Sonntag, 3. Juni 2012

Aktien versus Anleihen in Depression


Warum kaufen die Investoren immer noch Staatsanleihen zu extrem niedrigen Zinsen, während die Aktien gemessen am S&P-500 Index äusserst günstig erscheinen?

Wie aus der Abbildung hervorgeht, lässt sich heute mit dem S&P Aktienindex eine reale Rendite von rund 7% erzielen. Die Rendite der US-Staatsanleihen (US-Treasury Bonds) mit 10 Jahren Laufzeit betragen dagegen 1,45%. Die jährliche Realverzinsung der inflationsgeschützten US-Staatsanleihen (TIPS) beläuft sich sogar auf minus 1,06%.

Warum schichten die Anleger also nicht um, von Anleihen in die Aktien, um mehr Gewinn zu erzielen?

Brad DeLong liefert dazu in einem lesenswerten Artikel („The Economic Costs of Fear“) in Project Syndicate zwei Haupterklärungen:

(1) Viele Menschen sind unsicher, ob die gegenwärtigen wirtschaftlichen Konditionen anhalten oder nicht. Die meisten Ökonomen prognostizieren z.B. für das kommende Jahr keine grossen Veränderungen, was die Löhne, Preise und Gesamtproduktion betrifft.

(2) Viele Investoren wollen wegen des anhaltenden Schuldenabbauprozesses (deleveraging) in erster Linie Verluste vermeiden, keine Gewinne erzielen. Eine Menge Leute ist also nicht bereit, Risiken nach unten hin einzugehen.


Gewinn-Rendite (S&P 500 Index) versus Rendite der US-Treasury Bonds, Graph: Felix Salmon, Reuters

Beide Gründe legen laut DeLong „ein massives Versagen der wirtschaftlichen Institutionen“ nahe. Der erste Grund deutet darauf hin, dass die Regierungen die Aufgabe nicht erfüllen, die Ausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln, um eine Depression mit lang anhaltender, zweistelliger Arbeitslosigkeit zu verhindern. Der zweite Grund zeigt auf, dass die Finanzmärkte nicht gut funktionieren, die Fähigkeit zur Risikoübernahme zu mobilisieren und zum Wohle aller zu nutzen.

Fazit: Sowohl politische als auch Finanzinstitutionen versagen.

Unternehmensgewinne machen mittlerweile 10% der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Das gab’s in der Geschichte noch nie zuvor, hebt Felix Salmon in seinem Blog bei Reuters hervor.


Unternehmensgewinne im Verhältnis zum BIP, Graph: Felix Salmon, Reuters

Um das Ganze nocheinmal zu buchstabieren: hohe Unternehmensgewinne und das niedrige Beschäftigungsniveau sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn die Dinge richtig funktionieren würden, würden Unternehmen die überschüssigen Einnahmen in die Hand nehmen, um mehr Leute einzustellen. Stattdessen hocken sie im Grunde genommen auf Mehreinnahmen als Bargeld, weil sie Angst haben, zu investieren. Das ist laut Felix erbärmlich.

Die Lösung des Problems ist nicht komplex. Die Arbitrage ist vorhanden. Der Staat kann sich zu 1,45% Geld beschaffen. Und er sollte es tun, um das Geld in grossen Mengen in die Wirtschaft zu investieren. Die öffentliche Hand kann hundert Milliarden Dollar nehmen, um die zerbrochene Infrastruktur zu beheben, und um all die entlassenen Lehrer und Feuerwehrleute wieder einzustellen, und um mit einem Auffangnetz Millionen von Bürgern, die seit mehr als einem Jahr keine Arbeit haben, zu helfen.

Selbst wenn der reale langfristige Ertrag des Konjunkturpakets Null wäre, wäre der langfristige Ertrag deutlich über 1,45% liegen, sodass sich Investitionen lohnen würden, unterstreicht Felix.

Auch Robert Frank schreibt vor diesem Hintergrund in einem lesenswerten Artikel („Repairing Roads Can End All Kinds of Gridlock“) in NY Times, dass der wichtigste Schritt in Richtung einer besseren Zukunft ist, die Wirtschaft so schnell wie möglich zu reparieren. Und einer der sichersten Wege, um dies zu tun, ist eine grosse und unmittelbare Infrastruktur-Modernisierung.

Dieser Weg würde nicht voraussetzen, dass die Republikaner die Vorzüge der traditionellen keynesianishen Stimulus-Politik eingestehen oder ihre Bedenken hinsichtlich der Staatsverschuldung aufgeben. Die philosphische Grundlage für eine Einigung wäre bereits fest gegeben, hält der an der Cornell University lehrende Wirtschaftsprofessor fest.

Wenn es nicht geschieht, wrid die kommende politische Kampagne eine einmalige Gelegenheit dafür bieten, zu erfahren, warum, fasst Frank zusammen.

PS

Gewinnrendite ist der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV), d.h. das Verhältnis von Gewinn je Aktie zum aktuellen Aktienkurs. Es handelt sich bei der Kennzahl praktisch um die „Verzinsung der Aktie“.

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