Die offizielle Abstimmung im Hinblick auf die Finanzreform zwischen dem Senat und dem Repräsentantenhaus wird nächste Woche beginnen. Hinter den Kulissen findet bereits intensives Lobbying statt, schreibt Simon Johnson in einem lesenswerten Essay („Will Obama Push for Financial Stability?“) in NYT. Die wichtigste Frage ist jedoch noch offen, ob die endgültige Gesetzgebung das Finanzsystem letzendlich überhaupt sicherer als vor dem Ausbruch der Krise im September 2008 machen wird. „Wie geraten Grossbanken immer wieder in solche Schlamassel? Gefährliche Bankgeschäfte in der heutigen Welt involvieren Banken, die mit Wertschriften handeln und in diesem Zusammenhang Positionen einnehmen, indem sie um das eigene Geld wetten, erklärt der ehem. Chefökonom des IWF. Beispielsweise kamen fast alle Gewinne im Jahr 2009 aus dem Wertpapierhandel.
„Sind die Marktbedingungen günstig, haben die Händler Glück, sodass die Personen, die hinter den Banken stehen (hoffentlich auch ihre Aktionäre) enorme Gewinne einstreichen. Wenn aber dasselbe Risikoverhalten zu grossen Verlusten führt, entfalten sich die negativen Auswirkungen in Form einer schweren Rezession. Die Staatsausgaben steigen. Die Beschäftigung nimmt ab“, erläutert Johnson. Das alte Sprichwort „Wall Street gets the upside, and society get the downside“ ist heute akuteller denn je, argumentiert Johnson. Diese Asymmetrie bei den Anreizen erklärt, wie kluge Menschen mit konzentrierter Finanzmacht so viel Schaden verursachen können, wie u.a. Bank of England (BoE) gezeigt hat, so Johnson. Der Derivatemarkt ist die Arena, wo viel von dieser Art von Risiko-Aktivitäten stattfindet. „Der Gesetztentwurf zu Finanzreform bemüht sich zwar, den Derivatemarkt an eine Börse zu bringen, doch sind die Ausnahmen viel zu pauschal, dass er enttäuschend wenig tut, den riskanten Teil der Geschäfte vom kritischen Teil der Bankgeschäfte zu trennen“. Johnson verweist dabei auf den inzwischen abgeschafften „Glass-Steagall"-Act (1939), der eine Trennung von Geschäfts- (klassische Bankaktivitäten) und Investmentbanken (Casino-Aktivitäten) vorsah, und damit nahezu 50 Jahre lang der US-Wirtschaft gedient hatte. „Der Geist der Finanzreform wird von Paul Volcker vertreten. Volcker’s Ziel ist, die Prinzipien hinter dem Glass-Steagall-Act zu aktualisieren und wieder zu verwenden“, betont Wirtschaftsprofessor an der MIT Sloan und ein Senior Fellow an der Peterson Institute for International Economics. Es liegen z.Z. zwei Vorschläge zwischen dem Senat und dem Repräsentantenhaus vor, um diese Problematik anzugehen. „Beide sind wertvoll. Sie gehen auf die Problematik aus unterschiedlichen Richtungen ein“: (1) Der „Ansatz von Senator Blanche Lincoln“, der sich ausschliesslich auf den Handel mit Derivaten konzentriert und von den Banken verlangt, um separate Tochtergesellschaften einzurichten. (2) Der „Ansatz von Senatoren Merkley und Levin“, der in der gleichen Richtung eine beträchtliche Distanz geht, obwohl er sich mit einer stärkeren Konzentration auf die Trennung ausrichtet, erlaubt er nicht, dass die Banken Eigenhandel treiben. Der „Ansatz von Merkley und Levin“ belässt den kundenorientierten Handel, wie er ist, innerhalb von Grossbanken. Die Vorgehensweise verlangt aber einen Ausschluss von Eigenhandel über alle Arten von Finanzinstrumenten, also nicht nur für Derivate. Der Entwurf von Merkley-Levin geniesst derzeit grosse Dynamik im Senat, berichtet Johnson. Die Bank-Lobbyisten werden aber bestimmt anstiftend eingreifen, sodass eine Abstimmung verweigert würde, ist Johnson überzeugt. Der Präsident hat der „ Volcker-Regel“ Ende Januar seinen Segen erteilt, aber sein Team leistete bislang ein mangelhaftes „follow-up“, bemerkt Johnson bedauernd. „Wird der Präsident sein politisches Kapital ernsthaft ins Spiel bringen? Oder ist seine neu (vom Öltteppich) gewonnene Rhetorik gegen die galoppierende Macht der Grosskonzerne und die pathetische Regulierung vollkommen leer und schlimmstensfalls ein Deckmantel für weitere Missbräuche?, so Johnson. Die kommenden Wochen werden einen Lehrstoff liefern, nicht nur für die künftige Stabilität des Finanzsystems, sondern auch dafür, wofür der Präsident wirklich steht, bemerkt Johnson als Fazit.
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