Samstag, 10. August 2013

Niedrige Zinsen: Ein Buch mit sieben Siegeln?

An den anhaltenden Niedrigzinsen scheiden sich derzeit die Geister. Von dem Kanzlerkandidat der SPD bis zu den neoliberalen Blättern lassen sich viele Individuen und Unternehmen über die niedrigen Zinsen aus. Die Stimmung ist gereizt. Die Rede ist u.a. von einer „stillen Enteignung“, obwohl die niedrigen Zinsen nicht die Ursache, sondern ein Symptom der Finanzkrise von 2008 sind.

Nach dem Platzen der auf Pump finanzierten Spekulationsblase am Immobilienmarkt ist ein Überhang an Schulden zurückgeblieben. Die Rettung des überschuldeten Bankensystems durch die öffentliche Hand hat die Schuldenquote (debt to GDP) steigen lassen. Im Zuge (der daraus folgenden) harschen Austeritätspolitik (front-load austerity) bemühen sich nun private Haushalte und Unternehmen um den Schuldenabbau (deleveraging). Der Prozess hält an, weil das Ausmass der Wirtschaftsflaute historisch mit der Zeit der Grossen Depression vergleichbar ist.

Die Wirtschaft steckt in einer Liquiditätsfalle. Die expansive Geldpolitik funktioniert nicht mehr ganz, weshalb die Notenbanken eine mengenmässige Lockerung der Geldpolitik (QE: quantitative easing) betreiben. Die Zinsen liegen nahe null, weil die Nachfrage schwach ist. Die Produktionskapazitäten sind unterausgelastet (output gap).

Wenn aber private Haushalte, Unternehmen und der Staat gleichzeitig sparen, woher soll die Nachfrage kommen? Die Ausgaben des einen sind nämlich die Einnahmen des anderen. Deshalb herrscht jetzt ein Überangebot an Ersparnissen.



US-Wirtschaft: Ersparnisse versus Investitionen, Graph: FRED, Fed St. Louis

In den Medien steht in den Tagen zu lesen, dass das Geldvermögen der Deutschen auf immer neue Rekordhöhen klettert. Das ist kein Grund zum Jubeln. Jemand muss diese Gelder aufnehmen, d.h. sich verschulden und Investitionen tätigen. Wer? Entweder die Unternehmen oder der Staat. Wenn die Unternehmen sich zurückhalten, dann ist der Staat gefordert, mit Ausgaben (durch die Absorbierung der Ersparnisse) die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln. Sparen behindert das Investieren. Wenn die hohe Arbeitslosigkeit bestehen bleibt und die Inflation für eine lange Zeit gering verläuft, worauf die Betonung von Forward Guidance durch die Notenbanken in diesen Tagen hindeutet, dann folgt daraus, dass die Zinsen für eine lange Zeit niedrig bleiben.

Die Sparer haben im Übrigen keinen Anspruch darauf, mehr Zinsen zu bekommen als die Wirtschaft angesichts der gegenwärtigen Kapazitäten bieten kann, wie Frances Coppola in ihrem Blog unterstreicht. Wenn die Wirtschaft beispielsweise um 0,5% wächst, kann die risikofreie Rendite nicht höher liegen als 0,5%. Wer mehr Ertrag will, muss bereit sein, mehr Risiko einzugehen. Es ist seltsam, dass die gleichen Leute, die höhere Zinsen für Sparer fordern, zugleich vor den Gefahren der hohen Staatsverschuldung warnen. Offensichtlich verstehen sie den Zusammenhang nicht. Höhere Zinsen für Sparer in der heutigen Situation der Wirtschaft würde ein höheres Haushaltsdefizit bedeuten, wegen der erhöhten Kosten für die Zinsen, im Dienst für risikofreie Anlagen (Staatsanleihen).

Wer jammert aber am lautesten? Rentier, weil ihr Vermögen nicht die Erträge abwirft, die sie sich wünschen. Das „viel zu billige Geld“ nehmen sie daher als eine Plage wahr. Wer aber für die Aufgabe der lockeren Geldpolitik plädiert und eine kontraktive Fiskalpolitik verlangt, gibt Geldgebern (creditors) Vorrang vor Menschen, die zur Zeit arbeitslos sind. Niedrige Zinsen helfen nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern. Niedrige Zinsen machen heute den Schuldenabbau einfacher, weil das günstige Geld den Zinsdienst senkt.

„Zum Glück“ gibt es aber die Nullgrenze (zero lower bound). Sonst würden die Zinsen noch tiefer fallen. Das Schimpfen auf Niedrigzinsen wird weder durch die Beweise noch durch das makroökonomische Lehrbuch gestützt.

Das ist eine Krise à la Keynes. Die Antwort darauf muss daher aus einem keynesianischen Ansatz kommen. Die Konservativen sehen aber die Diagnose und die Kur als einen politischen Gräuel, wie Paul Krugman in seinem Blog ausdrückt. Der Aufschwung, nicht der Abschwung ist der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen.


PS:
Hier ist eine makroökonomische Erklärung in diesem Blog aus dem Jahr 2009, warum die Zinsen auf lange Zeit niedrig bleiben würden.


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