Nachdem
Irland sich weigert, mitzuspielen,
ist Lettland zur Zeit das
Lieblingskind der Verfechter der Austeritätspolitik. Das überschwängliche Lob
von Jörg Asmussen, dem Mitglied
des EZB-Direktoriums ist symptomatisch.
Asmussens
Lobhudelei beruht darauf, dass die harschen Sparmassnahmen und die internal devaluation (d.h.
Lohnkürzungen) angeblich funktionieren. Man muss jedoch darauf achten, dass
Asmussens Nachweis von dem ziemlich raschen Wirtschaftswachstum in einem Jahr nach
einem unglaublichen Absturz der Wirtschaft herrührt. Es ist daher wichtig,
hervorzuheben, dass Asmussens Aussage fast nichts beweist. Es handelt sich
dabei um eine nur partielle Erholung der Wirtschaft aus einer schweren
Rezession.
Asmussen
scheint ausserdem, genau so wie IWF-Chefin Christine
Lagarde, abschätzig gegenüber der Massenarbeitslosigkeit. Wenn man auch die
jenigen, die aus dem Erwerbsleben unfreiwillig ausgeschieden sind, zählt,
beläuft sich die Arbeitslosenquote in Lettland auf 23,6% (in der Spitze 30%), wie Mark
Weisbrot in einem lesenswerten Artikel in The Guardian bemerkt. Im
Übrigen haben 10% der Erwerbstätigen
inzwischen das Land verlassen, um nie wieder zurückzukommen.
Eine
Frage, die in diesem Zusammenhang nun öfters aufgeworfen wird, ist aber, ob man
sich um die wirtschaftliche Entwicklung in den baltischen Staaten nicht kümmern
soll, da es sich dabei um „zu kleine Volkswirtschaften“ handelt, wo es sich
nicht lohnt, dem Geschehen eine grosse Bedeutung beizumessen? Nein, nein,
sicher nicht.
Jede
Volkswirtschaft, auch eine kleine, stellt potenziell ein „natürliches
Experiment“ dar, welches uns darüber unterrichtet, wie die Wirtschaft im
Allgemeinen funktioniert, wie Paul Krugman in seinem Blog
ausdrückt.
Dani Rodrik, der kürzlich Lettland besucht hat,
befasst sich in seinem Blog mit dem Thema, wie
das Land auf die Wirtschaftskrise reagiert hat.
Lettland
BIP, Graph: Prof. Dani Rodrik
Lettland
hat von Anfang an externe Beratung zurückgewiesen und die eigene Währung nicht
abgewertet, trotz eines riesigen Leistungsbilanzdefizits von 20% des BIP im Jahr 2007. Die
Landeswährung ist an den Euro gekoppelt, im Vorgriff eines EU-Beitritts. Die
Regierung weigert sich daher, etwas zu unternehmen, was dieses Ziel untergraben
könnte. Der IWF, der auf Abwertung
bestanden hat, wurde nach Hause geschickt.
Am
Ende hat das Lettland eine radikale fiskalpolitische Kontraktion umgesetzt,
welche das Land wieder in einen Überschuss geführt hat, schildert der an der Harvard University lehrende
Wirtschaftsprofessor. Das BIP ist in einem Jahr um 20% geschrumpft. Im Jahre
2011 schien die Wirtschaft, das Schlimmste hinter sich gebracht zu haben: die
Wirtschaftsleistung ist um 5,5% gestiegen. Auch wenn die Erholung rasch erfolgt
zu haben, scheint, ist das Land laut Rodrik noch weit davon entfernt, das
Produktionsniveau vor der Krise zu erreichen, wie in der Abbildung deutlich zu
sehen ist.
Island hingegen, ein Land, das von der
Finanzkrise schwer getroffen war, hat Kapitalverkehrskontrollen verhängt, seine
Währung abgewertet und eine scharfe wirtschaftliche Kontraktion wie Lettland vermieden, legt Rodrik dar.
Auch
wenn Lettlands aussenwirtschaftliches Ungleichgewicht inzwischen abgebaut
wurde, ist es laut Rodrik heute nicht klar, ob es eine beträchtliche
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gegeben hat oder nicht. Die viel gerühmte
interne Abwertung war klein. Lohnkürzungen
fanden zumeist im öffentlichen Sektor statt, wo sie die Wettbewerbsfähigkeit im
Exportgeschäft nicht wirklich fördern, erklärt Rodrik weiter.
Die
Löhne in der Privatwirtschaft waren erstaunlich widerstandsfähig. Die Lohnstückkosten sind, auf dem realen
Wechselkurs basierend, nur mässig gefallen. Folglich ist laut Rodrik überhaupt
nicht klar, ob Lettland eine ausreichende Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt hat, um ein nachhaltiges
Wachstum ohne aussenwirtschaftliche Defizite aufrechtzuerhalten.
Die
wichtigste Lehre, die Rodrik aus dem Beispiel Lettland zieht, ist die
Notwendigkeit, einfache Verallgemeinerungen zu vermeiden, welche die
Besonderheiten des betroffenenen Landes nicht berücksichtigen. Die Missionare
der Sparpolitik liegen falsch, wenn sie behaupten, dass Lettlands „Erfolgsgeschichte“
die Keynesianer Lügen bestrafe. Es ist zu früh, Lettlands Erfahrung als Erfolg
zu bezeichnen. Der auffälligste Aspekt der lettischen Erfahrung ist die
relative Abwesenheit von politischen Konflikten und sozialen Unruhen während
der katastrophalen Wirtschaftskrise.
Fazit: Lettland hat fast ein Viertel
seines Volkseinkommens auf dem Altar der Sparpolitik geopfert. Die Menschen
verlassen das Land. Die internal devaluation funktioniert
nicht.
Bemerkenswert
ist, dass die unerwartete Inflation der Regierung entgegenkam, um eine etwas
expansivere Geldpolitik zu verfolgen als ursprünglich geplant. Das Wachstum der
öffentlichen Verschuldung wurde reduziert. Aber Lettland hat, wie Mark Weisbrot
darauf aufmerksam macht, auch eine Menge Geld von den europäischen Behörden
bekommen. Die EU hat damit sicherstellen wollen, dass die Währung nicht
abgewertet wird, um die schwedischen Banken vor grossen Verlusten zu schützen.
Es ist bedauerlich, dass
die EU den Verlust an Produktion und Beschäftigung ignoriert und das sinnlose
Leiden von Menschen im Sog der Austeritätspolitik nicht beachtet.
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