Dienstag, 15. Februar 2011

Sackgasse Wall Street

Die Deutsche Börse will die New York Stock Exchange (NYSE) kaufen. Die Schlagzeile hat in den USA für einen Aufruhr gesorgt, weil sie wichtige Trends in der amerikanischen Wirtschaft zu veranschaulichen scheint. Wie kann die kleine Frankfurter Börse es wagen, die altherwürdige amerikanische Börsenbetreiberin zu übernehmen? Amerikas Börsen geben aber weniger ab, wenn man einen genaueren Blick darauf wirft. In Wahrheit wird der Aktienmarkt zunehmend irrelevant. Ein Trend, der die Grundprinzipien des amerikanischen Kapitalismus bedroht, schreibt Felix Salmon in einem lesenswerten Kommentar („Wall Street’s Dead End“) in NYT. Heuzutage bedeutet ein gesunder Aktienmarkt nicht eine gesunde Wirtschaft, wenn man die hohe Arbeitslosigkeit oder die niedrige Erwerbsbeteiligungsrate betrachtet. Die Deutschen wollen die NYSE nicht wegen des standardisierten, hart umkämpften und ultra-niedrigen Aktien-Margengeschäftes erwerben, sondern, wegen der lukrativen Derivate-Transaktionen, bemerkt der angesehene Blogger der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Börse ist immer noch riesig. Die Unternehmen, die auf den amerikanischen Börsen kotiert sind, haben einen geschätzten Wert von 17'000 Mrd. US-Dollar. Aber die glorreichen Tage der öffentlich gehandelten Unternehmen, die das Geschäftsleben in den USA beherrschen, dürften vorbei sein, argumentiert Salmon. Die Anzahl der Unternehmen auf den wichtigsten inländischen US-Börsen ist im Jahr 1997 über mehr als 7'000 gestiegen. Die Zahl, die seitdem sinkt, beläuft sich heute auf etwa 4'000 Unternehmen. Der Trend ist steil abwärtsgerichtet.

Auch die verbliebenen Aktien stellen keine Stellvertretung für die Gesundheit der US-Wirtschaft dar. Innovative amerikanische Unternehmen wie Apple und Google sind mehrere Hunderte von Milliarden US-Dollar Wert, aber die meisten von ihnen zahlen keine Dividende oder beschäftigen nicht viele Amerikaner und ihre Aktien sind im Wesentlichen spekulative Investitionen für Menschen, die eine Wette darauf schliessen, wie sie wohl in Zukunft aussehen mögen, legt Salmon dar. Anders ausgedrückt nimmt die Zahl der Börsengänge (IPOs) stetig ab. Der Aktienmarkt wird immer zu einem Ort für Spekulanten und Algorithmen, die darum wetteifern, wer das meiste Geld im Handel machen wird.

Was der Aktienmarkt nicht so gut macht, ist, seine öffentliche Kernfunktion: effiziente Kapitalallokation. Apple zum Beispiel ist enorm profitabel und sitzt auf einem riesigen Haufen Geld. Und es ist unwahrscheinlich, zu erwarten, dass es seine hochbewerteten Aktien verwenden würde, um Akquisitionen zu tätigen, beschreibt Salmon. Das Unternehmen hat den Aktienmarkt seit 1981 nicht mehr genutzt, um Kapital zu beschaffen.

Inzwischen schaffen die Gesellschaften, in die die Menschen investieren würden, wie z.B. Facebook und Twitter, es, die öffentlichen Märkte zu vermeiden, indem sie sich privat Hunderte von Millionen oder sogar Milliarden von US-Dollar beschaffen. „Sie und ich können in diese Unternehmen nicht investieren. Nur sehr ausgewählte Institutionen und gut vernetzte Einzelpersonen können es. Und Unternehmen bevorzugen es, hebt Salmon hervor. Die Aktie eines privaten Unternehmens wird von den unberechenbaren Wellen des Aktienmarktes als Ganzes nicht betroffen. Die Chefs können sich darauf konzentieren, das Unternehmen zu führen, als endlose Fragen von Investoren, Analysten und der Presse zu beantworten, erläutert Salmon weiter mit Recht. Es gibt viel weniger Druck auf die Zielvorgaben in bezug auf die Quartalsergebnisse. Diese Unternehmen sind davor gefeit, zum Opfer von kurzfristigen Spekulationen der Hochfrequenz-Händler in den öffentlichen Märkten zu fallen.

Nur die grössten und ältesten Unternehmen sind heute glücklich darüber, auf den öffentlichen Märkten kotiert zu sein. Als Ergebnis versagt aber der Aktienmarkt, die Lebendigkeit und Heterogenität der breiten Wirtschaft zu reflektieren. Um in jüngere, kleinere Unternehmen zu investieren, muss man ein Mitglied der ultra-reichen Elite zu sein. Die Aktionärsdemokratie, die Amerika in den vergangenen 50 Jahren schmiedete, ist gefährdet. Es waren Zivilisten, nicht Plutokraten, die Corporate Amerika kontrolliert haben und dieses Verhältnis hat den Lebensstandard verbessert und i.d.R. die schlimmsten Missstände in den Unternehmen im Zaum gehalten, fasst Salmon zusammen.

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