Robert Skidelsky befasst sich in einem lesenswerten Essay („Democracy or Finance“) in Project Syndicate mit den wirtschaftlichen und menschlichen Kosten des Defizitabbaus in einer schwachen Wirtschaft. Die angestrebten Ziele werden nicht erreicht, weil die Ausgabenkürzungen auch die Einnahmen des Staates erodieren, weil die Gesamtnachfrage sinkt, hält der Professor Emeritus für Nationalökonomie an der Warwick University fest. Die „Beseitigung des Defizits“ bedeutet ganz einfach die Beseitigung zahlreicher Arbeitsplätze sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, beschreibt das Mitglied des britischen Oberhauses. „Die Wut der Menschen über Ausgabenkürzungen auf Geheiss der Spekulanten und Banker hat bereits zum Sturz der Regierungschef in Irland und Portugal geführt und zwingt den spanischen Premierminister zum Rückzug“, legt Skidelsky dar. Der Autor zeigt anhand der wohlbekannten Taktik („shorten“) der Spekulanten, wie Leerverkäufer heute Staaten in die Knie zwingen und im Spannungsfeld die Demokratie blockieren.
Wie ein Spekulant gegen einen Staat „short geht“:
Am 1. Januar 2010 borgt sich ein Spekulant von Goldman Sachs griechische Staatsanleihen (Fälligkeit 2016) im Wert von 10 Mio. Euro (Nennwert) für 6 Monate.
Die Anleihe wird zu diesem Zeitpunkt zu einem Preis von 0,91 Euro gehandelt.
Spekulant muss aber an Goldman Sachs dafür Zinsen bezahlen, die die Bank für diese Anleihen in den nächsten 6 Monaten bekommen würde. Bei einer jährlichen Verzinsung von rund 5% macht es für 6 Monate 2,5%, d.h. 250'000 Euro.
Spekulant verkauft die Anleihe sofort zum Kurs von 0,91 Euro auf dem Markt und bekommt dafür 9,1 Mio. Euro (0,91x10 Mio. Euro).
Am 30. Juni 2010 muss er die Anleihe, die er geborgt hat, wie vereinbart an Goldman Sachs retournieren.
Die Anleihe notiert jetzt zu einem Kurs von 0,72 Euro.
Spekulant kauft die Anleihe zum Preis von 0,72% mit Nennwert von 10 Mio. Euro. Er bezahlt also 7,2 Mio. Euro.
Sein Gewinn:
= 9,1 Mio. Euro – 7,2 Mio. Euro – 250'000 Euro (Zinsen)
= 1,65 Mio. Euro
Natürlich kann ein einzelner Leerverkäufer den Preis eines Vermögenswertes nicht „machen“, hebt Skidelsky hervor. Wenn aber eine Gruppe von Spekulaten entscheidet, dass die Anleihen eines Staates zu hoch bewertet sind, können sie den Preis nach unten drücken und damit ihre Erträge (d.h. die Zinsen, die der Staat zahlen muss) steigern.
Welche Rolle spielen gewählte Politiker dabei? Sollen sie einfach den Willen des Marktes akzeptieren und die nötigen Schmerzen den Bürgern auferlegen? Das wäre sinnvoll, wenn die Finanzmärkte die Preise von Vermögenswerten korrekt festlegen würden, betont Skidelsky. Das ist aber nicht der Fall. Es sind letzten Endes die Wähler und nicht die Märkte, die von ihren Regierungen Rechenschaft verlangen.
Der Finanzkollaps von 2007-2009 war laut Skidelsky das Ergebnis einer massiven Überbewertung von Vermögenswerten durch Privatbanken und Ratingagenturen. Warum sollen wir glauben, dass die Märkte das Risiko griechischer, irischer oder portugiesischer Anleihen richtig bewerten?
Fazit: Die Spannungen zwischen Demokratie und Finanzsystem sind die Grundlage der Unzufriedenheit im heutigen Europa.
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