Sonntag, 14. Oktober 2012

Staatsverschuldung und Last für künftige Generationen


Nick Rowe hat in seinem Blog neulich eine neue Debatte in der Blogosphäre über eine bizarr verwirrte Thematik ausgelöst: „Schuldenlast für künftige Generationen“. Brad DeLong hat in seinem Blog promt eine Antwort geliefert.

Und Paul Krugman erklärt in seinem Blog, warum die konventionelle Präsentation falsch ist.

Zunächst einmal gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Formulierung im Hinblick auf die „Generationen“ leicht eine Falle sein kann, bemerkt Krugman. Es ist nämlich durchaus möglich, dass Schulden den Verbrauch der einen Generation erhöhen und den Verbrauch der nächsten Generation verringern können, während einer Zeitperiode, wenn die Mitglieder der beiden Generationen noch am Leben sind.

Angenommen, Präsident Santorum versucht nach der Wahl von 2016, die Unterstützung der Senioren zu gewinnen, indem er jedem Amerikaner über 65 eine neu zubegebende Staatsanleihe schenkt. Wird die Generation der über-65jährigen nun reicher und die der unter-65jährigen ärmer?

Das ist aber nicht das, was die Leute meinen, wenn sie über die Last der Schulden für künftige Generationen reden, erklärt Krugman. Was sie meinen, ist, dass Amerika als Ganzes ärmer wäre, wie eine Famlie, die Schulden macht, dann ärmer wird. Macht das Sinn?

Ein Gedankenexperiment: Angenommen, Präsident Santorum sorgt für eine Verfassungsänderung, wonach von nun an jeder Amerikaner, dessen Name mit den Buchstaben A bis K beginnt, von der Regierung jedes Jahr 5‘000$ bekommt. Das Geld wird durch zusätzliche Steuern aufgebracht. Wird Amerika als Ganzes dadurch ärmer?


US-Haushaltsdefizit und Leistungsbilanzdefizit (in Prozentsatz des BIP), Graph: Prof. Paul Krugman

Die nahe liegende Antwort lautet: nein, zumindest nicht im direkten Sinne. Es findet eine Übertragung statt, von einer Gruppe (von L bis Z) auf die andere Gruppe. Das Gesamteinkommen wird dadurch nicht geändert.

Nun könnte man argumentieren, dass es indirekte Kosten gibt, weil die Erhöhung der Steuern Anreize verzerrt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Man sieht, was kommt: eine Schuld, die aus der Vergangenheit geerbt wird, ist im Grunde genommen einfach eine Regel, die erfordert, dass eine Gruppe von Menschen (die Menschen, die die Anleihe nicht von ihren Eltern bekommen haben) eine Übertragung (transfer) auf eine andere Gruppe macht (die Menschen, die die Anleihe bekommen haben). Es hat also Verteilungswirkungen. Aber nicht im direkten Sinn, was das Land ärmer machen würde.

Was aber, wenn man die Schulden dem Ausland verschuldet?

Ein anderes Gedankenexperiment: Angenommen, die Chinesen wollen aus irgendeinem Grund US-Staatsanleihen im Wert von 500 Mrd. $ verkaufen und mit dem Erlös US-Unternehmensanleihen kaufen (d.h. ein Asset Swap), während inländische Investoren genau das Gegenteil tun. Wird Amerika dadurch reicher (oder ärmer)? Offensichtlich nicht. Als Land schuldet Amerika immer noch genau die gleiche Menge Geld an den Rest der Welt.

Was die Story besagt, ist, dass, wenn wir versuchen, die Last (oder keine davon) zu beurteilen, das ausländische Eigentum an Staatsanleihen keine Rolle spielt. Worauf es ankommt, ist die net international investment position. Das ist der Wert der Vermögenswerte in Übersee, die von Investoren im Inland gehalten werden, minus der Wert der Vermögenswerte, die von Investoren im Ausland gehalten werden, erläutert Krugman.

Es ist so, wie Brad DeLong sagt, bemerkt Krugman weiter, dass wir alle damit einverstanden sind, dass Haushaltsdefizite uns ärmer machen, wenn es dadurch zu Crowding out kommt, was der Fall wäre, wenn die Wirtschaft Vollbeschäftigung hätte. Aber es ist nicht der Fall. Denn die Wirtschaft steckt in einer Depression.  Und es gilt, anzuerkennen, dass net foreign investment (d.h. Käufe minus Verkäufe von Vermögenswerten an und von Investoren im Ausland) auch eine Form von Investitionen sind. Das heisst, dass Haushaltsdefizite die Menschen als Nation ärmer machen können, wenn sie zu grösseren Handelsdefiziten führen.

So was ist aber bisher nicht passiert. Wie der Abbildung für das US-Haushaltsdefizit und das Leistungsbilanzdefizit (als Prozentsatz des BIP) zu entnehmen ist, ist die Kreditaufnahme der USA im Ausland in den vergangenen Jahren zurückgegangen.

Man könnte trotzdem argumentieren, dass ein höheres Budgetdefizit, andere Dinge gleich, zu einem höheren Handelsdefizit führen kann, weil die Wirtschaft damit expandieren würde, mehr zu importieren. In einem sehr begrenzten Sinne könnte man daraus eine „Last des Defizits“-Geschichte machen. Aber es ist nicht, worum es aus Sicht der Panikmacher in Sachen Defizit geht. Diese sagen nämlich, dass „deficit spending uns zurück zum Wohlstand bringen könnte, was möglicherweise zu einem Anstieg der Einfuhren führen würde. Lass uns darauf verzichten“, legt Krugman in einem ironischen Still dar.

Die Quintessenz ist, dass, während die US-Vermögenswerte in den Händen von Investoren im Ausland eine Komplikation ist, die Behauptung, dass Defizite den Verkauf unseres Geburtsrechts an Chinesen bedeutet, überhaupt keinen Sinn macht, schlussfolgert Krugman.

Um die ganze Debatte kurz abzurunden:

Nick Rowe teilt die Ansicht von DeLong und Krugman nicht, dass die Staatsverschuldung keine Last für künftige Generationen darstellt. Rowe hält es für eine Zombie-Idee, zu denken, dass „die Staatsverschuldung keine Belastung für künftige Generationen sei, weil sie die Anleihen übernehmen, genau so wie die Schulden, so dass sie sich selbst schulden“. Der an der Carleton University, Kanada lehrende Wirtschaftsprofessor verweist mit einem Seitenhieb in Richtung Mark Thoma darauf, dass er in den vergangenen Jahren sechsmal (z.B. hier und hier) dazu Stellung genommen habe. Staatsverschuldung ist eine Belastung für unsere Kinder, es sei denn, Sie glauben an Ricardianisches Äquivalenztheorem, argumentiert Rowe.

Schliesslich fasst Dean Baker in seinem Blog die Debatte zusammen, und hält fest, dass alle wohl damit einverstanden sind, dass in einer Situation, wo die Wirtschaft deutlich weit unter ihrem Potenzial schafft, die öffentliche Hand das Haushaltsdefizit hochfahren kann, um die Beschäftigung (employment) und die Produktion (output) zu erhöhen. Die Regierung kann im Grunde genommen diese Defizite verwenden, um die künftige Produktion durch sinnvolle Investitionen in entweder physisches Kapital oder in Human-Kapital zu steigern, was die künftige Generation aufgrund des Defizits von heute netto besser stellen würde, da die Wirtschaft grösser wäre als ohne die Defizite.

Es gibt also laut Baker viele gute Gründe, warum wir heute alles tun sollten, um die Wirtschaft zu Vollbeschäftigung zurückzubringen. Er ist der Ansicht, dass sowohl Fiskal- als auch Geldpolitik dazu eingesetzt werden sollten. Es gibt nämlich keinen Grund, zu glauben, dass Defizite in der Gegenwart zu einem langsameren Wirtschaftswachstum in Zukunft führen würden. Und es gibt viele Gründe, zu denken, dass sie das Wachstum erhöhen.

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