Donnerstag, 10. Februar 2011

Warum es auf Inflationserwartungen ankommt

In der aktuellen Debatte um die Inflation hört man öfters das Argument, dass die Messung der Kerninflation ein dummes Konzept sei, da die Menschen auch für Lebensmittel und Gas Geld ausgeben. Daher müssten auch diese Posten mitberücksichtigt werden. Wer aber diese Ansicht vertritt, verfehlt das Thema. Die Kerninflation wird nicht verwendet, um die Entwicklung der Lebenshaltungskosten zu messen. Es geht um etwas anderes: Trägheit der Inflation (d.h. inflation inertia). Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Die Kerninflation wird nicht herangezogen, um die Anpassungen für die Lebenshaltungskosten für die Sozialversicherung zu berechnen. Dafür ist der Konsumentenpreisindex (CPI) vorgesehen. Die Kerninflation wird i.d.R. gemessen, indem die Lebensmittel- und Energie-Preise aus dem Preisindex ausgenommen werden. Es gibt aber auch alternative Messungen wie der getrimmte Mittelwert (trimmed mean inflation) und Median Inflation (median inflation), die zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnen.


US Kerninflation, Graph: economix, NYT

Es gibt in der Wirtschaft einige Preise, die angesichts von Angebot und Nachfrage die ganze Zeit schwanken, zum Beispiel die Preise für Lebensmittel und Treibstoff. Viele Preise schwanken aber nicht auf diese Weise. Sie werden von oligopolistischen Unternehmen gesetzt oder in langfristigen Verträgen festgelegt, sodass sie in Abständen von Monaten bis Jahren revidiert werden. Beispielsweise werden viele Löhne auf diese Weise festgelegt. Das Wichtigste ist, dass sie weniger flexibel sind, weil sie eben nicht sehr oft revidiert werden. Sie werden festgelegt, indem man die künftige Inflation im Auge behält.

Angenommen, dass ich jetzt meinen Preis für das nächste Jahr festlege und erwarte, dass das gesamte Preisniveau im Verlauf des Jahres auf 10% steigen wird. Dann werde ich wahrscheinlich meinen Preis um rund 5% höher stellen als dass ich es nur unter den derzeitigen Bedingungen tun würde. Das ist aber nicht die ganze Geschichte. Wenn ich meinen Preis nur einmal im Jahr festlege und es eine Inflation von 10% gibt, dann wird die Inflation, in dem Moment, wo ich meinen Preis bestimme, wahrscheinlich um rund 5% niedriger liegen als sie sein „sollte“. Nun bedenke man die Auswirkungen dieser Vorgehensweise auf die Antizipation der künftigen Inflation. Ich würde meinen Preis wahrscheinlich um 10% höher festgehalten haben, selbst wenn Angebot und Nachfrage mehr oder weniger im Gleichgewicht sind.

Man stelle sich jetzt die Wirtschaft vor, in der jeder dies tut. Das besagt, dass die Inflation tendenziell „sich selbst-erhaltend“ (self-perpetuating) wird, es sei denn, es gibt einen Überschuss an Angebot oder Nachfrage. Besonders, wenn die Erwartungen von einer beispielsweise 10%igen Inflation sich in die Wirtschaft einbetten („embedded“, wie Paul Krugman es beschreibt), dauert es Jahre (anhaltender Abschwung und hohe Arbeitslosigkeit), um diesen Wert wieder hinunterzudrucken.

Die Inflationserwartungen stellen also eine wichtige Determinante der Inflation dar, bemerkt Paul Segal in einem lesenswerten Beitrag im Blog („Economists’ Forum“) von FT. Diejenigen, die heute eine Erhöhung der Zinsen fordern, um die Inflationserwartungen zurückzuhalten, verstehen nicht, worum es geht. Die Idee, dass die Regierungen die Wirtschaft auf Kosten von hohen, aber stabilen Inflationsraten systematisch ankurbeln können, ist während der Stagflation der 1970er Jahren geplatzt, legt Segal dar. Die Falken in der gegenwärtigen Debatte um die Inflationserwartungen heute und die Auswirkungen auf die tatsächliche Inflation in der Zunkuft denken an die Schlussfolgerung, aber sie scheinen das Argument vergessen zu haben. Die Erwartungen von einer künftig hohen Inflation führen zu einer hohen tatsächlichen Inflation, nur wenn die Arbeitnehmer und Unternehmen in der Lage sind, den voraussichtlichen Preisanstieg durch ihre Verträge durchzuschleusen. Wenn die Inflation in diesem Jahr voraussichtlich 4% betragen und dies voraussichtlich zu einem 4%igen Anstieg der nominalen Gewinne führen soll, werden die Gewerkschaften vernünftigerweise eine 4%ige Lohnerhöhung als Basis verlangen, um einen Rückgang der Reallöhne zu verhindern. Wenn Unternehmen folglich die Preise anheben, um auf höhere Löhne zu reagieren, dann entsteht eine Lohn-Preisspirale, beschreibt Segal.

Heute ist aber die hohe Inflation nicht durch einen allgemeinen Anstieg der nominalen Preise bedingt, sondern in erster Linie durch die anhaltenden Auswirkungen der Sterling-Abwertung, steigende Rohstoffpreise und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die kürzlich vermeldete Inflationsrate von 3,7% in Grossbritannien ist nicht der Ausdruck eines vergleichbaren Anstiegs der nominalen Gewinne, hebt Segal hervor.

Fazit: Worum man sich Sorgen machen sollte, ist eine Art „Bockspringen-Prozess“ (sprunghafter Anstieg), indem sich tendenziell selbst-erhaltende Inflation in die Wirtschaft einbettet.

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