Montag, 2. Januar 2012

Niemand versteht Verschuldung

Amerika befand sich 2010 wie 2011 in einer technischen Erholung, erleidet aber weiterhin eine katastrophale Arbeitslosigkeit. Und während der meisten Zeit des Jahres 2011 war Washington mit etwas anderem beschäftigt: die angeblich dringende Frage des Abbaus des Haushaltsdefizits, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Montagskolumne („Nobody Unterstands Debt“) in NYT.

Der falsche Schwerpunkt sagt viel über die amerikanische politische Kultur aus, insbesondere darüber, wie entfernt der Kongress vom Leid der einfachen Amerikaner ist. Aber es zeigt laut Krugman auch etwas anderes: wenn die Leute in DC über Defizite und Verschuldung reden, haben sie im Grossen und Ganzen keine Ahnung, wovon sie reden und die Menschen, die am meisten darüber reden, verstehen am wenigsten davon.

Vielleicht ist es am deutlichsten mit Wirtschaftsexperten, auf die der Kongress angewiesen ist, wie z.B. Heritage Foundation, die seit der Amtsübernahme des Präsidenten Obama darauf warten, dass die Zinsen wegen des Haushaltsdefizits durch die Decke schiessen. Täglich! Und während sie warten, sind die Zinssätze auf historische Tiefstände gefallen.

Aber Washington ist nicht nur kurzfristig verwirrt. Es geht auch um die Verwirrung auf lange Sicht. Bedenkenträger in Bezug auf das Haushaltsdefizit betrachten Amerika wie eine Familie, die einen zu grossen Hypotekarkredit aufgenommen hat und es schwer hat, die monatlichen Zahlungen zu leisten. Das ist eine sehr schlechte Analogie in mindestes zweierlei Hinsicht, betont Krugman.


Grossbritanniens Geschichte der Verschuldung, Schulden im Verhältnis zum BIP, Graph: Prof. Paul Krugman

Erstens müssen Familien ihre Schulden bedienen. Die Staaten nicht. Und alles, was die Staaten machen müssen, ist, sicherzustellen, dass die Verschuldung langsamer wächst als die Steuereinnahmen.

Zweitens ist der Punkt, den viele zu vergessen scheinen, dass eine überschuldete Familie das Geld an jemanden anderen schuldet. Die Gelder, die Amerika schuldet, sind Gelder, die Amerika sich selbst schuldet. „Wenn Sie sich ein Land vorstellen, das gegenüber Chinesen bereits tief verschuldet ist, sind Sie falsch informiert“, erklärt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor.

Man muss nicht ideologisch rechts stehen, um einzuräumen, dass sie Steuern der Wirtschaft auch Kosten auferlegen. Aber diese Kosten sind viel weniger dramatisch als die Analogie mit einer überschuldeten Familie nahelegt.

Und das ist der Grund, warum Länder mit stabilen, verantwortungsvollen Regierungen, d.h. Regierungen, die bereit sind, Steuern zu erhöhen, wenn die Situation es erfordert, historisch in der Lage gewesen sind, mit viel höheren Schulden als die gängige Meinung von heute nahelegt, umzugehen.

Vor allem hatte Grossbritannien Schulden von mehr als 100% des BIP in den 81 von vergangenen 170 Jahren. Wenn Keynes über die Notwendigkeit schrieb, sich den Weg aus der Depression durch Staatsausgaben zu ebnen, steckte Grossbritannien in tieferen Verschuldung als jedes fortgeschrittenes Land von heute, mit Ausnahme von Japan.

Ja, es kommt auf die Schulden an. Aber im Moment sind andere Dinge von mehr Bedeutung. Wir brauchen mehr Staatsausgaben, nicht weniger, die uns aus der Falle der Arbeitslosigkeit bringen werden. Und die starrköpfigen, die von Verschuldung besessen sind, stehen im Weg, fasst Krugman als Fazit zusammen.

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