Sonntag, 3. Februar 2013

Warum es auf die Ungleichheit ankommt


Matthew Kahn behauptet in einem Beitrag (“Optimal Income Inequality”) im Blog „The Reality-Based Economy“, dass Robert H. Frank die Ansicht vertrete, dass die Menschen eine Vorliebe dafür hätten, mit den Nachbarn mitzuhalten, d.h. mit den anderen gleichziehen zu wollen, was die Bedenken im Hinblick auf das relative Einkommen betrifft.

Stimmt es? Nein. Der an der Cornell University lehrende Professor Frank hat zuletzt in seinem aktuellen Buch The Darwin Economy mit Nachdruck hervorgehoben, dass es irreführend ist, die Menschen so zu charakterisieren. Denn die Ungleichheit würde sonst keine Rolle spielen, wenn die Menschen lernen würden, negative Gefühle wie Neid und Eifersucht zu ignorieren.

Es kommt also doch auf die Ungleichheit an, und zwar aus einer Vielzahl von Gründen, die mit solchen Emotionen nichts zu tun haben. Weil unsere Fähigkeit, wichtige Lebensziele zu erreichen, oft stark davon abhängen, wie wir verhältnismässig konsumieren, erklärt Frank in einem lesenswerten Artikel („Why Inequality Matters“) im gleichen Blog als Antwort auf Kahn.

Wenn man sich um eine Stelle bewirbt, wird empfohlen, im Vorstellungsgespräch gut auszusehen, d.h. gepflegt zu erscheinen. Aber Gut-Aussehen ist ein unausweichlich relativer Begriff. Wenn die anderen Mitbewerber mehr Geld für die Kleidung ausgeben, ist es ratsam, dass man selbst genauso viel Geld ausgibt, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dadurch nicht steigt, dass man zu einem weiteren Gespräch eingeladen wird, wenn alle gleich viel Geld für die Kleidung ausgeben. Doch wenn die anderen Stellenbewerber mehr Geld ausgeben, gut auszusehen, und wenn man es selbst nicht tut, sinken die eigenen Chancen im Wettbewerb.


Der Toil-Index, Graph: Prof. Robert H. Frank

Ebenso beeinflusst die relative Summe, die man für die Unterkunft (housing) ausgibt, die Fähigkeit, die Kinder zu guten Schulen zu schicken, beschreibt Frank weiter. Denn eine gute Schule ist auch ein von Natur aus relativer Begriff. In fast jeder Umgebung liegen die guten Schulen in teureren Wohnvierteln. Um die Kinder zu einer guten Schule zu schicken, muss man die anderen im Hinblick auf die relativ teure Unterkunft (Wohnverhältnisse) überbieten.

Nicht zu erkennen, welche entscheidende Rolle die relativen Ausgaben spielen, erklärt, warum viele daran scheitern, zu erkennen, dass wachsende Einkommensungleichheit hohe ökonomische Kosten auf Familien mit mittlerem Einkommen auferlegt, argumentiert Frank.

Das Problem ergibt sich aus einem mehrstufigen Prozess, den Frank in Zusammenarbeit mit Adam Seth Levine und Oege Dijk „expenditure cascades“ („Ausgaben-Kaskade“) nennt.

Der erste Schritt tritt auf, wenn Leute an der Spitze mehr Geld ausgeben, weil sie einfach mehr Geld haben. Wenn sie immer grössere Villen bauen, verschieben sie damit den “Bezugsrahmen“ (frame of reference), was auch auf die Nachfrage der Familien mit niedrigerem Einkommen auswirkt, die in überlappenden Vierteln leben. Diejenigen Menschen, die nahe zu Reichen wohnen, fangen auch an, grössere Häuser zu bauen, was den „Bezugsrahmen“ für andere Menschen  in der Einkommensskale knapp darunter verschiebt.

Ein konkretes Beispiel für die „expenditure cascade“ ist, dass das Median-neue- Einfamilienhaus im Jahr 1970 1‘570 square feet (ca. 146m2) hatte. Im Jahr 2007 umfasst die Wohnfläche mit 2‘300 square feet (ca. 214m2) fast doppel so viel. Dieses Wachstum lässt sich laut Frank nicht einfach mit dem Anstieg des Durchschnittslohnes oder des Median-Familien-Einkommens erklären.

Was sich dramatisch verändert hat, ist der Kontext, wie die Median-Familie ihre Entscheidung in Bezug auf die Wohnverhältnisse trifft. Die Abbildung zeigt, wie schwierig es für die Median-Familie geworden ist, Schritt zu halten. Der Toil-Index gibt die Anzahl von Stunden an, die der Median-Verdiener in den vergangenen 60 Jahren zur Deckung der Kosten aufbringen muss, um sich eine Unterkunft im neuen Bezugsrahmen leisten zu können.

Der Toil-Index ist mit dem Anstieg der Einkommensungleichheit seit Ende der 1970er Jahre in Tandem gestiegen. Der Median-Verdiener musste 2010 82,9 Stunden arbeiten, fast doppelt so viel wie in den 1970er Jahren, um sich ein Haus mit dem Median-Preis leisten zu können.

Das Wohnungswesen repräsentiert natürlich nicht die einzigen Ausgaben, was im Kontext Sensitivität aufweist, sondern auch ähnliche Ausgaben wie für die Kleidung, Geschenke, Geburtstagsfeiern und andere Feste. Der Median-Verdiener muss also heute viel mehr Geld ausgeben oder sonst erträgt er erhebliche gesellschaftliche Nachteile. Doch ist es sicherlich so, dass die zusätzlichen Ausgaben der letzten Jahre einen relativ ineffizienten Nutzen darstellen. Die durchschnittliche Hochzeitsfeier kostet heute in den USA fast 30‘000 US-Dollar, nahezu doppelt so viel wie im Jahr 1990. Glaubt jemand, dass die zusätzlichen Ausgaben die Paare und ihre Familien glücklicher macht?

Die Fürsprecher der Ungleichheit erinnern daran, dass die Armen heute viele Annehmlichkeiten geniessen als früher nicht einmal die Reichen hatten geniessen können. Aber zu argumentieren, dass steigende Einkommensungleichheit enorme Kosten auf Familien mit mittlerem Einkommen verhängt, ist nicht dasselbe, zu argumentieren, dass solche Familien es vor einem Jahrhundert besser gehabt hätten. Es kommt auch auf das absolute Einkommen an.

Doch gerade, weil die relative Kaufkraft so wichtig ist, sind auch sehr kleine absolute Einkommensunterschiede ausreichend, ein hohes Mass an Anstrengung zu stimulieren, hält Frank fest. Viele der erheblichen Kosten im Zusammenhang mit hohen Einkommensunterschieden sind damit völlig unnötig.

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