Montag, 10. Dezember 2012

Ingenieurwesen und Hebelwirkung im Banking


Man kann nicht kontrollieren, was man nicht messen kann, schreibt Mark Buchanan in einem lesenswerten Artikel („If We Don’t Measure Leverage, We Risk More Crisis“) in Bloomberg.

Im Ingenieurwesen hat die Steuerungstheorie (control theory) mit der Verwendung von Informationen, die aus der Messung eines Systems gewonnen werden, zu tun, um intelligente Massnahmen zu planen und zu ergreifen, was im Idealfall zu wünschenswerten Ergebnissen führt, erklärt Buchanan. Wie z.B. ein Kernreaktor, der nicht eine Kernschmelze auslösen soll oder ein Roboterarm, der genau das macht, was zu tun ist.

In Falle der Wirtschaftswissenschaft ist es wohl nicht möglich, alles zu messen, was wir kontrollieren wollen. Zumindest versuchen die Zentralbanker seit einem halben Jahrhundert die Inflation und die Arbeitslosigkeit via Zinsen zu steuern. Die Fed senkt die Zinsen, wenn die Wirtschaft ins Stocken gerät und sie erhöht die Zinsen, wenn die Inflation am Horizont erscheint. Die gegenwärtige Finankrise hat jedoch viel mehr mit der Menge der Kreditaufnahme durch die Menschen zu tun und mit der Hebelwirkung (leverage), die zu einer Blase am Immobilienmarkt geführt hat.

In wiefern fügt sich aber Leverage (Hebelwirkung des Fremdkapitals) in die Gleichung der makroökonomischen Stabilität ein? Erstaunlicherweise lautet die Antwort: überhaupt nicht, bemerkt der theoretische Physiker und der Autor des BuchesThe Social Atom: Why the Rich Gets Richer“.

ie geltenden Zinssätze bestimmen die Kosten für die Kreditaufnahme, wenn ein Kreditnehmer letztendlich den Kredit zurückzahlt. Leverage (reflektiert dadurch, wie viele Sicherheiten Personen oder Unternehmen benötigen, um Kredit aufzunehmen und wie viel sie verlieren dürften, wenn sie den Kredit nicht zurückzahlen können) bestimmt, wie viel jemand mit einem gegebenen Startkapital kaufen kann. Es ist eine unabhängige Menge, die auch darauf Einfluss hat, was in der Wirtschaft passiert, ob die Kreditaufnahme einfach und attraktiv ist oder nicht.

Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass die Hebelwirkung nicht eine feste Menge ist. Es ändert sich im Verlauf der Zeit, wie die Menschen mehr oder weniger optimistisch gestimmt sind und wie die Kreditgeber mehr oder weniger Vertrauen an die Rückzahlung des Kredits setzen.

nd solche Veränderungen können routinemässig die grossen „Booms & Busts“ in der Wirtschaft auslösen. Auch die Steuerung der Hebelwirkung des Fremdkapitals sollte daher wie die Steuerung der Zinsen durch die Fed einen Teil der Aktivitäten einer Zentralbank ausmachen, argumentiert Buchanan als Fazit. Der Kern seiner Argumentation stützt sich auf eine vernünftige Einsicht, dass eine Zunahme der Hebelwirkung i.d.R. direkt zu einem Anstieg der Preise führt. Man denke dabei an den Immobilienmarkt.

In jedem Moment lässt sich festhalten, dass manche Menschen optimistischer sind als andere und wenn sie überzeugt sind, dass die Preise weiter steigen, sind sie gern bereit, mehr zu investieren. Wenn die Banken ihre Praxis ändern, und nur 5% Anzahlung anfordern, statt 20%, dann werden die Optimisten mehr ausgeben. Sie können nämlich bis zu 20 Mal den Wert der eigenen Mittel einkaufen, anstatt nur 5 Mal, in der Hoffnung, Profit zu machen, wenn die Dinge gut laufen. Da mehr Geld zur Verfügung steht als Häuser, steigen die Hauspreise, wodurch die Optimisten noch optimistisch (bullish) werden.

Diese Dynamik ist keine einmalige Besonderheit der jüngsten Finanzkrise, des modernen Bank-Wesens, der Deregulierung und der Derivate. Es ist ein natürlicher Zyklus (the leverage cycle), die vollständig auf eigenen Antrieb eine Wirtschaft auf und ab bewegen kann, auch wenn die Zinsen unverändert bleiben, betont Buchanan.

Die Fed beginnt, Daten zu sammeln, um Veränderungen im Hinblick auf die Hebelwirkung zu beobachten. Es bleibt aber unklar, in wie weit die Kontrolle der Hebelwirkung in der praktischen Politik der Regulierung und der Marktaufsicht eine Rolle spielen wird.

Keine Kommentare: