Das Wachstum in Europa ist seit sechs Quartalen rückgängig. Philipp Hildebrand schreibt in einem Artikel („Die Kosten eines Nichtbeitritts zur EU könnten zu hoch werden“) in der SonntagsZeitung, dass Europa an einem Scheideweg steht, an dem es sich letztlich für oder gegen die weitere Integration entscheiden muss. Der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) deutet auf „enorme Herausforderungen in Europa“ hin.
Was mir gefällt, ist, dass
Hildebrand das Argument der Bankenlobby im Hinblick auf die erhöhten
Eigenkapitalanforderungen in einer klaren Art und Weise zurückweist. Die Banken
vertreten nämlich den Standpunkt, dass die Erhöhung des Eigenkapitals ihre
Kreditvergabe einschränke.
Hildebrand sagt, dass diese
Sichtweise „analytisch wie auch empirisch falsch“ ist. Die Banken mit robusten
Bilanzen haben in den Krisenjahren 2007 und 2008 laut IWF ihre Kreditvergabe
weniger stark reduziert als bilanziell schwächere Institute. Die
Schlussfolgerung ist also, dass „Banken, die nicht über genügend Kapital
verfügen, weniger Kredite vergeben“. Europa muss daher sicherstellen, dass alle
Banken angemessen kapitalisiert sind.
Was mir nicht gefällt, ist das
„France Bashing“ durch Hildebrand: „Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben
sich Deutschland und Frankreich immer mehr auseinander
entwickelt“. Frankreich muss deshalb dringend Strukturreformen in die Wege
leiten, seine Staatsquote verringern und
die Arbeitskosten senken. Mit anderen
Worten muss Frankreich gegenüber Deutschland aufholen, so Hildebrand. Frankreich
soll demnach billiger und effizienter werden.
Frankreich: BIP und Komponente, Graph: Morgan Stanley
Bei allem Respekt erweist sich
diese Aussage makroökonomisch als abwegig. Die Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit
lässt sich an der Entwicklung der Nominallöhne erkennen.
Die Produktivität ist in Frankreich gemessen am ausbezahlten Lohn pro Stunde
stärker gestiegen als in Deutschland. Warum soll Frankreich die Staatsquote
reduzieren, wenn die Produktivität des Landes darunter nicht leidet?
Frankreich muss ferner nicht
gegenüber Deutschland aufholen. Falls das geschehen würde, wäre das Ergebnis
eine schwere Deflation in der Eurozone. Die Kerninflation befindet sich auf dem
absteigenden Ast. Frankreich soll wettbewerbsfähig werden. OK. Wie soll aber die Konjunktur belebt werden, wenn
die Verbraucher weniger Geld in der Tasche haben, wenn also die Arbeitskosten
(sprich Löhne) gesenkt werden?
Die Frage ist: Warum haben sich aber
Deutschland und Frankreich im Verlauf der letzten zehn Jahre haben immer mehr
auseinander entwickelt? Weil das eine Land (mit Leistungsbilanzüberschuss) die anderen Länder
(einschliesslich Frankreich) gegen die Wand gefahren hat.
Deutschland hat das gemeinsam
festgelegte Inflationsziel in der EWU durch Lohndumping ständig unterboten. In
Frankreich hingegen ist das Preisniveau im Einklang mit dem durch die EWU angegebene Inflationsziel gestiegen. Frankreich hat sich an die Regeln in
einer Währungsunion gehalten. Deutschland nicht. Wie kann die Wettbewerbslücke geschlossen werden?
PS: Die neoliberale Agenda hat in den vergangenen
Monaten einige heftige Kritik an Frankreichs Wirtschafts- und
Industriepolitik geübt, wie z.B. das Handelsblatt darauf
hindeutet. Aber auch Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank hat von Frankreich
in einem Interview einen härteren Sparkurs
gefordert.
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