Mittwoch, 20. Februar 2013

SNB betreibt keine „beggar-thy-neighbour“-Politik


Thomas Jordan hat gestern Abend in einem interessanten Referat („Starker Franken und hoher Ertragsbilanzüberschuss: ein Widerspruch?“) in Zürich die Festlegung des Mindestkurses von 1,20 CHF pro EUR in Schutz genommen.

Der SNB-Präsident  hat in diesem Zusammenhang alle Vorwürfe im Hinblick auf sog. „Währungskriege“ (currency wars) zurückgewiesen: Die SNB führt keine „beggar-thy-neighbour“-Politik.

Jordan hat zudem ausführlich erläutert, warum es keinen Widerspruch zwischen dem starken Franken und dem hohen Schweizer Ertragsbilanzüberschuss gibt. Die SNB hat bekanntlich die Preisstabilität zu gewährleisten und muss dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen. Die Ertragsbilanz spielt für die Geldpolitik keine Rolle.

Der Schweiz geht es nicht darum, die eigene Wirtschaft mittels einer Schwächung der Währung auf  Kosten der anderen Länder zu unterstützen. Dennoch wird neben Japan, Grossbritannien und den USA auch die Schweiz erwähnt, wenn in der Politik Befürchtungen im Hinblick auf einen Abwertungswettlauf geäussert werden.

Im Mittelpunkt der Kritik steht der Ertragsüberschuss, der in der Schweiz 8,4% des BIP ausmacht. Das Argument lautet, dass der hohe Überschuss ein Zeichen dafür sei, dass der CHF nicht stark, sondern zu schwach sei. Die SNB soll demnach den Mindestkurs aufheben und eine weitere Aufwertung des CHF zulassen. Mit der Zurückbildung des Überschusses werde zum Abbau der globalen Ungleichgewichte beigetragen.

Der hohe Ertragsbilanzüberschuss der Schweiz wird kaum vom Wechselkurs beeinflusst, sondern von der internationalen Entwicklung, hält Jordan fest: Die Schweiz leistet als kleine, offene Volkswirtschaft einen ansehnlichen Beitrag zu einem ausgeglichenen globalen Wirtschaftswachstum.


Realer handelsgewichteter Frankenkurs und Ertragsbilanzüberschuss, Graph: Thomas Jordan, SNB-Präsident, Febr 19, 2013

„Ein Ertragsbilanzüberschuss heisst für ein Land nichts anderes, als dass es im Verkehr mit dem Ausland mehr einnimmt als ausgibt. Ein Teil der Einkommen dieses Landes wird nicht für Konsum und Investitionen im Inland ausgegeben. Der Sparüberschuss wird im Ausland angelegt, weshalb die Guthaben des Landes im Ausland ansteigen“, erklärt Jordan.

Es gibt aus Sicht der ökonomischen Theorie keinen optimalen Ertragsbilanzsaldo. Im Grunde genommen ist jeder Saldo der Ertragsbilanz optimal, solange er ohne verzerrende Einschränkungen des Güter- und Kapitalverkehrs zustande kommt, unterstreicht Jordan.

Wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist, geht der Überschuss der Ertragsbilanz nicht automatisch zurück, wenn der CHF sich real aufwertet. Der Überschuss nimmt aber auch nicht automatisch zu, wenn der CHF sich abwertet. Die Argumentation, wonach ein stärkerer realer CHF automatisch zu einem geringeren Ertragsbilanzüberschuss führt, trifft daher für die Schweiz nicht zu.


Komponenten der schweizerischen Ertragsbilanz, Graph: Thomas Jordan, SNB-Präsident

Woran liegt das? Der Saldo im Schweizer Warenhandel macht nur einen Bruchteil des hohen Ertragsbilanzüberschusses aus. Für den Fall China beträgt der Warenhandel beispielsweise mehr als 80% des Ertragsbilanzüberschusses. Für den Schweizer Ertragsbilanzüberschuss sind spezifische Faktoren verantwortlich. Der Handelsbilanzsaldo trägt also nur wenig zum Überschuss bei.


Ertragsbilanzen ausgewählter OECD-Länder, Graph: Thomas Jordan, SNB-Präsident, Febr 19, 2013

(1) Kapitaleinkommen auf das hohe Netto-Auslandsvermögen der Schweiz. 

(2) Einnahmen des Finanzsektors aus dem Geschäft mit ausländischen Kunden. 

(3) Erträge aus dem Transithandel und 

(4) statistische Verzerrungen in Bezug auf den Ertragsbilanzüberschuss.

In der Schweiz bestimmt nicht die Handelsbilanz die Ertragsbilanz, sondern zwei Komponenten: (a) Kapitaleinkommen und (b) Dienstleistungen. Dargestellt werden jeweils die Netto-Erträge dieser Komponenten. Das heisst, dass von den Einkommen, die vom Ausland in die Schweiz fliessen, die Einkommen, die ins Ausland fliessen, abgezogen. Ein positiver Saldo bedeutet, dass die Einnahmen höher sind als die Ausgaben. Die Saldi dieser beiden Komponenten werden vom Wechselkurs kaum beeinflusst.

Die Schweizer Wirtschaft kann laut Jordan mit einer graduellen, längerfristigen Aufwertungen des realen Wechselkurses umgehen. Aber massive und abrupte Veränderungen des Wechselkurses haben eine grosse Wirkung auf Preise und Produktion in der Schweiz. Sie können zu Deflation und Rezession führen.


Komponenten der Dienstleistungen, Graph: Thomas Jordan, SNB-Präsident, Febr 19, 2013

PS: Die Schweiz weist gegenüber dem Euroraum, dem grössten Handelspartner traditionell ein Handelsbilanzdefizit aus, was auch in der jüngster Zeit so geblieben ist.

PPS: Was ist unter Transithandel zu verstehen? Ein Handelsunternehmen mit Sitz in der Schweiz kauft z.B. in Sambia Kupfer und verkauft es nach China. Das Kupfer wird direkt nach China verschifft. Die Daten werden nicht in der Handelsbilanz erfasst. Die Marge aus der Transaktion wird als Einnahme in der Ertragsbilanz bilanziert.

PPPS: Was sind statistische Verzerrungen? Bei den Erträgen aus Direktinvestitionen werden die gesamten Gewinne der Tochtergesellschaften erfasst, also nicht nur die ausgeschüttenen Dividenden. Bei den Portfolioinvestitionen in Aktien werden hingegen nur die ausgeschüttenen Dividenen berücksichtigt. Bei den Direktinvestitionen handelt es sich überwiegend um ausländische Tochtergesellschaften von bekannten multinationalen Unternehmen, die an der Schweizer Börse kotiert sind.

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