Dienstag, 26. Juni 2012

Können Schulden Schuldenproblematik lösen?


Ja.

Ein Marktanalyst aus einer deutschen Bank hat heute morgen in einem langweiligen Interview mit dem Bloomberg TV gesagt, dass Schulden gleich Schulden sind, und es nicht darauf ankomme, von wem die Schulden gemacht werden. Der Banker liegt damit natürlich absolut falsch.  Warum?

Eines der häufigsten Argumente gegen die Fiskalpolitik in der aktuellen Situation ist, auch wenn sie vernünftig klingen mag, dass die Verschuldung das Problem ist und wie die Verschuldung hierbei die Lösung sein kann? Die privaten Haushalte haben zuviel Kredit aufgenommen. Soll sich nun auch der Staat noch verschulden?

Was mit dieser Argumentation falsch ist, hat Paul Krugman vor mehr als zwei Jahren in seinem Blog erklärt, und zwar anhand seines bekannten Beispiels von Sam und Janet. Sam und Janet sind in diesem Fall wie die Agenten im Kiyotaki-Moore Modell (dazu mehr hier) zu betrachten.

Hier ist mein Versuch einer Zusammenfassung:

Die Argumentation geht implizit davon aus, dass Schulden gleich Schulden sind, unabhängig davon, wer das Geld schuldet. Doch das kann nicht richtig sein. Wenn es dem so wäre, hätten wir heute an erster Stelle kein Problem.

In erster Näherung sind Schulden das Geld, das wir uns selbst schulden. Amerika schuldet z.B. China Geld. Aber das ist nicht der Kern des Problems. Wenn wir die Komponente im Hinblick auf das Ausland vernachlässigen oder auf die Welt als Ganzes blicken, macht das gesamte Niveau der Verschuldung keinen Unterschied in Bezug auf das gesamtwirtschaftliche Vermögen. Denn es gilt: die Schulden des einen sind die Einkommen des anderen.


Gesamtverschuldung (die blaue Kurve) und Schulden im Verhältnis zum BIP (die rote Kurve), Werte in Mrd. US-Dollar, Graph: Prof. Paul Krugman

Daraus folgt, dass die Höhe der Verschuldung nur dann zählt, wenn die Verteilung des Vermögens entscheidend ist , wenn hochverschuldetete Spieler Zwangsmässigkeiten der anderen Spieler mit geringer Verschuldung gegenüberstehen. Und das bedeutet, dass alle Schulden nicht gleich geschaffen werden.  Deshalb kann die Kreditaufnahme durch einige Akteure helfen, die Probleme, die durch die übermässige Kreditaufnahme durch andere Akteure in der Vergangenheit ausgelöst worden sind, zu lösen.

Nun zurück zur Welt, in der es nur zwei verschiedene Typen von Menschen gibt: Sams, die Geldverschwender und Janets, die Umsichtigen.

Das zugrundeliegende makroökonomische Modell ist eine depressive Realwirtschaft und Deflationsdruck. Das heisst praktisch das heutige Umfeld der Wirtschaft in den USA und im Euroland, v.a. aber in der Eurozone.

In dieser Welt nehmen wir weiter an, dass es keine reale Investitionen gibt, sodass die Kredite aufgenommen werden, um den Verbrauch, der das Einkommen übersteigt, zu finanzieren. Sams, die Verschwender hatten von Janets, den Umsichtigen in der Vergangenheit Kredit aufgenommen, um den Konsum zu finanzieren. Aber es ist inzwischen etwas passiert, sagen wir mal, dass eine Spekulationsblase geplatzt ist, was Sams, die Verschwender nun zwingt, mit der Kreditaufnahme aufzuhören und in der Tat sofort anzufangen, die Schulden abzuzahlen.

Damit Sams dies tun können, müssen Janets natürlich darauf vorbereitet sein, ihre Ersparnisse aufzubrauchen, und ihre Anlagen zu reduzieren. Was wäre aber der Anreiz, so zu handeln? Die Antwort: ein Rückgang der Zinssätze. Damit die Wirtschaft sich des Problems der Bilanzrezession von Sams annimmt, bedarf es einer Phase von niedrigen Zinsen.

Die Wirtschaft steckt jedoch in einer Liquiditätsfalle. Das heisst, dass die Zinsen bereits auf der Null-Grenze liegen und nicht weiter fallen können. Was passiert aber, wenn das Entsparen von Janets nicht gelingt, mit den Ersparnissen von Sams im Einklang zu stehen? Dann entsteht ein Problem. In einem depressiven Umfeld der Wirtschaft wirkt es zerstörerisch. Die Produktion bleibt unter dem Potenzial. Das heisst, dass es für Sams schwierig wird, die Schulden abzuzahlen, während die Produktionslücke (output gap) geöffnet bleibt.

Was kann getan werden? Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor legt Inflation nahe. Eine etwa höhere Inflation würde es (1) möglich machen, einen negativen Realzins zu haben, und (2) die Schulden von Sams entlasten. Ja, es gibt hier zugegebenerweise ein Moral-Hazard-Problem, womit die Exzesse von Sams aus der Vergangenheit quasi honoriert würden. Aber die Wirtschaft ist eben keine Moral-Fabel.

Es gilt, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Inflation zugleich auch die Assets von Janets erodiert, und zwar um den gleichen Betrag, wie sie die Schulden von Sams erodiert. Sams sind aber eingeschränkt, was die persönlichen Bilanzen betrifft, während die Janets es nicht sind, sodass es für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage netto positiv aufgeht.

Was passiert aber, wenn keine Einigung erzielt werden kann, vorübergehend ein höheres Inflationsziel zu verfolgen?

Dann kann der dritte Charakter ins Spiel kommen: Gus, der Staat. Nehmen wir an, dass Gus für eine Weile Kredit aufnehmen, und mit dem geliehenen Geld nützliche Dinge kaufen kann. Die sozialen Kosten für diese Sachen sind sehr niedrig, weil Gus die Ressourcen so einsetzt, dass die Menschen, die sonst arbeitslos wären, zum Einsatz kämen.

Gus, der Staat würde dafür sorgen, dass Sams ihre Schulden abzahlen, solange, bis sie durch die Bilanzen nicht mehr eingeschränkt sind und das weitere Deficit Spending daher nicht mehr notwendig wird, um die Vollbeschäftigung wiederherzustellen.

Ja, die private Verschuldung kann zum Teil durch die Verschuldung der öffentlichen Hand ersetzt werden. Die Verschuldung würde aber auf diese Weise von den von der Bilanz her eingeschränkten Spielern weg verlagert, sodass die Probleme der Wirtschaft sich verringern lassen würden, auch wenn die Gesamthöhe der Schulden nicht sinken würde. 

Fazit: Das Argument, das sich glaubwürdig anhört, dass Schulden die Schuldenproblematik nicht lösen können, ist einfach falsch. Im Gegenteil: die Alternative ist eine längere Phase wirtschaftlicher Schwäche, die es erschwert, das Verschuldungsproblem zu lösen.

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