Mittwoch, 7. August 2013

Niedriglohnbezieher und Existenzminimum

Die Geringverdiener, die schwer zu organisieren sind, werden am einfachsten ignoriert. Der Mindestlohn, der in den USA derzeit 7,25$ pro Stunde beträgt, ist zwar um die Inflation bereinigt etwas höher als vor zehn Jahren, aber er liegt immer noch tiefer als der Spitzenwert aus dem Jahr 1968, was in $ von heute 10,70$ pro Stunde entspricht. Das ist die Armutsgrenze.

Die Niedriglohnbezieher haben in den USA kürzlich die Arbeit niedergelegt. Die Beschwerden sind einfach begründet: niedrige Löhne, wenige Sozialleistungen (wenn überhaupt) und kaum Vollzeitbeschäftigung.

Die meiste Arbeit im Fast-Food Geschäft und im Einzelhandel ist Teilzeitarbeit (part time). Der schwache Arbeitsmarkt hat unterdessen dazu geführt, dass die Verhandlungsstärke der Niedriglohn-Arbeitskräfte dahin geschmolzen ist: Das Einkommen der Arbeitnehmer ist zwischen 2009 und 2012 deutlich gesunken, wie James Surowiecki in einem lesenswerten Artikel („The pay is too damn low“) in The New Yorker berichtet.

Es ist ein grosses politisches Problem. Die Jobs im Niedriglohnsektor wurden ursprünglich von jungen Menschen oder Frauen, die Teilzeitjobs suchten, getätigt, um das Familieneinkommen zu verbessern. Walmart hat früher explizit unterbeschäftigte verheiratete Frauen als Mitarbeiter angestellt. Die Fast-Food Belegschaft ist jedoch mittlerweile von Teenagers dominiert, weil es der US-Wirtschaft nicht gelingt, gute Mittelklasse-Arbeitsplätze zu schaffen: 5 von 6 schnellsten wachsenden Jobs-Kategorien zahlen heute weniger als der Median Lohn, wie Surowiecki darlegt.

Die Arbeitskräfte im Niedriglohn-Sektor sind heute älter und besser ausgebildet als je zuvor. Viele von ihnen sind darauf angewiesen, nicht als Nebeneinkommen, sondern als Unterstützung der Familien. Vor 40 Jahren gab es keine Erwartung, dass die Jobs im Fast Food Sektor oder im Discount-Einzelhandel einen existenzsicherenden Lohn (living wage) bieten würden, weil es sich nicht um Jobs handelte, die von erwachsenen Menschen angestrebt wurden. Heute versorgen damit 46% der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor ihre Familien. Das ist der Wandel, weshalb die Geringverdiener in den USA heute auf die Strasse gehen, um Lohnerhöhungen zu fordern.

Die Situation ist das Ergebnis einer tektonischen Verschiebung in der amerikanischen Wirtschaft, schildert Surowiecki weiter. Im Jahre 1960 war General Motors der grösste Arbeitgeber des Landes: das profitabelste Unternehmer und eines der best bezahltenden Konzerne Amerikas.  Heute sind die grössten Arbeitgeber Einzelhändler und Fast-Food Ketten, wobei es wichtig ist, zu betonen, dass das Businessmodell auf Niedriglohn basiert. Die Löhne werden gedrückt und die Gewerkschaften werden fern gehalten.

Sie machen viel Geld, aber die meisten haben dünne Gewinnmargen. Walmart und Target verdienen 3 bis 4 Cents pro US-Dollar. Ein typisches McDonalds Franchise-Restaurant verdient rund 6 Cents pro US-Dollar vor Steuern, wie eine Anayse von Janney Capital Markets festhält.

In der Tat machen die kombinierten Gewinne von allen grossen Einzelhändlern, Restaurant-Ketten und Supermärkte, die von Fortune 500 erfasst werden, weniger aus als der Gewinn von Apple allein. Doch Apple beschäftigt gerade 76'000 Menschen,während alle Einzelhändler, Supermärkte und Restaurant-Ketten 5,6 Millionen Menschen eine Arbeit geben.

Die grausame Wahrheit dieser Zahlen ist, dass niedrige Löhne ein grosser Teil dessen sind, warum diese Unternehmen profitabel bleiben und gleichzeitig niedrige Preise bieten. Der US-Kongress hat einen Gesetzentwurf zur Erhöhung des Mindestlohnes auf 10,10$ eingereicht. Es würde für die Arbeitnehmer einen wesentlichen Unterschied ausmachen. Die betroffenen Unternehmen müssten aber wahrscheinlich die Preise erhöhen. Werden die Verbraucher nach Jahrzehnten nun plötzlich höhere Preise akzeptieren?

Realistisch betrachtet kann ein höherer Mindestlohn nur ein Teil der Lösung sein. Wir müssen auch die Steuergutschrift für Erwerbseinkommen erhöhen und die soziale Versicherung einschliesslich Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung stärken, fasst Surowiecki als Fazit zusammen.

Fast Food Jobs sind in Deutschland und den Niederlanden sind nicht besser bezahlt als in den USA. Aber hier ist das soziale Netz stärker, was dafür sorgt, dass die Arbeitnehmer besser aufgehoben sind. Wie Jared Bernstein sagt, sind eine starke Wirtschaft und ein fester Arbeitsplatz die besten Freunde der Beschäftigten im Niedriglohn-Sektor. Es reicht nicht aus, die schlechten Jobs besser zu gestalten. Wir müssen bessere Arbeitsplätze schaffen.


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