Paul de Grauwe befasst sich in einem lesenswerten Artikel („Economic theories that influenced the judges
of Karlsruhe“) in voxeu mit der Wirtschaftstheorie, die hinter der (v.a. in der deutschen Politik
anschaulich artikulierten) Ablehnung des EZB-Programms zum Ankauf von
Staatsanleihen im Euro-Raum steckt.
Zur Erinnerung: Das deutsche
Verfassungsgericht hat neulich das OMT-Programm mit dem EU-Recht für
unvereinbar erklärt. Das Urteil lautet: Die EZB überschreitet mit der Massnahme
das Mandat der EWU.
Karlsruhe hat dann den Ball zur
Vorabentscheidung nach Luxemburg zugespielt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH)
soll darüber befinden, ob Anleihekäufe in das Mandat der EZB fallen oder nicht.
Die Luxemburger Richter sollen also über die Euro-Rettung entscheiden. Das ist einmalig, dass das Bundesverfassungsgericht dem EuGH eine Rechtsfrage zur Prüfung
vorlegt.
Bemerkenswert ist, dass das im
Sommer vorgestellte OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) bisher nicht zum Einsatz kam.
Dennoch ist es der EZB gelungen, mit der Ankündigung der Massnahme die
Finanzmärkte zu beruhigen, vor allem was die Risikoaufschläge für italienische
und spanische Staatsanleihen betrifft. Die Spreads haben sich nämlich inzwischen
deutlich zurückgebildet.
Der an der London School of Economics lehrende Wirtschaftsprofessor vertritt
die Meinung, dass (1) die Theorie der effizienten Märkte, die den Eckpfeiler
eines der wichtigsten Argumente der Richter aus Karlsruhe bildet, auf
wackeligen Füssen steht und (2) das deutsche Verfassungsgericht die fiskalischen
Auswirkungen des OMT-Programms auf eine falsche, aber populäre Ansicht in Bezug
auf das Funktionieren der Zentralbanken abstellt.
(1) Die Karlsruher Richter legen
dar, dass die EZB im Rahmen des OMT-Programms Staatsanleihen kauft, um die
Renditen dieser Papiere zu senken. Da die Renditen das Ausfallrisiko dieser
Staatsanleihen durch den Markt reflektieren, heisst es laut Gerichtsentscheid,
dass die EZB damit in das Marktgeschehen eingreift, wenn sie versucht, die Renditen
durch Anleihekäufe zu verringern. Die EZB stellt sich laut Karlsruhe gegen den
Markt und betreibe dadurch keine Geldpolitik, sondern Wirtschaftspolitik und
überschreite deshalb ihr Mandat.
De Grauwe bemerkt, dass diese
Ansicht (efficient market theory) vor
der Finanzkrise weit verbreitet war, aber seither ihre Attraktivität verloren
hat. Es wird nun im Allgemeinen akzeptiert, dass die Finanzmärkte nicht
vollkommen sind und die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Grundlagen nicht
angemessen widerspiegeln können.
Zu betonen ist in diesem
Zusammenhang eine Besonderheit, dass die Mitgliedstaaten, die in einer
Währungsunion Staatsanleihen ausgeben, selbst keine kontrolle über die Währung haben,
weil es sich dabei um eine Gemeinschaftswährung handelt.
Daraus folgt, dass für die
Anleihegläubiger keine Garantie abgegeben werden kann, dass die Anleihen am
Ende der Fälligkeit bedient würden. Da für diese Papiere keine „Cash-Gewähr“
verfügbar ist, besteht in einer Währungsunion wie die EWU die Gefahr, dass sich
selbst erfüllende Liquiditätskrisen entstehen, was infolgedessen zum Ausfall (default) der Anleihen führen kann.
De Grauwe spricht in diesem Zusammenhang von einem „bad equilibrium“ („schlechtes“ Gleichgewicht“), welches durch die Märkte wegen der Angst vor der Zahlungsunfähigkeit des betreffenden Lands zustande gebracht werden kann. Kommt es zu Panik, können die Renditen durch die Decke schiessen. Ein „sudden stop“ in Liquiditätsversorgung kann eine Regierung in eine Liquiditätskrise geraten lassen. Und in Abwesenheit einer finanziellen Unterstützung (z.B. durch die Zentralbank) kann ein Ausfall (default) vorliegen.
Gibt es keine solche Panik,
können die Renditen in einem „good
equilibrium“ („gutes“ Gleichgewicht) weiter niedrig verlaufen, wo die Liquidität
von den Märkten bereitgestellt wird.
Die wichtigste Rechtfertigung des
OMT-Programms ist daher, dass in den Finanzmärkten sich selbst erfüllende
Liquiditätskrisen entstehen können, mit dem Ergebnis eines „schlechten“
Gleichgewichts. Draghi hatte einst bei der Ankündigung des OMT-Programms selbst darauf
hingewiesen.
Die Möglichkeit multipler
Gleichgewichte (multiple equilibria)
ist deswegen die wichtigste Begründung für die „lender of last resort“-Funktion einer
Zentralbank in den Märkten für Staatsanleihen.
(2) Die Karlsruher Richter argumentieren,
dass die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen Geld- und Fiskalpolitik vermische.
Die fiskalpolitische Komponente
des OMT-Programms ergibt sich aus der Tatsache, dass die Staatsanleihen, die
die EZB aufkauft, an Wert verlieren können, wenn ein Zahlungsausfall (default) vorliegt. Passiert das, würde
die EZB gezwungen, wegen des Verlustes das Eigenkapital aufzustocken. Folglich würden
die Steuerzahler der betreffenden Länder angehalten, die EZB wieder zu
re-kapitalisieren. Das heisst, dass die EZB mit dem Kauf von Staatsanleihen die
Steuerzahler in Gefahr bringt.
Das Problem mit diesem Argument
ist, dass es falsch ist. Denn eine Zentralbank kann nicht zahlungsunfähig (default) werden, solange sie
Monopolmacht hat, Geld zu drucken.
Geld ist zwar der „Schuldtitel“
der Zentralbank. Aber die Zentralbank kann den „Schuldtitel“ durch die Ausgabe
von frischem Geld erlösen, durch die Umwandlung einer alten Banknote in eine
neue. Diese Banknoten stellen keinen Anspruch auf das Vermögen der Zentralbank
dar.
Daraus folgt, dass die
Zentralbank nicht auf das Eigenkapital angewiesen ist (im Gegensatz zu einem privaten Unternehmen). Die
Zentralbank kann daher mit einem negativen Eigenkapital („negative equity“, d.h. wenn
Verbindlichkeiten das Vermögen übersteigen) leben. In einem fiat-money System brauchen Zentralbanken kein Eigenkapital.
Fazit: Natürlich gibt es
im Einsatz von OMT Risiken. Diese Risiken haben mit potentieller Inflation (Ausweitung
der Geldbasis) und Moral Hazard (falsche Anreize) zu tun. Keine dieser Risiken
hat aber etwas mit Steuerzahler zu tun, die gezwungen würde, eine Steuer ohne
demokratische Abstimmung in dem betreffenden nationalen Parlament zu zahlen.
Eine Zentralbank hat die
Verantwortung, in Krisenzeiten Liquidität bereitzustellen. Die EU-Kommission
ist verantwortlich dafür, das Moral-Hazard Problem einzudämmem. Sie hat durch
den Stabilitäts- und Wachstumspakt den gesetzlichen Auftrag, so zu handeln.
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