Paul Krugman befürchtet aufgrund der aktuellen Preisentwicklung einen kontinuierlichen Prozess der Disinflation, der in nicht allzu langer Zeit in einer Deflation münden könnte. Das bietet Gelegenheit, einen näheren Blick auf das Konzept der Kerninflation zu werfen. Die Kerninflationsrate schliesst die schwankungsanfälligen Preise für Lebensmittel und Energie aus. Aber es gibt auch alternative Berechnungsmethoden wie "trimmed-mean" ("getrimmte Bemessung") und „median inflation“, erklärt Krugman. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Kerninflation ist nicht für die Berechnung der Anpassungen von Lebenshaltungskosten für die Sozialversicherung gedacht. Diejenigen Menschen, die sie für ein „dummes Konzept“ halten, weil man auch für Lebensmittel und Gas Geld ausgeben muss, und diese Preisbewegungen daher mitgerechnet werden sollten, verfehlen den Punkt, hält Krugman fest. Die Kerninflation soll nicht die Entwicklung der Lebenshaltungskosten messen, sondern die „Inflation Inertia“, d.h. die Trägheit der Inflation, oder Inflationspersistenz.
Median Consumer Price Index, Graph: Fed Cleveland
Manche Preise in der Wirtschaft schwanken angesichts von Angebot und Nachfrage die ganze Zeit, bemerkt Krugman. Manche hingegen sind nicht so volatil, weil sie von oligopolistischen Unternehmen festgelegt oder in langen zeitlich befristigen Verträgen verhandelt werden. Und sie werden nur in Zeitabständen zwischen Monaten oder Jahren wieder revidiert, erklärt Krugman, so wie es mit vielen Lohnverhandlungen geschieht, die nicht oft angepasst werden. Diese werden mit der künftigen Inflation im Auge festgesetzt. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass die Festpreise, die nur in regelmässigen Abständen überprüft werden, beim Wiederanlauf einen Aufholeffekt involvieren. Was heisst das? Krugman erläutert es anhand eines Beispiels: Wenn ich meine Preise einmal im Jahr festlege, und die allgemeine Inflationsrate 10% beträgt, dann werden meine Preise beim Wiederanlauf wahrscheinlich 5% niedriger sein als sie sollten. Beachte hier den Effekt der Antizipation der künftigen Inflationsentwicklung. Und ich werde meine Preise um 10% höher stellen, auch wenn Angebot und Nachfrage mehr oder weniger ausgeglichen sind. Nun stellen Sie sich eine Wirtschaft vor, in der jeder so handelt, fragt Krugman. Was uns das sagt, ist, dass die Inflation sich selbst erhalten wird (self-perpetuating). Es sei denn, es gibt einen Überschuss an Angebot oder Nachfrage. Wenn insbesondere Erwartungen von sagen wir 10% Inflation sich in die Wirtschaft „einbetten“ (einlagern), dann wird es einen langen Zeitraum beanspruchen, „locker zu lassen“, wie es in den früheren 1980er Jahren der Fall war. Nun wieder zurück zur Inflationsbemessung: Wichtig ist, den Überblick über diese Art von Inflation zu behalten (nach oben und nach unten), hält Krugman fest. Weil, wenn sich die Inflation einmal eingebettet (embedded inflation) hat, dann wird es schwer, sie loszuwerden, genau wie im Fall von Japan mit der eingebetteten Deflation (embedded deflation). In der realen Wirtschaft aber verhalten sich nur einige Güter so, manche nicht, weil deren Preise mit Angebot und Nachrage stark schwanken und auf diese Weise keine Trägkeit der Inflation zeigen. Daher brauchen wir Massnahmen, die helfen, das „Signal aus dem Lärm“ herauszuholen, um auf diese Weise zum Trägheit-Teil der Angelegenheit zu kommen, schlussfolgert Krugman. Die Standard-Massnahme dafür ist, erklärt Krugman, die nicht-trägen Preise herauszunehmen: Lebensmittel und Energie. Das ist aber wiederum nicht die ganze Geschichte. Weil selbst die Standardmassnahmen für Kerninflation in letzter Zeit ein wenig unregelmässig geworden sind. Daher kommt jetzt die zunehmende Präferenz unter Ökonomen für Bemessungsmassnahmen wie „median“ und „trimmed“, welche Preise, die sich von Monat zu Monat stark bewegen, isolieren.
Fazit: Japan („embedded deflation“) lässt grüssen.
1 Kommentar:
Zum ersten mal hier gelandet, dank Blicklog und bin begeistert! Weiter so!
Was eine "embedded inflation" anrichten kann, weiß aus meinen Jahren in der Türkei. Es ist ein Teufelskreis. Ein Schneeball je länger man ihn wälzt, desto grösser wird er.
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