Dienstag, 1. Juni 2010

Wie Wall Street die Politik erobert

Simon Johnson berichtet mit Freude darüber, dass sich die Einstellung gegenüber Grossbanken rund um die Welt und das gesamte politische Spektrum wandelt. In Grossbritannien sucht beispielsweise die neue Mitte-Rechts-Regierung nach Wegen, um die Grossbanken aufzubrechen: „Wir werden Schritte unternehmen, um systemische Risiken im Banken-System zu verringern und eine unabhängige Kommission einrichten, um das komplexe Thema der Trennung der Geschäftsbanken und der Investmentbanken in einer nachhaltigen Weise untersuchen zu lassen“, hiess es in einer Stellungnahme. Die Europäische Kommission signalisiert andererseits, dass eine Bankenabgabe kommt, vermutlich vom IWF vorgeschlagen. Das verlangt höhere Preise von grösseren Banken und von Banken mit weniger Kapital, erklärt Johnson. Die EU ist sonst zunehmend besorgt über den Kapitalmangel bei den deutschen Banken, v.a. wegen der leichtsinnigen Kreditvergabe in Irland und Spanien und wegen der Gefahren, die von Banken ausgehen, die grösser sind als ihre Heimatländer (wie z.B. in der Schweiz).



Compensation of Regulators and Regulated, Graph: Thomas Ferguson and Robert Johnson, in : INET Conference at the King’s College, Cambridge University, April 2010

Doch die Obama-Regierung weigert sich, ihre Meinung im geringsten zu ändern. Sie vergrabt sich hinter der Idee, dass sie in Sachen Bankpolitik die gemässigte Mitte vertritt. Das ist eine schwache Position, argumentiert Johnson. Es ist einfach ein Mythos ohne faktische Grundlage, dass die Leute, die sich tatsächlich für weitere Reformen einsetzen, das Zentrum repräsentieren und nicht den linken Flügel der Demokratischen Partei. Selbst Tim Geithner, der US-Finanzminister drückt seine Frustration über die Grossbanken mit den Worten aus: „The Warlords“. Die Leute, die damit beauftragt sind, zu regulieren, fangen an, die Welt durch die Augen der grössten Spieler des privaten Sektors zu betrachen. Bitte beachten Sie, dass Hedge Fonds Manager beispielsweise Grossbanken für gefährlich halten und dass diese (d.h. Grossbanken) wieder beginnen würden, in einer rücksichtslosen Art und Weise Mismanagement zu betreiben, erklärt Johnson. Er redet sogar von einer „kognitiven Erfassung, welche tief ins Finanzsystem geht“. Geithner besteht jedoch darauf, die Reformgesetzgebung von der (politischen) Mitte her anzupacken. „Das ist aber einfach kein Links-Rechts-Problem“, betont Johnson zu Recht. Das ist eine regulatorische Erfassung (regulatory capture), wie von George Stigler (ein Mann der Rechten) von der Uni Chicago vorgesehen wird. Geithner vertritt nicht näher eine moderate, zentristische Sicht in Sachen Finansektor als Robert Rubin und Larry Summers, hält Johnson fest. „Die Einschränkungen von Grösse, Verschuldungsgrad und Tätigkeit von Grossbanken hätten viel stärker im Gesetzentwurf des Senats niederschlagen können“, so Johnson. Matt Taibbi hat eine gute Darstellung dessen, was war und was hätte sein können. Und das wird von der Regierung auch nicht verneint. „Der Zusatzartikel von Brown-Kaufman zur Vorlage des Senats, wenn erlassen worden wäre, hätte dafür gesorgt, dass die sechs grössten Banken in Amerika zerschlagen worden wären, wenn wir dafür gewesen wären. Das sind wir aber nicht“, ist der Standpunkt mancher Regierungsvertreter. „Die Verantwortlichen in Sachen Strategie-Wechsel gegenüber Grossbanken sind nicht dumm und sie sind auch nicht korrupt, Dinge zu tun, nur weil jemand an der Wall Street sie auffordert. Unsere Top-Politiker sind einfach davon überzeugt, dass das, was für Wall Street gut ist, auch für die amerikanische Wirtschaft gut“, schlussfolgert Johnson. Diese Mentalität nennt Johnson, der ehem Chefökonom des IWF im Übrigen „cultural capture“ (siehe hier) in ihrer reinsten und extremsten Form. Damit gemeint ist eine Art geistige Macht („kultureller Feldzug“), die der Wall Street ein gewisses Mass an politischem Einfluss verleiht, der mit keinem Beitrag der Zahlung für korrupte Politiker gekauft werden kann.

PS: Zum Thema „Der Mann der Mitte“ ein lesenswerter Essay („Obama the Centrist“) von Bradford DeLong in Project Syndicate.

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