Freitag, 20. Januar 2012

Vier Mythen über Haushaltsdefizit und eine erschreckende Tatsache

„Versuchen Sie die aktuelle Oberflächlichkeit in der amerikanischen Politik zu ignorieren, wenn Sie es können und gehen Sie davon aus, dass das Defizit im Haushalt unter den grossen Themen der Wahl-Kampagne 2012 sein wird. Es sollte jedenfalls sein“,  schreibt Alan Blinder  in einem lesenswerten Artikel in WSJ.

Da jeder ein geringeres Defizit will, haben die beiden Parteien krass unterschiedliche Visionen davon, wie es erreicht werden soll, bemerkt der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Leider ist die öffentliche Debatte über das Haushaltsdefizit voller Missverständnisse und Unwahrheiten. Daher will Blinder dafür sorgen, dass vier Mythen als falsch entlarvt werden:

Mythos 1: Das amerikanische Volk verlangt jetzt einen Abbau des Haushaltsdefizits wie nie zuvor.

Glauben Sie es nicht, unterstreicht Blinder. Wenn Sie Amerikaner nach dem Defizit fragen, werden sie sagen, dass sie es verabscheuen, wie immer. Aber Meinungsumfragen zeigen, dass das Haushaltsdefizit in Sachen Wirtschaft nirgendwo als „Staatsfeind Nr. 1“ erscheint. Die Menschen sorgen sich viel mehr über die hohe Arbeitslosigkeit, die schwache Konjunktur und dergleichen.

Mythos 2: Amerikas Haushaltsdefizit ist ein akutes Problem, sodass die Regierung es sofort abbauen muss, trotz der schwierigen Wirtschaftslage. Und jedes Konjunkturpaket (fiscal stimulus) muss sofort „bezahlt“ werden.

Falsch. Auch wenn es mit Billionen-Dollar-Defizit seltsam aussehen mag, hat die US-Regierung überhaupt kein kurzfristiges Finanzierungsproblem. Ganz im Gegenteil leihen Investoren auf der ganzen Welt Amerika Geld, und zwar zu negativen Realzinsen. In Kaufkraft ausgedrückt bieten die Investoren eine Art Gebühr dafür, um USA Geld leihen zu dürfen.

Wir sollten diese gütige Angebote akzeptieren und dringende Bedürfnisse für Programme für Arbeitsplätze, Infrastruktur, ja sogar Zwangsvollstreckungen im Hyphotkenwesen finanzieren, hebt der ehemalige Fed-Vize-Präsident hervor.

Mythos 3: Unser politisches System fokussiert seit einigen Jahren ausschiesslich auf das 10jährige, kumulative Haushaltsdefizit. In Wahrheit kommt es kaum darauf an, was in den nächsten 10 Jahren passiert. Unser Defizitproblem ist viel längerfristiger als das.

Nach den jüngsten langfristigen Projektionen des CBO geht das Haushaltsdefizit als Anteil am BIP zurück, auch ohne weitere Massnahmen. Das eigentliche Defizitproblem kommt in den 2020er, 2030er Jahren und darüber hinaus. Und es ist riesig.

Was treibt aber die Explosion des projizierten Defizits an? Diese Frage führt zum Mythos Nr. 4.

Mythos 4: Amerika hat ein generelles Problem der galoppierenden Ausgaben, was Kürzungen erforderlich macht.

Die Wahrheit ist, dass Amerika ein grosses Problem der explodierenden Kosten im Gesundheitswesen hat, was sich in Ausgaben für Medicare (staatlicher Gesundheitsdienst für Rentber) und Medicaid (staatlicher Gesundheitsdienst für arme Leute) niederschlägt.

Amerika hat laut Blinder kein allgemeines Ausgabenproblem auf die lange Sicht, sondern ein gigatisches Problem im Gesundheitswesen.

Wenn wir die vier Mythen durch die vier Fakten ersetzen könnten, würde sich die Art der öffentlichen Debatte verwandeln, und das Augenmerk dem Wesentlichen richten. Aber leider ist dies ein Wahljahr, welches ein Umfeld schafft, wo Fakten nicht gedeihen können, fasst Blinder zusammen.

Keine Kommentare: