Sonntag, 30. Dezember 2012

Haushaltsdefizit: strukturell vs konjunkturell


Das US-Haushaltsdefizit beträgt 6,5% der Wirtschaftsleistung (BIP). In Zahlen: 1‘000 Mrd. $. Die Defizit-Falken, die in diesem Zusammenhang gern Moralpredigt halten, behaupten, dass das Haushaltsdefizit strukturell ist und daher unbedingt jetzt-jetzt-jetzt abgebaut werden müsse.

Evan Soltas unternimmt in einem lesenswerten Artikel („The Deficit: Not as Bad as They Want You to Think“) in Bloomberg den Versuch, herauszufinden, wie viel des gegenwärtigen Defizits strukturell (wenn überhaupt) und wie viel davon konjunkturell bedingt ist. Sein Befund: Das derzeitige Haushaltsdefizit ist unter Kontrolle, genau wie die Haushaltsdefizite in den vergangenen 5 Jahren.

Der richtige Weg, haushaltspolitische Bedingungen in den USA auszuwerten, ist nicht das Budget-Defizit, welches mit Konjunktur stark schwankt, zu betrachten, sondern das strukturelle Defizit zu berechnen. Es ist die Differenz zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen, wenn in der Wirtschaft normale Verhältnisse vorherrschen. Technisch: Wenn die Produktionslücke (output gap), d.h. BIP – BIP Kapazität, gleich null ist.

Soltas schätzt ein, dass das strukturelle Haushaltsdefizit pro Jahr 325 Mrd. $, d.h. 2,1% des BIP beträgt. Die US-Wirtschaft ist in der Lage, über die lange Sicht schneller zu wachsen, sodass die Schuldenstandsquote (debt to GDP ratio) stabil bleiben kann. Es ist daher möglich, dass die Daten die Grössenordnung des struktrurellen Defizits überzeichnen.  Das strukturelle Budget-Defizit dürfte demnach in den USA rund 1,5% des BIP ausmachen.


US-Haushalt - das strukturelle und das gegenwärtige Defizit, Graph: Evan Soltas

Bei den Berechnungen handelt es sich nicht mehr als um Näherungwerte. Aber sie geben einen Hinweis darauf, wann die Schwankungen des Defizits zyklisch und wann sie strukturell sind. Die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung sind z.B. höchst-zyklisch, während die Ausgaben für die Gesundheit und soziale Sicherheit der Veteranen zumeist strukturell sind.

Soltas kommt m.a.W. zu einem ähnlichen Schluss wie Paul Krugman (siehe ONE TRILLION DOLLARS). Das heisst, dass das gegenwärtige Haushaltsdefizit im Wesentlichen ein Ergebnis der schwer angeschlagenen Wirtschaft ist. Es ist also nicht strukturell.

Soltas macht zudem eine bemerkenswerte Beobachtung: Das Haushaltsdefizit wurde im Verlauf der Zeit wegen der wachsenden Ungleichheit für konjunkturelle Schwankungen empfindlicher, wie Krugman hervorhebt. Warum? Weil mehr Einnahmen aus den wohlhabenden Menschen stammen, auch wenn die Steuersätze für die Reichen gesenkt worden sind. Und das Einkommen der Wohlhabenden sind viel volatiler als das Einkommen der normalen Arbeitnehmer.

Krugman ergänzt in seinem Blog, dass die Defizit-Panik grundsätzlich fehl am Platz ist. Und es ist besonders ärglich, wenn man daran denkt, was viele dergleichen Leute damals über den Überschuss im Haushalt sagten und was sie heute über das böse Defizit sagen: George W. Bush hat z.B. eine Wahlkampagne auf der Basis geführt, dass der Überschuss im Haushalt in späten Jahren der Clinton-Regierung bedeute, dass die Steuern gesenkt werden müssen. Und Alan Greenspan hat die Idee entscheidend unterstützt, indem er dem Kongress mitteilte, dass die grösste Gefahr darin bestünde, die Verschuldung zu schnell zurückzufahren. Heute hilft Greenspan der Gruppe um „Fix the Debt“.


Primary Balance und Produktionslücke (output gap), Graph: Prof. Paul Krugman

Die Erfahrung mit Bush legt etwas Wichtiges über die Fiskalpolitik nahe: Wenn die Demokraten von dem Defizitabbau besessen werden, ist alles, was sie bieten müssen, ein Topf mit Geld. Die Republikaner verschwenden die Mittel schnell für Steuersenkungen für die Reichen, sobald sie die Gelegenheit ergreifen. Der Punkt ist laut Krugman, dass die Diskussion um das Haushaltsdefizit auf eine Kombination von schlechter Wirtschaftspolitik und der Politik beruht. Was wir daher beobachten, ist nicht Grand Bargain, sondern Great Scam (grosser Schwindel).

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