Sonntag, 10. Juni 2012

Austeritätspolitik als Utopie


Martin Wolf berichtet in seinem Blog in FT von einem Brief, den er vom Generaldirektor des deutschen Finanzministeriums bekommen hat. Es handelt sich dabei um eine offizielle Antwort der deutschen Regierung auf einen kürzlich in FT erschienenen Artikel („The riddle of German self-interest“) von Wolf.

Der unterzeichnende Direktor bezeichnet Wolfs Lösungsansatz als „Risikotransfer via Eurobonds“ und „Nachfrage-Stimulation via Politik des billigen Geldes“ und „lockere Haushaltskonsolidierung in Deutschland“. Die gegenwärtigen Probleme in der Euro-Zone seien demnach durch eine lockere Geldpolitik und expansive Fiskalpolitik ausgelöst worden. Die EU-Strategie sei daher, das Vertrauen im Markt wiederherzustellen, und zwar durch eine Kombination von Haushaltskonsolidierung und strukturellen Reformen.

Wolf bemerkt in seiner postwendend erfolgenden Antwort, dass es gar nicht um Risikotransfer geht, sondern im Wesentlichen darum, die Probleme der EU-Mitglieder in der Währungsunion, in den Märkten für Staatsanleihen Liquidität zu halten, zu reduzieren. Der Direktor des deutschen Finanzministeriums argumentiert, dass solche multiple Gleichgewichte nicht möglich seien. Der belgische Ökonom Paul de Grauwe hat aber in einer handfesten Analyse genau das Gegenteil überzeugend dargelegt. Empfehlenswert zum Nachlesen.

Wolf hebt ferner hervor, dass die gegenwärtigen Probleme in Bezug auf die hohen Schulden und die schwache Wettbewerbsfähigkeit nicht auf eine expansive Wirtschaftspolitik und eine schwache Finanzlage zurückzuführen sind. Wie in der Abbildung deutlich zu sehen, ist, hatten Irland und Spanien am Vorabend der Krise besonders niedrige Staatsverschuldung. Portugals Verschuldung war ähnlich wie die von Frankreich. Italien hatte eine relativ hohe öffentliche Verschuldung. Aber die Schulden waren im Verhältnis zum BIP deutlich gesunken.


Netto-Staatsschulden in der Eurozone (2007), Graph: Martin Wolf in FT

Die Ursache der Euro-Krise sind die riesigen Zahlungsbilanzdefizite, die durch die übermässige Kreditvergabe im privaten Sektor induziert worden sind (Ausnahme: Griechenland). Die Verantwortung für die Kreditaufnahme und die Kreditvergabe ruht daher auf den Schultern der Kreditgeber und Kreditnehmer. Die Behauptung, dass solche Reformen ausnahmslos überall zum Erfolg geführt haben, stimmt so nicht. Es sei in diesem Zusammenhang an den Fall Argentinien in den 1990er Jahren erinnert.

Eine symmetrische Anpassung innert Euro-Zone würde Deutschlands Stabilität nicht untergraben. Es würde helfen, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik das Augenmerk danach richten würde, die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Eine Erhöhung der Investitionen oder ein rascher Anstieg der Reallöhne wären daher ausgezeichnet, unterstreicht Wolf weiter.

Die Sparmassnahmen ohne Ende würden andererseits eine Rückkehr zu der instabilen populistischen Politik bedeuten. Die EU ist gerade deshalb entwickelt worden, um eine solche Politik zu verhindern. Die Euro-Zone könnte sonst damit zerbrechen und den Versuch, ein Europa in Frieden und Wohlstand zu bauen, vereiteln.

Paul Krugman spricht im Zusammenhang mit dem zitierten Brief von einem erschreckenden Bild in seinem Blog. Die deutschen Beamten scheinen grundsätzlich im Wolkenkuckucksheim zu leben, schildert der Träger des Wirtschaftsnobelpreises.

Man muss absichtlich blind sein, nicht zu wissen, dass der Exzess im privaten Sektor, nicht im öffentlichen Sektor die Probleme in Spanien und Irland verursacht hat. Und nirgendwo, nicht einmal in Griechenland, haben keynesianische Konjunkturpakete mit der Krise überhaupt zu tun. Haushaltskonsolidierung und Reformen funktionieren  im Angesicht der derartigen Probleme (massive reale Überbewertung mit einem festen Wechselkurs) niemals, hält Krugman fest.

Eine teilweise Erholung aus einem tiefen einer Depression nahen Abschwung rechtfertigt Sparmassnahmen nicht, wie Jörg Asmussen argumentiert, legt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor dar: es ist beängstigend. Wenn hohe Beamte in Deutschland zu diesem späten Zeitpunkt der Krise von der Realität so abgekoppelt erscheinen, welche Chancen hat Europa zu überleben?

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