Freitag, 8. Juni 2012

Lettland als Aushängeschild?


Lettland ist plötzlich in aller Munde. Vor allem die Verfechter der Austeritätspolitik können das Land im Zentrum des Baltikums nicht genug hochloben.

Jörg Asmussen redet von einem „mutigen Weg der Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen“. Das Mitglied des Direktoriums der EZB hat neulich in einem Referat in Riga v.a. die interne Abwertung („internal devaluation“, sprich Lohnsenkungen) und den harschen Sparkurs angepriesen.

Lettland ist seit Mai 2004 Mitglied der EU. Die lettische Wirtschaft ist 2009 um 18% geschrumpft. Nach einem flachen Verlauf im Jahre 2010 ist das BIP im vergangenen Jahr um 5,5% gewachsen. Der IWF rechnet für 2012 mit einem Wirtschaftswachstum von 2%.

Natürlich spricht man in Lettland über eine „strukturelle“ Arbeitslosigkeit: das heisst, ein Problem auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes. Asmussen geht auf die Arbeitslosigkeit, die von 20% auf 15% gesunken ist, nicht ein.Für alle aber, die an makroökonomischen Fakten (und z.B. sozialen Kosten der internen Abwertung) interessiert sind, bietet CEPR eine nüchterne Analyse, ob es sich dabei tatsächlich um eine „beispielslose Erfolgsgechichte“ handelt oder nicht.

Was am Referat wirklich beängstigend ist, ist die Lehre, die Asmussen aus dem Erfolg Lettland zieht, bemerkt Simon Wren-Lewis in seinem Blog. Die baltische Erfahrung zeige deutlich, dass es auf das Tempo ankomme, so Asmussen. Das heisst für Irland und Griechenland, was bisher falsch gelaufen ist: sie waren mit dem Sparkurs demnach zu zaghaft, legt Wren-Lewis dar.

Der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor beschreibt die ganze Lobhudelei durch Asmussen als „Masochismus Makroökonomie“.


Estland, BIP Entwicklung (vor und nach der Finanzkrise), Graph: Prof. Paul Krugman

Oder der Glaube an das gesamtwirtschaftliche Leben nach dem Tod: Armut (eine massive Verschwendung von Ressourcen) bringt heute die Tugend (Sparmassnahmen und Strukturreformen), die eine Erlösung (Wertschöpfung) in der fernen Zukunft verspricht.

Wren-Lewis ist ferner froh darüber, dass der Beschluss der EZB, die Zinsen nicht zu senken, am Mittwoch nicht einstimmig fiel, weil es in Europa offenbar Wirtschaftspolitiker gibt, die an diesen gefährlichen Unsinn  nicht glauben. Was die Lobrede von Asmussen nahelegt, ist, „lass‘ uns die Wirtschaft ein Jahr zusammenbrechen. Im folgenden Jahr werden wir ein fantastisches Wachstum erleben, wenn die Wirtschaft wieder anläuft“.

Sowohl im Beispiel von Lettland als auch von Estland handelt es sich um eine milde partielle Erholung der Wirtschaft aus einem schweren Abschwung, wie Paul Krugman kürzlich in seinem Blog geschildert hat, nicht also um einen ökonomischen Triumph, der Begeisterung hervorlockt.

Es wäre zu erwarten gewesen, dass Politiker und Ökonomen gestützt auf Lettlands Wirtschaftsleistung die Behauptung aufstellen, dass die Keynesianer falsch lagen. Es ist aber bedenklich, wenn ein Zentralbanker für das betreffende Land ein überschwängliches Lob ausspricht.

Manche Leute argumentieren, dass es nicht richtig sei, ja sogar unehrlich, den Absturz der Wirtschaftsleistung von dem Höhepunkt her zu betrachten. Haben aber die baltischen Staaten in den Jahren vor dem Höchstwert des BIP nicht ein sehr gutes Wirtschaftswachstum aufgewiesen? Krugman deutet darauf hin, dass das langfristige Wachstum und Konjunkturzyklen verschiedene Dinge sind: das langfristige Wachstum repräsentiert das wirtschaftliche Potenzial. 

Die konjunkturellen Abschwünge reflektieren hingegen die Produktion (output), die  unter diesem Potenzial bleibt. Da es bei der Debatte über die Sparpolitik (fiscal austerity) versus Konjunkturpaket (stimulus) um konjunkturelle Einbrüche geht, nicht um das langfristige Wachstum, ist die Rede vom Wachstum vor der Krise einfach irrelevant.

Krugmans Fazit: wären die Leute, die die teilweise (aber nur teilweise) Erholung der Wirtschaft in Estland aus einer schweren Rezession als Wunder der Austeritätspolitik bezeichnen, bereit, zu akzeptieren, dass die nachfolgende Abbildung den unglaublichen Erfolg der Roosevelts Politik von New Deal, Gewerkschaften zu fördern, die Löhne zu erhöhen und die Beschäftigung im öffentlichen Sektor zu steigern, unter Beweis stellt?


Die reale BIP Entwicklung in den USA während der New Deal Politik des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Graph: Prof. Paul Krugman

PS: Junge, Junge! Auch Christine Lagarde (via Mark Weisbrot), IWF-Chefin singt ein Lied davon, wie Asmussen, was die wirtschaftliche Entwicklung der baltischen Staaten in den vergangenen 12 Monaten betrifft.

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