Samstag, 1. Dezember 2012

Ist Schuldenabbau für die Zentralbank eine Sünde?


Seit dem Ausbruch der Finanzkrise gibt es viel Diskussion über die angemessenen Ziele für die Geldpolitik. Soll es ein bestimmtes Inflationsziel (inflation targeting) sein? Oder sollen die Zentralbanken auch die Produktionslücke (output gap = GDP – capacity GDP) in ihre objektiven Funktionen einschliessen? Vielleicht sollten die Zentralbanken ein nominelles BIP steuern (NGDP Targeting).

Kaum würde aber jemand im Traum darauf hindeuten, dass die Geldpolitik helfen soll, die Staatsschulden zu drücken, z.B. durch Senkung der Zinssätze oder durch die glaubwüdige Erhöhung der Inflationserwartungen, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog.

Was einfach angenommen wird, ist, dass wir nur Steuern erhöhen oder Staatsausgaben kostspielig kürzen sollen, um Schuldenabbau voranzutreiben, bemerkt der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor. In der Regel ist es so, dass es für Volkswirtschaften mit eigener Währung (also nicht für eine Währungsunion wie die Euro-Zone) gilt, dass die Zentralbank mit der Geldpolitik die Nachfrage und Inflation stabilisiert und die Regierung mit der Fiskalpolitik die Verschuldungsproblematik anpackt, was Wren-Lewis die „consensus assignmentbezeichnet.

Was ist aber zu tun, wenn die nominalen Zinsen nahe Nullgrenze liegen (zero lower bound, ZLB) und die Geldpolitik daher an Wirksamkeit verliert? Es gibt andererseits ebenso Umstände, wo die Fiskalpolitik alles andere als optimal ist und wo es sinnvoll erscheint, dass die Zentralbank zum Einsatz kommt, die Verschuldung zu drücken. Das sind natürlich Umstände, wo die Schulden viel zu hoch sind.

Wren-Lewis denkt dabei an die Makroökonomie, wo ein wohlwollender politischer Entscheidungsträger sowohl die Geldpolitik als auch die Fiskalpolitik steuert. Wenn die Schulden hoch sind, ist die Verringerung der Realzinsen ein ziemlich wirksames Mittel, um die Schulden abzubauen. 

Wenn die Staatsverschuldung etwa gleich gross ist wie die Wirtschaftsleistung (BIP), dann entspricht eine Verringerung der Realzinsen um 1% im Verhältnis zu der Staatsverschuldung einer Erhöhung der Steuern um 1% im Verhältnis zum BIP.

Wird aber die Zinssenkung zum Schuldenabbau die Inflation nicht anheizen? Natürlich gefährdet man dadurch die Kontrolle der Inflation, unterstreicht Wren-Lewis. Fiskalpolitische Instrumente könnten aber eingesetzt werden, um diese Kosten zu senken: wenn die Regierung die Staatsausgaben senkt genau so wie die Zinsen, dürfte der Netto-Effekt auf die Inflation klein sein. 

Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Inflation nicht die einzige Sache ist, die zählt. Erhöhung der Steuern oder Senkung der Ausgaben zum Schuldenabbau ist auch kostspielig. Es ist wahrscheinlich besser, im Sinne der Wohlfahrtspflege, Inflation für eine Zeit ansteigen zu lassen, um die Schulden zu senken, als die Steuern um das gleiche Mass erhöhen zu müssen.

Man mag jetzt daran denken, ob es nicht der springende Punkt im Hinblick auf die „consensus assignment“ ist, dass die Geldpolitik eine bessere Arbeit leistet, die Inflation unter Kontrolle zu halten, als die Fiskalpolitik? Ja, es gilt im Benchmark-Modell, aber nur wenn die Schulden kein Problem darstellen. Denn ausserhalb der Nullgrenze (zero lower bound) würde die Geldpolitik besser funktionieren, um die Inflation zu bekämpfen. Wenn die Verschuldung aber zu hoch ist (z.B. 50% des BIP) und wir die Schulden senken müssen, dann sind wir in einer anderen Welt, wo die komparativen Vorteile zählen, erläutert Wren-Lewis.

Heute sieht es so aus, als ob wir in eine verdrehte Art von „fiscal dominance“ geraten wären, wo die Staaten die Ausgaben viel zu schnell abbauen und die Wirtschaft dadurch leidet. Doch mit der Geldpolitik kann nicht wirksam entgegengehalten werden, weil wir nahe Null-Grenze sind. Daher scheint es laut Wren-Lewis etwas seltsam, wenn behauptet wird, dass die Geldpolitik nicht helfen kann, die Schulden zu senken, weil es die Entscheidungsträger der Finanzpolitik in einer Notsituation aus der Verantwortung nehmen würde. 

In den Ländern wie Grossbritannien, den USA oder den Niederlanden gibt es keine Notsituation. Und die Politiker treffen dennoch unpopuläre Massnahmen, um die Verschuldung zu senken. Würden aber die politischen Entscheidungsträger eine Kehrtwende machen, wenn die Geldpolitik nachhelfen könnte?

Jetzt, wo die kurzfristigen Zinsen nahe Null liegen, und die Regierungen in den USA und Grossbritannien mit QE (quantitative easing) die Verzinsung der Staatsanleihen senken, scheint es, als ob es keinen Konflikt zwischen der Inflationskontrolle und der Senkung der Realzinsen gäbe, hält Wren-Lewis als Fazit fest.

(*) Fiscal Dominance: es it ein Terminus, der von der Bank for International Settlements (BIS) verwendet wurde, um die Situation zu beschreiben, wo ein Staat zu viel ausgibt und zu wenig Einnahmen aus Steuern generiert und die Inflation folglich andauernd zu hoch bleibt. In einem Extremfall kann es zu Hyperinflation führen.

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