt Simon Wren-Lewis
in seinem Blog. Die baltische
Erfahrung zeige deutlich, dass es auf das Tempo ankomme, so Asmussen. Das
heisst für Irland und Griechenland, was bisher falsch gelaufen ist: sie waren mit
dem Sparkurs demnach zu zaghaft, legt Wren-Lewis dar.
Der
an der Oxford University lehrende
Wirtschaftsprofessor beschreibt die ganze Lobhudelei durch Asmussen als „Masochismus
Makroökonomie“.
Estland,
BIP Entwicklung (vor und nach der Finanzkrise), Graph: Prof. Paul Krugman
Oder
der Glaube an das gesamtwirtschaftliche Leben nach dem Tod: Armut (eine massive
Verschwendung von Ressourcen) bringt heute die Tugend (Sparmassnahmen und
Strukturreformen), die eine Erlösung (Wertschöpfung) in der fernen Zukunft
verspricht.
Wren-Lewis
ist ferner froh darüber, dass der Beschluss der EZB, die Zinsen nicht zu
senken, am Mittwoch nicht einstimmig fiel, weil es in Europa offenbar
Wirtschaftspolitiker gibt, die an diesen gefährlichen Unsinn nicht glauben. Was die Lobrede von Asmussen
nahelegt, ist, „lass‘ uns die Wirtschaft ein Jahr zusammenbrechen. Im folgenden
Jahr werden wir ein fantastisches Wachstum erleben, wenn die Wirtschaft wieder
anläuft“.
Sowohl
im Beispiel von Lettland als auch von Estland handelt es sich um eine milde
partielle Erholung der Wirtschaft aus einem schweren Abschwung, wie Paul Krugman kürzlich in seinem Blog geschildert hat, nicht also
um einen ökonomischen Triumph, der Begeisterung hervorlockt.
Es
wäre zu erwarten gewesen, dass Politiker und Ökonomen gestützt auf Lettlands Wirtschaftsleistung
die Behauptung aufstellen, dass die Keynesianer falsch lagen. Es ist aber bedenklich,
wenn ein Zentralbanker für das betreffende Land ein überschwängliches Lob
ausspricht.
Manche
Leute argumentieren, dass es nicht richtig sei, ja sogar unehrlich, den Absturz
der Wirtschaftsleistung von dem Höhepunkt her zu betrachten. Haben aber die
baltischen Staaten in den Jahren vor dem Höchstwert des BIP nicht ein sehr
gutes Wirtschaftswachstum aufgewiesen? Krugman deutet darauf hin, dass das langfristige
Wachstum und Konjunkturzyklen verschiedene Dinge sind: das langfristige
Wachstum repräsentiert das wirtschaftliche Potenzial.
Die konjunkturellen
Abschwünge reflektieren hingegen die Produktion (output), die unter diesem
Potenzial bleibt. Da es bei der Debatte über die Sparpolitik (fiscal austerity) versus Konjunkturpaket
(stimulus) um konjunkturelle
Einbrüche geht, nicht um das langfristige Wachstum, ist die Rede vom Wachstum
vor der Krise einfach irrelevant.
Krugmans
Fazit: wären die Leute, die die teilweise (aber nur teilweise) Erholung der
Wirtschaft in Estland aus einer schweren Rezession als Wunder der
Austeritätspolitik bezeichnen, bereit, zu akzeptieren, dass die nachfolgende Abbildung
den unglaublichen Erfolg der Roosevelts Politik von New Deal, Gewerkschaften zu fördern, die Löhne zu erhöhen und die
Beschäftigung im öffentlichen Sektor zu steigern, unter Beweis stellt?
Die
reale BIP Entwicklung in den USA während der New Deal Politik des Präsidenten
Franklin D. Roosevelt, Graph: Prof. Paul Krugman
PS: Junge, Junge! Auch Christine Lagarde (via Mark Weisbrot),
IWF-Chefin singt ein Lied davon, wie Asmussen, was die wirtschaftliche Entwicklung der baltischen Staaten in den vergangenen 12 Monaten betrifft.
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