Regulierungsbehörden fordern, dass die grossen, komplexen Banken grössere Puffer des Kapitals halten müssen, um das Finanzsystem zu schützen. Grossbanken argumentieren, dass das nicht nötig ist, weil die Gefahr durch ihre grössere Bilanz diversifiziert sei. Wer hat Recht? Naturwissenschaften, insbesondere der Epidemiologie, Ökologie und Genetik liefern Hinweise, schreiben Andrew Haldane und Robert May in einem lesenswerten Essay („The Birds and the bees, and the big banks“) in FT. Sind Grossbanken tatsächlich weniger anfällig fürs Scheitern? Die traditionelle Ökonomie der Diverzifizierung legt das nahe. Aber komplexe Systeme in der Natur wie im Finanzwesen präsentieren eine andere Geschichte. Risikoaufstockung kann zu einem Absturz führen, anstatt zum Ausgleich, bemerken der Direktor der Finanzstabilität bei der Bank of England (BoE) und der Professor für Zoologie an der Oxford University. Je grösser und komplexer die Struktur, desto grösser das Risiko.
Warum? Weil die Grösse und Komplexität die Chancen der Kreuz-Kontamination des ganzen Fasses erhöhen, selbst wenn nur ein fauler Apfel dabei ist. Störungen gleichen sich nicht aus. Sie fallen stufenförmig aus.
Die Theorie der komplexen Systeme hat die Evolution auf seiner Seite. Fehler-Kaskaden können erklären, warum komplexe Ökosysteme (z.B. Regenwälder) tendenziell noch zerbrechlicher sind als einfache (z.B. Savannen). Sie erklären zudem, warum es natürliche Grenzen für die Skalierbarkeit von Computerprogrammen gibt. Und sie geben Einblick in physikalische Katastrophen wie Three Mile Island, heben die Autoren hervor. Im Banken-Sektor liefert die Theorie der komplexen Systeme eine Erklärung dafür, warum Finanzinstitute wie RBS, AIG und Citibank gescheitert sind.
In komplexen Systemen kommt es auf die Vielfalt an, nicht auf die Diversifikation. Beispielsweise verbessert die genetische Vielfalt die Krankheitsresistenz. Diversifizierung und Vielfalt könnten vermutlich in die gleiche Richtung ziehen. Aber im Finanzwesen lösen sie oft ein Tauziehen aus. Im Vorfeld der Finanzkrise hat die Diversifikation durch einzelne Banken einen Mangel an Vielfalt für das System als Ganzes erzeugt. Die mangelnde Vielfalt wiederum generiert systemweite Zerbrechlichkeit und schliesslich Zusammenbruch. Es gibt keine Belege dafür, dass die Wahrscheinlichkeit eines Versagens für Grossbanken geringer ist als für kleinere Banken.
Diese Grundsätze sind in der Erforschung von Infektionskrankheiten längst bekannt. Optimale Strategien für die Vorbeugung von Krankheiten fokussieren auf „Super Spreaders“: nicht diejenigen, die am ehesten sind, sterben, sondern diejenigen, die die grösste Kapazität haben, Gegenparteien zu infizieren. Das gleiche Kalkül gilt auch für grosse, komplexe Banken. Diese „Super-Spreaders“ der Finanzwelt haben enorme Bilanzen und sie bestehen oft aus Tausenden von verschiedenen Rechtspersonen. Und die Anzahl von ihren Gegenparteien ist oft verblüffend. Als Lehman Brothers scheiterte, hatte es mehr als 1 Million solche Vertragsverhältnisse. Das breitet finanzielle Ansteckung in einem globalen Ausmass aus.
Fazit: Glücklicherweise bieten Epidemiologen eine einfache präventive Lösung: peile den „Super-Spreader“ an. Für die Banken bedeutet dies, dass die grössten und komplexesten und am meisten vernetzten Banken mehr verlustabsorbierende Kapital halten müssen.
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